Antisemitismus unter den MigrantInnen

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CM auf FSK 93.0 Megahetz(e) - Monatliche Kolumne des Café Morgenland - Februar 2014.
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AutorInnen: Redaktion 3
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 03.02.2014
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Vorwort zur Aktualität von „Antisemitismus unter den MigrantInnen“

Am 19.01.2014, veröffentlichte die Gruppe „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“ eine „Solidaritäts“erklärung für die um Bleiberecht protestierenden Flüchtlingen in Israel. Wir werden hier nicht im Einzelnen die antisemitischen Tiraden in der Erklärung erläutern, da solche Erklärungen – geschrieben im besten linksdeutschen Jargon – keine Besonderheiten aufweisen. Sie gehen im eisernen Anspruch solcher Gruppen auf, gleichberechtigt mit der Mehrheitsgesellschaft in Sachen Antisemitismus agieren zu dürfen. Wo diese Gleichberechtigung gelingt, handelt es sich um die höchste Form der Integration.

Bemerkenswert allerdings ist die Feindortung bzw. das Ausschlussverfahren, das diese Gruppe vornimmt, wenn es um MigrantInnen bzw. um Flüchtlinge jüdischer Herkunft geht.
Falls die Absurdität des Ganzen nicht weiter aufgefallen sein sollte, hier nochmal konzis: Ein Gruppe von Flüchtlingen und MigrantInnen, die sonst vehement dagegen ist, Flüchtlinge und MigrantInnen in gute und böse, in berechtigte und unberechtigte, in wirtschafts- und politisch verfolgte Flüchtlinge zu unterscheiden und zu kategorisieren protestiert dagegen, dass Israel, eine bestimmte Gruppe von Menschen in sein Staatsterritorium aufnimmt und ihnen gar die Staatsbürgerschaft gewährt!

„Diesen Flüchtlingen (gemeint sind die Palästinenser, cm) wird die Rückkehr in ihr Land strengst verweigert, obwohl der Staat Israel Migranten jüdischer Herkunft aus aller Welt, die in den meisten Fällen keine Flüchtlinge sind und eine andere Staatsangehörigkeit besitzen, eine Migration in das Land und den Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit erlaubt.“ (aus der Soli-Erklärung, http://thecaravan.org/node/4007).

Die Verfasser dieser ‚Solidaritätserklärung‘ wissen demnach einiges über die Beweggründe dieser bevorzugt behandelten Menschen, etwa, dass sie „in den meisten Fällen keine Flüchtlinge sind“. Sie wissen auch – man staune – dass sie „eine andere Staatsangehörigkeit besitzen“. Wir selber wissen nicht, welcher Teil dieser Aussage als die größere Anmaßung empfunden werden soll. Die größte ist sicher, dass es sich um Jüdinnen und Juden handelt. Das genügt. Das weiß die Karawane und das wissen alle wohlwollenden Flüchtlingshelfer.

Sie verschwenden nicht den geringsten Gedanken daran, warum Jüdinnen und Juden aus anderen Ländern abhauen und nach Israel einwandern.
Sie wissen nichts über antisemitische Pogromstimmung in verschiedenen Ländern – mit und ohne gewährter Staatsbürgerschaft.
Sie wissen nichts über unzählbare Angriffe auf Jüdinnen und Juden und auf ihre Einrichtungen, Gotteshäuser oder Friedhöfe.
Sie haben noch nie davon gehört, dass Israel und entsprechend seine Gesetzgebung, ein Zufluchtsort für diese verfolgten Menschen ist.
Sie wissen auch nicht, dass, diese „Migranten jüdischer Herkunft“ – wie sie in der Erklärung genannt werden – im Verfolgungsfall nicht mal die Möglichkeit haben, ausgewiesen zu werden, da sie gar kein Herkunftsland haben. D.h., ohne Israel, wären sie den jeweiligen antisemitischen Gesellschaften ausgeliefert.

Die Argumentation der „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“ ist eine anstandslose Übernahme der Denk- und Handlungsweise hiesiger Kanakenfresser. Auch sie definieren und kategorisieren die Flüchtlinge und MigrantInnen in Bleiberechtberechtigte und –unberechtigte. Man denke allein an die aktuelle antiziganistische Hetze über gute Arbeitskräfte aus Bulgarien/Rumänien – die hier malochen wollen (und „unsere Sozialkassen“ füllen) – und über die „sozialschmarotzenden“ Roma aus Bulgarien/Rumänien, die das Sozialsystem Deutschlands sprengen wollen. Oder man bemühe die altbekannte Gegenüberstellung von politisch verfolgten versus Wirtschaftsflüchtlingen.

Antisemitismus macht blind. Das ist bekannt. Gelegentlich macht er selbstmörderisch. Auch das ist nichts Neues. Sämtliche Selbstverständlichkeiten im Kampf „gegen Staatsunterdrückung und [...] gegen Kolonialismus und Rassismus“ werden preisgegeben, sobald sich im gemeinsamen Hass auf Juden ein Konsens abzeichnet. Direkte Verbindungen ergeben sich – das hätte man sich fast schon denken können – zwischen der „Denkart des zionistischen Projekts“ und der Umsetzung einer westlichen Politik, die als „der direkte Grund“ der Flucht (mutmaßlich) nichtjüdischer Menschen aus ihren jeweiligen Herkunftsländern ermittelt werden kann.
Wir selber wissen wenig über direkte und indirekte Verbindungen zwischen der Existenz Israels und den einzelnen oder allgemeinen Gründen von Menschen, ein Herkunftsland zu verlassen.
Unser tiefer Respekt gilt daher den vielen Flüchtlingen und MigrantInnen, die sich weigern ihre Kämpfe in einem antisemitischen Streichelzoo münden zu lassen.

Anstatt auf den „Solidaritätsbekundung“ der Karawane näher eingehen zu wollen, möchten wir auf einen eignen älteren Text aus dem Jahr 1997 verweisen. Denn was vor 17 Jahre gesagt wurde, hat heute leider wenig an Aktualität verloren.

Café Morgenland, 31.01.2014

„Antisemitismus unter den MigrantInnen“

Bevor wir mit dem Beitrag beginnen, ist es zwingend erforderlich auf die Problematik die damit zusammenhängt hinzuweisen: Uns ist bewusst, dass diese Beitrag bzw. Teile davon in jede denkbare und undenkbare Variante von den deutschen Linke als Entlastungszeugnis benutzt wird, um die These von der allgemeingültigen (ob deutsch oder nicht-deutsch) vorhandenen Antisemitismus zu bekräftigen, um den in Deutschland gezüchteten und nach unsere Auffassung Nichteliminierten eliminatorischen Antisemitismus zu relativieren usw. Wir haben lange überlegt ob wir diesen Diskurs in Deutschland unter den Migrantlnnen leisten können. Der vorliegender Text ist (mit Ausnahme einige aktuelle Ergänzungen) über 1 Jahr alt. Nachdem zusätzliche Ereignisse dazu gekommen sind, haben wir entschieden die Veröffentlichung doch vorzunehmen. Wenn wir schon den Anspruch erheben "Rücksichtslos" zu sein, dann ist es nur folgerichtig entsprechend zu handeln. Wir geben zu, dass unsere Zurückhaltung u.a. darauf zurückzuführen ist, dass wir das Ausmaß der Germanisierungstendenzen innerhalb der Migrantlnnen unterschätzt haben. Der Multikulturelle Volksfront am 24. März in der A6 hat uns was Besseres gelernt.

