Hermann Scheer zum europäischen Super-Ökostromnetz

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In letzter Zeit beflügeln Energie-Großprojekte Industrie, Politik und sogar Umweltorganisationen. „Desertec“, „Transgreen“ und „Supergrid“ sind die Schlagwörter hinter denen sich die Vision eines gigantischen gemeinsamen Öko-Stromnetzes verbirgt, welches Europa mit sauberem Strom beliefern und von fossilen Brennstoffen unabhängiger machen soll.

Der Träger des Alternativen Nobelpreises von 1999, Herrmann Scheer, der am am 14. Oktober in Berlin mit 66 Jahren völlig unerwartet gestorben ist, war einer der prominentesten Kritiker dieser Megaprojekte.

Wir hatten ihn gefragt, wie sinnvoll es ist, mit solchen Großprojekten Energie v.a. dort zu gewinnen, wo sie auch reichlich vorhanden ist.

Dauer 5:03 Minuten

Auszug der Sendung von Dynamo Effect "3,2,1...meins - Wem gehört das Stromnetz?"
http://www.rdl.de/index.php/component/co...
Audio
05:03 min, 6838 kB, mp3
mp3, 185 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 19.10.2010 / 10:43

Dateizugriffe: 543

Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt
Serie: Dynamo Effect
Entstehung

AutorInnen: Luciano - Dynamo Effect
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 19.10.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In letzter Zeit beflügeln Energie-Großprojekte Industrie, Politik und sogar Umweltorganisationen. „Desertec“, „Transgreen“ und „Supergrid“ sind die Schlagwörter hinter denen sich die Vision eines gigantischen gemeinsamen Öko-Stromnetzes verbirgt, welches Europa mit sauberem Strom beliefern und von fossilen Brennstoffen unabhängiger machen soll.

Konsortien aus Konzernen, Banken und europäischen Regierungen tüfteln an Mamutprojekten, die Energie mit intelligenten Hochleistungsnetze über Tausende Kilometer hinweg verbinden soll: Windkraft aus der Nord- und Ostsee und von der Atlantikküste, Solarstrom aus den Wüsten Nordafrikas, sowie Wasserkraft aus Norwegen und sogar Geothermie aus Island.

Da unter den erneuerbaren Energien der Wind ein eher launiger Geselle ist, sollen über das Netz Wetterschwankungen ausgeglichen und eine verlässliche Versorgung garantiert werden.

Der überschüssige Strom aus den Offshore Windkraftanlagen der Nordsee sollen beispielsweise mit Wasserkraftanlagen in Norwegen verbunden und dort gespeichert werden. Skandinavische Stauseen sollen quasi als Batterien für den europäischen Windstrom agieren. Wenn die Windparks zu viel Strom produzieren, wird Wasser in hochgelegene Stauseen gepumpt. Bei erhöhtem Strombedarf lässt man das Wasser durch Turbinen ins Tal durchschießen.

Auch die schier unendlichen Sonnenkraft der Wüstengebiete soll massiv erschlossen werden. Bei dem Desertec-Projekt sind thermische Solarkraftwerke und Windkraftanlagen in Nordafrika und in Nahost geplant, die langfristig 15% des europäischen Strombedarfs decken sollen.

Zu schön, um wahr zu sein? Saubere und billige Energie für die ganze Erdbevölkerung? Der "Traum", den der geistigen Vater von Desertec Gerhard Knies verkündet, ist beim näheren Hinsehen alles andere als rosig.

Der Träger des Alternativen Nobelpreises von 1999, Herrmann Scheer, ist einer der prominentesten Kritiker dieser Megaprojekte. Wir haben ihn gefragt, wie sinnvoll es ist, mit solchen Großprojekten Energie v.a. dort zu gewinnen, wo sie auch reichlich vorhanden ist.

O-Ton Herrmann Scheer:
„Das ist genau das verkürzte Denken. Jede Produktion ist in Großserien, also in großen Konzernen, billiger zu machen, weil man da den Serieneffekt hat.
Und die Logik kann doch wohl nicht aufgehen, dass man ausschließlich Wirtschaft danach betrachtet. Wo sind hier niedrigsten Produktionskosten, dann zentralisieren wir alles, dann werden ganze Regionen abhängig von einzelnen wenigen Anbietern, selbst wenn die billiger produzieren, diktieren die Preise.
Welcher Anbieter, der eine Monopolstellung hat, fragt nur nach für ihn kostendeckenden Preisen? Das hat es in der ganzen Wirtschaftsgeschichte noch nie gegeben.“

Moderation:
Der finanzielle Aufwand dieses gigantischen Supergrid, des Paneuropäischen Ökostromnetzes, ist schwer kalkulierbar. Allein für Desertec sind Investitionen im Wert von 400 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050 im Gespräch.
Neben den Anlagen müssten Tausende kilometerlange Stromleitungen finanziert werden. Eine Arbeitsteilung scheint sich bereits abzuzeichnen. Die Unterseeleitungen der französischen Initiative 'Transgreen' sollen beispielsweise den Strom, den die Desertec-Partner in Nordafrikas Wüsten erzeugen wollen, nach Europa leiten.

O-Ton Scheer:
„Die Möglichkeit der erneuerbaren Energien liegt in der Realisierung der Energieversorgung aus eigenen heimischen Quellen für den eigenen Bedarf.
Es geht auch um die Breitenstreuung, der Betreiberschaften. Es geht um regionale Wirtschaftsförderung dabei und nicht um eine Kopie des hochzentralisierten, monopolisierten, atomarfossilen Stromversorgungssystems mit Solarkraftwerken. Das ist nicht der richtige Ansatz.“

Moderation:
Für Hermann Scheer hat ein Wettlauf begonnen. Die Energiekonzerne wollen Ausmaß und Art der Wende zu Erneuerbaren Energien kontrollieren und möglichst mit ihren Strukturen in Einklang bringen. Die angefangene Entwicklung können sie nur dann bremsen, wenn sie sie selbst steuern. Deshalb liebäugeln sie auch mit den Megaprojekten, in der Hoffnung, damit ihr Anbietermonopol aufrecht erhalten zu können.

O-Ton Scheer:
„Diese Möglichkeit, diese einzigartige Chance, dass man sich im Gegensatz zu herkömmlichen Energien nicht auf wenige Quellen in wenigen Ländern, von denen man dann existenziell abhängig geworden ist, stützen muss, sondern sich auf heimische Quellen stützen kann, was aber dann bedeutet, dass wenige Großkraftwerke durch viele mittlere und kleinere ersetzt werden, die in der Summe die wenigen Großen ablösen. Und das ist doch nur vorteilhaft.
Die Faszination, die Vorstellung, dass das alles nur über Großkraftwerke laufen könnte ist doch anachronistisch, erleuchtet doch höchstens Leuten, weil sie die Erfahrung der letzten Hundert Jahre im Kopf haben und denken, das müsste immer so sein, das ist doch höchstens ein Suggestivargument, das hat mit harten Fakten wenig zu tun.“

Kommentare
20.10.2010 / 14:35 jochen, Radio Unerhört Marburg (RUM)
verwendet im zip-fm
vom 20.10. 2010 Danke