"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - VW und Peugeot -

ID 70198
 
AnhörenDownload
Wenn man sich den Aufsichtsrat von Peugeot Citroën SA ansieht, dann hat man einen repräsentativen Querschnitt durch all das, was man sich unter der franko-europäischen Elite vorstellt. Den Chef Louis Gallois kennt man vielleicht von gelegentlichen Auftritten und von seiner Ähnlichkeit mit General De Gaulle her. Er ist ein Absolvent der Eliteuni ENA, hat verschiedene Funktionen in der Regierung bekleidet ebenso wie Leitungspositionen bei allen Arten von Unternehmen wie der Snecma und der Aérospatiale im Bereich Luftfahrt, der französischen Eisenbahnen, beim Airbus-Hersteller EADS und jetzt eben bei PSA.
Audio
10:21 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 28.04.2015 / 13:31

Dateizugriffe: 585

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Umwelt, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 28.04.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Als Vizepräsidentinnen amten Bruno Bézard, der Finanzchef, ebenfalls ENA-Absolvent mit einer Vergangenheit mit Regierungsfunktionen, unter anderem bei jener Stelle, welche die Staatsbeteiligungen verwaltet. Frau Marie-Hélène Peugeot-Roncoroni trägt in erster Linie einen unternehmensgerechten Namen, ansonsten hat sie bloß einen Abschluss des Instituts für Politikstudien in Paris vorzuweisen. Trotzdem ist sie Vizepräsidentin und CEO und Vizepräsidentin der Finanzbeteiligungstochter FFP von Peugeot. Der dritte Vizepräsident ist Herr Xu Ping, Präsident der Dongfeng Motor Corporation sowie der Joint-Ventures Dongfeng Peugeot Citroën Automobile Company, Donfeng Honda Automobile und Dongfeng Renault Automobile Company.

Als Sprecher fungiert Herr Geoffroy Roux de Bézieux, ein schöner alter Name. Er ist ein Abgänger der etwas weniger bekannten, aber ebenfalls effizienten Ecole supérieure des sciences économiques et commerciales Essec und hat seine bisherige Managementerfahrung bei L’Oréal gewonnen sowie als Gründer von The Phone House bzw. Carphone Warehouse und seit 2006 als Gründer von Omea Télécom bzw. Virgin Mobile. Dann kommt Frau Patricia Barbizet mit einem Diplom der Ecole Supérieure de Commerce, ein Gewächs aus der Finanzabteilung von Renault mit einer Vergangenheit beim Luxusgüterkonzern Artémis und weiteren Firmen des französischen Superkapitalisten François Pinault und einer Gegenwart in der Geschäftsleitung von Total und Fnac, abgesehen vom Posten als PDG bei Christie’s International. Pamela Knapp dagegen als weitere Aufsichtsrätin kennen wir von Siemens her und vom Marktinformationsdienst GfK. Jean-François Kondratiuk ist die gewerkschaftliche Beigabe in dieses Gremium, und zwar stammt er von der Force Ouvrière. China ist weiter vertreten mit Liu Weidong, ein Abgänger der Universität Wuhan und ebenfalls Vertreter von mehreren Dongfeng-Firmen.

Dann haben wir den permanenten Vertreter der Hauptaktionärin, der Peugeot-Stiftung, im Aufsichtsrat, nämlich Herrn Robert Peugeot, auch genannt Robert Peugeot der Zweite, den Urenkel von Robert Peugeot dem Ersten. Er ist nicht nur Chef der Peugeot-Stiftung, sondern auch der Bruder der Vizepräsidentin Marie-Hélène Roncoroni, welche im letzten Jahr den anderen Bruder Thierry aus dem Aufsichtsrat verdrängt hat. Ein bisschen Familienknatsch muss auch hier sein, sozusagen beim Industrieadel. Robert der Zweite hat seine Karriere übrigens im Betrieb Sochaux begonnen nach den Studien an der Ecole Centrale de Paris und am INSEAD.

