"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Premier Modi -

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Ich finde es doch einigermaßen wunderbar, wie Dutzende von jungen Leuten, die im Dunkel ihrer Pubertät das gleißende Licht der wahren Wahrheit sehen, nämlich den Bart des Propheten, dann nach Syrien ziehen, sich dort zu halbwertigen Kämpfern bzw. Terroristen ausbilden lassen und dann zurückkehren in ihre Herkunftsländer, um dort möglichst schöne Ziele anzugreifen und in die Luft zu sprengen.
Audio
10:49 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 27.01.2015 / 09:17

Dateizugriffe: 609

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 27.01.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Solche Fieberwellen haben die Jugend schon immer geschüttelt, und es bleibt einem nicht viel anderes übrig, als darauf zu warten, bis sich das wieder legt, und gleichzeitig muss man darauf hoffen, dass die Polizei die Angriffspläne rechtzeitig aufdeckt. Grundsätzlich habe ich selbstverständlich keine Ahnung davon, welches Ausmaß das Phänomen in der Praxis hat, also wie viele tatsächliche und Möchtegern-Terroristen gegenwärtig in Frankreich und Großbritannien und Belgien und vereinzelt auch in anderen europäischen Ländern herum gammeln, aber dass es sie gibt, das ist seit dem Überfall auf die Charlie-Hebdo-Redaktion absolut klar. Bei dieser Gelegenheit möchte ich übrigens mal jenen Leuten gratulieren, welche in Pakistan oder Afghanistan oder wo auch immer die Demonstrationen gegen die neueste Ausgabe des Charlie Hebdo organisiert haben, Demonstrationen von Leuten, die offensichtlich nicht einmal wissen, dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist, aber sie brüllen derart herzergreifend in die Kameras, dass das Herz aller BewohnerInnen Westeuropas in freudig ängstlicher Erregung hüpft, während der Kopf denkt, was sind denn das für hinterwäldlerische Halbaffen, und die Mischung aus Herz und Hirn stellt dann ein Gesamtzeugnis aus für die Gesamtreligion Islam, das ist so richtig 1-a-PR-Arbeit, aber diesmal nicht vom Islamischen Staat, sondern von den westlichen Medien.

Was solls. So richtig ärgerlich an der Sache ist eigentlich nur die Tatsache, dass ausgerechnet jener Repressionsapparat in den entwickelten Ländern, welcher mit verantwortlich ist für das große Unbehagen nicht nur der pubertierenden Jugendlichen in den Vorstädten, nun zur eigentlichen Rettungshoffnung für unser großartiges Projekt mit dem Namen Zivilisation geworden ist. Müssen wir diesen Weg jetzt tatsächlich konsequent so weit gehen, bis uns die Dorfpolizei auch auf der Toilette filmen darf, ob wir nicht etwa eine Rohrbombe aus den Unterhosen ziehen und die Nachbarschaft damit in die Luft sprengen? – An diesem Punkt kollidiert meine Vorstellung von Freiheit ganz massiv mit den Vorstellungen, die man sich nicht mehr von der Zukunft zu machen braucht, sondern die bereits fest gemauert in den Fundamenten stehen. Wegen dieser IS-Idioten guckt uns der Staat noch viel gründlicher in unser Privatleben hinein, als er es mit der Zeit ohnehin getan hätte. Das ist äußerst ärgerlich, und ich bin noch nicht sicher, ob ich persönlich unter diesen Bedingungen den so genannten Zivilisationsvertrag nicht aufkünden werde.

Keine Bange, ich werde keine Bomben basteln, und vom Islam halte ich insofern noch weniger als vom Christentum, als mir von dieser Religion bisher noch keine aufgeklärte Stufe bekannt ist, im Gegensatz eben zum Christentum, das mit dem Protestantismus und anderen eher philosophischen Tendenzen den religiösen Diskurs um einige Jahrhundert weiter entwickelt hat als die Moslems, da hilft nichts. Es hilft auch nicht, dass sich bei den Protestanten stockreaktionäre evangelikale Sekten ausgebildet haben, die unterdessen in der Missionstätigkeit in der Dritten Welt deutlich aktiver und ver­mutlich auch erfolgreicher sind als die offiziellen Kirchen, während bei den Katholiken das re­ak­tionäre Gesocks, zum Beispiel die Opus-Dei-Verschwörung, sowieso nie völlig verschwunden ist. Aber unter den obwaltenden Bedingungen bin ich vorderhand nur unter Vorbehalt Teil dieser Zivilisation, und ich werde melden, wenn ich neue Erkenntnisse dazu gewinne.

