Terror als Herrschaftsmethode - Rezension "Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt."

ID 47107
 
Der Historiker der Berliner Humboldt-Universität Jörg Baberowski hat ein neues Buch über Josef Stalin und seine Herrschaft in der Sowjetunion geschrieben. In "Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt." revidiert Baberowski seine bisherige Meinungen zum Stalinismus und zur Gewalt. Baberowski entwickelt neue Sichtweisen auf die stalinistischen Verbrechen in das paranoide Leben Stalins. Eine Rezension.
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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Kultur, Politik/Info
Serie: Radia Obskura
Entstehung

AutorInnen: Redaktion Radia Obskura - Jörg Depta
Radio: FRBB, Berlin und Brandenburg im www
Produktionsdatum: 15.03.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Im Beck-Verlag ist pünktlich zur Leipziger Buchmesse das neue Buch des Berliner Historikers Jörg Baberowski von der Humboldt-Universität erschienen. In seinem Buch „Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt." erzählt Baberowski eindringlich, wie der stalinistische Terror entstand und wirkte. Um es vorweg zu nehmen, eine Gute-Nacht-Lektüre ist das Buch nicht.

Baberowskis neues Buch entstand, nachdem er sein altes Werk von 2003 „Der Rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus“ ins Englische übersetzen wollte. Baberowski stellte dabei fest, dass vieles was er vor 9 Jahren noch für richtig hielt, ihm nun als Unfug erschien. Insbesondere von den Thesen der Modernekritik Zygmunt Baumanns nimmt Baberowski nun Abstand. Zygmunt Baumanns Erklärung, die Ursaschen für die monströsen Vernichtungsexzesse des 20. Jahrhunderts seien das Streben nach Eindeutigkeit, die Überwindung der Ambivalenz und die Ordnungswut des modernen Gärtnerstaates gewesen, wirft Baberowski in seinem neuen Buch Verbrannte Erde über den Haufen. Die Ursachen der Gewalt während der Zeit des Stalinismus - so Baberowski - sind woanders zu suchen. Die Hauptfrage lautet dabei: „Woher kam die Gewalt, mit der die Machthaber die Gesellschaften des Vielvölkerstaates überzogen?“

Die Geschichte des Stalinismus ist eine Geschichte des Scheiterns der Bolschewiki. Eine der wichtigsten Ursachen für die Gewalt sieht Baberowski in der fehlenden Stärke der Bolschewiki zur Umsetzung ihrer Macht. Eine kleine Minderheit – Baberowski spricht gar von einer kleinen Politsekte – hatte es geschafft, wenige Zeit nach der Abdankung des Zaren die Macht an sich zu reißen. In den Revolutionswirren und dem folgenden Bürgerkrieg erprobten die Bolschewiki erstmals den Massenmord als Herrschaftsmittel. Wohl auch ahnend, dass ihr Machtanspruch das russische Dorf und die abgelegenen Provinzen nicht erreichte. In den zwanziger und dem Anfang der dreißiger Jahre richtete sich die Gewalt in erster Linie gegen die Bauern. Sei es bei der herbeigeführten Hungerkatastrophe in der Ukraine Ende der Anfang der dreißiger Jahre oder bei der sogenannten Säuberung des Dorfes von sogenannten Kulaken. Gewalt – so Baberowski – war ein unverzichtbares Instrument der Disziplinierung und Umerziehung der in den Augen der Bolschewiki unzivilisierten Bauernmassen. Gewalt war die Essenz der Herrschaft der Bolschewiki. Sie entstand aus einer Position der Schwäche bei der unvorstellbare oftmals willkürliche Gewalt gegen das eigene Volk gerichtet war. Nicht die Ideologie stand im Mittelpunkt, sondern die Gewalt gegen Menschen aus allen Schichten und verschiedenen Volksgruppen. Sie war aber nicht, wie einige Historiker glauben machen wollen, eine Folge des Marxismus und wurde auch nicht durch den Krieg und die Kriegsvorbereitungen der Nationalsozialisten befördert.