Es tauchen weiter auf Henri Philippe Reichstul, der Lateinamerika-Vertreter mit Wirtschaftsdiplom von der Uni Sao Paulo; er hat in Brasilien ebenfalls verschiedene Regierungsämter bekleidet und Firmen geleitet, unter anderem den Korruptions- und Erdölgiganten Petrobras. Frau Dominique Reiniche war an der Essec wie Ritter Roux de Bézieux und hat sich dann durch den ganzen Kuchen gearbeitet, Werbung bei Procter & Gamble, Marketing bei Kraft Jacobs Suchard und anschließend bei Coca-Cola bis hinauf zur Präsidentin von Coca-Cola Enterprises Europa. Sodann ist sie in der Geschäftsleitung des Versicherungskonzerns AXA und bei weiteren Lebensmittelfirmen. Anne Valleron vertritt die Mitarbeitenden-Aktionärinnen; sie hat wie der Force-Ouvrière-Gewerkschafter ihre Laufbahn ausschließlich bei PSA gemacht, und zwar Citroën-seitig. Schließlich haben wir Frau Florence Verzelen als Vertreterin der französischen Staatsholding Sogepa; ihre Karriere begann nach dem Abschluss der Ecole Polytechnique und der Ecole des Mines beim Investment-Arm der Société Générale und führte zur Europäischen Kommission und dann ins Kabinett des Staatssekretärs für europäische Angelegenheiten in Paris; 2008 trat sie bei GDF Suez in Dienst und ist dort in leitender Funktion im Einkauf tätig. Und endlich Frédéric Banzet, den internen Chefrevisor; er hat eine firmeninterne Karriere hinter sich mit einem Harvard-Abschluss.

Mit dieser Präsentation möchte ich den Rummel etwas relativieren, der gegenwärtig um das deutsche Automobil-Flaggschiff VW veranstaltet wird respektive um den erneuten Krach, den Herr Piëch in der Führungsetage angezettelt hat, nachdem der letzte große Kampf zwischen VW und Porsche dank der sturen Haltung des Landes Niedersachsen und seines damaligen Präsidenten Christian Wulff einerseits zugunsten von Kollege Piëch ausgegangen war, anderseits ein immenses Kurs-Strohfeuer ausgelöst hatte, welches den finanziellen Ruin des Ratiopharm- und Heidelberg-Zement-Aktionärs Adolf Merkle zur Folge hatte mit seinem anschließenden Selbstmord, ihr erinnert euch wohl noch. Diesmal läuft es mindestens bisher ziviler, der Konflikt ist auch weitgehend intern geblieben und bestand bloß aus einem Zerwürfnis zwischen Piëch und Martin Winterkorn, nachdem die beiden 30 Jahre lang offensichtlich gut miteinander funktioniert haben: VW ist mit über 200 Milliarden Euro Umsatz der zweitgrößte Automobilhersteller der Welt nach Toyota, beschäftigt 600'000 Angestellte, was übrigens einen Umsatz pro Kopf von etwas über 300'000 Euro ergibt, wobei man das natürlich nicht so rechnen sollte, weil neben den 600'000 eigenen Beschäftigten sicher nochmals doppelt so viele dazu kommen in Subunternehmen und Zulieferbetrieben. Im Vergleich dazu sind die 55 Milliarden Umsatz von Peugeot sozusagen Peanuts oder auf Französisch Cacahuètes.