Neue Erkenntnisse gibt es demnächst vielleicht in Griechenland, wobei meine Skepsis diesem Land gegenüber noch nicht wirklich beseitigt ist. Zwar habe ich letzthin gelesen, dass unter der Regierung Samaras die Zahl der Staatsangestellten von 900'000 auf 650'000 gesunken sei; es ist das erste Mal, dass ich eine solche Angabe höre, und wenn sie zutrifft, dann möchte ich im Nachhinein gratulieren, denn die Staatsjobs waren eines der Kernprobleme dieses Landes. Davon abgesehen finde ich es absolut unerlässlich, allfällige Reformen mit wirksamen Sozialprogrammen abzufedern, ihr wisst schon, ein Grundeinkommen würde mir persönlich als erstes einfallen, aber ob dies bei der Syriza oben auf der To-Do-Liste steht, möchte ich zunächst mal bezweifeln, ebenso wie ich bezweifle, ob diese Syriza tatsächlich so linksextrem ist, wie sie in den sozialdemokratischen und bürgerlichen Medien bei uns immer wieder dargestellt wird. Ich gehe mal als Arbeitshypothese davon aus, dass sich in der Syriza zur Hauptsache die ehemaligen Mitglieder der ehemaligen Sozialdemokratischen Partei, der PASOK, verkrochen haben, wobei ich nicht die Führungsriege selber meine rund um Alexis Tsipras, aber in den Parteistrukturen dürfte das PASOK-Personal längstens zum tragenden Bestandteil geworden sein. Aus diesem Grund ist es extrem schwierig, abzuschätzen, ob die neue Regierung die Modernisierung des griechischen Staates, vielleicht in einer etwas sozialdemokratischeren Form als unter Samaras, weiter vorantreiben wird oder ob sie versuchen wird, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen und die verschwundenen 250'000 Stellen wieder aufzubauen und mit Nichtstuern zu besetzen. Wir sind gespannt, beziehungsweise wir sind eigentlich nicht so richtig gespannt. Weckt mich, sobald es so weit ist.

Gehen wir ein paar Schritte weiter nach Osten. Was meint der indische Premier Modi denn nun wirklich, wenn er dem US-amerikanischen Präsidenten um den Hals fällt und großartige Worte zu atomaren Kontrollen und so weiter absondert? Indien hat seit seiner Unabhängigkeit zwar immer seine Interessen verteidigt, wie es sich gehört, hat aber meines Wissens immer darauf verzichtet, so richtig doll Weltpolitik zu betreiben. Traditionell bestanden immer gute Beziehungen zur Sowjet­union und nachher auch Russland. Aus ferner Distanz gibt es drei Möglichkeiten: Entweder der Modi spielt seinem Gast eine schöne Comédie Humaine vor, die weiter nichts zu besagen hat, oder aber er nimmt tatsächlich eine Wendung hin zu unseren Amis, den Amis vor. Das wäre eine Vari­ante, welche nicht dazu angetan wäre, den Kameraden im Kreml zu erfreuen. Diese Variante würde exakt in jene Sicht der Dinge passen, die ich hier schon skizziert habe, nämlich dass die Vereinigten Staaten von Amerika neben ihrem alltäglichen Wirtschaftskrieg im Namen von Weltwirtschaft und Kapitalismus etc. etc. nun einen spezifischen Wirtschaftskrieg aus­tra­gen, um die Russen in die Knie zu zwingen, in erster Linie vermittels der tiefen Erdöl- beziehungsweise Energiepreise, die nach meinem Ermessen eben niemals darauf zurückzuführen sein können, dass die Amerikaner jetzt dank dem Fracking schlicht unbegrenzte Mengen an Erdöl aus eigenen Reserven zur Verfügung haben. Wenn hier also tatsächlich auch noch die Südflanke von Herrn Putin wirtschaftlich aufgerissen wird, dann gibt das sicher ein paar Spektakel, welche die Vorführungen in Syrien komplett veraltet aussehen lassen könnten. Abgesehen von allem anderen geht es ja in Syrien von Beginn an auch um eine Auseinandersetzung zwischen den USA und den Russen, Ihr erinnert euch vielleicht, das Regime von Bashir al Assad ist mehr oder weniger der letzte Stützpunkt unter russischem Einfluss in dieser Gegend, und wenn man all die Ereignisse mal zur Abwechslung so liest, dann wird einem ganz eigenartig.

