Lorettas Leselampe September 05

ID 11398
 
Rezension von Will Eisner: Das Komplott (DVA 2005).
Audio
06:25 min, 1505 kB, mp3
mp3, 32 kbit/s, Mono (22050 kHz)
Upload vom 06.02.2006 / 00:00

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur
Entstehung

AutorInnen: Lorettas Leselampe
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 05.02.2006
keine Linzenz
Skript
Will Eisner: Das Komplott. Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion. DVA. 19,90 €

Antisemitismus braucht keine Argumente. Ihm genügt immer das Vorurteil. Antisemitismus lässt sich nicht wiederlegen. Antisemiten wissen, dass sie Recht haben. So glauben sie seit 100 Jahren daran, dass das Buch Die Protokolle der Weisen von Zion ein Treffen protokolliert, bei dem ‚die Juden‘ (wer immer das sei) über die Maßgaben ihrer Weltherrschaft verhandeln. Schon bald wurde bekannt, dass die Protokolle abgeschrieben worden sind – und zwar von einem Totengespräch, das der französische Satiriker Maurice Joly 1864 veröffentlichte. Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu hieß sein Buch, mit dem er Napoleon des Dritten Despotie angriff. Er wurde dafür bis 1870 ins Gefängnis gesteckt. Wer dieses Buch neben die „Protokolle“ legt und beide Texte vergleicht, wird schnell sehen, dass die angeblichen Protokolle nichts anderes sind, als was gemeinhin ‚Plagiat‘ genannt wird. Der Text ist kaum verhüllt umgeschrieben. Die Gespräche wurden zu Sitzungen, Machiavellis Ansichten über die Herrschaft im Staat zur 'zionistischen Verschwörung' der Beherrschung der ganzen Welt. Die Nähe zwischen beiden Texten ist so groß, dass sich jeder Menschen bei Verstand wundern muß, warum die Protokolle der Weisen von Zion eine solche Wirkung entfalten konnte und bis heute in großen Auflagen weltweit zirkuliert.
Auf diese Frage gibt Will Eisners beeindruckender Comic Das Komplott. Die wahre Geschichte der „Protokolle der Weisen von Zion“ keine Antwort. Es ist kein Buch über Antisemitsmus und seine gesellschaftlichen Bedingungen, sondern ein Comic über die Entstehung eines Buches; eine populäre Version dessen, was Autoren wie Umberto Eco und Stephen E. Bronner in ihren literaturwissenschaftlichen Forschungen herausgefunden haben (der eine hat ein Vorwort, der andere ein Nachwort für den Comic geschrieben); ein Versuch, durch die wahre Geschichte der Protokolle diese unmöglich zu machen.
Eisner erzählt die Geschichte einiger merkwürdiger Männer in seltsamen Umständen. Der nachweisliche Plagiator war Matwej Golowinski. Er arbeitete in der Presseabteilung beim Heiligen Synod, wo er zahlreiche antisemitische Artikel verfaßte, bis er entlassen wurde, weil die Politik des Zaren in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts liberaler wurde. Er ging nach Paris, wo er für den russischen Geheimdienst arbeitete. Der Wechsel in der Politik von Nikolaus dem Zweiten hat auch bewirkt, dass die zurückgesetzten Konservativen nach Mitteln gesucht haben, ihren Einfluß zurückzugewinnen. So wurde Golowinski in Paris beauftragt, ein Dokument zu fälschen, „das unserem Zar beweist, dass die Juden hinter der drohenden Revolte stecken. Es muss sehr überzeugend sein“.
Will Eisner erzählt eine fragmentierte Geschichte in Anekdoten, denn die Moderne hat bestimmte Zusammenhänge konsequent zerschlagen. Die sehnsüchtige Projektion einer Einheit durchzieht die Geschichte der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Die antisemitische Projektion, die meint, dass alle Ereignisse auf eine jüdische Weltverschwörung zurückgehen, ist nur eine dieser Projektionen – wenn auch die gefährlichste in ihren Wirkungen.
Die aufschlußreichste Anekdote ist sicherlich, wie Michail Raslovlev Anfang der 20er Jahre in Istanbul den Korrespondenten Paul Graves aufsucht und ihm das Buch von Maurice Joly zeigt. Der Illustrated Sunday Herald hat kurz zuvor einen Artikel von Winston Churchill über die Protokolle der Weisen von Zion veröffentlicht, in dem der spätere Premierminister wenig Zweifel an deren Wahrheit aufkommen läßt. Zuerst ist Graves skeptisch, vergleicht aber die beiden Bücher sorgfältig und kommt zu dem untrüglichen Schluß, dass es sich bei den Protokollen um ein Plagiat handelt.
Sein Ergebnis wird in der Times veröffentlicht. „Welchen Schaden könnten die Protokolle jetzt noch anrichten?“ fragt Graves Redakteur. Für ihn ist der Fall erledigt – die Fälschung ist zu offensichtlich. Bekanntlich beginnt zur gleichen Zeit Adolf Hitler mit seiner Popularisierung der jüdischen Weltverschwörung, die ihn nicht zuletzt 12 Jahre später zum Reichskanzler Deutschlands werden läßt und schließlich zur Vernichtung der europäischen Juden führt.
Die Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion ist die Geschichte wiederholter Enthüllungen einer Fälschung, die immer wieder ignoriert werden. Eisners Comic trägt diese Fakten sorgfältig zusammen, um alle, die sich 'irgendwie ja doch vorstellen können, dass da was dran ist' vom Gegenteil zu überzeugen. Die Geschichte ist keineswegs beendet. Auf der Frankfurter Buchmesse diesen Jahres entdeckte Matthias Küntzel am Stand des Irans die Protokolle als englische Broschüre mit dem Titel The Jewish Conspiracy. Eisners Comic mahnt, dass dies ernst genommen werden muß. Es wäre zu wünschen, dass Das Komplott eine größtmögliche Wirkung hat. Es muß gelesen werden, damit die lächerliche Geschichte eines Plagiats immer wieder erzählt wird. An dem Wahn der Antisemiten und allen, die an irgendwelche Weltverschwörungen glauben, wird das wohl wenig ändern – dafür müssten die gesellschaftlichen Bedingungen selbst andere werden.