Vania Markarian sobre los 68 en Uruguay

ID 88607
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Vania Markarian es Doctora en Historia Latinoamericana (Columbia University, 2003) y Licenciada en Ciencias Históricas (Universidad de la República, 1996). Ha enseñado e investigado en la Universidad de la República, New York University, Columbia University, City University of New York, Princeton University, Universidad Nacional de General Sarmiento y el CLAEH. Tiene numerosas publicaciones sobre el período de la Guerra Fría de Uruguay y Latinoamérica entre las que se destaca el libro "Left in Transformation: Uruguayan Exiles and the Latin American Human Rights Networks, 1967-1984" (Nueva York: Routledge, 2005). Su último libro es "El 68 uruguayo: El movimiento estudiantil entre molotovs y música beat" (Buenos Aires: Editorial de la Universidad Nacional de Quilmes, 2012). Actualmente es responsable del Área de Investigación Histórica del Archivo General de la Universidad de la República e integra el Sistema Nacional de Investigadores del Ministerio de Educación y Cultura de Uruguay.
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31:22 min, 72 MB, mp3
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Entstehung

AutorInnen: die meike
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 20.04.2018
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Skript
Die Revolution im Minirock

Anmod: Wir sprachen mit Vania Markarian, Historikerin an der Universität der Republik in Montevideo, die zu den Bewegungen der 1968er in Uruguay forscht. Neben anderen Publikationen hat das Buch mit dem Titel "El 68 uruguayo: El movimiento estudiantil entre molotovs y música beat" herausgebracht.


Meike : Erkläre mir, was waren die Charakteristika des Pachecato und was hatte dieser mit den Bewegungen und damit, jung zu sein im Jahr 68, zu tun?

Vania: Der Begriff „Pachecato“ ist auch „einheimisch“, der kommt aus der Zeit; das ist nichts, was die Historiker*innen definiert hätten, aber wir nutzen das Wort bis heute – es bezeichnet die Regierung des Präsidenten Jorge Pacheco Areco, der, sagen wir mal, durch Zufall an dieses Amt kam. Sein Vorgänger Óscar Gestido von der „Roten Partei“ (Partido Colorado) war im Dezember 67 gestorben. Aus diesem Grund; aufgrund dieser unglücklichen Begebenheit übernimmt diese dunkle, wenig bekannte Persönlichkeit, als Politiker im rechten, konservativen Flügel der alten, traditionellen „Roten Partei“. Einer seiner ersten Amtshandlungen war das Verbot einer Reihe von politischen Gruppen und Presseorganen. Diese waren dem Ruf von lateinamerikanischen Organisationen - die sich in diesem Jahr in Havanna versammelt hatten und den bewaffneten Kampf propagierten – gefolgt. Das Verbot dieser Gruppen und Medien war also der erste Akt dieser Regierung und zeigt auch ein bißchen die Richtlinie dessen, was danach passierte. In einem Land wie Uruguay waren Verbote politischer Gruppen recht ungewöhnlich: nicht mal zu den schlimmsten Zeiten während des kalten Krieges – bis heute - war die Kommunistische Partei verboten worden. Das ist der Unterschied zu anderen lateinamerikanischen Ländern. Ich sage das, damit ihr die lokalen Auswirkungen so einer Enscheidung versteht. Insbesondere verbietet Pachecos Regierung die sozialistische Partei mitsamt seiner Zeitung, dazu kommen weitere Gruppen und Medien. An der Frage, wie sie mit politischen Dissident*innen und dem sozialen Konflikt umgehen soll, beginnt die „Rote Partei“ sich zu spalten. Und im Juni 68 - in einem Moment großer Aufwallung der Proteste in einem Kontext der großen sozialen und ökonomischen Krise - ordnet die Regierung Pacheco sofortige Sicherheitsmaßnahmen an. Das ist in der Verfassung vorgesehen, die es erlaubt, einige Rechte auszusetzen – so z.B. das Versammlungs- und Vereinsrecht. Davon wurde vorher schon Gebrauch gemacht in der uruguayischen Geschichte, sowohl um mit Konflikten z.B. der Gewerkschaften umzugehen, als auch, um zu mobilisieren während einer Naturkatastrophe. Es gab z.b. einige Überschwemmungen 59. Das ist eine aggressive Maßnahme des Staates Uruguay, die ab und an gebraucht wurde, und die ein Teil des Ausnahmezustandes darstellt. Die Regierung Pacheco hat die Maßnahme systematisch genutzt. Das Land war im Ausnahmezustand von Juni 68 fast die ganze Zeit – mit einer kleinen Unterbrechung – bis zum offiziellen Sturz der Regierung im Jahr 73. dieses aggressive Regime nennen wir Pachecato. Im Jahr 68 ermordete die Polizei drei politisch aktive Studierende in Montevideo. Für eine Gesellschaft, die wenig an politische Gewalt gewöhnt ist, war das sehr schockierend und zeigte ein bißchen, was danach kommen sollte. Der erste Student wurde im August 68 beerdigt und sein Name war das Losungswort Liber Arce ("sich befreien") . Zeitzeug*innen, die Presse und andere Quellen sagen einmütig, das sei die größte Mobilisierung in Montevideo bis zu diesem Zeitpunkt gewesen. Nicht nur seine radikalen Genoss*innen, Guerriller@s oder Kommunist*innen haben ihn bei seiner Beerdigung begleitet - es war ein breites Spektrum der Gesellschaft dabei. Die Regierung Pacheco fror außerdem die Gehälter ein und die regressiven Medien schlossen sich ihr an. Es ging um die Verteilung des Reichtums und die Repression der Arbeiter*innen hat mit den Protesten zu tun. Wer bezahlt die Krise.. Das war der Pachecato: die Ankündigung der Diktatur in Uruguay.

