Selektionszentrum Hamburg - Rahlstedt: Redebeitrag der Demonstration zu dem Angriff auf einen "Bettler"

ID 79293
Redebeitrag zu dem Angriff und zu einem Angriff in Berlin (Hauptteil)
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Zu dem Angriff hier der link: https://www.hinzundkunzt.de/brutaler-ang...
(Achtung trigger wegen Schilderung schwerster Gewalt)
Im zweiten Teil eingelesener Text zur Wahrnehmung während der Demonstration vom Sonnabend:
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Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen; nfsu
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 03.10.2016
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
Eindrücke und Erkenntnisse durch die Demonstration vor Ort
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Skript
Ein Abschiebelager für Hamburg
Eindrücke und Erkenntnisse durch die Demonstration vor Ort

Etwa 150 Aktivist_innen demonstrierten am Samstag gegen das sogenannte „zentrale Ankunftszentrum“ in Hamburg Rahlstedt. Eine politische Bewertung dieser Institution haben wir bereits im aktuellen Transmitter vorgenommen (http://www.fsk-hh.org/files/tm1016.pdf). Es handelt sich de facto um ein Abschiebelager im Landesinneren, dessen Arbeitsweise nahezu deckungsgleich mit dem ist, was die CSU als sogenannte Transitzonen an den Landesgrenzen gefordert hat. Menschen werden kaserniert, isoliert, entmenschlicht, entrechtet, selektives Ausschließen nach rassistischen Kriterien und Abschiebungen werden beschleunigt. Welche Eindrücke und Erkenntnisse nehmen wir mit vom Nachmittag im städtischen Randgebiet?

Selbstverständlich findet eine solche Demonstration nicht ohne Polizeipräsenz und eine entsprechende Zahl von „Wannen“ und „Behelmten“ statt. Wie auch bei den Solifesten im Lager Horst reihen sich die Bereitschaftspolizisten in unmittelbarer Nähe des Eingangsbereichs zum Lager auf. Dabei stellt mensch sich die Frage, ob das eine bewusste Einschüchterungstaktik ist oder ob den sich beteiligenden Beamten die Empathie und die kognitiven Fähigkeiten fehlen, dass ein solches martialisches Auftreten ein Bedrohungsgefühl bei traumatisierten Menschen auslöst, die gerade vor staatlicher Verfolgung, Folterung, Krieg und anderen Gewalterfahrungen geflüchtet sind. Letzteres, also fehlende Empathie und kognitive Fähigkeiten, lassen sich zwar nicht in Gänze ausschließen. Die Tatsache, dass Menschen, welche die Demonstration vor dem offiziellen Ende verlassen haben, von den Cops kontrolliert wurden, zeigt jedoch, dass es dem Polizeiapparat zweifelsfrei um Einschüchterung durch repressive Maßnahmen geht – und zwar auch gegen die entstehenden Unterstützer_innenstrukturen.

Auch beim Blick ins Lager fällt auf, dass dieses nicht so modern eingerichtet ist, wie es uns die Politik glauben lassen mag. Dixi-Toiletten ergänzen zumindest feste Sanitäranlagen. Manche Gebäude haben Außentreppen die aus Stahl zusammengeschraubt sind. Dabei ist jedoch nicht klar, ob dies die einzigen Zugänge zu dem Gebäude sind oder ob es sich um zusätzliche Fluchtwege, z. B. bei eventuellen Brandanschlägen, handelt. Der sogenannte Lärmschutzwall, den die Stadt extra hat bauen lassen, ist ein Zaun zum Einsperren der Menschen. Das Gelände ist an einigen Stellen einsehbar, Schall wird dort nicht zurückgehalten. Dafür gibt es auch keinen Grund, denn weit und breit wohnt sonst niemand, der gestört werden könnte. Die Großtankstelle, die etwa 30 Meter vom Abschiebelager entfernt ist, könnte einen Lärmschutzwall eher gebrauchen, damit die Geflüchteten zur Ruhe kommen können. Die Ausländerbehörde ist ebenfalls in das Abschiebelager eingezogen und scheint „ihre“ Hamburger Gitter nicht nur mitgebracht, sondern auch gleich aufgestellt zu haben. Einen Spielplatz, eine Wiese, eine Sitzbank, eine Tischtennisplatte, einen Basketballkorb, ein Kiosk oder irgendeinen anderen Hinweis, dass hier Menschen leben können und nicht vegetieren sollen, entdecken wir demgegenüber nicht.

Diese Form der „Willkommenskultur“ wird ergänzt durch massive Präsenz von rassistischen Schmierereien und Aufklebern im „Stadtbild“ auf dem Weg vom Bahnhof Rahlstedt zum Abschiebelager. Ein Hakenkreuz, dass sich über einen kompletten Stromkasten erstreckt, ganze Straßenzüge, die mit Nazi-Aufklebern versehen sind, findet mensch im Innenstadtbereich wohl nicht. Das bei der gemeinsamen Abreise der Demonstration, über die U-Bahn-Station Berne, ein Stadtplan zur Hilfe genommen wurde, um selbige zu finden, verdeutlicht zwei Dinge. Positiv ist, dass eine Menge Menschen ihre Komfortzone Innenstadt verlassen haben, um Geflüchtete in der Hamburger Provinz zu unterstützen. Es zeigt aber auch, dass es vor Ort keine antirassistischen Aktivist_innen und Strukturen gibt.

Aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive heraus betrachtet ist das Gefährliche am gegenwärtigen Rassismus, dass parallel zur Etablierung des offenen Rassismus innerhalb der bürgerlichen Politiken, der rassistische Mob auf der Straße größer wird und sich zunehmend organisiert. Die Konstanz mit der beide Stränge in den letzten Jahren wachsen ist neu – zumindest in der Geschichte der Bundesrepublik. Wer sich davon nochmal persönlich durch Selbsterfahrung überzeugen will, dem sei ein Ausflug nach Rahlstedt nahegelegt.