النكبة Nakba - Die Katastrophe

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Nakba: Die Gründung des Staates Israel vor 70 Jahren bedeutete für einen Großteil der palästinensischen Bevölkerung Entrechtung und Vertreibung.

Der Beitrag "Die Katastrophe" von Karin Leukefeld ist erschienen in der Tageszeitung Junge Welt am 15. Mai 2018.

Musiktitel dazu etwa:

مرايا الروح - ريم بنا The Mirrors of My Soul- Rim Banna
https://www.youtube.com/watch?v=4QxBpmPkAxI


ريم البنا - يا ستي Rim Banna - Ya setty (lullaby)
https://www.youtube.com/watch?v=iizvBqbygBQ

Audio
22:47 min, 21 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 16.05.2018 / 12:09

Dateizugriffe: 1961

Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Serie: sonar -aktuell-
Entstehung

AutorInnen: Karin Leukefeld, gesprochen von Jörg
Radio: bermuda, Mannheim im www
Produktionsdatum: 16.05.2018
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
(mit freundlicher Genehmigung des Verlages 8. Mai)

Die Katastrophe
Von Karin Leukefeld

Weitere Informationen zur Nakba finden sich auf der Website des Vereins Flüchtlingskinder im Libanon e. V.: lib-hilfe.de/infos_ausstellung.html sowie der Website der israelischen Menschenrechtsorganisation Zochrot (Erinnern): zochrot.org.

