Interview mit der Roma-Aktivistin Ivana Mariposa Conkova zu den stärker werdenden Emanzipationsbestrebungen der Roma in Tschechien

ID 63636
 
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(Anmod nicht enthalten) Am 1. Mai 2014 demonstrierten in Usti nad Labem in Tschechien etwa 300 Rom_nja und Antifaschtist_innen gegen den Aufmarsch der rechtsradikalen Partei DSSS. Diese hatte 2013 regelmäßig Pogrome in und Aufmärsche vor Roma-Siedlungen veranstaltet. Doch am 1. Mai trat die stärker werdende Gegenbewegung der Rom_nja an die Öffentlichkeit, um ihre Rechte einzufordern und Diskriminierung anzuprangern. Ivana Mariposa Conkova (sprich "Tschonkova") ist eine wichtige Protgonist_in dieser erstarkenden Bewegung.
Audio
17:37 min, 16 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.05.2014 / 17:06

Dateizugriffe: 956

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: antje
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 07.05.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
[Das Interview ist komplett als O-Ton zu hören, wird aber am Ende jeder Frage in deutsch zusammengefasst.]

1. Ivana Mariposa Conkova ist Journalistin beim internationalen Projekt Romareact.org und aktiv bei der tschechischen Organisation Konexe, die zwischen Romacommunities und Verwaltungen vermittelt. Zuerst frage ich sie, mit welchen grundlegenden Problemen die Rom_nja in Tschechien kämpfen.

2. Ivana zählt Schlüsselprobleme auf wie Diskriminierung im Schulsystem, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Wohungsmarkt, die Segregation in Romaviertel sowie Antiromaismus in der Verwaltung.
Sie sagt, das Schlüsselproblem ist die Haltung gegenüber den Rom_nja in der Gesellschaft, die von Tabuisierung geprägt ist. Die Personen, die im Feld der Integration der Roma beruflich tätig sind, seien nicht wirklich in der Lage dazu. Sie binden nicht die Bedürfnisse und Ansichten der Roma in ihre Planungen ein und verhindern so die Partizipation der Roma an Entwicklungsprozessen. Mit dieser Arbeitsweise entsprechen sie nicht der Forderungen der Charta 77, die Selbstbestimmung der Roma in Bezug auf Art und Weise sowie Umfang ihrer gesellschaftlichen Integration vorsieht. Ivana Conkova meint, die Verantwortung für ihre Entwicklung sollten die Roma selbst in die Hand bekommen. Der Paternalismus der Verwaltung und der Fakt, dass Nichtroma in den NGOs den Romacommunities vorschreiben, wie sie sich integrieren sollten, mache die Situation nicht besser.
Ich frage, ob dort zu paternalistisch über die Köpfe der Betroffenen hinweg verwaltet wird.

3. Ivana Conkova empfindet die Arbeit der mit Integration der Rom_nja befassten NGOs als paternalistisch, auch wenn sie in ihren Augen wertvolle Arbeit leisten. Aber in dieser Arbeit ist zu wenig Raum für Roma-Selbstbestimmung, die Voraussetzung für den Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe und für Strukturen der Selbstfürsorge ist. Ihr ist wichtig, dass Romnja ihre Ressourcen selbstbestimmt verteilen und eigene Kommunnikationsstrukturen aufbauen. Dafür sei der politische Wille in Tschechien nicht vorhanden. Solange die Integration der Roma vom politischen Willen der Mehrheitsgesellschaft abhängt, wird diese keinen Schritt weiterkommen. Deshalb sollten Romn_ja-Communities nicht auf eine Veränderung des politischen Willens warten sondern.
Ich frage Ivana, ob das Bedürfnis nach Unabhängigkeit von staatlicher paternalistischer Verwaltung auch die Forderung nach politischer Autonomie für die Romn_ja-Communities einschließt.

4. Die Communities setzen sich nicht für politische Autonomie ein. Sie sehen sich klar als Tschech_innen und als Teil Tschechiens. Sie wollen sich integrieren aber nicht in der Gesellschaft aufgehen. Das hänge auch davon ab, inwiefern sich die Rom_nja der Mehrheitsgesellschaft erklären, welche Instrumente die Rom_nja dafür von der Gesellschaft den zur Verfügung gestellt bekommt und inwiefern diese ihnen Zugänge zu politischer Macht und zum Bildungsystem öffnet. Ich frage, welche konkreten Instrumente entwickelt werden sollten.

5. Zuerst möchte Ivana Conkova eine Struktur zur Kommunikation der Rom_nja untereinander entwickeln, um dann eigene gewählte politische Strukturen aufbauen zu können, die die Art und Weise der Integration der Rom_nja selbst bestimmen. Zumindest sollten Integrationsmaßnahmen niedrigschwellig erklärt und die politischen Strukturen vorher um Zustimmung gebeten werden. Integration darf nicht für die Rom_nja sondern nur mit den Rom_nja geschehen. Das muss ein demokratischer Prozess sein, der die Handlungsfähigkeit der Communities erhöht, der Reflektion fördert und zur Willensbildung sowie zu selbstbestimmten Handeln beiträgt.
Wie verlaufen im Gegensatz zu Ivanas Vision die Integrationsbemühungen der großen NGOs für die tschechischen Romn_ja?

6. Es gibt keine demokratischen Strukturen. Die NGOs entscheiden, ohne die Rom_nja dabei einzubinden. Um Förderungen abzurufen zu können, organisieren sie Projekte nach den Prioritäten der Förderer. Ivana meint, diese Prioritäten sollten von Rom_nja definiert werden, die demokratisch von ihren Communities gewählt werden. Im Moment gibts da ein Vakuum, niemand ist so richtig verantwortlich, die Entschiedungsprozesse sind nicht transparent. Zu einigen sind aber auch Rom_nja eingeladen worden.

7. Ich frage Ivana Conkova nach positiven Beispielen für die Emanzipation von Rom_nja in Tschechien. Sie erwähnt die Aktivitäten der Rom_nja-Community in Usti nad Labem anlässlich des Nazimarsches am ersten Mai. Im Alltagsleben organisieren sich Rom_nja selbst, sorgen gemeinsam für Sauberkeit an ihren Orten, kümmern sich um ökonomische Unabhängigkeit, aber seien wenige. In Usti gab es eine richtige Demonstration im eigentlichen Sinne, Rom_nja haben sich dort gemeinsam selbst repräsentiert als Menschen, denen ihre Menschenrechte klar sind und die als Rom_nja ihre Position vertreten. Das empfindet Ivana als kraftvoll und emanzipierend.

8. Das war ein Interview mit Ivana Mariposa Conkova, einer Romni-Aktivistin, die bei der journalistischen Plattform Romareact und bei Konexe aktiv ist. Sie sprach über die Situation der Rom_nja in Tschechien.