Mit dem Nulltarif im ÖPNV zur Verkehrswende oder mit dem Elektroauto in die Sackgasse

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Informations- und Diskussionsveranstaltung mit dem
Verkehrsexperten Winfried Wolf
11.04.2019 im Mainzer Rathaus.

Winfried Wolf ist Politiker, Verkehrsexperte, Autor und Chefredakteur von Lunapark21.
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Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Arbeitswelt, Umwelt, Kultur, Politik/Info
Serie: Friede, Freiheit, Menschenrechte
Entstehung

AutorInnen: Radio-Quer Mainz/Wiesbaden, Hlmut Eisert
Radio: RadioQuer, Wiesbaden im www
Produktionsdatum: 11.04.2019
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Mit dem Nulltarif im ÖPNV zur Verkehrswende-
oder mit dem Elektroauto in die Sackgasse

Informations- und Diskussionsveranstaltung mit dem
Verkehrsexperten Winfried Wolf
am 11.04.2019 im Mainzer Rathaus.

Winfried Wolf ist Politiker, Verkehrsexperte, Autor und Chefredakteur von Lunapark21.

Der Inhalt des Vortrages ist auch in einer Rede von ihm
bei Fridays for Future am 22. März 2019 auf der Demo der Schülerinnen und Schüler vor dem Landtag in Düsseldorf. Seine dortige Rede ist hier gekürzter Form.

Zum Verkehrssektor und zur Klimaerwärmung. Ja, der Verkehr und hier vor allem der Au-
toverkehr und der Flugverkehr sind mitverantwortlich für die massive Klimaerwärmung.
Sie tragen zu einem Fünftel bis zu einem Viertel zu den CO 2 -Emissionen bei. Und das ist
dann auch derjenige Bereich, in dem die Klimagase deutlich ansteigen.
Elektroautos sind dabei keine Lösung des Problems. Sie sind vielmehr Teil des Problems.
Und zwar deshalb, weil ein Elektro-Pkw erstens einen „ökologischen Rucksack“ hat: bei
dessen Produktion werden viel mehr CO 2 -Emissionen freigesetzt als bei einem normalen
Pkw, dies vor allem wegen der Batterieproduktion. Zweitens wegen des Strom-Mix: Es
gibt immer einen relevanten Anteil an Strom aus Verfeuerung von fossilen Brennstoffen.
Drittens weil mehr als die Hälfte der Elektro-Pkw Zweit- und Drittwagen sind – sie stei-
gern die Pkw-Dichte in den Städten; machen die zerstörerische Blechlawine gerade da, wo
sie besonders schädigend ist, nämlich in den Stadtzentren, nochmals größer. Und drittens,
weil wir mit Elektro-Pkw die Abhängigkeit von Öl ersetzen durch eine neue Abhängig-
keit von anderen knappen Ressourcen – so von Kobalt, Kupfer und Lithium. Es gibt dann
anstelle von Ölkriegen Kobalt-Kriege, Kupfer-Kriege um Lithium-Kriege.
Die Lösung der Mobilitätskrise ist eine ganz praktische. Vergleichen wir einmal Düs-
seldorf mit Kopenhagen. Beide Städte sind gleich groß. In Kopenhagen werden mehr als
60% aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. In Düsseldorf liegt der Anteil bei knapp
20%. Nehmen wir den Kopenhagen-Anteil beim Radverkehr als Ausgangspunkt, addieren
wir zu den 60% Radwege rund 15% Fußwege-Anteil und dann noch gut 20% ÖPNV-Anteil
hinzu. Dann verbleibt ein Rest von weniger als 10% für den Autoverkehr. Da ist es dann
fast egal, ob das Diesel-Pkw, Benziner oder Elektro-Autos sind. Meinetwegen gerne alles
Elektroautos. Aber eben nur 10% Autoverkehr – anstelle von den derzeit mehr als 50% in
Düsseldorf und anderen deutschen Städten.
Eine solche Grundordnung im Verkehr mit dem Vorrang Fahrrad und Fußgänger muss
kombiniert werden mit einem Ausbau des ÖPNV, mit einem Nulltarif im ÖPNV, mit ei-
nem Ausbau der Schiene in der Fläche und mit Nachtzügen, die einen großen Teil der
Kurzstrecken- und Mittelstreckenflüge ersetzen können.
Zum zweiten Aspekt, dem Totschlagargument mit den Jobs. Ja, es gibt in Deutschland
derzeit 820.000 Jobs in der Autoindustrie. Doch es ist die Autoindustrie selbst, die diese Jobs
zerstört – durch Automatisierung, durch Roboterisierung, durch Umstellung auf Elektro-
Auto-Produktion und durch Auslagerung nach Osteuropa und Asien.
Sodann ist wichtig: Mit der Verkehrswende werden neue Jobs geschaffen. Und diese
können auch in der Autoindustrie geschaffen werden, dann wenn es Konversion, einen
Umbau dieser Industrie gibt. Neue Jobs, um Eisenbahnwagen, um Loks, um Triebfahrzeuge
und um Fahrräder herzustellen bzw. um dafür die Infrastruktur bereit zu stellen.
Im Übrigen stehen wir hier für ALL days for future – für ein gesamtgesellschaftliches
Projekt und damit auch für gesamtgesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze. Nicht für Jobs
um der Jobs willen.
Nehmen wir doch mal die Situation in den Schulen, bei Euch. Wir haben derzeit in
Deutschland rund 1,2 Millionen Arbeitsplätze im Bereich Erziehung, Schulen und Hoch-
schulen. Das sind bereits viel mehr als im Bereich der Autoindustrie. Sind das zu viele?
Nein, es sind zu wenige. Siehe den permanenten Ausfall von Unterrichtsstunden. Siehe
die viel zu großen Klassengrößen.
Wenn wir nur die Verhältnisse in Skandinavien nehmen würden – und ich rede nicht
vom Sozialismus, ich rede „nur“ von Schweden oder Dänemark – wenn wir nur die Klassen-
größen und Seminargrößen und die Größe der Kita-Gruppen nehmen, die es dort gibt.
Dann bräuchten wir in Deutschland 800.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Das sind ebenso
viele, wie es derzeit in der gesamten Autobranche Jobs gibt.
Es geht nicht abstrakt um Arbeitsplätze. Es geht um sinnvolle, um gesellschaftlich wich-
tige und um klimaverträgliche Arbeitsplätze.
Nochmals zum Aspekt ALL days for future: Der Gründer des Potsdam Institut für Klima-
forschung, Schellnhuber, sagte jüngst: „Wir steuern in einem Irrsinnstempo auf eine unbe-
herrschbare globale Situation zu.“ Nur eine „Weltbürgerbewegung“ könne die sich abzeich-
nende Klimakatastrophe – gewissermaßen zwei vor zwölf – noch stoppen. Wir sagen: Das
hier ist ein Ansatz für eine solche Weltbürgerbewegung.