Über 50 Tote und 7.000 Verletzte und mindestens 24 Personen, denen aufgrund von Verletzungen durch scharfe Munition der israelischen Streitkräfte Gliedmaßen amputiert werden müssen. So lautet die vorläufige Bilanz der seit dem 30. März 2018 allwöchentlich im Gazastreifen am Grenzzaun zu Israel stattfindenden Proteste bis zum vergangenen Wochenende. Die Protestierenden tragen große Schilder mit sich, auf denen in Arabisch, Hebräisch und Englisch zu lesen ist: »Wir sind nicht hier, um zu kämpfen, wir sind hier, um in unser Land zurückzukehren.«
Der Gazastreifen, dessen Besatzung 2005 unter Ministerpräsident Ariel Sharon beendet worden war, steht unter palästinensischer Verwaltung. Aber Israel kontrolliert den Küstenstreifen zu Land, zu See und aus der Luft. Die Lebensumstände in dem »größten Freiluftgefängnis der Welt« sind katastrophal. Die Strom- und Wasserversorgung ist seit dem letzten Krieg 2008/09, der sogenannten Operation Gegossenes Blei, nicht repariert. Die damals von der israelischen Armee zerstörte zivile Infrastruktur – Straßen, Wohngebäude, Werkstätten, Schulen, Krankenhäuser, Versorgungseinrichtungen – liegt weiterhin in Trümmern.
Die überwiegend jugendlichen Demonstranten im Gazastreifen sind Nachfahren der Palästinenser, die zwischen Dezember 1947 und Januar 1949 von zionistischen Milizen wie Haganah oder Irgun und den aus diesen am 31. Mai 1948 hervorgegangenen Israelischen Streitkräften aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Der »Große Marsch der Rückkehr«, wie die Menschen aus Gaza ihren Protest bezeichnen, begann am 30. März, für die Palästinenser seit 1976 der »Tag des Bodens«. Damals waren sechs Palästinenser getötet worden, als sie verhindern wollten, dass die israelische Regierung ihr Land enteignet. Bis zum 15. Mai 2018, also heute, soll der »Große Marsch der Rückkehr« trotz der großen Zahl an Toten und Verletzten fortgeführt werden. An diesem Tag erinnern die Palästinenser an die sogenannte Nakba (deutsch: Katastrophe, Unglück), ihre Vertreibung vor 70 Jahren.
Leben, um zurückzukehren
Bis zu 600 Dörfer wurden damals zerstört. Mehr als 700.000 palästinensische Araber – etwa 80 Prozent der arabischen Bevölkerung, die in dem Gebiet lebte, das am 15. Mai 1948 als Staat Israel ausgerufen wurde – flohen. Die britischen Mandatssoldaten, die selbst von den zionistischen Milizen angegriffen worden waren, zogen sich zurück und ließen die Palästinenser ohne Schutz zurück.
Die Unabhängigkeitserklärung Israels am 14. Mai 1948 provozierte einen Angriff arabischer Truppen aus Ägypten, Transjordanien, Irak, Syrien und Libanon. An ihrer Seite kämpfte die in Damaskus gegründete Arabische Befreiungsarmee, in der vor allem Syrer, Libanesen und Palästinenser kämpften. Sie konnten sich aber nicht durchsetzen und wurden zurückgeschlagen. Am Ende des Krieges im Juli 1949 hatte Israel nicht nur das Gebiet eingenommen, das im Teilungsplan der UN-Resolution 181 (II) für einen jüdischen Staat vorgesehen war, sondern weitere 60 Prozent des Landes, das die Vereinten Nationen einem zu gründenden arabischen Staat Palästina zugeschlagen hatten. Dazu gehörten u. a. die Städte Jaffa, Lydda (heute: Lod) und Ramle (Ramla), das Gebiet Galiläa im Norden, Teile der Negev-Wüste im Süden, fruchtbares Land zwischen Tel Aviv und Jerusalem sowie Teile der Westbank. Über diese Orten wurde ein militärisches Besatzungsstatut verhängt. Jordanien übernahm die restlichen Teile der Westbank und annektierte sie. Ägypten besetzte den Gazastreifen. Der von den Vereinten Nationen vorgesehene palästinensische Staat war damit fürs erste unmöglich geworden, zumal die UN den von Israel geschaffenen Realitäten hilflos gegenüberstanden.
Die Nakba hatte im Dezember 1947 begonnen und wurde bis zum Januar 1949 fortgesetzt. Im November 1947 hatte die UNO den Teilungsplan beschlossen. Damals lebten in Palästina rund 1,9 Millionen Menschen, von denen zwei Drittel muslimische, christliche und drusische Palästinenser und ein Drittel Juden waren, die zum größten Teil in den vorherigen Jahrzehnten nach Palästina eingewandert waren. Der Grundstein für das Unrecht war nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gelegt worden. Verantwortlich waren Großbritannien, Frankreich, die USA sowie der Völkerbund. Auf der von ihnen organisierten Pariser Friedenskonferenz (1919/20) war das Schicksal des Mittleren Ostens mit einem Frieden besiegelt worden, der für die Zukunft jeden Frieden verhinderte. Der britische Feldmarschall Archibald Wavell hielt damals in seinen Aufzeichnungen fest: »Nach dem Krieg, der den Krieg beenden sollte, waren sie jetzt in Paris ziemlich erfolgreich damit, einen Frieden zu schaffen, der den Frieden beendet.«
