"Tulum ist verloren"

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Mangroven gibt es an allen tropischen und subtropischen Küsten Lateinamerikas. Mangrovenwälder und Mangrovensümpfe sind ein wichtiges tropisches Ökosystem, das sich an Küsten und Flussmündungen angepasst hat. Allerdings sind sie weltweit durch Tourismus, Industrie und Siedlungsbau gefährdet - so auch an der mexikanischen Karibikküste. Ein Beitrag aus Tulum, wo Massentourismus, Luxus-Hotelkomplexe und Bodenspekulation dabei sind, ein einzigartiges Ökosystem zu vernichten.
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07:53 min, 11 MB, mp3
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Upload vom 17.09.2021 / 19:02

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Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Umwelt, Politik/Info
Serie: ONDA-Beiträge
Entstehung

AutorInnen: Radio onda
Radio: npla, Berlin im www
Produktionsdatum: 17.09.2021
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
Bagger auf dem geschützten Dünenstreifen. Foto: D. Ossami
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Skript
„Tulum ist verloren!“

Anmod:

Mangroven gibt es an allen tropischen und subtropischen Küsten Lateinamerikas. Mangrovenwälder und Mangrovensümpfe sind ein wichtiges tropisches Ökosystem, das sich an Küsten und Flussmündungen angepasst hat. Allerdings sind sie weltweit durch Tourismus, Industrie und Siedlungsbau gefährdet - so auch an der mexikanischen Karibikküste. Ein Beitrag aus Tulum, wo Massentourismus, Luxus-Hotelkomplexe und Bodenspekulation dabei sind, ein einzigartiges Ökosystem zu vernichten.

Meer

Sprecher:

Tulum liegt im mexikanischen Bundesstaat Quintana Roo auf der Halbinsel Yucatán, 120 Kilometer südlich der Touristenhochburg Cancún. Hier lebt der Umweltingenieur und Touristenguide Dario Ferreira Piña:

VO Dario 1

Tulum ist schon seit langem ein wichtiges touristisches Zentrum, wegen seiner Ruinen, dem größten Unterwasser-Höhlensystem der Erde und natürlich auch wegen seiner wunderschönen Strände.

Sprecher:

1990 war Tulum noch ein verträumtes Städtchen mit nur 2.000 Einwohner*innen, nahe der mexikanischen Karibikküste mit seinen traumhaften Stränden und einem der größten Korallenriffe der Erde. Noch vor 20 Jahren galt der Strand als Yogaparadies und Aussteigerort. Diese Beliebtheit hat dazu geführt, dass Tulum wirtschaftlich gewachsen ist; inzwischen leben hier etwa 40.000 Menschen - Tendenz steigend.

Atmo Party

Sprecher:

Heute gilt Tulum als Partyhochburg. Millionen Tourist*innen kommen jedes Jahr, vor allem aus den USA und Kanada, aber auch aus Europa und Lateinamerika. Am sieben Kilometer langen Strandabschnitt reiht sich nun ein teures Hotel an das nächste. Die Hotels werben mit Nachhaltigkeit, haben hübsche Strohdächer und bieten Yoga und veganes Essen an - aber sie sind auf dem eigentlich geschützten Dünenstreifen gebaut. Jedes mal, wenn Ferreira Piña hierher kommt, sieht der Mangrovenexperte neue Gebäude und Parkplätze, die alle illegal in den Mangrovenwald geschlagen worden sind:

VO Dario 2:

Die Mangroven sind gesetzlich geschützt, sie dürfen nicht beschnitten, gefällt oder sonstwie verändert werden. Aber hier in Tulum sieht man ganz klar, dass dieses Gesetz missachtet wird. Diese Spezies werden durch den exzessiven Bauboom geschädigt...

Sprecher:

Umweltingenieur Ferreira Piña, der ja ebenfalls vom Tourismus lebt, sieht zumindest für Tulum sogar gar keine Zukunft mehr:


VO Dario 5:
Für mich ist Tulum bereits verloren! Diese Entwicklung hätte gebremst werden müssen, bevor solche Großprojekte wie Aldea Zamá genehmigt wurden. Aldea Zamá ist ein Beispiel exzessiver Bebauung, die niemals hätte genehmigt werden dürfen. (...) Vom biologischen Korridor zwischen dem Nationalpark Tulum und dem Biosphärenreservat Sian Ka'an sind nur noch Reste übrig. Vorher war dieses wichtige Stück Natur durch Mangrovenwälder miteinander verbunden, genau da, wo jetzt die Hotelzone von Tulum ist. Die Natur wurde jetzt durch die ganzen Entwicklungen zerstört. Es gibt noch Mangrovenwälder, aber sie werden immer stärker beschädigt und verschwinden nach und nach.
Sprecher:

Das ungebremste Wachstum ist für die Natur schon längst zum Problem geworden. Das überlastete Stromnetz wird mit Dieselgeneratoren aufgepeppt, es gibt keine angemessene Müllentsorgung. Das für ganz Yucatán wichtige Grundwasser sinkt durch den Wasserverbrauch und wird durch Einleitung von ungeklärtem Abwasser stark verschmutzt. Das bedroht wiederum das zweitgrößte Korallenriff der Erde; es drohen irreversible Umweltschäden. Tulum steht beispielhaft dafür, was an der gesamten Riviera Maya passiert, erklärt der Biologe Ángel Omar Ortiz:

