Vogel der Woche (201): Der Gratiskoran

ID 47946
 
AnhörenDownload
spricht für sich...
Audio
04:17 min, 4009 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.04.2012 / 11:23

Dateizugriffe: 194

Klassifizierung

Beitragsart: Hörspiel
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Andere
Serie: Vogel der Woche
Entstehung

AutorInnen: Kai
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 30.04.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Heute: Der Gratiskoran (coranus salafis)

Kennen Sie die Situation: Sie wollen mal eben in die Stadt oder in den Supermarkt gehen. Haben a) einen Einkaufszettel und wollen b) nur mal so gucken? Und – schwupp – hat Ihnen wieder irgendeiner irgendetwas angedreht?

Heute wollen wir uns einem Vogel widmen der zwar seit gut fünfzig Jahren seine ökologische Nische in unserer heimischen Avifauna gefunden hat, aber trotzdem immer noch von vielen bestenfalls als Wandervogel, schlimmstenfalls als ungewohnter Fremdvogel betrachtet wird, den man in unseren Biotopen am besten nicht sehen und schon gar nicht hören will: Der Koran.

Jener bescheidene, unauffällig gefiederte Geselle, der sich göttlicher Herkunft rühmt und im Idealfall gerade mal durch seinen Revier-Markierungsruf auffällt. Wir sprechen hier allerdings vom Wildkoran, der sich nicht zu Unrecht eines gewissen Stolzes und einer relativen Unabhängigkeit zu erfreuen weiß.

Die Fachwissenschaft ist sich dabei durchaus einig, dass der Koran – wie übrigens alle Geschöpfe mit göttlicher Herkunft - eher zur Gattung der Taubenartigen gehört, auch wenn einige selbsternannte Denker außerhalb des Mainstreams behaupten, das Tier hätte göttliche Verpflichtung zum Raubvogel mitbekommen. Ein schwacher Trost: Dieses Schicksal teilt der Koran mit seinem nahen Verwandten, der Christenbiebl.

Was aber passiert, wenn man solch ein Tier in Massentierhaltung millionenfach klont, ihm seine Artspezifischen Eigenschaften wegzüchtet und die Märkte damit zu Dumpingpreisen oder gar umsonst damit überschwemmt?

Das Tier wird, wie das viel geschmähte Käfighuhn, zum ungenießbaren Brocken, der dem deutschen Verbraucher im Halse stecken bleibt. So wurde aus dem stolzen Wildkoran der Gratiskoran, der, trotz seiner immer noch anerkannten göttlichen Herkunft, plötzlich von seinen bärtigen und selbstgerechten Qualzüchtern in Fußgängerzonen feilgeboten wird.

Der deutsche Verbraucher steht solchem Treiben ambivalent gegenüber. Der Koran ist erstens unbestreitbar ein Lebensmittel. Zweitens kann es dem deutschen Verbraucher aber gar nicht billig genug sein, denn Geiz ist bekanntlich geistlos. Zum dritten mag er trotzdem keine Massentierhaltung, weil die ihn an sein eigenes trauriges Dasein erinnert. Und viertens - und das ist der springende Punkt - gibt es immer noch die weit verbreitete Auffassung, dass das, was nichts kostet, auch nichts wert ist.

Damit hat aber ausnahmsweise mal der deutsche Verbraucher eher weniger zu tun, das ist eindeutig das Problem der gewissenlosen Massentierhalter, die ein stolzes Tier zum Gratisvogel degradiert haben.

Das kennen wir genauso von Käfighühnern, Turboschweinen und Hollandtomaten: Sie machen zwar pappsatt, schmecken aber nach nichts mehr, weil man ihnen Ihre Seele, also quasi den Göttlichen Funken ausgetrieben hat. Erschwerend kommt hinzu, dass man den Gratiskoran nicht einfach wegwerfen darf. Auch nicht in den Sondermüll, wo aber zweifellos die Turboschweine und die Hollandtomaten hin gehören.

Schauen Sie also mal in Ihre Einkaufstasche oder in Ihren Vorratsschrank, ob da ein Gratiskoran drin liegt. Den nehmen Sie dann und bringen ihn zurück in die Fußgängerzone zu seinen Qualzüchtern. Anschließend kaufen Sie sich Ihren Koran im Fachgeschäft Ihres Vertrauens, so wie Sie es mit guten Lebensmitteln auch tun.

Guten Appetit!

Kommentare
30.04.2012 / 21:22 coloradio, coloRadio, Dresden
gesendet im montagsmagazin
fein das ! danke