Baberowski war in den letzten Jahren viel in russischen Archiven unterwegs und konnte neue Quellen erschließen. Seine jetzt neu formulierte These beruht darauf, dass die Herrschaft Stalins ein permanentes politisches Chaos gewesen sei, sozusagen ein fortwährender Extremzustand. In das Zentrum der Gewalt rückt bei Baberowski Stalin. Denn erst unter seiner Herrschaft – so Baberowski – wuchs der Terror gegen die eigene Bevölkerung ins unermessliche. Gewalt wurde dabei zum alles bestimmenden Herrschaftsprinzip. Seinen Höhepunkt erreichte der Terror 1937, als er sich auch in großem Ausmaß gegen die eigene Elite richtete. Über die Unterwerfung der Parteielite erzählt auch Baberowski. Beispielhaft stehen dafür die drei großen Schauprozesse unter anderem gegen Sinowjew, Bucharin, Kaganowitsch, Radek und andere.
Doch es blieb nicht bei den Schauprozessen. Die Gewalt - Der Terror - wurde in alle Provinzen des Landes ausgedehnt. Vermeintliche Gegner in Partei und Staat wurden ermordet oder in Lager gesteckt. Baberowski zeigt dabei sehr ausführlich und gründlich, wie Parteisekretäre der verschiedenen Regionen bis in die entlegensten Teile der Sowjetunion die Vorgaben Stalins umsetzten. Um nicht in Ungnade zu fallen versuchten viele Parteisekretäre und Tschekisten so viele Menschen wie möglich umzubringen. In diesem Klima der Angst baten viele von ihnen im vorauseilendem Gehorsam die Quoten für die Beseitigung der sogenannten Volksfeinde zu erhöhen. Das geschah oftmals in dem Glauben, „sich durch diesen Eifer beliebt zu machen“. Stalin gab immer wieder neue persönliche Anweisungen noch mehr Volksfeinde zu verhaften und zu erschießen. Natürlich töteten die Tschekisten in erster Linie die, die sie zu ihren Feinden zählten: ehemalige Oppositionelle, Angehörige des zaristischen Adels, aus der Verbannung zurückgekehrte Kulaken oder Kriminelle. Aber in vielen Regionen gab es keine Klarheit darüber, wer als Freund und wer als Feind zu gelten habe. Dort wo die Quoten bereits ausgeschöpft waren, musste nach neuen Opfern gesucht werden. Vielerorts suchten die Tschekisten deshalb nach pragmatischen Lösungen. In Turkmenistan wurden Männer mit langen Bärten verhaftet, da sie den Anschein erweckten muslimische Geistliche zu sein. Andernorts wurden ehemalige Soldaten der Zarenarmee getötet, die in deutscher Kriegsgefangenschaft waren. In einigen Städten wurden auch Körperbehinderte und Kranke umgebracht.

Die Psychopathologie und die Bösartigkeit Stalins – so Baberowski – war dabei der Urheber der Gewalt. Aber ermöglicht wurde diese nur durch das Umfeld und dem Kontext, in dem Stalin sich befand. Unter anderen Umständen wäre Stalin – so Baberowski - wahrscheinlich ein ordinärer Straßenräuber geblieben. Durch die Herrschaft der Bolschewiki war es ihm aber möglich, in einem Kreis von jungen, gewaltbereiten Männern aufzusteigen und der Führer dieser Gruppe zu werden. Die Gewalt nutzte er für seine persönlichen Machtzwecke und zum Erhalt seiner Macht.

Die Gewalt - Der Terror - der das Land überzog, hörte mit dem Tode des Diktators Stalin 1953 auf. Das stützt Baberowskis These vom Psychopathen Stalin. Denn wenn der Terror nicht an der Person Stalin gelegen hätte.... hätte auch der Terror nach seinem Tode weitergehen müssen. Das tat er aber nicht. Und das obwohl immer noch die gleichen Leute an der Macht waren, die genau dort hätten weiter machen können. Das ist aber nicht geschehen.

Sicherlich ist es keine neue bahnbrechende Erkenntnis, dass die Gewalt das zentrale Element Stalins Herrschaft war. Aber dank Baberowskis Untersuchung kommt man der Ursache der Gewalt und wie diese so brutal umgesetzt wurde ein ganzes Stück näher. Baberowski schreibt im Vorwort seines Buches, dass ihn die Gewalt bis in den Schlaf verfolgt. Und in der Tat, Verbrannte Erde ist wirklich keine geeignete Nachtlektüre. Aber eine wichtige Lektüre ist es trotzdem. Denn so sagt Baberowski:

"Was man daraus lernen kann ist, es nicht zu Situationen kommen zu lassen, in denen wenige entschlossene Gewalttäter den vielen anderen ihren Stil und ihre Gewalt aufzwingen können."


Jörg Baberowski: Verbrannte Erde, Stalins Herrschaft der Gewalt, C. H. Beck, München 2012, 606 Seiten, 29,95 Euro.

Kommentare
19.03.2012 / 16:43 Tobias, Radio Z, Nürnberg
wurde heute gesendet
im Stoffwechsel, vielen Dank - kleine Anregung: "Verbrannte Erde", der Begriff ist ja eigentlich im falschen Kontext verwendet, hätte man in der Rezension thematisieren können.
 
19.03.2012 / 20:09 D., FR BB - Freie Radios Berlin Brandenburg
Naja
Stalin war Urheber und Regisseur des Terrors,und errichtete eine Ordnung des Misstrauens und der Furcht. Jedermann konnte jederzeit zum Opfer werden. Damit hatte er den inneren Kitt der sowjetischen Gesellschaft zerstört. Baberowski spricht davon, dass das in den Seelen der Menschen verbrannte Erde hinterließ.