Meike: Du schreibst, die Bewegung der Jugendlichen war gewalttätig – war das nur die Antwort auf die Gewalt der Regierung oder war es andersherum?

Vania: Diese Frage ist wie die mit dem Huhn und dem Ei. Es gab Aktion und Reaktion, auf beiden Seiten. Sicher ist, daß es kein fairer Kampf war. Deswegen habe ich keinen Zweifel daran, daß die repressiven Kräfte die Verantwortung für drei Tote tragen. Was wir "gewalttätige Maßnahmen" nennen könnten sind Molotowcocktails, Barrikaden, Autos anzünden um den Verkehr aufzuhalten, Steinewerfen auf die repressiven Kräfte... Auf der Seite der Mitglieder der Polizei gab es 68 einige Verletzte, aber keiner schwer und keinen Toten – drei Menschen aus der Studierendenbewegung sind gestorben, außerdem waren hunderte inhaftiert. Ich glaube es gibt eine Eskalation, eine Gewöhnung an und den Wunsch nach Gewalt als Waffe der Politik in großen Teilen der uruguayischen Gesellschaft. Auch die Arbeiter*innen- und Studierendenbewegungen sind von diesem Wunsch nicht ausgeschlossen. Aber die Gewalt geht vom Staat aus. Der Höhepunkt in diesem Prozeß zeigt es: die ganze Bewegung wurde erdrückt von brutaler Repression. Uruguay war in den Sechzigern das Land mit der höchsten Anzahl politischer Gefangener. Der Wunsch nach Gewalt ist bei den jungen Leuten in der Bewegung da, keine Frage: diese heroische Vorstellung, den eigenen Körper für die Idee herzugeben. Dieser Wunsch ist sehr präsent. Und dabei kannten weder die Individuen noch die Gesellschaft die Gewalt sehr wenig zu diesem Zeitpunkt. Ich könnte mir vorstellen, daß, als sie es sozusagen am eigenen Leib spürten, hörten sie auf, sich das zu wünschen. Sie wurden zu Opfern, zu Märtyrern statt zu Held*innen der Revolution.

