Nicaragua: Umstrittener Kanal

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Der nicaraguanische Cocibolca See ist ein Touristenparadies, doch demnächst droht vielleicht der Kollaps: Dann nämlich, wenn der geplante Kanal durch Nicaragua Wirklichkeit wird.Während Nicaraguas Präsident Daniel Ortega durch das 40 Milliarden Dollar Projekt Hunderttausende neuer Arbeitsplätze verspricht, symbolisiert der Nicaragua-Kanal für andere die Aushöhlung der Demokratie und eine ökologische Katastrophe. Manche halten das ganze Projekt gar für ein lukratives Luftschloss. Auf solche Kritik reagiert Nicaraguas Regierung zunehmend allergisch.
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mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 24.09.2015 / 10:27

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Politik/Info
Serie: Fokus Menschenrechte 2015
Entstehung

AutorInnen: Markus Plate
Radio: npla, Berlin im www
Produktionsdatum: 24.09.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Quer durch die Demokratie
Nicaraguas Kanalprojekt und die Menschenrechte

Während Nicaraguas Präsident Daniel Ortega durch das 40 Milliarden Dollar Projekt Hunderttausende neuer Arbeitsplätze verspricht, symbolisiert der Nicaragua-Kanal für andere die Aushöhlung der Demokratie und eine ökologische Katastrophe. Manche halten das ganze Projekt gar für ein lukratives Luftschloss. Auf solche Kritik reagiert Nicaraguas Regierung zunehmend allergisch.


Atmo - Wellen Ometepe

Sprecher
Gemächlich schwappen kleine Wellen ans Ufer. Auf dem Wasser werfen Fischer von Holzkanus ihre Netze aus. Am grauen, vulkansandigen Strandsaum machen Urlauber einen Morgenspaziergang. Das Paradies hat einen Namen: Ometepe. Die Insel mit den beiden Vulkanen Concepción und Maderas liegt im Lago Cocibolca, auch Nicaragua-See genannt. Ometepe ist UNESCO-Biosphärenreservat und ein Magnet für Öko- und Rucksacktouristen.

Atmo - Panamakanal

Sprecher
Wenn die Pläne der Nicaraguanischen Regierung und des chinesischen Konsortiums HKND wahr werden, könnten in Zukunft wenige Kilometer vor Ometepe riesige Containerschiffe vorbeiziehen. Dafür allerdings müsste der See auf 85 Kilometer Länge und 500 Meter Breite auf 30 Meter Tiefe ausgebaggert werden. „Das massive Ausbaggern und der Öleintrag der Schiffsmotoren werden den See umkippen lassen“, sagt Ruth Herrera voraus. Herrera war bis 2010 Chefin des staatlichen Wasserversorgers. In dieser Funktion hat sie Zehntausende Menschen am entlegenen nordöstlichen Ufers des Sees an die Trinkwasserversorgung angeschlossen – bevor sie bei Ortega in Ungnade fiel und gehen musste.

O-Ton - Ruth Herrera
Die Entscheidung, die wichtigste Süsswasserquelle des Landes einem privaten Investoren zu übergeben, ist ein Verbrechen am Recht der Bevölkerung auf Trinkwasser. Wenn man sich anschaut, dass wir durch den Klimawandel, die Erderwärmung un die Entwaldung in Zukunft riesige Probleme mit der Wasserversorgung haben werden, dann würde doch jede halbwegs verantwortungsbewusste Regierung schauen: Wie kann ich die Wasservorräte sichern, und wie kann ich trotz Wasserverknappung die Trinkwasserversorgung sicherstellen. Der Kanal garantiert Nicaragua weniger Einnahmen, als wenn man das Wasser, was wir nicht benötigen, in Flaschen abfüllen und verkaufen würde.

Sprecher
Dagegen ist es gerade eines der Lieblingsargumente von Ronald MacLean, dass der Kanal der Umwelt und dem Wasserhaushalt zu Gute kommt – abgesehen davon, dass Nicaragua durch den Kanal zum mit Abstand reichsten Land Zentralamerikas werde. MacLean ist Sprecher des Kanalbauprojektes für den chinesischen Investor HKDN, vorher war er mal Umwelt-, Außen- und Wirtschaftsminister Boliviens – in den neoliberalen Regierungen vor Evo Morales.

