Kirchenasyl für einen von Abschiebung Bedrohten

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Deutsche Praxis ist es, Menschen kurz vor Ablauf einer Sechsmonatsfrist abzuschieben. In einem solchen Fall hat sich die jüdische Gemeinde Pinneberg entschieden, dem Betroffenen Kirchenasyl zu geben. (Gespräch dazu mit einem Soliaufruf)
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Upload vom 11.07.2014 / 17:09

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Entstehung

AutorInnen: Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen; nfsu
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 02.07.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
(Erklärung der JPG:)

"„Kirchenasyl“ in der Jüdischen Gemeinde Pinneberg

In der Tora, in Exodus 23, Vers 9, lesen wir:

Bedrücke keinen Fremden. Ihr wisst, wie einem Fremden zu Mute ist, denn ihr wart selbst Fremde im Lande Mizrajim.

Auch diese Weisung Gottes aus der Tora war sicher ein Grund, der uns dazu bewegt hat einem Flüchtling aus dem Sudan, der akut von der Abschiebung nach Ungarn bedroht ist,in unsere Gemeinde zu holen und ihm sogenanntes „Kirchenasyl“ zu gewähren.

Einige könnten jetzt sagen, „wir bedrücken ihn doch garnicht“. Das ist auf den ersten Blick richtig, schaut man aber genauer hin, müssen wir sehen, dass Ashraf, „unser Flüchtling“ von den Organen unseres Staates bedrückt wird, indem die ihm drohen ihn nach Ungarn abzuschieben, einem Land, in dem Flüchtlinge nicht die geringsten Rechte haben, in dem sie in Gefängnisse oder mit Stacheldraht umzäunte Lager eingesperrt werden. Ein Land, in dem sie vom Staat nicht unterstützt werden, weder mit Geld oder mit anderen Dingen. Ein Land in dem eine rechtspopulistische Regierung an der Macht ist, die die Rechte von Minderheiten mit Füßen tritt. Und ein solches Land nennt die Bundesregierung ein „sicheres Drittland“, ein land in das man Flüchtlinge abschieben kann.

Und genau das ist der Punkt, weshalb wir ihn doch bedrücken. Bedrücken dadurch, das wir bis jetzt geschwiegen haben. Das wir nicht unsere Stimme, als jüdische Gemeinden, erhoben haben um gegen ein offensichtliches Unrecht zu protestieren.

Viele von uns haben sich im letzten Jahr mit dem Schicksal der sogenannten „Lampedusa-Flüchtlinge“ beschäftigt, die in einer Kirche auf St. Pauli Kirchenasyl gefunden hatten. Für die meisten von uns war es das erste mal, dass sie sich mit der Problematik von Flüchtlingen in Deutschland beschäftigt. Zum ersten mal haben viele verstanden, dass hinter jedem dieser Schicksale ein Mensch steht, der bedrückt wird und ständig in Angst leben muss aus Deutschland abgeschoben zu werden und in ein ungewisses Schicksal zu kommen.

Wir haben als Juden eine mehrtausendjährige Erfahrung mit Unterdrückung, Flucht und Vertreibung. Wer sollte besser wissen als wir, was so etwas bedeutet. Und doch haben wir geschwiegen. Geschwiegen, wo es doch unsere Aufgabe hätte sein müssen, uns an die Spitze einer Bewegung zu stellen, die sich für die Rechte von Flüchtlingen einsetzt.

In der letzten Woche traten Freunde an mich heran, Freunde, die Ashraf bis dahin betreut haben. Sie fragten mich, ob wir, als jüdische Gemeinde, bereit wären Ashraf Kirchenasyl zu gewähren um ihn vor der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung zu beschützen. Mein Gewissen und mein Herz sagten spontan „Ja“ und dennoch musste auch ich einen Weg einhalten, ich musste mit dem Vorstand der Gemeinde und dem Rabbiner sprechen. Bei diesen Gesprächen rannte ich offene Türen ein erfuhr eine beeindruckende Unterstützung. Es gab wirklich keine Diskussion über das Thema und schon 10 Minuten später konnte ich meinen Freunden mitteilen, das wir bereit sind Ashraf aufzunehmen.

Seit zwei Wochen ist Ashraf nun bei uns. Er hat sich eingelebt, wir haben uns an ihn gewöhnt. Er gehört einfach schon dazu. Ich glaube, dass dies ein wichtiger Aspekt für ihn ist. Er ist zwar oft alleine im Gemeindezentrum, er ist aber trotzdem nicht allein, weil viele Menschen, nicht nur aus unserer Gemeinde, sich um ihn kümmern. Für ihn einkaufen, mit ihm zusammen sind, mit ihm sprechen und ihm immer wieder das Gefühl vermitteln: Du bist ein Teil unserer Gemeindefamilie, Du gehörst zu uns.
Am vergangenen Dienstag war ich in Hamburg bei einem Vortrag von Prof. Ephraim Meir von der Bar Ilan Universität in Ramat-Gan/Israel zu dem Thema:“Asyl und Gastfreundschaft als Grundlage des jüdisch-christlichen Glaubens“ (Vielleicht habe ich den Titel nicht akkurat zitiert, aber sinngemäß). Passte natürlich sehr gut zu der aktuellen Situation in unserer Gemeinde. In seinem sehr fundierten und guten Vortrag erwähnte Ephraim immer wieder, dass wir mit unserer Entscheidung auf dem richtigen Weg sind und die göttlichen Gebote über die Behandlung von Fremden und Unterdrückten erfüllen. Das hat mich auf der einen Seite verlegen gemacht, aber auch sehr stolz darauf, was unsere Gemeinde macht. Solche Dinge stärken uns den Rücken und helfen uns dabei das zu schaffen, was wir schaffen wollen. Ich bin Ephraim sehr dankbar für seine großartige Hilfe.

Eine weitere Besonderheit in diesem Fall ist es, dass wir die erste Jüdische Gemeinde in Deutschland sind, die „Kirchenasyl“ gewährt. Ich hoffe und wünsche mir, dass unser Handeln Beispiel ist und viele Nachahmer findet.

In 23 Tagen kann Ashraf nun einen Asylantrag in Deutschland stellen. Seine Chancen, dass das Asyl auch gewährt wird sind sehr hoch. Wenn wir mit ihm gemeinsam diesen tag erreichen, ist das ein großer Erfolg.

In der nächsten Zeit wollen wir mit Ashraf zwei Feste feiern, am 28. Juli das Ende von Ramadan, wir wollen gemeinsam Kochen und Essen. Dann wollen wir natürlich am 2. August feiern, das Ende der Zeit in der er bei uns das „Kirchenasyl“ benötigte. Für diese beiden Feste benötigen wir noch Spenden um diese beiden Tage zu ganz besonderen Tagen für Ashraf werden zu lassen.

Spendenkonto: IBAN DE51 2305 1030 0005 5066 39 bei der Sparkasse Südholstein
Kontoinhaber: Jüdische Gemeinde Pinneberg.

Einige von Euch haben schon gespendet, aber vielleicht können auch noch einige mehr spenden.

Liebe Grüße an Alle"

Kommentare
15.07.2014 / 11:46 johanna, Radio Dreyeckland, Freiburg
in zip
am 15.7. inklusive der angehängten erklärung (leicht gekürzt wegen sendezeit). danke!