Was mir aber in diesem ganzen VW-Theater ganz besonders ins Auge sticht, das ist die Figur des Piëch-Nachfolgers, Berthold Huber, welcher nichts anderes ist als der Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat und früher nichts weniger war als Chef der IG Metall, der angeblich größten Einzel­gewerk–schaft Europas. Selbstverständlich ist Huber eine Übergangslösung, aber immerhin, vorderhand steht er diesem Gigant vor, das heißt, er hat offensichtlich mindestens eine Zeitlang das Vertrauen des gesamten Unternehmens, wenn man von ihm auch nicht gerade die strategischen Weichenstellungen erwarten wird oder dass er das US-Geschäft sanieren wird, dessen Schwäche Piëch ja Winterkorn vorgeworfen hatte. Wir sehen erneut, dass im sozialdemokratischen Staat beziehungsweise in der sozialen Marktwirtschaft eigentlich kein Unterschied mehr besteht zwischen der Gewerkschaftsspitze und den Unternehmen, welche sie hin und wieder zu bestreiken drohen, nur falls noch irgendjemand dieses Beweises bedurft hätte. Allerdings darf man davon ausgehen, dass Monsieur Kondratiuk im französischen Frankreich nie und niemals auch nur in Betracht gezogen würde für eine ähnliche Funktion – das sieht man übrigens schon auf dem Foto, das auf der Firmenwebseite prangt und wo Kondratiuk als Konzession an die Force Ouvrière als einziger Herr keine Krawatte trägt. Nein, in Frankreich würde es ganz allein der Standesdünkel nicht zulassen, dass ein Gewerkschafter den Aufsichtsrat leiten würde, einer, der weder die ENA noch das Polytechnikum noch die Essec usw. usf. absolviert hat. In diesem Punkt unterscheidet sich Deutschland ganz grundlegend vom Nachbarn, und ich bin geneigt zu sagen, in diesem Punkt ist Deutschland Frankreich deutlich voraus. Immer unter der Voraussetzung, dass man die Auf­wei­chung der Klassengrenzen oder der Klassengegensätze als Fortschritt ansieht, selbstverständlich.

Aber sprechen wir doch von etwas anderem. Ihr mögt euch vielleicht noch daran erinnern, dass der Schweiz. Tierschutz vor einem Jahr dagegen protestierte, dass anlässlich des Zürcher Sechseläutens beziehungsweise des Umzugs der Zürcher Zünfte tote Fische auf die Balkongs von lebenden Häusern geworfen wurden mit der Begründung, man verstoße damit gegen die Würde der Fische. Dieses Jahr fand der Tierschutz unter der kundigen Leitung seines Präsidenten York von Ditfurth Pferdefutter, nämlich krachte eines der Pferde, welches einen reitenden Zünfter trug, beim Kreisgalopp um den brennenden Wintermann zusammen, plötzlicher Herztod oder Kreislaufgalopp bzw. –kollaps, was weiß ich, und da hielt Ditfurth völlig korrekt fest, dass die Pferdetiere in diesem Kreislaufgalopp nicht flüchten könnten, und es fielen noch andere gescheite Worte. Dies kam just nach einer weiteren Tierschützer-Kampagne, welche sich erneut mit dem Thema Fisch beschäftigte, und zwar diesmal mit dem Fischen, und zwar dem Fischen durch Kindeshand. Die Kinder, welche schon im zarten Alter damit begännen, würden zu aggressivem Verhalten erzogen, und zwar nicht wegen des Fischens selber, sondern wegen des daran anschließenden Totschlagens des Wildfangs. Das ist uns doch wieder eine schöne Entdeckung jener Menschen, die sich mit Garantie mehr um das Seelenwohl der seelenlosen Kreatur kümmern als um das Wohlergehen ihrer Mitmenschen. Ich muss ja zugeben, dass ich ebenfalls periodisch von Fragen umgetrieben werde, die eigentlich überhaupt keine Relevanz haben, vor allem nicht angesichts von Ereignissen wie zum Beispiel diesem gewaltigen Erdbeben in Nepal mit seinen hunderten oder tausenden von Todesopfern, das zudem noch karikiert wird durch die Berichte über all die Mount-Everest-Touristen, die sich mehr oder weniger auf den Gipfel hinauf tragen lassen möchten und jetzt plötzlich den gleichen Natur­gewalten ausgesetzt sind wie die Einheimischen, möglichst schnell abhauen möchten, im Gegensatz zu den Einheimischen, welche das ja nicht können, und trotzdem vorderhand noch feststecken. Trotzdem bleibt einem durchschnittlichen Menschen auf der europäischen Kontinentalplatte ja fast nichts anderes übrig, als sich eben mit den Details seines eigenen kleinen Lebens zu beschäftigen und sich über völlig unbedeutende Dinge zu ereifern, und das kann sogar ein falsch angewendeter Konjunktiv sein, wer weiß. Trotzdem: dass man sich gar zum Schutz der Würde von toten Fischen hergibt oder eben behauptet, das Fischen mache unsere moderne Kindheit aggressiv, das sollte der Zeitgeist, das sollte die Weltgeschichte nicht zulassen, das macht nämlich höchstens mich aggressiv.