Antisemitismus unter den Migrantlnnen

Wie wäre es anders zu erwarten? Man/Frau kann ohne Scham gleichzeitig Antirassistlnn und Antisemitlnn sein. Die Grobheit des Phänomens deckt kaum seine Ungeheuerlichkeit. Hier in Deutschland, wo der Rassismus grassiert und wo sich eine besondere Tradition in der "Lösung" dieser "Frage" bis heute verfolgen lässt, stößt man auf die seltsame Koexistenz zweier verwandte, jedoch antithetischen Phänomene.
Sich zum Antirassistlnnen und Anti-Antisemitlnnen zu erklären, gehört zum kulturellen Code der heutigen Gesellschaft. Es gehört zum Bestandteil der herbei geredeten "Zivilgesellschaft". Eine grobe Analyse lässt erkennen, dass heute die Front zwischen Philosemiten und Antisemiten (beide gefährlich für Juden), zwischen Ausländerfreunden und Ausländerfeinden (beide gefährlich für Migrantlnnen und für Juden) verläuft. Diese Unterschiede lassen sich noch mehr verfeinern: es gibt diejenige, die Migrantlnnen mögen aber antisemitisch drauf sind und diejenige die Philosemitisch aber ausländerfeindlich sind usw. Und es gibt Migrantlnnen, die sich eifrig bemühen deutscher als die Deutschen zu sein und andere Migrantlnnen (Flüchtlinge und vor allem Roma) aus Deutschland und aus der eigenen Wohngegend raus haben wollen. So geschah es in Gallus (Frankfurter Stadtteil), als unter einem rassistisches Pamphlet, initiiert von deutschen AnwohnerInnen auch Migrantlnnen ihren Unterschrift darunter setzten.
Wir vermögen zuerst das Spiel bei der ersten und gröbsten Form zu lassen. Der vorhin genannte kulturelle Code lässt sich in allen politischen und gesellschaftlichen Sphären beobachten. Insbesondere in der Theorie bekennen sich die so genannten Linken oder fortschrittlichen Kreisen - wie es immer wieder in Linksjargon heißt - zu Antirassismus und Anti-Antisemitismus und pflegen es, sich in diesem Sinne immer wieder betont zu artikulieren. Zwischen Unterstellungen und Schlechten-Gewissen-Schaffen, verfügen sie hier über ausreichende Mittel, ihren Gegnern den Mund zuzumachen. Dies erfolgt vor allem dank der Theorie. Jedoch in der Praxis und im alltäglichen politischen Diskurs und Handeln sieht die Realität ganz anders aus. Wir möchten die Mehrheit der Linksdenkenden Migrantlnnen zu diesen Kreisen zählen.

Migrantlnnen: Antirassistlnnen und AntisemitInnen? Wie geht so was?

Migrantlnnen, die sich hier als welche vom Rassismus Betroffenen bezeichnen, greifen zur geschichtlichen und antirassistischen Argumentation, um gegen ihren Gegner vorzugehen. Rassismus ist jedoch unter Migrantlnnen vorhanden und sogar leicht nachweisbar. Je nach Herkunft und Hautfarbe werden genau die Grenzen weiter gezogen, die von den Deutschen bereits vorgegeben wurden. Und sie fallen immer wieder auf fruchtbaren Boden.

Diese rassistische Einstellung lässt sich deutlich von globalem Nationalismus oder Klassenbewusstsein unterscheiden. Um in den Augen der Deutschen ein bisschen mehr Achtung bekommen zu können, kämpft jeder um die Stelle der eigenen Kultur innerhalb der Kulturhierarchisierung, die von den Deutschen immer wieder gefördert wird.
In den verschiedenen Migrantlnnen-(Trachten) Vereine findet seit Jahren eine intensive Pflege der "eigene Kultur" (was auch das sein mag), die immer mehr die Vorstellungen und Klischees des deutschen Bedarfs als die Tradition der Länder aus der sie kommen entspricht. Griechen tanzen Sirtaki und essen Souvlaki, Spanier tanzen Flamengo und essen Paella usw. Auch wenn all das in den Herkunftsländer längst überholt ist, wird hier auf vielfältiger weise dran festgehalten, durch den deutschen Staat finanziell gefördert und durch dem ausländerfreundlichen Publikum mit Begeisterung angenommen. Infolge dessen gehört auch bei den linksradikalen Gruppen/Vereine die o.g. Klischeepflege zum Standardrepertoir, natürlich verpackt als "internationale Solidarität", "gemeinsamer Kampf" usw.
Wir meinen, dass diese selektive und eingeengte Wahrnehmung unsere Existenz hier und heute ein reaktionäres, kulturalistisches und kulinarisches rassistisches Gebilde fördert. Anstatt dies zu bekämpfen bzw. zumindest in Frage zu stellen was für ein Scheiß da abläuft, wird eifrig mitgemacht.

Die unter sich, um deutsche Gunst und Aufmerksamkeit rivalisierenden Migrantlnnen, können einfach nie genug davon haben, mit dem Finger auf ihre eigenen Ressentiments und Vorurteile gegenüber andere zu zeigen.
So werden Schwarzafrikanerlnnen, Roma und Sinti, Inderlnnen, Afghanerlnnen, Pakistani und Marokkanerlnnen auf die untersten Stufen der lntermigrantenhierarchie von anderen Migrantlnnen verwiesen und dort gehalten. Die politische Bevormundung findet hier im Kleinen genauso statt wie sie es von Deutschen im Großen auf eigenem Leib erfahren haben. Immer wieder wird in ihrem Namen gesprochen und gehandelt; dabei aber lässt man/frau sie kaum zu Wort kommen.
Gegen Rassismus und Diskriminierung sind sie alle. Und viele verstehen sich als Antifaschistlnnen. Das Erschreckende dabei ist, dass während sie Anti-Antisemitismus gelegentlich einsetzen, um ihre politische Argumentation zu verschärfen, sie andererseits in der Lage sind - und dies nicht selten - antisemitische Vorurteile auszusprechen. Dabei meinen sie - und schätzen sich als sogar sehr mutig ein, dass man/frau Tabus brechen muss, und die Wahrheit über "die reichen Juden" oder "das jüdische Lobby" endlich mal auszusprechen.

Ist der deutsche Mob sozialrevolutionär?

Zwischen Antirassismusgeschäft, Blindheit, Dummheit, Masochismus und vielen anderen derartigen richtungweisenden Selbstgefälligkeiten verfahrend, wollen sogar manche Migrantlnnen, den Rechtsradikalismus und den Pogrommachende Mob als Aspekte einer sozialen Protestes verstehen, der gegen seine Missstände sich auflehnt.
Nicht die eigene Erfahrung und der Alltag im Land der Deutschen sind dabei der entscheidende Maßstab sondern der Partei/Organisationsprogramm, die Ideologie und irgendwelcher -ismus. Manche gehen gar ein Schritt weiter: Was den Mob nur fehlt ist die richtige Therapie, die gelegentlich organisiert wird, um aus den "irregeleiteten" Jugendlichen "zivilisierte" Bürgerlnnen zu machen, in der Hoffnung, dadurch die eigene Killer zur zähmen. So wurde in diesem Kontext, eine Türkeireise deutsche Neonazis durch das türkische Volkshaus in Lübeck (immer wieder Lübeck) organisiert, allerdings ohne das gewünschte Ergebnis: Nach der Reise erklärten die Frischtherapierten vor der Kamera, dass sie nach wie vor Ausländer nicht ausstehen können (was anderes wäre ja unglaubhaft).
Diese Neigung zum psychologischen Verständnis, das sie den deutschen Killer entgegenbringen, könnte mit ihrer antrainierten Rolle als Therapeutlnnen und Unterhalterlnnen der deutschen affektiven Lebensmisere in Zusammenhang gebracht
werden.

Antizionismus und Antisemitismus unter Migrantlnnen

Wir führen es aber auch auf ihre eigene Position, was Judentum und die Juden anbetrifft, zurück. Heißen sie es nicht gerechtfertigt, wenn die "reichen Juden" angegriffen werden? Dass meistens lgnatz Bubis als Beispiel dafür genannt wird, haben sie schon von den deutschen linken übernommen - Wir sagten schon, dass in Deutschland, außer der Menschlichkeit nichts verloren geht!