Abkommen von Sykes-Picot
Besiegelt wurde damals das britisch-französische Sykes-Picot-Geheimabkommen, mit dem die beiden großen Kolonialmächte 1916 die arabischen Provinzen des zerfallenden Osmanischen Reiches unter sich aufteilten. Der Völkerbund, Vorläufer der 1945 gegründeten Vereinten Nationen, segnete den Plan ab und machte Frankreich und Großbritannien zu Mandatsmächten in den neu eingerichteten Staaten. Frankreich wurde Mandatsmacht in Syrien und im Libanon, Großbritannien übernahm das Mandat für den Irak, Transjordanien und Ägypten. Auch die Balfour-Erklärung vom 2. November 1917 – eine Unterstützungserklärung des britischen Außenministers Lord Arthur James Balfour an die Zionistische Weltorganisation zugunsten der Gründung eines jüdischen Staates in Palästina – wurde auf der Pariser Konferenz abgesegnet.
Vor dem Krieg 1914 kannten die Menschen in Syrien und Palästina keine Grenzen. Händler zogen von Bagdad über Damaskus nach Beirut oder Haifa, um ihre Waren in den Häfen der Levante in Richtung Europa zu verschiffen. Eltern sandten ihre Kinder von Damaskus nach Beirut, wo die 1866 gegründete Amerikanische Universität ein hervorragendes Studium garantierte. Es herrschte reger Austausch zwischen den muslimischen Gelehrten von Bagdad, Damaskus, Jerusalem und Kairo. Christliche Schulen wurden von Missionaren aus Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika gegründet und boten sowohl christlichen als auch muslimischen Kindern aus umliegenden Dörfern Unterricht und Unterkunft. Internatsschulen waren häufig, weil der tägliche Schulweg für die Kinder aus den abgelegenen Dörfern zu weit gewesen wäre.
Ein exemplarisches Schicksal
Yusif Sayigh wurde am 26. März 1916 in Al-Bassa an der Küste der Levante geboren. Das Dorf liegt etwa 20 Kilometer nördlich des heutigen Akkon entfernt, dem Ort, von dem der britische Diplomat Sir Mark Sykes eine Linie durch Täler und über Hügel, Flüsse und Seen, durch die schwarze Basaltwüste, über die fruchtbaren Felder des Hauran und durch die endlosen, sandigen Weiten der syrischen Wüste bis hin nach Kirkuk gezogen hatte. Als der spätere Ökonom Sayigh geboren wurde, lebten in Al-Bassa etwa 1.000 Menschen, Muslime und Christen verschiedener Strömungen. Es gab zwei Kirchen, Schulen und Ärzte. Sowohl US-amerikanische als auch französische und deutsche Missionare ließen sich dort nieder. Auch seine Mutter war in Al-Bassa geboren und aufgewachsen. Afifa Baruni Sayigh, die – wie es in arabischen Ländern üblich ist – von allen nur Umm Yusif (Mutter von Yusif) genannt wurde, kam aus einem wohlhabenden Haus. Ihr Vater handelte zwischen Beirut und Jerusalem mit Antiquitäten, ihr Großvater war ein katholischer Priester gewesen. Als Kind hatte sie in einem Internat bei Sidon, das heute im Libanon liegt, eine für die Jahrhundertwende ungewöhnlich gute Schulbildung erhalten.
Ihren Mann Abdullah Sayigh oder Abu Yusif (Vater von Yusif) lernte Afifa 1914 in dem Dorf Kharaba in Syrien kennen. Er kam aus der Nähe von Damaskus, aus Khirbat Al-Schaar. Die ursprünglich aus Homs stammende Familie hieß eigentlich Sakhur Kabbash. Weil aber Abdullahs Vater ein Goldschmied war, nahm er die Berufsbezeichnung »Saegh«, »Goldschmied«, als Familiennamen an. Abu Yusif war bei einer seiner drei Schwestern in Kharaba aufgewachsen, die alle drei Männer aus dem christlichen Dorf geheiratet hatten. Eine vierte Schwester heiratete einen Drusen in Salkhad. Der kleine Ort Kharaba liegt an der Grenze zwischen dem drusischen Siedlungsgebiet von Suweida, dem Dschabal Al-Darusna (Berg der Drusen) und dem Hauran mit der Provinzhauptstadt Deraa.
Als Abu Yusif zu Beginn des Ersten Weltkrieges von der Osmanischen Armee für den Kriegsdienst verpflichtet werden sollte, kaufte er sich frei – was damals für Christen möglich war – und ging nach Al-Bassa, wo er 1915 Afifa heiratete. Ein Jahr später, als die Kolonialmächte den Nahen Osten untereinander aufteilten, wurde Yusif geboren.

