Truppenverlegung nach Osteuropa

ID 80918
 
Hintergrunde zur US/NATO Truppen Verlegung nach Osteuropa
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Upload vom 04.04.2022 / 10:42

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Beitragsart:
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Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Radio Slubfurt Silvan
Radio: FRBB, Berlin und Brandenburg im www
Produktionsdatum: 17.01.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Truppenverlegung nach Osteuropa
Irgendwie hat es jeder in den letzten Tagen mitgekriegt, aber so richtig wissen tun nur wenige etwas: Die Rede ist von der Stationierung US-amerikanischer Truppen in Polen und den baltischen Staaten – also Estland, Lettland und Litauen[1]. Dabei spielt Deutschland eine tragende Rolle. Als sogenannte „Host Nation“ sind wir unter anderem für Unterkunft, Verpflegung, Transport und Navigation von militärischen Gütern und den begleitenden Soldaten verantwortlich[2]. Vom 6. bis 8. Januar wurden deswegen in Bremerhaven insgesamt 2500 LKWs, Panzer, Anhänger und Container empfangen[3]. Von dort ging es weiter – immer dem Sonnenaufgang entgegen. Was Räder hatte, wurde über Straßen gelotst[2]. Der Großteil der Ausrüstung wurde per Zug transportiert. Über 900 Waggons – voll mit militärischer Ausrüstung – werden zurzeit durch Deutschland und Polen kutschiert[2]. Zusammengenommen hätten diese eine Länge von ca. 10 km, ein Viertel der Breite von Berlin! Am 20. Januar soll dann alles in Polen auf die 3. Brigade der 4. Infanteriedivision treffen[3]. Diese 4000 Soldatinnen und Soldaten wurden zuvor aus Fort Carson im Bundesstaat Colorado abgezogen und werden nun eingeflogen[2]. Von der polnischen Sammelstelle werden die Geräte und Truppen gleichmäßig auf die baltischen Staaten und Polen verteilt – 1000 Männer und Frauen pro Land.
Doch … warum der ganze Aufwand?
Der Hintergrund
Im März 2014 annektierte Russland die ukrainische Halbinsel Krim. Kurz darauf reagiert die NATO mit dem Beschluss, 4000 Soldaten in Polen und den baltischen Staaten zu stationieren[5]. Denn seitdem fühlen sich diese osteuropäischen Staaten durch Russland bedroht. „Den Frieden sichert man am Besten, indem man sich vorbereitet. […] Damit wollen wir nur die Stärke und den Zusammenhalt der Allianz deutlich machen“, so der amerikanische Generalmajor Timothy McGuire bei einem Pressetermin in Bremerhaven letzte Woche[1].
In Deutschland ist man sich uneins. Während die Grünen die Vorgänge im Hinblick auf das Sicherheitsbedürfnis der osteuropäischen Länder begrüßen, stößt man andernorts auf viel Kritik. Linke und AfD zum Beispiel, sehen in der Verlegung eine Provokation Russlands[8]. Thomas Nord, Abgeordneter der Linken: „Das ist natürlich eine ungeheure Verschärfung der sicherheitspolitischen Situation in Mittel-Ost-Europa. Und […] unsere Partei lehnt das natürlich vollkommen ab, weil […] dieses Säbelrasseln […] oder die militärische Führung des Konflikts in der Ukraine sind der falsche Weg.“
Russland indes sieht in der Stationierung der NATO-Truppen einen Verstoß gegen die Nato-Russland-Grundakte von 1997. Diese verbietet nämlich die dauerhafte Stationierung zusätzlicher „substanzieller Kampftruppen“ in Osteuropa[6]. Laut NATO sei diese Vereinbarung nicht gebrochen worden. Zum Einen sei das Truppenkontingent viel zu klein, um als substanziell angesehen zu werden, zum anderen rotieren die eingesetzten Truppen. Alle neun Monate werden diese ausgetauscht. Von „dauerhafter Stationierung“ könne deswegen keine Rede sein[5].
Russland lässt sich durch die heranrollende Brigade jedenfalls nicht einschüchtern. „Wir sind keine untätigen Beobachter. […] Wir ergreifen regelmäßig militärische Maßnahmen, die wir für notwendig erachten, um diese verstärkte Präsenz auszugleichen, die durch nichts gerechtfertigt ist“, so der russische Nato-Botschafter Alexander Gruschko[7]. Diesen Worten schickte der Kreml Panzer voraus. Seit Juni 2016 warten fast 30.000 Mann auf russischer Seite auf die Ankunft der NATO-Truppen[5]. Weitere sind angekündigt. Die Antwort der NATO auf die russischen Truppen: noch mehr amerikanische Truppen. Laut EUCOM, dem offiziellen Blog für das US-europäische Kommando, sollen ab Februar 2017 drei weitere Armee-Brigaden nach Osteuropa delegiert werden. Insgesamt stünden dann auf europäischer Seite ca. 15.000 Soldaten mehr als doppelt so vielen russischen Kämpfern gegenüber. Ausgerüstet mit Flugzeugen und diversen Panzerarten[4].