Ihrer Auffassung nach, konnten nur "die reichen Juden" dank ihrem Vermögen fliehen und somit die Vernichtung überleben, wobei sie "die armen Juden" ausrotten ließen. Dabei ist anzumerken, dass nur an diesem Punkt, nur in dieser Geschichte, "die arme Juden" entdeckt werden, die sonst Nirgends zu sehen sind oder von denen nie die Rede ist. Dass den Überlebenden der Shoah vorgeworfen wird, sie könnten überleben, weil sie reich waren und damit eine weitere Ausbeutung der Ermordeten vollzogen hätten, zeigt die tiefe Verwurzelung des Antisemitismus und die gewaltige Verkennung des Vorgangs der Judenvernichtung durch die Deutschen.
Dass die hiesigen deklassierten (d.h. die "armen Deutschen") ihren rassistisches Verhalten offen artikulieren und in der Tat umsetzten, gilt bei fast allen Linken Migrantlnnen als ökonomisch erklärbarer Phänomen und stellt keine besonders unverständliche Sache dar. Meistens wird darin die antikapitalistische Tendenz gar erkannt.
Demzufolge erklärte uns ein linker Migrant in klassische antikapitalistische Manier (gegen die Reichen), als wir ihm in April 1994 fragten, ob er dazu bereit wäre, sich mit uns zusammen zu tun, um eine von Neonazis angekündigte Mahnwache vor dem Haus von Bubis "aufzulösen":" Ich stelle mich doch nicht vor Bubis' Haus, um ihn gegen Neonazis zu verteidigen".
Diese Art von Argumentation war uns nicht neu. Sie ist eine der typischsten antisemitischen Äußerungen, die es seit jeher bei den Linken zu hören gibt.
Rassismus wird mit Klassenkampfideologie verbunden. Die Linken, auch die MigrantlnnenLinke haben die religiösen Vorurteile in Klassenvorurteile umgewandelt und mit deutlichen antisemitischen Komponenten vermengt.
Aber auch die Umkehrung des Antisemitismus (Philosemitismus genannt) richtet sich gegen Juden: So wurde in Hamburg bei einer Veranstaltung zum Lübecker Brandanschlag, wo das Grußwort auf einem Transparent "Willkommen ins Vierte Reich" lautete, lgnatz Bubis von anwesenden Migrantlnnen als "Anwalt der Mörder" beschimpft, weil er nicht die Position eingenommen hatte - wie es sich für einen "richtigen Juden" gehört - die unsere Position auch war (dass es sich um einen rassistischen Brandanschlag handelte). Und auf einmal war die Enttäuschung da: wie könnte es sein, dass ein Jude, ehemaliger Verfolgter, nicht immer und überall "das richtige" tut und sagt.
Der Philosemitismus richtet höchste Ansprüche an Juden, eben auf Grund ihrer Leidensgeschichte. In den Augen der Philosemiten, soll ein Jude all die moralische Ansprüche entsprechen bzw. all das leisten, was kein Mensch je leisten kann. Die Last der Erinnerung an erlittenes Leiden scheint nicht ausreichend genug zu sein. Sie müssen auch die Last der "moralische" Ansprüche, die Philosemitlnnen aufzutragen versuchen mit tragen.

Dass Antizionismus als Deckmantel für Antisemitismus dient, ist bekannt. Dass die selbsternannten Antizionistlnnen, nicht selten die "Juden in der ganzen Welt" angreifen, ist auch kein Geheimnis.
Die Vernetzungen unter den jüdischen Gemeinden und die vielfältigen Kontakte, die mit der in der Diaspora herrschenden Lebensbedingungen zusammenhängen, wurden schon immer und werden noch von den Antisemitlnnen als "Weltverschwörungsorganisationsnetz" unter verschiedenen Formen phantasiert. Und dies besonders seit der Entstehung des Staates Israel. Migrantlnnen erwähnen es nicht selten. Palästinenserlnnen, die schwer unter der Besatzung ihres Landes durch die Israelis leiden, weigern sich an die Realität der Shoah zu glauben. Erst nachdem sie in Deutschland angekommen sind lernen sie diesen Völkermord als wahr zu betrachten. Viele bewunderten bis dahin die Deutschen.