Immer wieder demonstrieren seit Ende März Palästinenser an der nördlichen Grenze des Gazastreifens und fordern ein Recht auf Rückkehr für die Flüchtlinge. Bei den Protesten, die durch die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zusätzlich angeheizt werden, wurden bereits mehr als 50 Palästinenser getötet und über 7.000 verletzt – als »Avatare« verkleidete Demonstranten im Gazastreifen (3.5.2018)
Foto: Ibraheem Abu Mustafa/Reuters
Nach dem Ende des Krieges, 1918, zog die Familie wieder nach Kharaba. Zwischen 1921 und 1923 holte der Vater seine theologischen Studien in Jerusalem nach, wo die Familie ihn auch einmal besuchte. Yusif war klein, erinnerte sich aber daran, auf dem Weg nach Jerusalem zum ersten Mal ein Auto gesehen zu haben. Auf dem Rückweg begleitete sie der Vater. Sie fuhren zunächst nach Al-Bassa, von dort ging es die Küste entlang nach Sidon und Beirut, von wo sie weiter nach Damaskus und schließlich wieder nach Kharaba reisten. Während die Familie unterwegs war, fand im Südlibanon eine Volkszählung statt. Die Familie, bei der sie wohnten, gab die Sayighs als Libanesen aus, obwohl sie Syrer waren. Viele Jahre später, 1958, half ihnen dieser Zufall, und sie bekamen die libanesische Staatsangehörigkeit zugesprochen.
Als im Juli 1925 der Aufstand der Drusen gegen die französische Mandatsmacht in Syrien ausbrach, war der Vater nicht in Kharaba, sondern in Damaskus. Die Mutter packte, setzte die Kinder auf einen Esel und floh nach Bosra im Westen. Ihre Schwägerinnen kritisierten die Mutter, die »ohne ihren Ehemann« davonlaufe. Sie beschimpften sie als »Schamalija«, als »Frau aus dem Norden« Palästinas. Die Familie traf den Vater in Deraa, dann begann eine lange Reise. Zunächst ging es per Eisenbahn nach Damaskus, dann weiter nach Beirut und von dort nach Sidon und Tyrus. Schließlich fuhren sie mit einem Auto hoch in die Berge über Alma Al-Schaab und hinunter nach Al-Bassa. So umgingen sie den neuen Grenzposten, der von der französischen und britischen Mandatsmacht bei Nakura (einem heutigen Standort der UNIFIL, der Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon) errichtet worden war und den sie nur mit einem Pass hätte passieren können, über den sie nicht verfügten. In Al-Bassa besaß die Mutter ein von den Eltern geerbtes Haus, dazu Olivenhaine. Die Geschwister der Mutter und deren Familien lebten dort, und Yusif Sayigh, seine Brüder und Eltern konnten ein neues Leben beginnen.
Der Ort sei wie der Garten Eden gewesen, erzählte Yusif Sayigh Jahrzehnte später, als er mit seiner britischen Frau Rosemary über die Erinnerungen an seine Kindheit sprach. Die Menschen seien offen und aufgeschlossen gewesen, in den Abendstunden hätten sie auf den Dächern gesessen, musiziert und gesungen. Im Herbst wurden die Dächer zum Treffpunkt der Frauen, die dort Früchte zum Trocknen aufhängten. Sie nutzten die Gelegenheit dazu, ihre fast erwachsenen Kinder mitzubringen, es wurde gegessen, getrunken, erzählt, und so manch eine Ehe wurde angebahnt.
Einer von Yusifs Lieblingsplätzen war unter einem großen Johannisbrotbaum, der auf dem Grundstück der Familie stand und zu jeder Tageszeit Schatten spendete. Die aus Steinen gebauten Häuser waren von Feigen- und Apfelsinenbäumen, üppig grünen Sträuchern und Blumen aller Art umgeben. Olivenhaine sorgten für Wohlstand. Al-Bassa war das Zentrum des Tabakanbaus in Galiläa, sowohl die christlichen als auch die muslimischen Bewohner galten als gute Händler. An den Wochenenden zogen die Familien an den nahegelegenen Strand, wo sie ihr Picknick ausbreiteten und die Weite des Meeres genossen.
In Al-Bassa lebte die Familie von Yusif Sayigh bis 1930. Dann zog sie nach Tiberias am Westufer des Sees Genezareth, wo der Vater eine neue Stellung als Pastor antrat. Alle Kinder der Familie wurden in christlichen Internatsschulen erzogen und studierten. 1948 änderte sich dann alles.
Zerstörung und Vertreibung
In Tiberias hatten Muslime, Christen und Juden seit Jahrhunderten zusammengelebt. Doch weder der Große Aufstand der Palästinenser 1936–39 gegen das britische Mandat und gegen die zunehmende Besiedlung durch zugewanderte jüdische Siedler noch der jüdische Unabhängigkeitskampf gegen die Briten und gegen die Araber machten vor den Toren der Stadt halt. Die zionistischen Kampfverbände wurden von Frankreich unterstützt, eine späte Abrechnung mit dem alten Erzrivalen Großbritannien. Geschwächt durch den Zweiten Weltkrieg, versuchten die Briten derweil, sich aus Palästina zu retten.