Frau Kanzlerin: Sie und ihre Vorgänger in diesen Ämtern hatten Jahrzehnte Zeit, wirk-
same Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung zu ergreifen. Bereits 1992 bei der Klima-
konferenz in Rio de Janeiro hieß es, die CO 2 -Emissionen müssten reduziert werden. Und
was ist passiert? Sie sind heute um 50 Prozent höher als 1992. Und es sind Ihre Maßnahmen,
es ist Ihre Politik, mit der die Klimaerwärmung beschleunigt wird. Und zwar zu Lande, zu
Wasser und in der Luft: Zu Lande mit der fortgesetzten Steigerung des Autoverkehrs –
und sei es mit Elektroautos. Auf dem Wasser durch den Boom mit Kreuzfahrtschiffen und
die Expansion der Containerschifffahrt. Und in der Luft mit der ständigen Steigerung der
Billigfliegerei.
Wir wollen nicht etwas weniger Plastik. Wir wollen nicht etwas mehr Elektroautos.
Diese Bewegung Fridays for Future will All days for Future.
Wir wollen eine Gesellschaft, in der anstelle von Profitgier, Klimazerstörung und Wachs-
tumszwang die Solidarität, die Nachhaltigkeit und die Solidarität im Zentrum stehen.

Die Mainzer Veranstaltung wurde von der Arbeitsgruppe
"Nulltarif im ÖPNV jetzt" der Ökosozialistischen Initiative Mainz Wiesbaden organisiert.
Nähere Infos:
https://nulltarif-im-nahverkehr.de/