Pressekonferenz der Initiative zum Gedenken an Ramazan Avci

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"Wir fordern die Einrichtung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung des Mordes an Süleyman Tasköprü!"
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Upload vom 14.03.2012 / 13:38

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Entstehung

AutorInnen: Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen; nfsu
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 14.03.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
"Als Initiative zum Gedenken an Ramazan Avci (RAI) haben wir heute eine Pressekonferenz in der Nähe des Geschäftes, wo Süleyman Tasköprü durch die Zwickauer Terrorzelle ermordet wurde, abgehalten.
Wir haben dort den angehängten Brief an den Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg vorgestellt. Dieser wird heute an ihn verschickt.
Zudem haben wir unser Verständnis von Rassismus dargelegt und einige Forderungen zum Umgang mit Rassismus aufgestellt."

Der Wortlaut des offenen Briefes:

"Offener Brief an den Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg

Sehr geehrte Herr Bürgermeister Scholz,

die Aktionstage „Hamburg steht auf“ vom 16-24.3.2012, über die Sie die Schirmherrschaft haben, möchten wir zum Anlass nehmen, unsere Position zum Rassismus in dieser Stadt und Ihre Haltung zu der Forderung nach Widmung eines „Ramazan-Avci-Platzes“ öffentlich zu thematisieren.
Unsere Initiative zum Gedenken an Ramazan Avci existiert seit 2010.
Sie wurde anlässlich seines 25. Todestages gegründet. Gemeinsam mit der Familie Avci ist es unser Anliegen, das Gedenken an die rassistische Ermordung von Ramazan Avci wach zu halten. Wir wollen den Alltagsrassismus öffentlich machen und auch anderen Opfern des Rassismus gedenken.

Der Tagespresse (TAZ, 26.02.2012) haben wir entnommen, dass Sie unsere Forderung nach Umbenennung des Bahnhofsvorplatzes Landwehr in Ramazan-Avci-Platz befürworten. Hervorheben wollen wir, dass diese Forderung bei dem ehemaligen Leiter des Bezirksamtes Nord und dem jetzigen Polizeipräsidenten Kopitzsch ebenfalls großen Zuspruch fand. Der Beschluss des Bezirksamtes Altona nach Umbenennung des Kemal-Altun-Platzes ist von Ihnen hingegen abgelehnt worden.
Als Begründung ist der fehlende Hamburger Bezug und die außenpolitische Bedeutung genannt worden. Außenpolitisch werden Proteste von offiziellen türkischen Stellen befürchtet, wenn ein linker Flüchtling aus der Türkei posthum eine Würdigung erfahre. Diese Entscheidung ist falsch und findet eine klare Ablehnung durch unsere Initiative. Wir lehnen es ab, dass beide Forderungen gegeneinander gestellt werden. Im Gegenteil ergänzen sich beide Forderungen im Kampf gegen Rassismus jedweder Form. Wir solidarisieren uns mit allen Opfern des Rassismus.
Für uns spielt die politische oder religiöse Anschauung ebenso keine Rolle wie die Herkunft der Opfer des Rassismus. Es gibt keine guten oder schlechten Opfer des Rassismus.

Kemal Altun ist 1983 aus Verzweiflung vor einer Auslieferung an die damalige türkische Militärdiktatur aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts gesprungen. Dieser Suizid hat bundesweit zu einer Diskussion über die deutsche Flüchtlingspolitik geführt. Hamburg verantwortet im föderalen System die deutsche Flüchtlingspolitik genauso wie die anderen Bundesländer. Auch in Hamburg finden Abschiebungen statt oder bringen sich Menschen in Abschiebehaftanstalten um. Allen Einzelnen gilt es zu gedenken, auch denen, die mit physisch ausgeübter Staatsgewalt im Tod endeten; in Abschiebemaßnamen unter Helmen erstickten, gefesselt in der Haft verbrannten und beim Einsatz von Brechmitteln starben.
Wir erwarten auch eine Würdigung von Süleyman Tasköprü, ohne dass es hierfür einer Initiative bedarf oder noch mehr Zeit verstreicht.
Es ist lediglich eine Randnotiz, dass der Suizid von Kemal Altun in Berlin stattfand.
Über die Grenzen von Ottensen hinaus nennen die Hamburgerinnen und Hamburger das Gelände Kemal-Altun-Platz. Es sollte hier durch die bezirkliche Empfehlung nur nachvollzogen werden, was inoffiziell schon längst so bezeichnet wird.
Seit 1988 gibt es in der Kasseler Nordstadt offiziell den Kemal-Altun-Platz. In Kiel und Köln den Bahide-Arslan Platz (Mölln). In Frankfurt den Hülya-Platz (Familie Genc aus Solingen).
Dies verdeutlicht, dass Städte örtliche Bezüge herstellen können, wenn der politische Wille vorhanden ist.
Das ein politischer Flüchtling an eine Militärdiktatur ausgeliefert werden sollte, war und ist ein politischer Skandal. Diese Entscheidung ist aus falscher außenpolitischer Rücksichtnahme getroffen 
worden. Die damaligen Verantwortlichen haben Kemal Altun zu dieser Verzweiflungstat getrieben. Er wollte mit seinem Suizid ein Zeichen gegen unmenschliche Behandlung und ein Folterregime setzen. Heute stehen die Generäle, die seine Auslieferung verlangten, in der Türkei vor dem Gericht. Worin sollte ein außenpolitisches Interesse Hamburgs liegen diesen Generälen beizustehen und die Benennung des Kemal Altun Platzes zu verhindern?
Machen sie Ihre Entscheidung rückgängig und setzen Sie ein Signal, dass politische Fehler der Vergangenheit nicht weiter die Gegenwart bestimmen.
Kemal Altun ist Opfer eines institutionalisierten Rassismus geworden. Es darf nicht sein, dass bei der Entscheidung der Platzbenennung nicht seine Verfolgungsgeschichte beachtet wird, sondern vermeintliche außenpolitische Interessen.