Meike: Die Generation Sex, Drugs and Rock 'n' Roll – ist das ein Witz oder ernstgemeint?

Vania: das ist ein Klischee. Die Jugendlichen, die ich studiert habe, da gab es eine leichte Änderung der Gewohnheiten, was die drei Dinge angeht. Ich würde sagen, in der Reihenfolge gab es mehr Sex als Rock 'n' Roll und mehr Rock 'n' Roll als Drogen. Aber es gab eine Öffnung hin zu kulturellen Dingen, die ihre Generation auf globaler Ebene geprägt hat. Sagen wir mal: eine gewisse Bereitschaft, in diesen Bereichen zu experimentieren – auf jeden Fall gab es im Bereich der sexuellen Beziehungen eine Liberalisierung der Gewohnheiten. Ich würde es keine Revolution nennen, denn die Liberalisierungen waren nicht für immer sondern eben angepaßt an ihre Zeit. Es war eine, sagen wir, moderate Revolution. Es gab sicher Veränderungen im Vergleich zu den vorherigen Generationen in Sachen sexueller Selbstbestimmung. Es gab eine Öffnung hin zu kulturellen Konsumgütern: Das hatte natürlich mit Rock 'n' Roll zu tun, mit Musik und Tanz; diese ganze angelsächsisch dominierte Welt. Ich finde es sehr interessant, die Verbindung der radikalen Protestbewegungen zu diesen Kulturgütern zu betrachten, denn die erzählt ja etwas über den globalen Kapitalismus und wie die Konterkultur vom Markt absorbiert wurde. Und über Drogen finde ich sehr wenig. Es beginnen, Marihuana und Koks zu zirkulieren, in sehr kleinen Kreisen, bei Künstler*Innen z.b. Aber der breite Konsum begann erst nach der Diktatur 73. ich glaube auch deshalb fühlte meine Generation, die nach der Diktatur jung war, sich als die "Ersten".


Meike: Ich habe in Deinem Artikel gelesen, daß es eine große Studierendenbewegung gab in Uruguay, so wie auch hier in Deutschland. Da gab es auch die Nationale Befreeiungsbewegung Tupamaros (Movimiento de Liberacion Nacional – Tupamaros MLN-T)...

Vania: Die Nationale Befreiungsbewegung Tupamaros war die wichtigste Guerillabewegung in Uruguay in dieser Zeit. Aber ich wirklcih in meiner Recherche über das Jahr 68 versuche zu erklären ist, daß diese Organisation – sowie andere, die sich für den bewaffneten Kampf entschieden haben, sowohl in Uruguay als auch in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern der 60er – sie wuchsen in der Hitze der studentischen Mobilisierungen im Jahr 68. (Nicht nur studentische, es waren auch Arbeiter*innenbewegungen; eine sehr breite Bewegung...) Das Unterscheidungsmerkmal der Reihe von Protesten von 68 war die große Beteiligung junger Leute mit hoher Bildung. Es war diese junge studentische Mobilisierung , die das Anwachsen aller politischen linken Optionen hervorrief. Sowohl die, die wir die "neue Linke" nennen könnten - im Falle Uruguays sind das diejenigen, die sich für direkte Aktionen und bewaffneten Kampf entscheiden - als auch die "alte Linke", das ist insbesondre die Kommunistische Partei, die auch sehr stark angewachsen ist aufgrund der Studierendenbewegung 68. aber die Tupamaros waren eine kleine BEwegung und nicht besonders relevant in der uruguayischen Politik. Der Impuls der sozialen Mobilisierungen und der Reihe studentischer Proteste 68, das was ihr Wachstum bestimmt, das macht sie doch wichtig in der politischen Szene in Uruguay: die Gruppe hatte einige 100 Mitglieder Ende 67, als die Tupamaros plötzlich in der Öffentlichkeit auftauchten. Anfang 69 waren es schon einige Tausend. Die meisten von ihnen kamen aus radikalisierten Sektoren der Studierendenbewegung.

