Focus Europa # 197 vom 16. Februar 2011

ID 39100
 
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1. Nachrichten
Proteste in Libyen
Debatte über Gleichberechtigung in Litauen
Aussprache über ungarisches Pressegesetz im EU-Parlament
Ankara beruft Botschafter aus Nikosias ab
Schnellverfahren gegen Berlusconi am 6. April

2. Die Spitzel des Eisbergs: Gebauter Beitrag mit O-Tönen von Martin Lemke vom republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein und Patric Salize von Greenpeace

3. Nachttanzblockade in Karlsruhe: Gebauter Beitrag mit O-Tönen von der Castorblockade
Audio
29:22 min, 27 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 16.02.2011 / 18:57

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Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Umwelt, Frauen/Lesben, Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Focus Europa
Entstehung

AutorInnen: Niels, Julia, Sarah, Philipp
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 16.02.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
1. Nachrichten

Libyen:
Die Proteste in der arabischen Welt gehen weiter. In der Nacht zum Mittwoch waren rund 2000 Menschen in der libyschen Stadt Benghasi auf der Straße. Sie riefen: „Das Volk will den Sturz des Regimes“ und "Gadhafi, raus, raus!". Die Polizei antwortete mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen. Mindestens 38 Menschen wurden bei den Zusammenstößen zwischen Anti-Regierungs-Demonstranten, Polizisten und Gaddafi-Anhängern verletzt. Gaddafi ist der amtsälteste Staatschef in der Nordafrikanischen Region. In wie weit die Proteste dieselbe Wucht entwickeln können wie in Ägypten und Tunesien ist fraglich, da Libyen über gut gefüllte Staatskassen verfügt.
Schon als Portestaufrufe im Internet veröffentlicht wurden, hatte die Regierung die Lebensmittelpreise gesenkt. Damit zogen die Machthaber die Lehren aus den Entwicklungen in den Nachbarländern, wo steigende Brotpreise der Zündfunke von Protesten war. Weitere soziale Wohltaten könnten folgen, um die Unzufriedenen zu befrieden. Gegen ein Überschwappen der Proteste spricht auch das politische Geschick Gaddafis. Bisher verstand er es stets, sich an die Spitze von Protestbewegungen zu setzen und so jede Gefahr für ihn von vorneherein auszuschließen.
Trotzdem ist morgen nach dem Vorbild anderer arabischer Staaten in Libyen ein "Tag des Zorns" geplant, zu dem über das Soziale Netzwerk Facebook aufgerufen wird. Der dort gegründeten Gruppe mit dem Titel Revolte des 17. Februar 2011 schlossen sich bis heute Nachmittag rund 9600 Menschen an.


Litauen:
In Litauen wird schon seit Monaten eine öffentliche Debatte über die Gleichberechtigung von Mann und Frau geführt und damit auch das Thema „Sexuelle Aufklärung“ diskutiert. Die Debatte wurde aktuell durch die UNESCO-Sexual-Pädagogik-Broschüre angeregt. Die litauische Tageszeitung Lietuvos Rytas macht darauf aufmerksam, dass es für eine Gesellschaft unabdingbar ist, eine Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern, da die litauische Durchschnittsfamilie von der Unfähigkeit geprägt sei, offen über Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu sprechen. Dogmen, Stereotype und Tabus würden für Verschlossenheit sorgen und dabei sei doch Offenheit der erste und richtige Schritt zur Aufklärung. So sei es wichtig, dass Jugendliche lernen, was es heißt eine stabile Beziehung zu führen, anstatt noch im Erwachsenenalter mit Komplexen beladen zu sein.
Während Ende der 60er Jahre andere Länder sich durch eine sexuelle Massenaufklärung emanzipierten, wurden solche Begehren in Litauen im Keim erstickt. Schwule kamen ins Gefängnis und Frauen mit einem unkonventionellen Beziehungsstil wurden in der Öffentlichkeit diskriminiert. Seit 20 Jahren ist Litauen nun unabhängig, aber nach wie vor werden Beschlüsse gefasst, die gegen die Rechte von Frauen verstoßen. Und dazu gehören Gesetze, die alleinerziehende Mütter diskriminieren oder es mangelt am politischen Willen, gegen Gewalt im Haushalt vorzugehen.


