"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Till Eulenspiegel

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Ganz entgegen meinen Gewohnheiten habe ich das Buch diesmal tatsächlich gekauft, bevor ich es kritisiere, wobei ich mein übliches Verfahren nochmals ins rechte Licht stellen will: So, wie es bei Gericht Indizienbeweise gibt, so gibt es auch in der Literatur reichlich indirekte Hinweise auf die Qualität eines neuen Werkes, zum Beispiel eine lobende Besprechung durch einen unfähigen Kritiker, simple Verlagsangaben oder auch nur eine Textprobe.
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Upload vom 14.11.2017 / 11:01

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Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 14.11.2017
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ganz entgegen meinen Gewohnheiten habe ich das Buch diesmal tatsächlich gekauft, bevor ich es kritisiere, wobei ich mein übliches Verfahren nochmals ins rechte Licht stellen will: So, wie es bei Gericht Indizienbeweise gibt, so gibt es auch in der Literatur reichlich indirekte Hinweise auf die Qualität eines neuen Werkes, zum Beispiel eine lobende Besprechung durch einen unfähigen Kritiker, simple Verlagsangaben oder auch nur eine Textprobe.
Oder aber das bisherige Werk des Autors und der Autorin oder ihre Verlautbarungen dazu. In diesen Verlautbarungen steckt beides, zum einen die Aussage über den Grad an Verblendung, welche jede und jeden Autor trifft und ohne welche sie oder er gar nicht Autor oder Autorin wäre, und zum anderen die Kraft des sprachlichen Ausdrucks. Es spricht mit anderen Worten rein gar nichts dagegen, ein Buch zu kritisieren, ohne es gelesen zu haben. Ja, manchmal fällt die Kritik sogar genauer aus, weil die Lektüre den Kopf nur mit unnützen und langweiligen Informationen belastet.

In diesem Falle aber habe ich das Buch erworben, aber wenigstens bin ich noch nicht besonders weit gekommen, immerhin weit genug, um festzustellen, dass die ersten 40 Seiten tönen wie eine Pflichtarbeit aus dem dreihundertdreiunddreißigsten Creative-Writing-Kurs mit den üblichen kleinteiligen Seitenhandlungen, vermeintlich tiefschürfenden Gedankengängen, scheinbar präzisen historischen oder historisierenden Angaben und so weiter und so fort, kurz, Dutzendware, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Damit komme ich aber dem festen Punkt, um welche sich diese ganze Geschichte drehen soll, noch nicht auf die Schliche. Mit anderen Worten: Ich habe nun zehn Prozent des Buches gelesen und weiß immer noch nicht, worum es geht, beziehungsweise ich weiß, worum es geht, aber nur aus ein paar Lohn- und Stückschreibereien von verbeamteten Literatur­kritikern.

In dem Moment, wo ich den Literaturkritikerinnen und -kritikern eins vors Bein trete aus keinem anderen Grund, als dass sie bei irgendwelchen Zeitungen eine feste Anstellung gefunden haben, muss ich mich dafür auch gleich entschuldigen, denn die Zeiten der Verbeamtung von Menschen im Kulturbereich sind wohl vorbei, soweit es sich nicht um tatsächliche BeamtInnen handelt, welche für Städte, Länder und den Bund über die Vergabe von Subventionen, Werkjahren und Preisen entscheiden. Im klassischen Feuilleton dagegen verwandeln sich solche Anstellungsverhältnisse je länger, desto mehr in Schleudersitze oder Spicksessel. Seit nicht mehr geblättert, sondern in erster Linie gescrollt wird, haben die Verlage kein Geld mehr zur Verfügung für Journalismus und Kultur, und insofern ist es ein echter Anachronismus, gegen die Feudalpositionen von Kulturredakteuren zu wettern, die es sowieso nicht mehr gibt. Ich entschuldige mich.