In den Aktionswochen gegen Rassismus wird der institutionelle Rassismus nur am Rande thematisiert. So können sich staatliche Stellen von Rassismus frei sprechen oder brauchen sich gar nicht mit dem Rassismus in den eigenen Reihen zu beschäftigen. Antirassismus darf nicht als Schablone für die Imagepflege einer Stadt /eines Landes oder ökonomischen Interessen dienen.
Wenn man das Programm der Aktionswoche betrachtet, so fehlt die Perspektive der Betroffenen. Eine Auseinandersetzung mit dem antimuslimischen Rassismus ist nicht vorgesehen. Dies folgt der Logik, dass Rassismus nur am rechten Rand existiert. Zahlreiche Studien, die den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft verorten, kommen thematisch nicht vor. Das ist eine eindeutige Schwäche der Veranstaltungsreihe und drückt zugleich das Verständnis der Organisatorinnen und Organisatoren vom Rassismus aus.

Welche Lehren hat Hamburg aus den Morden der Rechtsterroristen gezogen?
Außer die Repression gegen Rechte zu erhöhen und noch mehr Befugnisse für Polizei und Verfassungsschutz zu fordern, fällt den politisch Verantwortlichen offenbar nichts ein.
Dies wundert uns aber nicht, da nirgends personelle Konsequenzen gezogen wurden und auf der Politik-Justiz-oder Polizeiebene die gleichen Akteure aktiv sind.
Wo sind geschulte Dezernate in Polizei und Justiz, die rassistische Taten ernst nehmen und als solche behandeln?
Warum ist es nicht möglich, wie in England eine Kommission (Macpherson) einzuberufen, die die Vorgänge, um die Ermordung von Süleyman Tasköprü (für Hamburg) und polizeiliches Versagen untersucht?
Warum kann nicht in der Medienstadt Hamburg eine Media-Watch Stelle ähnlich dem britischen Vorbild ofcom eingerichtet werden, die rassistische Berichterstattung dokumentiert, Richtlinien erarbeitet und deren Einhaltung ggf. sanktioniert?
Warum konnte bislang kein tragfähiges Antidiskriminierungskonzept entwickelt werden?
Wenn es eine Senatsstelle für Gleichberechtigung und für Behinderte gibt, warum konnte keine Senatsstelle eingerichtet werden für die Betroffenen von Rassismus?
Es reicht nicht die Betroffenen nur auf die Wohlfahrtsverbände zu verweisen.

Als Initiative zum Gedenken an Ramazan Avci wollen wir sichtbare Ergebnisse sehen.
Daher begrüßen wir als ersten Schritt die Widmung des Bahnhofsvorplatzes in Ramazan-Avci-Platz.
Mit dieser Widmung wollen wir zudem erreichen, dass die Bushaltestelle in Ramazan-Avci-Platz umbenannt wird. Wir gehen davon aus, dass sie diese Forderung auch an den städtischen Verkehrsbetrieb HVV herantragen werden. Erteilen Sie ihre Zustimmung zur Errichtung des Kemal-Altun-Platzes.

Mit freundlichen Grüßen

Initiative zum Gedenken an Ramazan Avci (RAI)"