Der Mord an Ramazan Avci und das Danach: Ein Gespräch mit seiner Frau Gülüstan Avci

ID 80436
 
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Am 21. Dezember jährt sich der tödliche Angriff auf Ramazan Avci, der jahrelang vergessen wurde und erst im Zuge der Morde des NSU wieder für eine zumindest begrenzte Öffentlichkeit interessant wurde.
Lara, Geschichtswissenschaftlerin aus Hamburg und wir haben deshalb mit Gülistan Avci, der Witwe des Ermordeten ein Gespräch geführt, indem sie beschreibt, wie sie die schrecklichen Ereignisse wahrgenommen hat und wie wenig Unterstützung sie in der Zeit danach erfahren hat.

Der Beitrag ist für türkischsprachige und für deutschsprachige Menschen zu verstehen

Anbei dokumentieren wir den Aufruf zum Gedenken am Tatort:

Am 21.12.1985 wurde Ramazan Avci zusammen mit seinem Bruder und einem Freund am Bahnhof Landwehr aus einer bekannten Skinheadkneipe heraus angegriffen. Sein Bruder und der Freund konnten in letzter Sekunde in einen Linienbus fliehen, der ebenfalls von den Nazis angegriffen wurde. Ramazan Avci rannte auf die Fahrbahn und wurde von einem Auto erfasst und meterweit durch die Luft geschleudert. Nach dem er auf der Straße aufschlug, liefen mindestens drei Skins auf ihn zu. Ramazan Avci wurde auf dem Boden liegend mit Baseballschlägern, Axtknüppeln und Fußtritten brutal malträtiert und verstarb am 24.12.1985 an den Folgen dieser Schläge im Krankenhaus. Wenige Tage später wurde sein Sohn geboren, der nach ihm benannt wurde.
Obwohl die Mörder von Ramazan Avci aus dem Umfeld der neonazistischen FAP stammten, wurde vom Gericht kein politisches Motiv gesehen. Dies war nicht der erste und letzte rassistische Mord bei dem kein politisches Motiv erkannt wurde. Es ist die Regel und nach wie vor allgegenwärtig.

Ohne diese Verharmlosung und Verstrickung staatlicher Institutionen wären die Verbrechen des NSU kaum denkbar. Fünf Jahre nach der Selbstenttarnung der NSU werden beharrlich rechtsterroristische Netzwerke negiert und der Verfassungsschutz, BKA und BND weiter ausgebaut.
Nach wie vor kann der Verfassungsschutz Akten schreddern, ohne dass irgendeine Person juristisch dafür verantwortlich gemacht wird.

Rassisten zünden Flüchtlingsunterkünfte an, und werden als besorgte Bürger verharmlost.
Die Aufklärungsquote dieser Verbrechen tendiert gegen Null, obwohl die meisten Täter in der unmittelbaren Nachbarschaft der Tatorte leben. Und wie 1992 nach dem mörderischen Brandanschlag von Mölln sind die Reflexe dieselben. Nicht gegen Rassisten wird aufgerüstet, sondern gegen Geflüchtete Menschen, denen pauschal mit einem Generalverdacht als potentielle Terroristen begegnet wird. Die massivsten Gesetzesverschärfungen und Grundrechtsbeschränkungen seit 1993 werden im Schweinegalopp national durchgeboxt. Auf europäischer Ebene wird die Festung Europa militärisch gesichert. Diktatoren werden hofiert, milliardenschwer subventioniert und militärisch aufgerüstet, damit sie keine Geflüchteten Richtung Europa lassen. Für die NATO werden neue Existenzberechtigungen geschaffen, um die Grenzen im Mittelmeerraum zu sichern.

Ohne den unermüdlichen Einsatz von NGOs würden mehr Menschen im Massengrab Mittelmeer ertrinken. Der Einsatz von Watch the Med, Alarmphone, Ärzte ohne Grenzen u.v.m hat nicht verhindern können, dass allein in diesem Jahr (bis Oktober 2016) mehr als 3.600 Menschen im Mittelmeer qualvoll ertrunken sind. Der Einsatz dieser Organisationen wird zunehmend kriminalisiert und zum Teil militärisch bekämpft. Nichts soll den Glauben stärken, dass sich der Einsatz für Geflüchtete lohnt. Allerdings haben diese NGOs bis heute Hunderttausende vor dem Ertrinken gerettet. Es zeigt sich, dass Widerstand gegen das mörderische Grenzregime sich lohnt.

Wir dürfen das politische Feld und die Straße nicht den Mördern, Rassisten, Antisemiten, Homophoben, Behindertenfeinden und Sexisten; kurz: den Menschenfeinden überlassen.
Es geht um das Überleben von Millionen Menschen, die ein besseres Leben wollen. Es geht auch um unsere Lebensentwürfe von einer anderen humanen Gesellschaft, die wir mit allen Mittel verteidigen müssen. Die Menschenfeinde bilden nicht die Mehrheit. Nur wenn wir uns wieder auf unsere Stärken besinnen, werden wir diese faschistoiden Entwicklungen stoppen können. Wir schaffen das!

Wir wollen Ramazan Avci gedenken und uns mit seiner Familie solidarisieren. Wir wollen an diesem Tag auch der anderen Opfer von rassistischen Übergriffen gedenken und die Erinnerung an sie wachhalten. Die Familie Avci hat sich gewünscht, dass bei der Kundgebung neben der Ramazan Avci Initiative ausschließlich Familienangehörige von Opfern rassistischer Gewalt zu Wort kommen sollen.
Entsprechend wird das Programm der Kundgebung gestaltet sein.
Und die Familie wünscht sich Rosen, die an dem Gedenkstein niedergelegt werden können.
Kundgebung
Mittwoch, 21.12.2016 um 18.00 Uhr, Ramazan-Avci-Platz

Initiative zu Gedenken an Ramazan Avci
Audio
41:47 min, 58 MB, mp3
mp3, 195 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 11.12.2016 / 13:03

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Entstehung

AutorInnen: Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen am Freitag; nmfsu
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 11.12.2016
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