Dekontaminierung in Fukushima

ID 67907
 
Susanne Gerber und Yu Kajikawa über die (aktuellen) Bedingungen der "Dekontaminierung" nach dem Atomunfall in Fukushima.
Audio
27:59 min, 26 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 04.04.2022 / 10:42

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Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Arbeitswelt, Umwelt, Politik/Info
Serie: internationalnucleareventscale7
Entstehung

AutorInnen: mikro.fm
Radio: FRBB, Berlin und Brandenburg im www
Produktionsdatum: 15.12.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
anfang: "Neben dem Brummen stelle ich ..."
ende: "... zum Atomunfall in Fukushima und darüberhinaus."

das folgende skript entspricht nicht dem sendeverlauf!

Dekontaminierung in und um Fukushima

1) Was ist Dekontaminierung? / Wie geht es?
Eigentlich kann man die radioaktive Verseuchung nicht "dekontaminieren" oder "entgiften", man kann lediglich die verstrahlten Objekte von einem Platz zu einem anderen wegtragen. Die radioaktive Strahlung wird, je nach Substanz, nur mit der Zeit geringer, manche brauchen länger wie Plutonium239 (24000 Jahre) , manche weniger wie Jod 131 (8 Tage).
Wenn ein Gebiet durch einen Reaktorunfall wie in Tschernobyl oder Fukushima radioaktiv verseucht wird, müsste man also nur von einem Versuch sprechen, die verseuchten Gegenstände von Menschen möglichst zu entfernen, das geschieht durch Abtragen von Erde (ca. 5 cm an der Oberfläche), Wegtragen von Gras und Sträuchen, Laub, etc., oder Abspritzen mit Luftdruckreinigern von Dächern und Hauswänden. Mehr kann man nicht machen. Das ist aber eine Sisyphusarbeit, denn der Wind oder Niederschlag bringen immer wieder radioaktiven Staub, und die Strahlenwerte können gleich wieder wie vor der Dekontaminierungsarbeit sein.
Es gibt in und um Fukushima zwei verschiedene Gebiete für die Dekontaminierungsarbeit. Das eine ist die komplette Sperrzone, das ist der 20km Umkreis von dem havarierten AKW Fukushima-Daiichi, und das sind 288 km2. Davon sind: Landwirtschaftlich benutzte Gebiete 70%, Wälder 8,1%, Gebäude/Wohnhäuser 12,4%, Straßen 1% . Die Dekontaminierungsarbeit dieser Zone muss vor allem der Staat in die Hand nehmen, denn da leben z.Z. kaum Menschen, denn das ist ein evakuiertes Gebiet.
Das andere Gebiet ist sehr schwierig zu erfassen, und es wird zu diesem Dekontaminierungszone erklärt, sobald die Strahlungswerte pro Hektar mehr als 0,2 Mikrosievert wird. Hier wohnen ca. 6,9 Millionen Menschen, das entspricht ca. 4% der ganzen japanischen Bevölkerung. Hier sind etwa 100 Städte und Gemeinden, die Fläche dürfte ca. 23.903 km2 (zum Vergleich: Saarland ist 2.570km2 groß).
Hier müssen die Städte und die Gemeinde selber die Arbeit organisieren, d.h. zuerst erfassen, wie stark was verseucht ist, welche Arbeit wie gemacht werden soll, welche Gebäude, welche Teile zuerst dekontaminiert werden sollen, wo man die abgetragenen Erde zwischen lagern soll, usw.
Aber die Wälder und Berge kann man unmöglich dekontaminieren, die ganzen Bäume mit Blättern und Ästen und so viel Erde.
Bei der praktischen Dekontaminierungsarbeit geht es vor allem um Cäsium 137, dessen Halbwertzeit 30 Jahre ist. Cäsium 137 agiert sehr ähnlich wie Kalium, deshalb in den Wäldern und Bergen nehmen Beere und Pilze sehr viel Cäsium 137 auf, und das Wild, das sich hauptsächlich durch solche Beere und Pilze ernähren, wird entsprechend stark verseucht. Außerdem sickert das Cäsium 137 immer tiefer in die Erde mit der Zeit, Pflanzen und Bäume nehmen das auf durch Wurzeln, treiben wieder kontaminierte Blätter, sie fallen wieder auf den Boden, das Laub verseucht erneut die Wurzeln, und so geht der Kreislauf ewig weiter.