Ungarn:
In dieser Stunde findet im Europa-Parlament eine Aussprache über das zum Jahresbeginn verabschiedete Pressegesetz in Ungarn statt. Ungarn sah sich in den letzten Wochen herber Kritik ausgesetzt, da das EU-Parlament Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Neu-Regelungen zum Ausdruck brachte. Seit dem 1. Januar kontrolliert die Medienbehörde NMHH die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, private Fernseh- und Radiosender sowie Zeitungen und Internetportale. Eine unabhängige und ausgewogene Berichtserstattung ist somit nicht mehr möglich, besonders da der Vorstand der Medienbehörde ausschließlich aus Vertreterinnen der rechtsnationalen Regierungspartei Fidesz besteht. Die NMHH-Präsidentin Annamaria Szalai wurde von Ministerpräsident Viktor Orbán persönlich für neun Jahre ernannt. Laut geänderter Verfassung darf die NMHH-Präsidentin ohne parlamentarische Kontrolle Verordnungen und Vorschriften erlassen. Sollte die Regierung also eines Tages abgewählt sein, wird die rechts-konservative Partei immer noch die Medien kontrollieren.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán stand schon im Januar vor den Volksvertretern in Straßburg, um die Agenda der bis Ende Juli andauernden ungarischen EU-Ratspräsidentschaft vorzustellen. Dort wurde er allerdings nicht besonders freundlich empfangen. Mehrere Abgeordnete der Grünen hielten zur Begrüßung Orbáns leere Titelseiten ungarischer Zeitungen hoch, die mit der Aufschrift "Zensiert" versehen waren. Zudem hatten sie sich ihre Münder zugeklebt.
Ungarn musst dem Druck nachgeben. Um ein Verfahren wegen Verletzung der EU-Verträge zu vermeiden, legte Budapest jetzt in Brüssel Entwürfe für Gesetzesänderungen vor. Ob die Kritik an dem Gesetz damit verstummt, bleibt weiterhin zweifelhaft. Im Europäischen Parlament drängen Sozialisten, Grüne und Liberale weiterhin darauf, dass die Medienbehörde in Budapest oder die Einschränkungen des Informantenschutzes unter dem Blickwinkel einer Behinderung der Pressefreiheit geprüft werden.



Türkei:
Ankara hat überraschend seinen Botschafter im türkischen Teil der zyprischen Hauptstadt Nikosias abberufen und durch einen Beamten ersetzt, der Kürzungen der finanziellen Zuwendungen durchsetzen soll.
Die 1983 ausgerufene Türkische Republik Nord-Zypern (KKTC) ist international isoliert und wird nur von der Türkei anerkannt. Wegen eines internationalen Handelsembargos ist der türkische Inselteil auch wirtschaftlich völlig von Ankara abhängig. Rund ein Viertel des KKTC-Haushalts wird aus der türkischen Staatskasse finanziert.
Geplante Gehaltskürzungen in Nord-Zypern, die auf türkische Sparmaßnahmen zurückgehen, hatten Ende Januar anti-türkische Demonstrationen der türkischen Zyprer ausgelöst. Der türkische Ministerpräsident Erdogan warf ihnen daraufhin Undankbarkeit vor.
Die zyprische EU-Parlamentarierin Antigoni Papadopoulou kritisiert die Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten und möchte, dass die Türkei für die finanziellen Kürzungen in Nord-Zypern zur Rechenschaft gezogen wird. Antigoni Papadopoulou ist Mitglied der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament.
Zypern ist seit einem griechischen Putsch in Nikosia und einer anschließenden türkischen Militärintervention 1974 geteilt. Die international als Vertreterin der Zyprer anerkannte griechische Inselrepublik ist seit 2004 EU-Mitglied. Das Zypern-Problem ist eines der Haupthindernisse in den EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei.