Wo soll das alles hin führen?
Der Kommentar
Die Benutzung von Begriffen wie „Ost“ und „West“, das Gegenüberstellen von Russland und „den anderen“, die Aufrüstung auf beiden Seiten… das erinnert mich irgendwie an meinen Geschichtsunterricht vom letzten Halbjahr. Doch im Gegensatz zum Unterricht sprechen wir hier nicht mehr von 1949 oder 1970. Wir sprechen von 2017. Von jetzt! Der kalte Krieg scheint sich zu wiederholen.
Und anscheinend hat keiner der beiden Streithähne – Entschuldigung … Streitkräfte – etwas dazu gelernt. Bei einem Krieg, ob kalt oder heiß, gibt es keinen Gewinner. Nicht mehr mit den heutigen Technologien. Gerne können NATO und Russland wie Kleinkinder Truppen wie Spielzeugfiguren hin- und herschieben, schauen, wer die größere Spielzeugarmee hat. Das Problem: beide Kinder haben Atomwaffen. Und das doofe an einer Atombombe ist: die macht alles platt, was da ist.
Noch sinnloser als dieses Hin und Her ist jedoch der Streit, ob die Truppenverlegung nun eine Provokation oder eine Demonstration von Einheit ist. Was haben wir gewonnen, wenn die Frage beantwortet ist? Zumal nur Russland selbst diese Antwort geben kann. Warum diskutieren also wir, wie man das im Kreml auffasst? Dort fühlt man sich zurzeit einfach nur verraten – und zwar nicht ganz zu Unrecht. Nur weil man eine Lücke im Vertrag gefunden hat, muss man diese nicht ausnutzen. Wer mochte denn schon früher diesen Klugscheißer, der in den eigentlich klaren Spielregeln doch noch ein Hintertürchen gefunden hat und dadurch dämlich grinsend gewinnt?
Die aktuelle Truppenverlegung ist richtig, da sie den Einwohnern Polens, Lettlands, Estlands und Litauens das Gefühl gibt, Russland nicht komplett wehrlos ausgeliefert zu sein. Denn diesen Staaten muss gezeigt werden, dass wir eine Einheit sind. Nicht Russland.
Gleichzeitig ist die Brigade klein genug, um nicht eine ernsthafte Bedrohung für Russland darzustellen. Eine große Reaktion Russlands ist deswegen nicht nötig. Doch genau deswegen muss dies die einzige Verschiebung bleiben. Russland hat die Krim annektiert, die NATO begeht – wie man sich da auch immer raus redet – quasi einen Vertragsbruch. Klingt nach einem Patt. Wenn man jetzt aufhört, fühlt sich Russland nicht weiter in die Enge gedrängt und somit auch nicht dazu genötigt, noch mehr Truppen an die Grenze zu verlegen. Eine weitere Verstärkung der amerikanischen Truppen, wie sie für den kommenden Februar geplant ist, ist keine Friedenssicherung mehr. Es treibt den Keil zwischen Russland und NATO nur noch tiefer und spitzt die Situation weiter zu.
Ohnehin können beide Seiten aufrüsten bis sie schwarz werden, im Endeffekt wäre alles umsonst – mal abgesehen von den Kosten. Zu einem heißen Krieg in Europa wird es nicht kommen. Russland müsste nur den Ölhahn zudrehen und schon hätte sich das Problem erledigt. Für einen Krieg gibt es genügend bessere Alternativen und gar einen Grund.
Warum also von unserer Seite unnötig Spannungen aufbauen? Der Konflikt lässt sich nicht mit Panzern lösen, sondern nur mit Worten. Es gilt, sich mit Gesprächen Russland anzunähern. Thomas Nord: „Der Frieden wird nicht zu sichern sein durch neue Panzer und mehr Flugzeuge und mehr Militär, sondern […] durch gemeinsame Gespräche, durch Rüstungskontrolle und Abrüstung.“
Doch wer weiß, vielleicht wird ja vieles einfacher. Am 20. Januar übernimmt bekanntermaßen Donald Trump das Amt des 45. Präsidenten der USA. Es ist kein Geheimnis, dass er eine gute Beziehung zu Wladimir Putin pflegt. Was auch immer man von Trump halten mag – vielleicht ist ja er der Mann, der den entstandenen Spalt kittet. Er könnte der Sympathisant auf und unser Vermittler mit der russischen Seite sein. Bis das möglich ist, müssen die Reibungsverluste zwischen den Parteien so gering wie möglich ausfallen. So wird das Verhältnis nicht noch weiter verschlechtert.
Doch noch rollen die Panzer durch Deutschland und Polen. Noch sollen weitere folgen. Bis das gestoppt wird, können wir nur zwei Dinge tun: erstens: uns Gehör verschaffen und zweitens: wann immer ihr einen Militärkonvoi seht: nett lächeln und winken.
Silvan
Quellen:
[1] Frankfurter Allgemeine Zeitung [2] PRESSEPORTAL [3] PRESSEPORTAL [4] EUCOM [5] Der Tagesspiegel [6] tagesschau.de [7] ZEIT ONLINE [8] rbb|24 Audioquelle: “Kategorientrenner”: BlinkFarm