Schwarze Löcher dehnen sich aus - zur "Reform" des Verfassungsschutzgesetzes

ID 71319
 
Kontextualisierender Kommentar zur von der Großen Koalition betriebenen Reform des Bundesamtes für Verfassungschutz, bzw. des dazu gehörenden Gesetzes - vor dem Hintergrund insbesondere des NSU-Skandals.
Audio
13:32 min, 19 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 04.04.2022 / 10:42

Dateizugriffe: 758

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Arbeitswelt, Kultur, Politik/Info
Serie: mikro.FM
Entstehung

AutorInnen: mikro.fm
Radio: FRBB, Berlin und Brandenburg im www
Produktionsdatum: 28.06.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Vorschlag für Anmoderation:

Nachdem in den vergangenen Jahren im Bund und in verschiedenen Bundesländern Untersuchungsausschüsse zu den NSU-Morden getagt haben, wird in diesen Wochen ein Gesetz zur "Reform" der Befugnisse der Inlandsgeheimdienste verhandelt. Es folgt ein Kommentar der Redaktion von mikro.fm, colaboradio, Berlin:
"Schwarze Löcher dehnen sich aus"

Anfang: "Große Koalitionen haben es in ..."
Ende: "...die Tendenz, sich stetig zu vergrößern."

Script:

Große Koalitionen haben es in sich. Erst recht, wenn sie in die Mehrzahl treten.
GroßE KoalitioNEN. Da ist zum einen das von der BILD-Zeitung zur "GroKo" verniedlichte Aufräumkommando des demokratischen Rechtsstaats,
das verlässlich falsch macht, was nur irgend falsch zu machen geht.
Da wurde, beispielshalber, Anfang Juni 2015, nach 146 Jahren mit dem sogenannten "Tarifeinheitsgesetz"
die älteste Errungenschaft der Arbeiter/innen-bewegung die Koalitionsfreiheit abgeschafft.
Jenes mit Blut und wilden Streiks erkämpfte Rechtsgut, das bereits im Norddeutschen Bund, 1869, eingeführt worden war - das Tarifeinheitsgesetz, es ist so falsch wie der Sirenengesang der
Bundesarbeitsministerin Nahle, die keine Mühe, keinen Abgrund scheut,
ICH MACH MIR DIE WELT WIE SIE MIR GEFÄLLT
in die wahrlich groß geratenen Fußstapfen ihrer Vorgängerin, Ursula - ZENSURsula - von der Leyen zu treten - und da ist dann auch, ums Eck, apropos Treten,
apropos Zensursula, apropos GroKo, apropos Aufräumen für den scharf gestellten Staat - die Vorratsdatenspeicherung, die, im Verein mit der sogenannten PKW-Maut, für die Totalüberwachung jeder Mobilität in diesem unserem Land sorgen soll - denn die "Infrastrukturabgabe" - geschenkt,
dass die EU-Kommission dagegen opponiert, - die "Infrastrukturabgabe" belässt es ja nicht bei einer billigen Plakette, die schlicht an die
Windschutzscheiben zu kleben wäre - der Skandal der Infrastrukturabgabe liegt ja
nicht im Erheben einer Straßennutzunggebühr,
wie uns öffentlich-rechtliche und Konzernmedien konsequent einhämmern, - der Skandal liegt im konsequenten Verschweigen des Datenschutz', der bei der PKW-Maut der Großen Koalition komplett auf der Strecke bleibt. Denn die "Infrastrukturabgabe" setzt auf nicht weniger als die elektronische
Erfassung jeglichen motorisierten Verkehrs in Deutschland. Die "Infrastrukturabgabe" organisiert also vor allem die Abgabe von Daten, und zwar eben jener
Daten, die bei der Nutzung dieser Infrastruktur entstehen können. - Das genau ist der Umstand,
den öffentlich-rechtliche und Konzernmedien in ihren Empörungskampagnen zur PKW-Maut
geflissentlich überspielen. Denn die Frage lautet nicht: Was kostet dich die Maut? Sondern: Was sind ihnen deine Bewegungsdaten wert? Mehr als die Brücken, zu deren Einsturz es nicht einmal mehr vom
Verfassungsschutz ausgebildete Terrorzellenheinis braucht?
In jedem Fall ist die "Infrastrukturabgabe" ein weiteres Projekt des Abrissunternehmens
demokratischer Reststaat:
Totale Erfassung des motorisierten Verkehrs durch die Erhebung der 'PKW-Maut'; totale Erfassung aller GSM und IP-basierten Kommunikation durch die Vorratsdatenspeicherung,
die - hätte er einen, könnte man von Wendehals sprechen - Sigmar Gabriel mit einer an Helmut
Kohl erinnernden Massenwucht durchdrückte - nun - wir kommen endlich zur Großen Koalition
der besonderen Art, zur "Reform" des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Das heißt, wir kommen zur weiteren Verschränkung von Geheimdiensten und Polizei, zum Aufbau eines Bundessicherheitshauptamts.
Genau hier zeigte sich jüngst die besagte große Koalition der besonderen Art. Sie reicht vom
rechten Rand mutmaßlicher Kompetenzlosigkeit bis
nach ziemlich weit Links in der Linken, von der Bundesbeauftragten für Datenschutz, Andrea Voßhoff,
CDU, bis innenpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion der Partei die Linke, Ulla Jelpke. Wow.
Was schäkert, um alle Welt, denn da noch der Gysi mit der SPD in ihrer ganzen, spätwilhelminischen
Pracht? Aber gemach. Der Reihe nach. _So_ einfach ist das nicht. Und die Zukunft sieht weiterhin
düsterer aus, als selbst ambitionierte Pessimisten allgemein zu träumen wagen.
Das Bundessicherheitsamt kommt. Die strenge Trennung von Polizei- und Geheimdienstbefugnissen, die vom deutschen Grundgesetz vorgesehen war, nachdem die deutschen Faschisten mit ihrem
Reichssicherheitshauptamt die zentrale Instanz für Terror nach Innen und Außen geschaffen hatten; die strenge Trennung von Polizei- und Geheimdienstbefugnissen, sie ist seit spätestens Schäuble und Schily passe'. Und Thomas de Maizere, der aktuelle Bundesinnenminister, oder genauer, sein Apparat und dessen langer Arm
im Bundeskanzleramt, Klaus Dieter Fritsche, sie können es nicht lassen, und machen einfach weiter, wo sie nie aufgehört haben. Aus Skandalen werden sie nicht bescheiden oder gar klug, sondern größer und dreister. Was steht am Ende von dreieinhalb Jahren NSU-Skandal? Die Erkenntnis, dass es den Neo-Nazi-Terror ohne die massive Unterstützung der hierzulande Verfassungsschutzämter genannten
Inlandsgeheimdienste nie gegeben hätte.
Was in der Öffentlichkeit wahlweise als Pannen, Pannenserie oder, _ganz_ schlicht, _Defizite_ verkauft wurde, die amtlichen Nebelkerzen,
Schredderaktionen, Vertuschungen, Falschaussagen, Lügen, Manipulationen, die plötzlich und unerwartet aus dem Leben geschiedenen Zeugen - mal eine
unerkannte Diabetes, mal ein unerkannter Liebeskummer,
- die Betonung liegt, bitte, auf _un_erkannt_ - die Mauer des Schweigens der Nazi-Zeugen und
-Beschuldigten im NSU-Prozess, die staatlich organisierten Erinnerungslücken der Zeugen von
Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz, die groteske Rolle diverser föderal verwesender Landesämter, die Gegenaufklärung durch die Bundesanwaltschaft,
die bis zur letzten Patrone der Ceska-Mordserie durch- und an ihrem Konstrukt vom NSU als einer Terrorzelle festhält - all dies,
in seiner bislang eher gemutmaßten Monstrosität, offenbart einen mardoden, bis in das Dekor der
Büropflanzen seiner Amtsstuben maroden Apparat, offenbart die mit den Fassaden parlamentarischer
Kontrolle versehenen Ruinen einer, am Ende spezifisch deutschen Sicherheitsarchitektur. Da wird nicht mal schnell und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt wie jüngst beim westlichen Nachbarn
ein französischer Patriot Act, durch die Parlamente gejagt.
MOI? OUI! NO. OH.
Nein, wir sind im, wie der Hindengauck sagt, besten Deutschland, das es je gab, und so passiert,was passiert, wenn was passieren muss. Der Ruf nach Reformen. Reformen, die niemand anderes als ausgerechnet das Bundesministerium des Inneren umzusetzen hatte. Eben jenes Ministerium, das den ganzen Schlamassel um den NSU letzlich zu verantworten hat. Und so wurden unter der Ägide von Thomas de Maizere, dem Großmeister der Apparate -und seiner grauen Eminenz,
dem, wie der Stern schrieb, mächtigsten Beamten der Republik, Klaus Dieter Fritsche sowie anderer, übrigens durchgehend, Männer - ein
grandioses Personalkarussel gerührt.
Erst wurden in den vergangenen Jahren die Präsidenten diverser Bundes- und Landesämter
ausgetauscht - am prominentesten der Karriere- Jurist Hans Georg Maaßen, der sich mit seinem perfiden Gutachten zum Guantanamo-Gefangenen Murat Kurnaz für Höheres empfohlen hatte, - seinerzeit, als Frank -Gewaltherr- Steinmeier eine gute Begründung brauchte, warum dieses Land keine Folteropfer der US-Terrorjustiz aufzunehmen gedenke; der Jurist, der hierfür eine juristisch so saubere wie moralisch und humanitär perfide Lösung fand:
der Jurist Hans Georg Maaßen ist inzwischen Präsident des Bundesamtes für Verfasschungsschutz - oder, eine weitere gut ausgestattete Personalie, inzwischen in der Pegida-Provinz: der ehemalige
NSU-V-Mann-Führer, Gordian Meyer-Plath. Das ist nicht: den Bock zum Gärtner machen. Das ist Licht kraft Dunkelheit; Dunkelheit durch Dunkelmännerei. Und es geht weiter, - schließlich sind hier Juristen
am Werk - mit den "Reformen". Auf die Enthauptungschläge folgt der Eingriff in die Strukturen, folgt ein Prozess der Zentralisierung und Erweiterung der geheimdienstlichen Befugnisse. Was bisher nur auf Anfrage möglich war, es wird Pflicht. Was bisher unmöglich war, es wird möglich, was illegal war,
erhält endlich die hohen Weihen der Legalität.So werden V-Leute nicht etwa abgeschafft, sondern ihre
'szenentypischen Straftaten' werden mit Straffreiheit noch belohnt.
Umgekehrt geraten Randperson, also gänzlich Unbeteiligte, in das Raster der Geheimdienste, denn es sollen Volltextdateien eingeführt werden, die keine Bürger mehr kennen, sondern nur noch Gegner.
ICH? NEIN! DOCH! OH!
Auch die Extremismus-Keule, die viele seit dem Abgang der Frauen- und Jugendministerin Christina Schröder für ein Relikt der Steinzeit hielten, aus der sie
beide kamen - die Ministerin, wie die Keule - nein, die Extremismus-Keule glüht: Galt unter Kristina Schröder rechts gleich links, gilt nun der Terror der Mitte: Extrem
kann nunmehr alles sein, was möglicherweise extrem sein könnte
und so sollen die Polizeien von Bund und Ländern gegenüber den Geheimdiensten einer Übermittlungspflicht für alle möglichen Arten von 'Extremismus' unterliegen. Die Geheimdienste, ihrerseits, sollen den Polizeien Daten für sogenannte Gefährdungsanalysen liefern. Die Trennung von Geheimdiensten und Polizei ist vorbei. Denn damit, so kritisierte die Bundesdatenschutzbeauftragte
Voßhoff, von der CDU (!), würden
Zitat "die Barrieren für einen umfassenden, fast voraussetzunglosen und verfassungswidrigen Datenfluss
gefallen". Zitatende Wer nun glaubt, das Ministerium des Inneren hielte inne - irrt gewaltig. Nicht etwa wurden die Argumente der Bundesdatenschutzbeauftragen gehört, oder gar berücksichtigt - die Bundesdatenschutzbeauftragte,
die CDU-Frau Voßhoff, wurde seitens der CDU-Bundestagsfraktion von den weiteren Anhörungen im Innenausschuss ausgeschlossen.
Unterstützung fand Frau Voßhoff nur bei der auf den I-Punkt der Linken geschrumpften Opposition im
deutschen Bundestag, bei Ulla Jelpke, - hier schließt sich der Reigen der seltsamen Großen Koalitionen dieser Zeit. Im Innenausschuss des Bundestages freilich hieß dies, dass statt der Bundesdatenschutzbeauftragten der
Murat Kurnaz Versteher, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungschutz, Hans Georg Maaßen, als Experte geladen wurde. Und der befand, von Amts wegen, das alles gut eingerichtet sei. Denn schließlich formuliert der
Gesetzentwurf eine Zentralsierung der Befugnisse der Inlandsgeheimdienste hin zum Bundesamtes in Köln. Dort sollen demnächst 261 neue Planstellen geschaffen werden. Schwarze Löcher haben schließlich die Tendenz, sich stetig zu vergrößern.


Ausführlicher zum VS-Gesetz: der Artikel von Susanne Lang in AK: http://www.akweb.de/ak_s/ak606/42.htm

Kommentare
29.06.2015 / 10:02 pia anna, Radio Dreyeckland, Freiburg
im mora gespielt
danke
 
29.06.2015 / 16:36 Nico, Radio Corax, Halle
gesendet
... im Mittagsmagazin heute nach dem Gespräch mit David Begrich: http://www.freie-radios.net/71332 Danke!
 
06.07.2015 / 08:22 hikE, Radio Unerhört Marburg (RUM)
in Frühschicht 6.7.2015
gespielt. Danke!