Italien:
Ob der 6. April ein Tag der Entscheidung für Italien wird, ist bislang unklar. Fakt ist, dass die Anschuldigen gegen Silvio Berlusconi nun zu einem Schnellverfahren geführt haben. Er soll auf seinen Privat-Partys für Sex mit Minderjährigen gezahlt sein Amt missbraucht haben. Jeder andere Ministerpräsident wäre wahrscheinlich mittlerweile aufgrund der Anschuldigungen zurückgetreten, doch nicht der reichste Mann Italiens. Obwohl er sich gerade aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, wird angenommen, dass er den Prozess anlaufen lassen wird und dann versucht mit einem Heer von Anwälten ein Schlupfloch zu finden. So wurden während seiner Amtszeit nicht weniger als 36 Gesetze auf den Weg gebracht, um den Medienunternehmer und Ministerpräsidenten vor möglichen Prozessen zu schützen.
Am vergangenen Sonntag protestierten in allen größeren italienischen Städten Frauen mit dem Motto "wenn nicht jetzt, wann dann?" gegen Berlusconi. Die Frauen protestieren gegen ihr Bild in der italienischen Gesellschaft, das mehr dem eines Sexobjekts als dem einer selbstständigen, emanzipierten Frau gleicht. Um die Proteste zu verstehen, genügt es, sich einen Abend lang das italienische Fernsehen anzuschauen. Egal, ob politische Talkrunde oder Quiz-Show: Kurz vor Beginn eines Werbeblocks schwenkt die Kamera zu einer Nebenbühne oder einem unter der Decke baumelnden Käfig, in dem Frauen aufreizend tanzen und dabei so gut wie nichts anhaben.

2. Die Spitzel des Eisbergs
ANMOD Niels
Spricht man von den Revolutionen in Ägypten oder Tunesien, wird häufig erwähnt, das dort ein weit verzweigtes Spitzelwesen die ständige Überwachung politisch unliebsamer Gruppen garantiert hat.
Inzwischen ist es ebenfalls kein Geheimnis mehr, dass nicht nur arabische Diktatoren, sondern auch diverse europäische Polizeistellen verdeckte Ermittler (und wahrscheinlich auch verdeckte Ermittler_innen) einsetzen, um linke Gruppen auszuspionieren.
Noch kein Thema waren bis vor kurzem verdeckte Ermittler_innen, die im Auftrag von Privatunternehmen schnüffeln. Nun haben britische Umweltaktivist_innen dem Guardian Dokumente zugespielt, die belegen, dass mehrere Energiekonzerne verdeckte Ermittler in die Umweltszene eingeschleust hatten – unter anderem der bekannt Energiekonzern E.ON.

Diese privat beauftragten Spitzel bewegten sich wie ihre staatlichen Kumpane unerkannt in der Protestbewegung, überwachten deren Emailverkehr und informierten ihre Auftraggeber über geplante Kampagnen und Aktionen der Umweltaktiven – und wahrscheinlich auch über Namen und Kontakte.

Aufgeflogen ist jetzt die britische Sicherheitsfirma Vericola, die im Auftrag der Energie-Konzerne Scottish Resources Group, Scottish Power und E.ON spitzelte.

Kurios dabei: Die britischen Polizeibehörden hatten die Aufmerksamkeit auf ihre privaten Ermittler-Kollegen gelenkt. Unter politischem Druck verwunderten sie sich öffentlich, warum die viel zahlreicheren privaten Spitzel nicht ebenfalls Stein des medialen Anstoßes seien.

Global vernetzt, wie heute Energieriesen wie auch ihre Kritiker_innen sind, wäre es verwunderlich, wenn sich in Deutschland nicht ähnliches abspielte.

Wir haben bei Greenpeace Deutschland nachgefragt und uns außerdem beim Hamburger Rechtsanwalt Martin Lemke nach den Rechtsgrundlagen privater Ausspähungen erkundigt:



BEITRAG

Abmod:
Wir sprachen mit Martin Lemke vom republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein und Patric Salize von Greenpeace

3. Nachttanzblockade in Karlsruhe

In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar fand im Rahmen des Castortransports von Karlsruhe nach Lubmin in Karlsruhe eine Nachttanzblockade statt. Bis zu 700 Menschen protestierten auf den Gleisen. Gebauter Beitrag mit vielen O-Tönen. Im Spätsommer/Herbst 2011 überlegt die Anti-AKW-Demo ein AKW zu blockieren - das erzählt ein Aktivist am Ende des Beitrages.

Weitere Infos unter:
www.castorticker.de und www.nachttanzblockade.de