O-Ton - Ronald MacLean
In unserer Region haben wir durch Kriege und die Armut unsere Nationen entwaldet und wir haben gar kein Geld, um unsere Flusssysteme und die Umwelt allgemein zu schützen. Der Kanal aber, der wird genügend Geld ins Land bringen, um wieder aufzuforsten und den See zu säubern und zu schützen. Das sieht man zum Beispiel am Panama-Kanal. Da ist das Wasser so sauber, dass es trinkbar ist.

Sprecher
Carlos Fernando Chamorro ist Chef des besucherstarken Internetmagazins Confidencial, das auch Fernsehmagazine produziert. Nachdem die Somoza Diktatur seinen Vater, Pedro Joaquín, Herausgeber der wichtigsten Tageszeitung La Prensa hatte ermorden lassen, stellte sich Chamorro auf die Seite der sandinistischen Revolution. Die Zeiten sind lange vorbei, mittlerweile ist der Journalist einer der wichtgsten Kritiker des Systems Ortega. Das Kanalprojekt sieht Chamorro mit gemischten Gefühlen, technisch sei es beherrschbar, Nicaragua könnte es durchaus Vorteile bringen. Seine Kritik richtet sich gegen etwas ganz anderes:

O-Ton - Chamorro 2
Es ist richtig und wichtig, dass über ein solches Projekt diskutiert wird. Der Kanal ist für Nicaragua seit jeher ein Objekt grosser Hoffnungen gewesen. Aber man kann ein solch wichtiges Projekt nicht auf Kosten der nationalen Souveränität und der demokratischen Institutionen durchziehen. Die Konzession errichtet in Nicaragua eine private Enklave, wo der Konzessionär machen kann, was er will. Das Problem an diesem Projekt ist die Geheimniskrämerei. Und dass die Institutionen Nicaraguas weitgehend ausgeschlossen sind.

Sprecher
Denn laut Maura Madriz, die im Centro Humboldt in Managua seit Monaten zu den Umweltauswirkungen der möglichen Kanaltrassen arbeitet, umgeht die Kanalbaukonzession alle geltenden Gesetze. Zum Beispiel dürfe der nebulöse HKDN die erforderlichen Umweltstudien selbst durchführen. Überhaupt sei die Konzession ein Maulkorb für Nicaragua und ein Freibrief für den Investor.

O-Ton - Maura Madriz
Das Konzessionsgesetz 840 legt fest, dass alle Gesetze und Verordnungen, die auf nationaler oder lokaler Ebene das Kanalprojekt einschränken könnten, für eben dieses nicht gelten oder ganz gestrichen werden. Nach dem selben Gesetz sei es den Behörden des Landes untersagt, zivil- und strafrechtliche Prozesse gegen HKDN einzuleiten, zum Beispiel bei Umweltvergehen Verletzungen des Arbeitsrechts. Auch Genehmigungs- und Einspruchsfristen sind weitgehend ausgehebelt. Um die Autonomierechte der indigenen und afroamerikanischen Bevölkerung ist es noch schlimmer bestellt.

Sprecher
Doch noch ist gar nicht sicher, ob der Kanal überhaupt, wie von HKDN und Präsident Daniel Ortega versichert, ab Dezember tatsächlich gebaut wird. Wie wird sich Washington zu einem Projekt in seiner Einflusssphäre verhalten, das China kontrolliert und an dem auch Russland großes Interesse bekundet hat. María López Vigil hegt jedenfalls ihre Zweifel. Die mittlerweile 70-jährige ist Chefredakteurin der Monatszeitschrift Envio, die zu Revolutionszeiten die Sandinisten freundschaftlich begleitete, die dem System Ortega aber sehr kritisch genüber steht:

O-Ton - Maria López Vigil
Es gibt ja viele Experten, die sagen, es brauche keinen neuen Kanal in Zentralamerika und die sehr bezweifeln, dass eine solche Verbindung jemals rentabel sein wird. Er würde also riesige Schäden verursachen, aber wohl wenig Profit versprechen. Ich persönlich glaube nicht, dass der Kanal tatsächlich gebaut wird. Aber gut, ich bin keine Ingenieurin und keine Ökonomin, ich bin nur eine kleine Journalistin, die sich die Umstände des Projektes und diese Regierung anschaut. Ich glaube, hinter dem Projekt geht es um ganz andere Sachen. Ein gigantisches Spekulations- und Geldwäscheprojekt, ein chinesischer Testballon, um zu sehen, wie weit man in die Interessensphäre der USA vordringen kann, ein Luftschloss und innenpolitischer Schachzug, die Ortega und seinen Leuten über viele Jahre die Wiederwahl garantiert. Man muss ja wissen, dass der Traum von Wohlstand durch eine Schiffsverbindung seit 300 Jahren in der nicaraguanischen Mentalität verankert ist.

Sprecher
Auch Victor Hugo Tinoco, Abgeordneter der Bewegung zur Erneuerung des Sandinismus, zweifelt daran, dass der Kanal jemals Wirklichkeit wird:

Victor Hugo Tinoco
Ich glaube nicht, dass der Kanal wirklich gebaut wird! Er ist kaum zu finanzieren und technisch extrem anspruchsvoll. Aber der Bau der Häfen, Freihandelszonen, der Flugäfen und die Tourismusprojekte sind extrem lukrativ – für den chinesischen Investor, für nicaraguanische Unternehmer und vor allem für das Firmenimperium, dass die Familie Ortega in den letzten Jahren aufgebaut hat.

Sprecher
Auf Kritik am Kanalbauprojekt reagieren Nicaraguas Behörden zunehmend allergisch.
Beim Spatenstich im Dezember 2014 ging die Polizei gegen zwei Demonstrationen von Bauern an der geplanten Kanalroute vor. 50 Verletzte waren die Folge, fast 50 Menschen hatte die Polizei wenn auch nur für einige Tage verhaftet. Mitte Mai warfen die Behörden mehrere NGO-Mitarbeiter aus dem Land, die den Feierlichkeiten zum 25. Geburtstag des Nicaraguanischen Menschenrechtszentrums CENIDH teilnehmen wollten. Besonders allergisch reagiert die Regierung offenbar auf internationale Berichterstattung zum Kanalprojekt. Mindestens einem Fernsehrteam und einer Dokumentarfilmerin wurde bei der Einreise am Flughafen Managua die Ausrüstung beschlagnahmt. Und es trifft auch Workshopleiterinnen, vor allem wenn sie in der Provinz Rio San Juan, also in der Nähe der Kanaltrasse, mit Kooperativen zusammenarbeiten:

O-Ton anonym
Meine Kollegin und ich haben Workshops in einer landwirtschaftlichen Kooperative gegeben und in dem Rahmen auch ein Community-Radio besucht. Bei der Ausreise sind wir von den Behörden zwei Stunden lang festgehalten und befragt worden. Das war schon sehr unangenehm.

Sprecher
An der Grenze nehmen die Nickeligkeiten seit den Protesten vom Dezember zu. Einreisende, die nicht offensichtlich Touristen oder regelmäßige Grenzgänger sind, werden gefilzt und mittlerweile oft auch verhört, insbesondere, wenn sie professionelles Equipment dabei haben. Den Kanal sprechen die Beamten dabei nicht an, sie wollen aber genau wissen, wo und mit wem sich Einreisende aufhalten. Für Aktivitäten mit nicaraguanischen NGOs sind mittlerweile offizielle Einladungsschreiben empfehlenswert, Besuche bei unabhängigen Medien benötigen nach Aussagen von Grenzbeamten mittlerweile die Genehmigung des Regierungsministeriums. Nicaraguas Regierung scheint jede Kritik an dem Megaprojekt verhindern zu wollen. Seltsam eigentlich bei einem Projekt, das Nicaragua dauerhaften Wohlstand bringen soll.

Kommentare
25.09.2015 / 20:23 AL, coloRadio, Dresden
wurde
im Magazin gesendet.