Die dritte Möglichkeit ist die, die ich im Moment vorziehe, nämlich dass all dies überhaupt nichts zu bedeuten hat und dass auch die Geschichten rund um die Energiepreise nichts weiter sind als Spekulationen, Verschwörungstheorien, die eher eines Richard Wisnewskis würdig sind als eines durchschnittlich zivilisierten Kopfes. Aber eben, seit es mit der Zivilisation auch nicht mehr so gut steht, kommt man halt automatisch auf solche Gedanken.

Wollt Ihr noch meine Meinung zum Quantitative Easing, zur Geldschwemme hören? Mindestens in einem Punkte habe ich eine solche, also eine Meinung: Zu Investitionen wird dieses Billiggeld kaum führen. Investitionen richten sich nicht in erster Linie danach, ob Geld jetzt gerade 2 Prozent kostet oder 1 Prozent, sondern sie richten sich danach, ob sie sinnvoll sind oder sogar notwendig. Produkteinnovationen und neue Technologien rufen nach Investitionen, und auch der Ausbau bestehender Kapazitäten. Wenn aber der Markt gesättigt ist, dann sind Investitionen nicht nur sinnlos, sondern selbstmörderisch. Gehen wir mal davon aus, dass auch Herr Draghi das weiß, ebenso wie die große Mehrheit seiner Kollegen. Worum geht es also wirklich? Um die künstliche Abschwächung des Euro gegenüber den Konkurrenzwährungen? Macht die EU bzw. der Euro-Teil der EU heute das gleiche, wie die Italiener vor der Einführung der Einheitswährung? Das kann ich mir nicht vorstellen, das heißt, vorstellen kann ich es mir schon, aber der Euro ist doch ein anderes Vehikel, als es damals die Lire war. Möglicherweise zieht Mario Draghi einfach mit seinen US-amerikanischen Kollegen gleich und pumpt so viel Geld in den Währungsballon, dass sie wenigstens auf beiden Seiten des Atlantiks ungefähr die gleiche Instabilität haben. Damit wäre das währungspolitische Gleichgewicht des Schreckens hergestellt, nachdem man sich ja gar nicht mehr vorstellen darf, auf wie vielen Schulden die Vereinigten Staaten von Amerika eigentlich sitzen. Aber niemand tut dergleichen, als läge da auch nur entfernt ein Krisenherd verborgen. Und wenn niemand gewillt ist, dieses offensichtliche Missverhältnis zu einem realen Ausbruch kommen zu lassen, dann wird es in absehbarer Zeit auch nicht geschehen. Ich glaube, die Europäische Zentralbank versucht nichts anderes, als die absurde Blase der US-amerikanischen Staatspapiere mit einer kontinentaleuropäischen Blase zu konterkarieren. Mit Wirtschaft, Investition und Konsum und was auch immer hat das rein gar nichts zu tun.

Höchstens insofern, als man den Griechen mit solchen Maßnahmen dann erst recht nicht mehr erklären kann, zu welchem Ende sie sich die Wurstzipfel vom Mund absparen sollen, wenn Brüssel mit solchen Kellen anrichtet. Aber daran, dass man so etwas nicht versteht, hat man sich unterdessen wohl nicht nur in Griechenland gewöhnt. Und wichtig ist dabei immerhin, dass eine ganze Klasse an Wirtschaftsjournalisten und Wirtschaftsfachleuten auf absehbare Zeit hinaus voll beschäftigt sein wird mit allen möglichen Erklärungen.

Wir aber warten einfach darauf, dass irgendwann einmal ein Gremium, zum Beispiel ein Institut an einer anständigen Universität, sich den gesamten Karsumpel vorknöpft und ihn in erster Linie unter jenem Gesichtspunkt analysiert, dass es letztlich trotz allen Wirtschaftsmechanismen um nichts anderes geht als um die Beziehungen der Menschen zueinander – im Prinzip umso reiner, je weniger sie über direkte wirtschaftliche Prozesse miteinander in Verbindung stehen. Hier liegt ganz selbstverständlich der Ansatz jeder modernen Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie.