Focus Europa (#136) vom 26. Oktober 2010

ID 36879
 
Beiträge:
Bernhard Schmid zu den Protesten, Demonstrationen und Streiks gegen die "Rentenreform

Slavoj Zizek über die Impotenz des Multikulturalismus angesichts der Anti-Immigrationsstimmung in Europa

Nachrichten:
-Kritik an Deutschland und Frankreich vor EU-Gipfel

-Britisches Militär trainierte rabiate Verhörmethoden

-Todesurteil gegen irakischen Ex-Außenminister

-Bürgerabstimmung über Marihuana-Legalisierung in Kalifornien

-Korruptionsindex 2010 veröffentlicht
Audio
30:51 min, 28 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 26.10.2010 / 19:10

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Focus Europa
Entstehung

AutorInnen: Martin, Hanne
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 26.10.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Hundertausende demonstrieren auf den Straßen, Ölraffinerien werden blockiert, es gibt heftige Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und demonstrierende Schülerinnen und Schülern. So wird in Frankreich gegen die geplante Rentenreform protestiert. Diese will die ArbeiterInnen und Angestellten zu längerer Lebensarbeitszeit verdammen und ihnen die Sicherung der Rente verstärkt aufhalsen. Zu den Verlaufsformen der Proteste befragten wir Bernhard Schmid, Focus Europa Korrespondent aus Paris.

Leitkultur, Multikulturalismus, der Islam und die Imigration: das alles sind Schlagwörter einer aufgepeitschten Debatte. Der slowenische Philosoph Slavoji Zizek hat in mehreren Schriften deutlich gemacht, dass es wenig Sinn macht dem Nationalismus und Rassismus einen wachsweichen liberalen Multikulturalismus entgegenzuhalten. Er plädiert sogar in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung für eine linke universalistische Leitkultur, die freilich mit dem konservativen Geraune über Leitkultur a la CDU nichts gemein hat. In unserem Hintergrund-Beitrag setzt sich Slavoj Zizek mit dem gegen Immigranten gerichteten Rassismus in Europa auseinander, der sich rasend schnell verbreitet.


Nachrichten:
Kritik an Deutschland und Frankreich vor EU-Gipfel:

Die von Deutschland und Frankreich geforderte Änderung des EU-Vertrages stößt in anderen Mitgliedsländern auf scharfe Kritik. Der Position von Kanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy zufolge sollen Defizitsündern scharfe Sanktionen bis hin zum zeitweiligen Entzug des Stimmrechts in der EU auferlegt werden können. Im Gegenzug war Merkel in Gesprächen mit Sarkozy im französischen Deauville von der Forderung nach einem automatisierten Bestrafungsprozess abgerückt. Beobachtern, die sich auf vergleichbare Ereignisse, wie den Defiziten Deutschlands und Frankreichs in 2004 und 2005 berufen, zufolge hätte das zufolge, dass Strafverfahren zwar möglich wären, aber mangels Durchsetzung im Parlament nicht in Kraft treten würden. Vertreter und Medien anderer EU-Staaten und EU-Parlamentarier haben das deutsch-französische Vorgehen scharf kritisiert. Der luxemburgische Außenminister Asselborn, ihm scheine es, dass nur die nationalen Interessen zweier Länder zählten und das sei nicht im Sinne Europas. EU-Justizkommissarin Reding warf beiden Staaten vor, hier wollten zwei ehemalige Defizitsünder die Regeln weiter verwässern, außerdem stellte sie klar: „Europäische Entscheidungen werden nicht in Deauville getroffen, auch nicht von zwei Mitgliedern allein.“ Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold merkte an, die Probleme, die in einer Wirtschaftszone durch Ungleichgewichte entstehen seien durch den aktuellen Streit aus dem Blick geraten. Und die taz kommentiert lapidar: „Was nützen die strengsten Strafen, wenn der politische Wille fehlt, sie anzuwenden?“

Britisches Militär trainierte rabiate Verhörmethoden:

Nach Informationen der Zeitung „The Guardian“ hat das britische Militär Soldaten systematisch dazu gedrillt, durch menschenrechtswidrige Folter Informationen zu gewinnen. Der Bericht beruft sich auf Verhörhandbücher, die angeblich in den vergangenen Jahren erstellt wurden und laut Übersetzung der „Zeit“ „genau darauf abzielen, in befragten Gefangenen Unsicherheit, Orientierungslosigkeit, Erschöpfung, Anspannung, Angst und ein Gefühl der Erniedrigung zu erzeugen“. Das bedeutet einen Verstoß gegen die Genfer Konventionen, denen zufolge die Ausübung "physischer oder moralischer Zwänge", insbesondere zum Erhalt von Informationen, nicht erlaubt ist. Die Handbücher empfehlen unter anderem, Verhöre sollten "außer Hörweite" und nicht "in der Nähe der Medien" stattfinden. Zwar wird Folter in ihnen ausdrücklich abgelehnt, jedoch wird Misshandlung detailliert empfohlen, genauso wie weitere Maßnahmen zur Geheimhaltung der Verhörmethoden vor der Öffentlichkeit. Diese Enthüllungen folgten nicht nur auf die Meldungen des Portals „wikileaks“ über das amerikanische Vorgehen im Irak, sondern auch auf widerholte Vorwürfe gegen das britische Militär. Erst im vergangenen Monat hatte der „Guardian“ zahlreiche Verdachtsfälle von Misshandlung bis hin zu Tötungen von Zivilisten aufgedeckt.



Todesurteil gegen irakischen Ex-Außenminister:

Der ehemalige irakische Außenminister und Vizeregierungschef Tarik Asis ist zum Tode verurteilt worden. Irakischen Medienberichten zufolge hat ein Sondertribunal Asis der Verfolgung von Schiiten während der Herrschaft von Saddam Hussein schuldig gesprochen und seinen Tod durch den Strang angeordnet. Asis wurde vorgeworfen, gegen Mitglieder der Dawa-Partei vorgegangen zu sein. Deren aktuell ranghöchstes Mitglied ist Ministerpräsident Nuri al Maliki. Asis, der während der Diktatur unter Saddam Hussein als Husseins Stellvertreter, sowie als Außen- und Informationsminister fungierte, galt im Ausland als "Stimme Saddams". Im April 2003, einen Monat nach Beginn des Irak-Krieges, stellte er sich den US-Truppen. Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit der Hinrichtung von 42 Kaufleuten im Jahr 1992 war er zuvor im Jahr 2009 von einem irakischen Gericht zu 15 Jahren Haft verurteilt worden.


Bürgerabstimmung über Marihuana-Legalisierung in Kalifornien

Der US-Bundesstaat Kalifornien stimmt am 2. November über die Legalisierung von Marihuana ab. Dem vorgelegten Entwurf zufolge sollen über 21-jährige KalifornierInnen kleine Mengen von Cannabis-Erzeugnissen anbauen, besitzen und konsumieren dürfen. Der klamme Staat verspricht sich davon Einnahmen von 1,4 Milliarden Dollar aus Marihuanasteuern und 960 Millionen Dollar, die bislang für die Bekämpfung von Marihuana-Verbrechen aufgewendet worden waren. Als Hauptproblem gilt die Tatsache, dass Marihuana laut US-Bundesgesetz weiterhin illegal bleibt, daher wäre eine Reihe von Gerichtsprozessen zwischen Kalifornien und der Washingtoner Regierung zu erwarten. Unter anderem könnte Kalifornien im Legalisierungsfall eine Bestrafung für die Erhebung von Steuern auf illegale Produkte drohen. Justizminister Eric Holder hat jedenfalls vorab ein „unnachgiebiges Handeln“ seiner Behörde angekündigt.


Korruptionsindex 2010 veröffentlicht:

Die Antikorruptionsorganisation Transparency International hat heute ihren Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) veröffentlicht. Diesem Index zufolge werden drei Viertel der 178 untersuchten Länder als deutlich von Korruption betroffen eingestuft. Als korrupteste Länder wurden Somalia und Myanmar eingestuft, knapp vor beiden rangieren der Irak und Afghanistan. Schlechtere Werte als im vergangenen Jahr erzielten Griechenland, Italien und die USA. Deutschland liegt vom am wenigsten korrupten Land aus gezählt auf dem 15. Platz. Die Vorsitzende von Transparency Deutschland, Edda Müller, sagte, Veränderungen in Politik und öffentlicher Verwaltung könnten erst dann wahrgenommen werden, wenn politische Eliten mit gutem Beispiel vorangingen. Dringender Reformbedarf bestünde bei der Regelung der Abgeordnetenbestechung sowie bei der Neuregelung von Parteispenden und –sponsoring. Für die im europäischen Maßstab eher mittelmäßige Position Deutschlands ist unter anderem die Tatsache verantwortlich, dass Deutschland die UN-Konvention gegen Korruption bis heute nicht ratifiziert hat. Im europäischen Raum deutlich vor Deutschland stehen Spitzenreiter Dänemark, Finnland und Schweden. Der Korruptionswahrnehmungsindex CPI misst den Grad der im öffentlichen Sektor - bei Beamten und Politikern - wahrgenommenen Korruption und stützt sich dabei auf auf eine Zusammensetzung verschiedener7 Experten- und Managerumfragen stützt.