Der 5. Kanal – oder eine andere Heimatfindung

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Mögliche Anmod.:

Allmählich genervt von den momentan betont heimatlichen Beiträgen/Klängen im öffentlich rechtlichen Fernsehen die - und das sei betont - auch wohl Ihre Vorzüge haben .
Hat sich SONAR im Bermudafunk auch an Vergangenes erinnert -
Vor nämlich - den gesamtdeutschen „blühenden Landschaften“ - , gab es den Schriftsteller Uwe Johnson, der beiden deutschen Staaten gleichermaßen kritisch gegenüberstand.
Übergewechselt – vor dem Mauerbau - in die damalige Stadt Westberlin, mochte Johnson dennoch keine grundsätzlichen, ideologischen Einseitigkeiten gelten lassen.
Und schrieb für den Berliner Tagesspiegel eine Reihe von ironischen Rezensionen über das frühe Fernsehprogramm der DDR, die heute noch durchaus lesenswert sind.
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03:09 min, 2960 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 08.10.2015 / 16:15

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Andere, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Bermudasonar
Radio: bermuda, Mannheim im www
Produktionsdatum: 08.10.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Der 5. Kanal

Kürzlich aus meiner Büchergruft ein schmales Bändchen der Edition Suhrkamp herausgekramt.
„Der 5. Kanal“.
Autor der kurzen Artikel des Bandes ist der heute wieder gesamtdeutsche Schriftsteller Uwe Johnson.
Heutzutage wenig bekannt, schrieb Johnson, - ab Mitte 1964 - nämlich Fernsehkritiken für den westdeutschen Berliner Tagesspiegel.

Fernsehkritiken jedoch besonderer Art!
Denn auf seine trocken ironische Weise beschrieb Johnson – noch vor dem Mauerbau in den Westen übergesiedelt – hier, das noch junge Fernsehprogramm der DDR.

Hier ein Auszug vom 23. Juni 1965:

„Mancher Zuschauer, der dem Kanal 5 am Sonntagabend das Spiel Spanien gegen Sowjetunion abnahm, mag dem folgenden Atelierspiel „Jenny Marx“ noch eine Weile zugesehen haben, aber mit Gruseln und nicht lange. Denn da waren historische Personen naturalistisch rekonstruiert, was den Effekt eines mechanisierten Wachsfigurenkabinetts machte, und ihnen waren Texte so penibel in den Mund gelegt, dass alle mit hohler Stimme sprechen mußten,
(…)
Und weiter:
(…) Da konnte auch Gisela May
( eine hoch berühmte Schauspielerin im Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm )
nicht mehr tun, als abwechselnd sich an Hals und Stirn greifen:“

Wie kams aber zu diesen Kritiken des „Ulbrichtschimmers“, des 5. Kanals, dem „westlichsten Brückenkopf von Intervision“ - wie die Westberliner damals spöttelten?

Johnson erklärt es in seinen Frankfurter Vorlesungen von 1979 im Kapitel „Aufträge“:

„Ein … Auftrag verdankte sich der Tatsache, dass keine einzige Tageszeitung in Westberlin nach des Mai 1964 das Programm des „Deutschen Fernsehfunks“, also der D.D.R. Anstalt in Berlin Adlershof abdruckte.
Das ging schon vier Jahre so, nämlich seit der Verlag Axel Springer im Sommer 1960 mit anderen Programmzeitschriften ein Kartell aufgezogen hatte, dessen Zweck die Unterdrückung des Ostfernsehens war, solange die Presse der D.D.R. es versäume, ihre Leser über das Westfernsehen zu berichten.“

Allerdings gab es damals eine Anzahl von Leuten - etwa zwischen 600 000 und 700 000 Zuschauerinnen - meinte Johnson - , die eher wohl in Westberlin beheimatet waren und die durchaus über das „gesamtdeutsche“ Fernsehprogramm informiert sein wollten.
Und vornehmlich wohl am Montag Abend sich alte Schmonzetten der UFA ansahen. Die sendete nämlich nur der Adlershof.

Johnson schrieb darüber selbstironisch:

„(…) Um etwas an dem kaputten öffentlichen Selbstverständnis der Stadt zu reparieren, schloß jemand (ohne nennenswerte Kenntnis des Fernsehbetriebs) mit dem westberliner „Tagesspiegel“ einen Vertrag „
- hier in konsequenter Kleinschrift - ,
der da lautete:
„wenn ihr das ostberliner Programm druckt, dann rezensier ich euch das.“

Das liest sich heute – nach fast genau 50 Jahren – mehrfach gebrochen ironisch durch die Linse des heutigen öffentlich rechtlichen Fernsehprogramms, das UNS schon seit einer Woche mit Heimatsendungen
– und kein Ende ist abzusehen -
„heimsucht“.

Zum Nachlesen hier der Titel:
„Der 5. Kanal“ von Uwe Johnson.
Erschienen in der Reihe „edition suhrkamp“.
Frankfurt am Main. 1979.