Am 29. November 1947 beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit der Resolution 181 (II) gegen den erklärten Willen der arabischen Staaten, Palästina zu teilen. Das »Britische Mandatsgebiet Palästina« sollte in einen »jüdischen« und einen »arabischen Staat« aufgeteilt werden, die Stadt Jerusalem als Corpus separatum wurde unter UN-Verwaltung gestellt. Von den 56 UN-Mitgliedsstaaten stimmten 33 dafür, 13 Staaten – darunter alle arabischen Länder – dagegen, zehn Staaten enthielten sich. Unmittelbar darauf begann ein ungleicher Krieg. Den 50.000 zionistischen Kämpfern der Haganah und der Irgun, die teilweise militärische Erfahrungen als Soldaten in der britischen Armee während des Zweiten Weltkrieges gesammelt hatten, standen anfangs bloß 10.000 arabische und palästinensische Soldaten der Arabischen Befreiungsarmee gegenüber, bis die umliegenden arabischen Staaten in das Geschehen eingriffen. Das Ziel der zionistischen Angriffe war, die UN-Teilungsgrenzen möglichst weit auszudehnen. Die ländlichen Siedlungen und Gebiete wurden erobert und zerstört, um die Städte von den Transportwegen, Lebensmitteln und Rohstoffen abzuschneiden.
Im April 1948 wurde der sogenannte Plan Dalet umgesetzt, die Vertreibung der lokalen palästinensischen Bevölkerung durch die Haganah. Wegen seines Wasser- und landwirtschaftlichen Reichtums war das Gebiet von Acre bis nach Tiberias besonders begehrt und sollte – die UN-Resolution missachtend – dem geplanten Staat Israel eingegliedert werden. Die Dörfer wurden niedergebrannt, Häuser gesprengt und vermint, um eine Rückkehr der Bevölkerung zu verhindern. Bei einem Massaker am 9. April in Deir Yassin westlich von Jerusalem wurden 254 Männer, Frauen und Kinder von Angehörigen der Irgun sowie einer ihrer Abspaltungen, der Gruppe Lechi, ermordet. Es war wie ein Startsignal für die Vertreibung der gesamten arabischen Bevölkerung – Christen und Muslime – aus dem westlichen Galiläa. Zwischen dem 28. April und dem 14. Mai wurden alle arabischen Dörfer und Städte, auch Tiberias, gewaltsam »von Arabern gesäubert«.
Die Eltern von Yusif Sayigh und die Schwester Mary verließen Tiberias am 17. April Richtung Nazareth. Noch auf dem Weg hörten sie, dass die Stadt von den Zionisten eingenommen worden war. Wieder waren sie Flüchtlinge geworden. Der Vater zog sich nun häufig zurück und betete für Palästina, wie er sagte. Sein Sohn Yusif war zu dem Zeitpunkt in Jerusalem, wo er in den Reihen der Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei kämpfte und bald in israelische Gefangenschaft geriet. Erst im Mai 1949 wurde er entlassen.
Die Geschichte von Yusif Sayigh, der 2004 in Beirut starb, wurde später von seiner Frau Rosemary aufgezeichnet. Beide hatten sich in Beirut kennengelernt, wo Rosemary an der Amerikanischen Universität Anthropologie studierte. Sie arbeitete als Journalistin für den britischen Economist, den sie aus Protest über dessen Berichterstattung über den Vietnamkrieg wieder verließ. Sie wurde später zu einer der genauesten Chronistinnen der palästinensischen Geschichte und der Nakba. Yusif Sayigh wurde ein international anerkannter Ökonom und Kämpfer für die Sache der Palästinenser. Sein Engagement brachte ihm ein unstetes Leben und israelische Militärhaft ein. Sein Leben steht exemplarisch für die Geschichte einer Region, die rasanten politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen unterworfen wurde und wird.
Wenige Menschen leben heute noch, die als Zeitzeugen die Nakba erlebt haben. Der Geburtsort von Yusif Sayigh, Al-Bassa, war bereits 1938 von zionistischen Milizen überfallen worden. Etwa zwei Dutzend Menschen, die in der Kirche Zuflucht gesucht hatten, wurden damals getötet. Als der Staat Israel 1948 gewaltsam gegründet wurde, flohen die ursprünglichen Einwohner nach Norden in den Libanon, zionistische Kampfverbände besetzten das Land.

https://www.jungewelt.de/artikel/332434....




Kommentare
18.05.2018 / 21:06 Jörg, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
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