Gleichzeitig konnte ihnen die rassistische Alltagsrealität nicht entgehen, zu deren Opfer sie selbst gehören.
Es zeigt auch die Verkennung des Antisemitismus im eigenen Land und im eigenen Kopf und überhaupt die Verweigerung der Analyse des Phänomens per se. Die Geschichte des Antisemitismus weist die Besonderheit der Verfolgung der jüdischen Minderheiten, wo auch immer sie gelebt haben, auf. Dies wollen die militanten Linke weiterhin ignorieren: es gibt auch gute Gründe dafür: Sie haben, so wie der iranische in Exil lebende Philosoph Danush Shayegan es so prägnant ausdruckt, "einen verstümmelten Blick".
Den Antisemitismus in den eigenen Köpfen und Ländern haben sie nie in Frage gestellt oder sogar als solcher wahrnehmen wollen. Sie finden es normal, und wenn nicht dann zumindest gerechtfertigt: Sie sind auch Teil dieser Betrachtungs- und Verhaltensweise. Dafür haben sie ein schönes Passwort gefunden: Klassenkampf. Darauf verwies schon die Geschichtsschreibung ihrer marxistische Perspektive: Mit den Worten Faschismus und Klassenkampf als wunderbare Schlüssel der Geschichte wurde alles erklärt und entsprechend verschwiegen.
Bei der linken Bewegungen der so genannten "Dritten-Welt-Länder" haben sich schon seit lange Marxismus und Antisemitismus miteinander arrangiert.
Die "reichen Juden" in Iran, Nordafrika, Türkei und anderswo, sind die Nachkommen dieses Volkes, das auch schon dort verfolgt wurde und dessen legaler Status in Islam die "Dhimma" heißt. Dort haben sich Pogrome nicht selten ereignet.
Aber auch in Europa, um nicht so weit zu gehen das gleiche: In Griechenland z.B. wurden 95% der dort lebenden JudInnen deportiert und vernichtet. Die griechische Linke aller Couleur ist stolz auf die damalige Partisanen-Armee (ELAS). Wo waren die griechische Partisanlnnen als die Deportationen begannen und die Züge von Saloniki aus, überfüllt mit Menschen nach Auschwitz, Dachau und andere Orten des Grauens fuhren? Warum wird bis heute dieses dunkle Kapitel des griechischen Widerstandes verschwiegen? Zumal die Schlagkraft der PartisanInnen vieles zu Rettung de griechische JudInnen erreichen konnte? Stadt dessen wurden die Deportationen in der damalige illegale Presse mit absolutem Schweigen versehen. Als ob es nichts geschah!

Hat sich jemals die Nichtdeutsche Linke für die Geschichte der Juden in ihrem eigenen Land interessiert? Wenn nicht, warum? Warum haben sie nie ein Buch zum Thema aufgeschlagen, und wenn es noch kein Buch in ihrer Sprache darüber gibt, warum nicht darüber bzw. dagegen selbst etwas geschrieben? Warum fingen sie erst an - wenn überhaupt, als sie nach Deutschland kamen? Was haben sie vorher von der Shoah gewusst? Und vergleichsweise, was wussten sie über Deutschland bevor sie zu diesem Land kamen?
Sie übernahmen den Antisemitismus als eine selbstverständliche Sache, die man mit allem mischen kann. Geradezu praktisch. Wir sprechen nicht selten über die Minderheiten mit diesen Linken: es läuft sehr gut so lange das Wort Jude nicht ins Gespräch gefallen ist:
Danach verhärten sich die Gesichter und einer fängt sofort an über Israels Politik in den besetzten Gebieten zu sprechen. Die übelsten Äußerungen folgen nicht selten darauf. Viele fügen hinzu, dass die Juden in ihrem Land sehr "reiche" und "geschickte" Geschäftsleute seien. Sehr einleuchtend über die hergestellten angeblichen Zusammenhänge.
Die Sache sieht aber anders aus, wenn dieselben Leute, spricht die linke Migrantlnnen, mit Deutschen zu tun haben. Entweder werden sie von den Besserwissenten Deutschen über Antisemitismus und vielen anderen Sachen "aufgeklärt" oder können sie den Deutschen ihre deutsche rassistische Vergangenheit und damit Gegenwart nachweisen. Ein bemerkenswerte Phänomen tritt dabei auf: Sie verlieren kaum ein Wort über die Vernichtung von den Sinti und Roma und anderen "unwerte". Die ignorieren sie bestenfalls. Es geht ihnen nur um die imposante Zahl von 6 Millionen Toten Juden. Das macht mehr Eindruck als die halbe Million ermordete Roma. Mit anderen Wort: Es geht nicht um die Menschen die hinter diese Zahl standen. Nicht um das was passiert ist, wie es passiert ist, welche waren die Opfer und warum usw. Die Vernichtung der europäischen Judlnnen wird somit funktionalisiert, sie wird als Argumentationsverstärker benutzt.