Immerhin: Ich weiß also aus der Restmasse der Kulturkritik, dass Daniel Kehlmann im Hinblick auf das bevorstehende 400-Jahr-Jubiläum des Ausbruchs des 30-jährigen Kriegs einen Roman zu die­sem Thema geschrieben hat, dessen erste 40 Seiten so etwas wie spätmittelalterliche Dorf­ver­hält­nisse herunternudeln, stets bedacht auf die pädagogische Hervorhebung der damals normalen Armut, unter welcher die Ziege in der Küche wohnte und alle Tage nur Grütze auf dem Tisch stand. Aber ich weiß noch immer nicht, was Daniel Kehlmann dazu gebracht hat, die Figur des Till Eulen­spiegels aus dem 14. Jahrhundert ins 17. Jahrhundert zu versetzen. Einen seiner Streiche habe ich schon intus, es ist die Kehlmannsche Version der vierten Historie des Original-Till, aber sie ist leider viel weniger lustig geraten als in der Erstausgabe. Vermutlich wollte Kehlmann auch gar nicht lustig sein angesichts der 30 Jahre andauernden Gräuel, die im Jahr 1618 anhoben, aber eben, was für einen Zweck hat in dem Fall die Transposition der Eulenspiegel-Figur in diese wahre Umweltkatastrophe?

Ich gehe sicher nicht fehl in der Annahme, dass Kehlmann Angst vor dem Original hatte, nämlich vor Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch, dem für mich nach wie vor abschließenden Roman zum 30-jährigen Krieg. Was Kehlmanns Tyll kann, hat Simplicissimus schon hundert Mal voll­bracht, nämlich den Horror und die Verwüstung auf einer Grundierung von groteskem Humor zu erzählen. Aber Tyll vollbringt mindestens auf den ersten 40 Seiten justament das nicht, weswegen er als Figur an Bord geholt wurde, nämlich die Groteske. Wenn die Figur bei Kehlmann aber etwas ganz anderes leisten soll als das, wofür sie steht, dann will mir der literarisch-historische Trick nicht in den Kopf.

Die Possen des Original-Eulenspiegels bestehen hauptsächlich im Koten. In der 10. Historie scheißt er erstmals, und zwar in einen Topf Senf, in der 14. Historie scheißt der Pfarrer in die Kirche, in der 20. gibts Dreck auf Pflaumen, zwischendurch lehrt er in Erfurt einen Esel in einem alten Psalter lesen, und von der 35. Historie an ist quasi kein Halten mehr, er verkauft seinen Mist als Propheten­beeren, Mehl, Biskuits und so weiter. Das ist jener Humor, der sich im 16. Jahrhundert zum Best­seller eignete. Ähnlich derb geht es etwas später bei Gargantua und Pantagruel von Rabelais zu und her, wobei die beiden Riesen und Vielfraße eigenartigerweise als höchst moralische Wesen ge­schil­dert werden, und Pantagruel ist sowieso König von Utopien, aber geprasst, gefressen, gesoffen und beigeschlafen wird unbedingt und auf jeden Fall. Ich frage mich deshalb immer inständiger, auf­grund welcher Überlegungen Kehlmann mit einer solchen Figur und mit einem solchen Bauern­spek­takel in einen historischen Roman zum 30-jährigen Krieg hinein reitet? Ich weiß, dass die Au­to­rInnen von solchen Stücken uns oft und gerne auch etwas zur aktuellen Lage mitteilen wollen, aber diesenfalls: was denn, bitte? Vielleicht etwas zu den, unterdessen halt auch seit vierzig Jahren anhaltenden Verheerungen im Nahen Osten? Oder zum neuen Nationalismus, welcher Europa im Moment schüttelt wie eine allergische Reaktion nach einer Impfung?

Nun, vielleicht entspringen den Seiten weiter hinten noch ein paar zweckdienliche Hinweise, ich werde es an dieser Stelle vermelden. Stattdessen und als Erinnerung daran, dass es nach wie vor so etwas wie einen Bildungs-Kanon gibt, möchte ich einen kurzen Auszug aus dem Pantagruel vor­lesen, und zwar eine Szene mit Pantagruels Busenfreund Panurg auf einem Schiff, auf welchem er einem Kaufmann eine Herde Schafe abgekauft hat. Er trägt den Leithammel davon, und dann, ich zitiere:

«Auf einmal, ich weiß selbst nicht wie, die Sache ging fix, ich konnte so schnell nicht Achtung geben, schmeißt Panurg, ohne ein Wort zu sagen, seinen schreienden, blökenden Hammel Knall und Fall ins hohe Meer. Die andern Hammel, all miteinander, schreiend und blökend wie aus einem Maul, ihm nach, und schnurgerad ins Meer. Es war ein Drängen um die Wette, wer seinem Kame­ra­den als erster nachspräng'. An ein Aufhalten war nicht zu denken! Denn ihr kennt ja der Hammel Art, daß sie stets ihrem Vordermann, wohin er geht, nachlaufen und treten. Auch nennt sie Aristo­te­les mit Recht das dümmste und albernste Tier der Welt.

Der Kaufmann, ganz bestürzt, sein Vieh vor seinen Augen untergehn und ersaufen zu sehen, sputete sich aus aller Macht, um es zu verhindern und aufzuhalten; aber umsonst. Sie sprangen all schnur­stracks ins Meer und ertranken. Endlich erwischte er noch einen der größten und stärksten Hammel beim Fell, auf dem Verdeck des Schiffs, in der Hoffnung, ihn zu halten und mit ihm auch den Rest zu retten. Aber der Hammel war so mächtig, daß er den Kaufmann mit sich ins Meer riß. Die an­dern Hirten und Schafknechte versuchten's gleich ihm, hingen sich, wie's kam, teils an die Hörner, Beine und Felle an, wurden desselbengleichen alle mit in das Meer hinabgerissen und ersoffen elendiglich.
Panurg hatte ein Ruder ergriffen, nicht etwa um den Hirten herauszuhelfen, sondern um sie vom Schiff abzuhalten, daß sie nicht in die Höh dran klettern und dem Schiffbruch entrinnen könnten. Da predigte er ihnen mit viel rhetorischer Kunst vom Elend dieser Welt und vom Glück und Heil des ewigen Lebens, pries auch die Toten weit seliger denn die Lebendigen hienieden in diesem Jammertal, und versprach, jedem von ihnen ein schönes Ehrenbegräbnis zu baun hoch oben auf dem Cenis-Berg, bei seiner Heimkunft aus Laternien. Sollten sie jedoch das Zeitliche noch nicht ver­schmä­hen und das Ersaufen beschwerlich finden, so wünschte er ihnen viel Glück und einen Walfisch, der sie wie den Propheten Jonas nach drei Tagen frisch und gesund an irgendein Milch- und Honigland ausspeien möge.»
Soviel zum Humor im 16. Jahrhundert, und zu Panurg noch soviel: Er macht zusammen mit Panta­gruel sozusagen eine Weltreise, um zu erforschen, ob er heiraten soll oder nicht, und zwar besteht das Problem ausschließlich darin, dass er wissen möchte, ob ihn seine zwar noch unbekannte, aber doch immerhin zukünftige Frau jemals betrügen wird oder nicht. Und dann noch einen wichtigen Hinweis: Sowohl Gargantua und Patagruel als auch den Till Eulenspiegel kann man im Volltext auf dem Internet lesen im Rahmen des Projekts Gutenberg, das bei Spiegel online angesiedelt ist.

Zurück in die Gegenwart. Zum einen mit der Erinnerung an die Bataclan-Attentate in Paris vor zwei Jahren. Es ist nicht vorbei, wie wir wissen, aber unterdessen wissen wir auch, dass diese Form des Dschihad keine Aussichten auf Erfolg hat – wenigstens das. Und dann habe ich mich gefragt, ob es möglich sei, während der mehrtägigen Abwesenheit des Präsidentenjockels Trump ein paar Worte zu seiner Wahl oder zu seiner Arbeit zu machen. Aber es ist nicht. Der Mann erzählt in rasenden Kaskaden einen Scheißdreck nach dem anderen, am Morgen dies, am Nachmittag etwas anderes und am Abend das Gegenteil von allem, sodass eine ernsthafte Beschäftigung mit dieser Figur eine jeden und einen jeden, welche so etwas nur schon unternimmt, in den Ruch eines Volltrottels stellen muss. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt.


Kommentare
16.11.2017 / 18:09 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
sonar
lief am 16.11.. Danke.