Meike: Du hast ja bereits die "alte" und die "neue Linke" erwähnt. Wie untershceidest du die beiden?

Vania: Das sind Kategorien, die wir von den Portagonist*innen dieser Tatsachen selbst geerbt haben. Es kamen vor allem Ende der 60er eine Reihe von Gruppen auf, die, inspiriert von der kubanischen Revolution und der Idee der kontinentalen Revolution, sich für den bewaffneten Kampf entschieden. Das war die zentrale Diskussion innerhalb der Linken zu dieser Zeit: Wie schaffen wir radikale, revolutiionäre Veränderungen der sozialen Verhältnissen in kurzer Zeit. Auf der einen Seite waren diejenigen – darunter auch die die gewerkschaftlichen Organisationen -, die auf andere Formen der Beteiligung setzten z.B. durch Wahlen und andere soziale Proteste. Auf der anderen Seite waren diejenigen, die sich für den bewaffneten Kampf entschieden. Das schloß die von Che Guevara geschriebene Fokustheorie à la Cubana und andere Guerillaaktionen ein. Was ich versuche zu zeigen ist, daß es neben diesen ideologischen und politischen Organisationen, die eine Revolution wollten, eine Erneuerung der Linken zu dieser Zeit durchquert wurde von kulturellen Neuheiten: Neue Lektüre, neue Formen, diese zu verstehen; Militanz im Sinne von der Beziehung zwischen Körper und Politik. Das hatte zu tun mit dem Einfluß, welchen Ideen, die global zirkulierten, auf lokaler Ebene hatte darüber was es heißt, jung zu sein. Ich versuche in meinen Recherchen zu zeigen, wie diese Ideen – zumindest im Falle Uruguays - die gesamte politische Linke durchqueren. Und manchmal verwischen sich diese kategorische Unterscheidung zwischen „alter“ und „neuer Linken“. Nicht nur weil im Umfeld der „alten“ ja auch die „neuen“ vorgeschlagen wurden, sondern auch weil in vielen Fällen die „alte Linke“ sich einige dieser kulturellen Neuheiten einverleibte. Sie paßten sich der neuen Situation an, reinterpretierten, ahmten nach. In diesem Prozeß blieben sie gültige Optionen für den Kampf für die jungen Leute. Deswegen sagte ich ja: Tupamaros hat es von 100 auf 1000 Mitglieder gebracht. Das bewirkte, daß die kommunistische, prosowjetische Jugend – ein Flügel der kommunistischen Partei Uruguay: klassische „alte Linke“, die auf die Beteiligung der Leute bei den Wahlen zählte – auf 6 bis 8000 neue Mitglieder anwuchs. Tatsächlich gehörten die drei Jugendlichen, die 1968 von der Polizei auf der Straße von Montevideo ermordet wurden, der kommunistischen Jugendunion /Union de Juventud Comunista) an. Das erlaubt meiner Meinung nach besser, das Umfeld der Linken in Interaktion zu betrachten. Wir Historikerinnen – meine Generation der Historikerinnen – sollte nicht diese kategorischen Trennungen akzeptieren, die sich in der Hitze der Kämpfe dieser Zeit erfanden. Das heißt nicht, daß die Kategorien unbedingt nützlich sind, um die Geschehenisse der 60er zu interpretieren. Ein französischer Historiker sagte mal, daß der Moment der Geschichte beginnt, wenn wir der Vergangenheit Fragen stellen, die sich die Protagonist**innen, die „Einheimischen“ dieser Vergangenheit nicht einmal hätten vorstellen können. Und ich habe das Gefühl, daß meine Generation der Historiker*innen in Lateinamerika, in Europa und den USA jetzt langsam an diesem Punkt kommen, was die Sechziger angeht – wir stellen jetzt langsam diese Fragen.