In der Situation fühlen sie sich sehr stark. Diese Funktionalisierung der Shoah beschränkt sich aber nicht hier: bei jede Gelegenheit die sich ergibt werden sorg- und Gesichtslos Vergleiche mit der eigene Leidesgeschichte bzw. andere Verfolgungsgeschichte angestellt: Shoah = Armeniervernichtung, lndianermassaker = Judenvernichtung usw. Der Schriftsteller Jean Amery, Überlebender der Shoah schrieb in "Ressentiments" bereits 1966: "Was 1933 bis 1945 in Deutschland geschah, so wird man lernen und sagen, hatte sich unter ähnlichen Voraussetzungen überall ereignen können - und wird nicht weiter insistieren auf die Bagatelle, dass es sich eben gerade in Deutschland ereignet hat und nicht anderswo...
Aber die solcherart vollzogenen Ermordung von Millionen wird als bedauerlich, doch keineswegs einzigartig zu sehen kommen neben der mörderischen Austreibung der Armenier durch die Türken oder der schändlichen Gewaltakten der Kolonialfranzosen. Alles wird untergehen in einem summarischen "Jahrhundert der Barbarei".
Als die wirklich Unbelehrbaren, Unversöhnlichen, als die geschichtsfeindlichen Reaktionäre im genauen Wortverstande werden wir dastehen, die Opfer, und als Betriebspanne wird schließlich erscheinen, dass immerhin manche von uns überlebten."
Die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte, die so lebendig bis in unsere Tage hinein ist findet kaum Aufmerksamkeit. Sie wird bestenfalls ignoriert oder bis zu Unkenntlichkeit abstrahiert. Denn es würde von ihnen verlangen, dass sie sich tiefer mit der deutschen und der jüdischen Geschichte, insbesondere mit der Shoah beschäftigen, und damit wäre auch ihre Kapitalismus- bzw. lmperialismustheorie etwas destabilisiert. Dazu haben unsere großen Revolutionärlnnen weder Zeit noch Lust. Sie haben - ihre Vulgärmarxismus sei bedankt - ein wunderbares Erklärungsmuster für alles gefunden.
Dass die jüdische Minderheit als "unassimilierbar" gilt, ist kein besonderes deutsches Urteil. Ein solches Urteil gibt es in allen Ländern und zeugt von dem latenten oder offenen Antisemitismus. Manche Migrantlnnen überspringen locker die Widersprüche. Um wieder die Juden als "Drahtzieher" und "schuldige" benennen zu können, weilen sie ihnen vor, sie hätten den Kontakt zur eigenen Identität verloren und seien Deutsche geworden. Was diese Leute überhaupt über die "jüdische Identität" wissen, ist mehr als fragwürdig. Sie werfen den Juden vor, Juden in Israel und Deutsche in Deutschland zu sein. Durch Ignorieren der durchaus in jüdischen Gemeinden sehr unterschiedlichen realen Zustände und Denkweisen, schaffen sie es immer wieder "Juden" im Mittelpunkt der Zielscheibe zu stellen: hier seien sie schuld an ihrer eigenen Verfolgung, dort Täter und Verfolger. Den Menschen in den "Juden" zu sehen, weigern sie sich.