O-Ton Omar 1:

Der Verlust der Biodiversität in Mexiko ist immer die Konsequenz menschlicher Aktivitäten; entweder direkt durch Übernutzung, zum Beispiel durch Wasserverbrauch in den Städten, oder indirekt, durch die Veränderung des Lebensraums und durch Abholzung. Ein weiteres Beispiel für den Eingriff in die Ökosysteme sind zum Beispiel Hotelkomplexe, die auf Mangrovengebieten gebaut werden. Wir verursachen also eine grundlegende Veränderung des Lebensraumes dieser Feuchtgebiete, damit verlieren wir eine großen Teil der Biodiversität und das führt auch zu einer starken Umweltbelastung.

Sprecher:

Tourismusprojekte und Luxusresorts fressen sich von der Küste Tulums immer weiter ins Landesinnere. Im Süden hingegen wird der Bauboom an der Küste Tulums im Süden vom Biosphärenreservat Sian Ka'an aufgehalten. Das Unesco-Welterbe besteht aus tropischen Wäldern, Mangroven und Lagunen und ist doppelt so groß wie das Saarland. Der Biologe Ángel Omar Ortiz ist seit 2012 Direktor des riesigen Naturschutzgebietes. Er hat nur 23 Mitarbeiter, davon sind 14 Parkschützer. Zu wenig, um Wilderer und alle illegal auf dem riesigen Areal errichteten Bauten und Straßen aufzuspüren. Die eigentliche Gefahr aber lauert direkt außerhalb der Grenzen von Sian Ka'an, erklärt Omar Ortiz:

O-Ton Omar 3:

Im Einflussgebiet wächst die Infrastruktur völlig ungeordnet. Die Entwicklung außerhalb des Schutzgebietes wirkt sich auf drinnen aus: Die veränderte Bodennutzung, die Eingriffe im Wald, die Verschmutzung des Grundwassers. Es gibt drei Siedlungsprojekte, die rund um Sian Ka'an gebaut werden sollen. Der Bau dieser Siedlungen bringt genau solche Probleme mit sich wie die Verschmutzung des Grundwassers. Es gibt auch Interessengruppen, die sich Landstücke aneignen und dort bauen. In Muyil zum Beispiel, mit den wunderschönen Lagunen Muyil und Chunyaxché, soll eine Stadt gebaut werden, größer als das Tulum von heute.

Sprecher:

Darüber hinaus plant die mexikanische Regierung unter Präsident Andres Manuel López Obrador groß angelegte Infrastrukturprojekte wie den Maya-Zug, der direkt an der Grenze des Biosphärenreservats Sian Ka'an vorbeiführen soll. Auch ein Flughafen für Tulum ist geplant. Dann könnten die Tourist*innen zukünftig noch einfacher und noch zahlreicher nach Tulum kommen. Außerdem soll der Bau von Hotelprojekten auch innerhalb des Schutzgebietes geplant sein. Die Unesco erklärte dazu auf Anfrage, darüber keine Informationen zu haben. Und die nächste Überprüfung des Welterbes ist erst für das Jahr 2026 geplant.

Ernüchtert stellt Ferreira Piña fest:

VO Dario 6 :
Alle unsere Naturschutzgebiete, wie das Biosphärenreservat Sian Ka'an oder der Nationalpark Tulum sind relativ kleine Grünflächen, die wir erhalten, um den Rest des Landes wirtschaftlich entwickeln zu können. Das wird uns aber nicht helfen, die Biodiversität und unsere international so bedeutsame Fauna zu bewahren.

Sprecher:

Eigentlich ist dieses Gebiet in Yucatán Teil des mesoamerikanischen biologischen Korridors des Jaguars und weiterer Wildkatzen. Doch die rasante Veränderung ihrer Lebensräume wird zum Verschwinden dieser Spezies führen, fürchtet Ferreira Piña:

VO Dario 4:
(Und) mit den ganzen Schneisen, Einebnungen, Bauarbeiten, den ganzen Veränderungen der Umwelt, die wir hier verursachen, verringern wir ihren Lebensraum und die Diversität. Und wenn wir von Covid sprechen: Wir wollen ohne Pandemien leben. Aber wenn wir die Artenvielfalt auf wenige Spezies reduzieren, wird das in Zukunft nicht mehr möglich sein. Denn wenige Arten in einem Tropengebiet mit vielen Erregern führen zur Ausbreitung neuer Krankheiten. (Umso mehr wenn sich die Menschen von den Wildtieren ernähren.)
Sprecher:

Das ist nicht nur fatal für die Pflanzen-, sondern auch für die Tierwelt. An der viel befahrenen Landstraße von Tulum zu den Stränden und Hotels steht ein kleiner, selbst gebauter Grabstein: Hier wurde... "Puma" steht darauf, weil hier im Dezember 2018 ein Puma überfahren wurde. Sinnbild für die fortschreitende Zerstörung des Lebensraumes der eigentlich streng geschützten Raubkatzen wie Puma und Jaguar. Mexiko hat nach Brasilien die zweitgrößte Population des Jaguars - fragt sich nur, wie lange noch.