Bestellt und geliefert - Zum ersten Urteil in den „G20-Prozessen“

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Das Urteil von zwei Jahren und sieben Monaten Haft, das gestern in Hamburg gegen einen jungen Niederländer im ersten sogenannten G20-Prozess erging, nur als „Skandal“ zu bezeichnen, dürfte eine Verharmlosung darstellen. ...
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Upload vom 29.08.2017 / 16:24

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AutorInnen: Redaktion 3
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 29.08.2017
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Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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Bestellt und geliefert
Zum ersten Urteil in den „G20-Prozessen“

Das Urteil von zwei Jahren und sieben Monaten Haft, das gestern in Hamburg gegen einen jungen Niederländer im ersten sogenannten G20-Prozess erging, nur als „Skandal“ zu bezeichnen, dürfte eine Verharmlosung darstellen. Viel eher ist es ein Alarmsignal. Zunächst, weil Amtsrichter Johann Krieten den Antrag der Staatsanwaltschaft um zehn Monate überbot, als er den Niederländer wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, Widerstands und eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte aburteilte. Zweitens aber, weil der Richter erklärtermaßen jenes „Exempel statuieren“ wollte, das von ihm ja auch erwartet wird. „Eine rasche, eine konsequente Aufklärung und Verfolgung der G20-Krawalle hat die Politik versprochen – jetzt liefert die Justiz“, schrieb das Hamburger Abendblatt nicht ohne Genugtuung und ganz zu Recht. Die politischen Instanzen fordern, und die Jurisdiktion liefert. Zwar ist man derlei Gewaltenteilung eher aus Staaten gewohnt, die der common sense als totalitäre wahrnimmt. Doch man soll sich an so manches eben gewöhnen.
Angeblich hatte der Angeklagte zwei Flaschen auf Polizeibeamte geworfen und sich bei seiner Festnahme in eine „Embryonalhaltung“ begeben, wohl um sich vor Schlägen zu schützen und seinen Abtransport zu erschweren. Die eine Flasche hatte einen Beamten angeblich am Helm, die andere am Bein getroffen. Die Wucht beider Geschosse hielt sich freilich in Grenzen. Er habe einen kurzen Schmerz am Nacken verspürt, der aber nach wenigen Minuten verschwunden sei, sagte der Beamte laut taz-Bericht vor Richter Krieten aus. Kurz darauf habe ihn eine zweite Flasche am Schienbein getroffen, die jedoch ebenso wenig Schaden angerichtet haben kann. Nach wie vor gut zu Fuß, ist er nämlich sofort losgelaufen, erklärte der Beamte, um des Werfers habhaft zu werden.
Umso verwirrender aber muss die Szene gewesen sein, auf die er dann traf. Der Niederländer, das Objekt seines Zugriffs, lag bereits am Boden, wie er aussagte, und zwar, weil er offenbar einen weiteren Beamten habe treten wollen, dabei jedoch das Gleichgewicht verloren habe und zu Boden gestürzt sei. Dieser weitere Beamter musste also bereits in unmittelbarer Nähe des Verdächtigen tätig gewesen sein, als der zu Fall kam, und man wundert sich, wie es möglich gewesen sein soll, in diesem Handgemenge ein bis gezielte zwei Geschosse mit Fernwirkung überhaupt abzuschicken, die einem ganz anderen Uniformierten galten, ohne von dessen Kollegen daran gehindert zu werden. Verwirrend ist diese Schilderung zumindest, weil sie den Angeklagten mit ganz erstaunlichen Fähigkeiten ausstattet. Er schießt in die Ferne, er tritt in die Nähe, ohne dabei von dem Beamten behelligt zu werden, der ihn bereits beim Wickel hat. Und zu allem Überfluss verliert er, vom eigenen Schwung getragen, auch noch das Gleichgewicht, wenn auch ohne Fremdeinwirkung durch die uniformierte Staatsmacht, die bereits im Nahbereich agiert.
Man mag die kolportierte Schilderung deshalb im Verdacht haben, nicht gerade tatsachengetreu zu sein, was ja bei polizeilichen Darstellungen keineswegs überrascht, denkt man etwa an die Geschehnisse am Rondenbarg. Aber darauf kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht einmal so sehr an. Was blieb, waren zwei geworfene Flaschen mit geringer Körperwirkung, die jetzt als „gefährliche Körperverletzung“ angeklagt wurde, und eine passive „Embryonalhaltung“ als Widerstand gegen die Staatsgewalt. Nicht gerade viel, sollte man meinen. Doch was machte der Hamburger Amtsrichter Krieten aus dem Szenario, das ihm da unterbreitet wurde? Gewiss, der Jurist erlag Einflüsterungen, mit denen ihm die Staatsanwaltschaft nahebrachte, was von der Sache zu halten sei. „Man müsse auch die schweren Ausschreitungen und ‚bürgerkriegsähnlichen Zustände’ in das Urteil einfließen lassen“, berichtet die taz über die Einlassungen von staatlicher Seite. Und weiter: die Tat des Angeklagten „habe dazu beigetragen, das gesamte Klima zu verschärfen, somit sei er für die schweren Ausschreitungen am Freitagabend und -morgen mitverantwortlich, obwohl er zu dem Zeitpunkt bereits in Untersuchungshaft saß.“ Den Angeklagten für Bürgerkrieg und Klima in die Verantwortung zu nehmen, während er schon hinter Gittern sitzt – das nennt man dann eine einwandfreie juristische Argumentation, ganz auf dem Boden der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“. die von einer totalitären Verfassung hier kaum noch zu unterscheiden sein dürfte.
„Gerichte“, so assistierte Richter Johann Krieten der Staatsanwaltschaft jedoch, „Gerichte haben sich schützend vor Personen zustellen, die unter besonderem Schutz stehen. Und Polizeibeamte sind kein Freiwild für die Spaßgesellschaft, für Krawalltouristen, die nach Hamburg reisen, um hier Rabatz zu machen, mit dem Reiseziel Bullenjagen.“ Und ganz offenbar, weil auch er die „bürgerkriegsähnlichen Zustände“ in sein Urteil einfließen und sich von der Staatsanwaltschaft nicht lumpen lassen wollte, setzte er noch eins drauf und verlängerte die beantragte Gefängnisstrafe um zehn Monate.
Vielleicht wird man den Amtsrichter deshalb bei Gelegenheit mal daran erinnern müssen, dass seine Aufgabe nicht darin besteht, Polizeibeamte zu schützen oder auf politische Bestellungen von Herrn Scholz hin Urteile zu liefern, sondern darin, strittige Tatsachenbehauptungen zu prüfen, geltende Gesetze anzuwenden und im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden. Nicht ausgeschlossen schließlich, dass in einem Nachfolgeverfahren nachgewiesen werden kann, was die Verteidigerin über ihren Mandanten sagte: Er sei schlicht und einfach das Opfer einer Verwechslung geworden. Eine Auffassung, die angesichts der offenkundigen Konfusion bei seiner Festnahme ja nicht ganz auszuschließen ist.

Hans-Joachim Lenger

Kommentare
31.08.2017 / 18:02 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
sonar
lief am 31.8.. Danke schön!
 
03.09.2017 / 16:39 Klaus , Freie RadioCooperative Husum, Westküste
gesendet im FRC-Infomagazin 1.9.2017
besten Dank
 
03.09.2017 / 20:27 johanna, fabian, Radio Dreyeckland, Freiburg
gesendet
am 1.9. guter beitrag, danke!