Was Migrantlnnen von Deutschen lernen könnten

Die Frage, die uns immer wieder einfällt ist: "Wie kommt es, dass Deutschland, trotz seiner scheußlichen Taten, es immer noch schafft, als ein der "Zivilisiertesten" Länder der Welt von "Nichtdeutsche" im Inland und im Ausland angesehen zu werden? Es ist mehr als wirtschaftliche Macht, die dieses Bild eines demokratischen und "hochkultivierten" Landes durchsetzen konnte. Das gute Deutschland hat vor allem Geld gekostet aber keine moralische bzw. humanistische Anstrengung. Und dies ist eine unbezahlbare Qualität. "Deutsch für Ausländer" bedeutet inzwischen das Verständnis dafür zu bringen (und vor allem nachzumachen), dass das Wort "deutsch" kein Adjektiv sondern ein Werb darstellt. Mit der entsprechende Dynamik wie Werben halt sind. Ein Selbstläufer: Ich deutsche, Du deutscht, Er/Sie deutscht. Wir deutschen, ihr deutscht, Sie deutschen. Es ist zwar anstrengend und stressig immer wieder zu deutschen aber es geht. Und bringt die ersehnte Anerkennung.
Rassismus und Antisemitismus existieren in der ganzen Welt. Vor 1933 gewiss gab es eine
Tradition, eine Geschichte der Verfolgung in Deutschland. Aber Deutschland war nicht das
Land in dem Antisemitismus und Rassismus am stärksten existierten. Die deutsche
Anomalie liegt (neben der Züchtung des eliminatorischen Antisemitismus), dass, was auch
immer sich das deutsche Kollektiv vornimmt um "sich zu retten", keine
Rettungsmöglichkeit für die Opfer dieses Kollektivs gibt.

Denn in anderen Länder ging und geht oft etwas schief, wenn "das Volk" so was macht:
man streitet, tauscht aus, lässt sich korrumpieren, wird bestechlich, wechselt die Seite usw. Das deutsche Kollektiv aber, das deutsche Kollektiv schafft es tadellos. Ohne Abstriche. Zwar gibt es "unangenehme Aufgaben", die in Kauf genommen werden müssen. Aber es klappt. Liegt es an die technische Präzision, an die pflichtbewusste Gründlichkeit (alles oder Nichts) oder an die tief eingewurzelte Erarbeiten der Kriterien des "Selektionsideals"? Am Gehorsam? An das Bewusstsein des Kollektivs eben ein Kollektiv zu sein (alle oder keiner)? Das wissen wir nicht. Jede Antwort würde scheitern angesichts der Einmaligkeit deren Verbrechen. Eins jedoch bleibt sicher: Die Deutschen haben mittlerweile richtige Übung im Vernichten bekommen. Hier gibt es sorgfältig gesammelte Erfahrung und Methoden. Die Perfektion, die sie darin erreicht haben, gilt für viele Technikliebhaber und Judenhasser als bewundernswerte Tatsache.
Und genau hier ist der Punkt wo wir meinen, dass diese Unterschiede uns zu der Annahme führen, dass die Forcierung eine Auseinandersetzung bezüglich des Antisemitismus unter den Migrantlnnen wichtig, bitternotwendig und vor allem möglich ist.
Die hier aufgeführte Kritik und Fragen dürfen nicht als Besserwisserei oder gar als "Zeigefinger-Geste" verstanden werden. Sie spiegeln mehr oder weniger unsere eigene Entwicklung wieder, sie stellen die Fragen dar mit der wir uns Auseinadersetzten und weiterhin auseinandersetzen
Eins haben wir dabei gelernt: Die Feinde dieser völkischen Gesellschaftsordnung können niemals deutsch sein in Deutschland!

Cafè Morgenland, 05.05.97 Frankfurt/M.
http://www.cafemorgenland.net