Deswegen hat Russland drei Jahre nach Tschernobyl die Dekontaminierung des verseuchten Gebietes aufgegeben, weil es schlicht einfach nicht möglich war.
In Japan dagegen hält die Regierung fest an dem Plan, denn sie wollen Fukushima als "under Control" und als "überwunden" darstellen. Vor allem, wenn die Leute nach der Dekontaminierung tatsächlich in die alte Heimat zurückkehren können, müssen sie nicht keine Entschädigung mehr bezahlen.
2) Problematik des Projektes
a. Das langfristige Ziel ist es, die Strahlenbelastung bis maximal 1mSv pro Jahr zu reduzieren, zusätzlich zur natürlichen Hintergrundstrahlung von etwa 2,5mSv. Aber es ist in vielen bereits dekontaminierten Gebieten oft unmöglich zu halten, da sobald ein Haus und sein Garten dekontaminiert wird, bringt der Wind neue radioaktiven Staub von Wäldern und Bergen mit, radioaktive Wolken bringen Regen und Schnee, oft bilden sich in Graben sogenannte Hotspots, wo Regenwasser und Laub sich sammelt.
b. Wohin mit dem abgetragene Erde, Ton, Laub, Sträuchen und Ästen? Es gibt bereits abertausende Säcke voll von bei der Dekontamination abgepackter Erde und Laub, auf- und nebeneinander stapelt und im Freien einfach gelagert, dabei schirmen diese Plastiksäcke gar keine Radioaktivität ab, diese Plastik zerfällt sogar innerhalb fünf Jahren. Und da ist nichts vorgesehen - weder richtige Zwischenlager noch Lösungen für diesen Zerfall. Die Leute wohnen mit Kindern gleich neben solchen Säcken ohne Schutz, das ist keine Dekontamination, sondern nur Hin- und Hertragen von radioaktiv verseuchten Materialien.
c. Oft reinigt man Dächer und Hauswände mit Hochdruckreiniger. Aber da werden die Dächer und Wände zwar von radioaktiven Partikeln gereinigt, aber das abgespritzte Wasser fließt gleich in den Boden, geht durch Abwasserkanal, so verseucht das Wasser wieder unkontrollierter Weise andere Gegenstände und Gebiete. Und nach dem nächsten Regen sind die Dächer möglicherweise wieder genauso verzeucht.
d. Diese ganze Dekontamination wurde längst zu einem lukrativen Industriesektor geworden, in dem sich die sogenannte Generalunternehmer bereichern. Genauso wie bei den Arbeitern in der havarierten AKW-Anlage in Fukushima, werden billige Arbeitskräfte rekrutiert und eingesetzt ohne richtige Ausbildung oder Informationen, wobei die größeren Unternehmen immer kleinere Tocher- und Sub-subunternehmen die eigentlichen Aufgaben machen lassen und nur das sichere Geld vom Staat oder von Gemeinden abkassieren, und die einzelnen Arbeiter verdienen einen Bruchteil von dem eigentlich dafür vorgesehenen Geld.
3) Aussichten
Viele, die evakuiert anderswo leben, denken nicht mehr daran, in die alte Heimat zurückzukehren, außer ältere Generationen. Die jungen Leute vor allem diejenigen, die Kinder haben, denken nicht daran, dorthin zurückzukehren, wo die Belastung noch hoch sein kann. Mit der Dekontamination wird zwar das Haus und um das Haus dekontaminiert, aber es ist nicht flächendeckend. Aber man lebt ja nicht nur im Haus und im Garten. Leben heißt, es gibt Läden zum Einkaufen, Schulen, Spielplätze, öffentliche Gebäude und andere Einrichtungen, und dann gehören dazu Wege dorthin und Transportmittel. Wenn diese Kernstruktur einer Gemeinde sowieso längst verloren gegangen ist, wie sollte man dorthin zurück und wieder leben? Für viele ist es zwar hart aber für längere Sicht besser direkt ins Gesicht zu sagen, es tut mir leid, in Ihre Heimat können Sie nicht mehr zurückkehren. Diese Haltung, als wäre die Rückkehr möglich, als wäre so eine Katastrophe nicht passiert, ist am schlimmsten.