Nachruf auf Anna Politkowskaja

ID 14159
 
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Kurzer Nachruf auf die russische Journalistin Anna Politkowskaja, gesendet am 9.10.2006 bei Radio Darmstadt.
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06:09 min, 5759 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.10.2006 / 00:00

Dateizugriffe: 596

Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Walter Kuhl
Radio: RadaR, Darmstadt im www
Produktionsdatum: 09.10.2006
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Am vergangenen Samstag wurde in Moskau Anna Politkowskaja erschossen. Die russische Journalistin war eine energische Streiterin für Wahrheit und Gerechtigkeit und sie bestach mit ihren kritischen Reportagen zum russischen Krieg in Tschetschenien. Es ist zu vermuten, daß ihr ihre oppositionielle Haltung zum Verhängnis geworden ist.

Das 1999 in Paris gegründete Tschetschenien-Komitee schreibt im 2004 bei Diederichs übersetzt erschienenen Buch Tschetschenien - Die Hintergründe des blutigen Konflikts folgendes über Anna Politkowskaja:

Sie ist die einzige russische Journalistin, die direkt und unzensiert aus Tschetschenien berichtet. Ihre offen antimilitaristischen Reporatagen beschreiben vor allem den Alltag der Zivilisten, und strafen die offizielle Propaganda beharrlich Lügen. Dieses Engagement brachte ihr viel Ärger ein: Im Februar 2001 wurde sie vom [russischen geheimdienst] FSB festgenommen, inhaftiert, freigelassen und dann streng isoliert, obwohl sie lediglich eine Untersuchung über die Gruben durchführte, die vom 45. Fallschirmjägerregiment in der südtschetschenischen Unruhezone Wedeno als Verwahrungsstätte für Gefangene benutzt wurden..

Ein Jahr später wurde sie von den russichen Militärbehörden festgenommen, weil sie ohne die erforderliche Arbeitsgenehmigung unterwegs war. Schon im Oktober 2001 war sie gezwungen, Russland zeitweise zu verlassen, weil sie nach der Veröffentlichung eines Artikels über einen von der Armee abgeschossenen Hubschrauber Morddrohungen erhielt: An Bord des Hubschraubers befand sich der Leiter einer Untersuchungskommission des Generalstabs, General Posdnjakow, der kompromittierende Informationen über das russische Oberkommando in Tschetschenien gesammelt hatte und weiterleiten sollte. [Seite 96-97]

Von Anna Politkowskaja ist 2003 im DuMont Verlag das Buch Tschetschenien - Die Wahrheit über den Krieg herausgekommen. Sie schreibt:

Wer bin ich eigentlich? Und warum schreibe ich über den zweiten Tschetschenien-Krieg?

Ich bin Journalistin. Arbeite als Sonderkorrespondentin für die Moskauer »Nowaja Gaseta«, und das ist der einzige Grund, warum ich den Krieg gesehen habe: Ich wurde losgeschickt, um darüber zu berichten. Aber nicht, weil ich Kriegsberichterstatterin wäre und mich gut auskennen würde in diesem Metier, sondern weil ich ein ganz und gar ziviles Wesen bin. Das Kalkül des Chefredakteurs war denkbar einfach: Gerade ich als zutiefst ziviler Mensch könnte sie viel besser verstehen, die Leiden anderer zutiefst ziviler Menschen: der vom Krieg überrollten Bewohner der tschetschenischen Dörfer und Städte.

Das ist alles. […]

Natürlich habe ich Tschetschenien in alle Richtungen erkundet. Und dabei unsägliches Leid gesehen. Das Schmerzlichste aber ist, dass viele meiner Helden, über die ich in diesen zweieinhalb Jahren schrieb, jetzt bereits tot sind. So sieht er aus, dieser furchtbare Krieg.

Der mittelalterliche.

Auch wenn er sich am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert und hier in Europa abspielt.

Der Sommer 2002 steht vor der Tür, und es ist der 33. Monat im zweiten Tschetschenien-Krieg. Schwärzeste Trostlosigkeit und keinerlei Lichtblick, was sein Ende angeht. Die »Säuberungen« hören nicht auf und gleichen massenhaften Autodafés. Folterungen sind an der Tagesordnung, Exekutionen ohne Gerichtsverhandlung Routine, Marodeursunwesen und Plünderungen eine Banalität. Die Entführung von Zivilisten durch Angehörige der Föderationstruppen, verübt in der Absicht, mit den Geiseln Sklavenhandel zu treiben, wenn sie noch leben, oder Leichenschacher, wenn sie tot sind, ist trivialer tschetscehnischer Alltag. [Seite 17-18]

Daran hat sich auch vier Jahre später nichts wesentliches geändert. Dem Terror der russischen Armee, der Spezialkräfte des Geheimdienstes FSB und der mit ihnen verbündeten tschetschenischen Kollaborateure bzw. Warlords steht der verzweifelte Kampf zersplitterter Guerillatruppen genauso gegenüber wie die weitgehende Ohnmacht und Apathie der Zivilbevölkerung. Wladimir Putin jedenfalls konnte und kann sich der Unterstützung aller rechtschaffenen Kräfte dieser Welt gewiß sein: Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Angela Merkel, George W. Bush.

Auch unser Oberbürgermeister Walter Hoffmann applaudierte dem russischen Präsidenten bei seinem Deutschland-Besuch am 25. September 2001 für seine herzerfrischende Rede im Deutschen Bundestag. Ich weiß ja nicht, ob es ihm nicht inzwischen ziemlich peinlich ist. Dasselbe gilt für Andreas Storm, der sich inzwischen auf der Karriereleiter zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung hochgedient hat.

Wenn ich mir überlege, daß Anna Politkowskaja genauso alt geworden ist wie ich, dann muß ich mich schon fragen, warum sowohl dieses Radio wie auch ich selbst so wenig aus so viel mehr Möglichkeiten mache. Hierzulande werden allzu neugierige Journalistinnen und Journalisten von Geheimdiensten und ihren journalistischen Hilfskräften nur bespitzelt, wie der BND-Skandal Anfang dieses Jahres bewies. In anderen Teilen dieser Erde werden sie für ihren Einsatz im Dienste der Wahrheit und der Menschenrechte umgebracht.

Und doch fehlen mir ausnahmsweise die Worte, um das auszudrücken, was hier notwendig zu sagen wäre. Anna Politkowskaja würde sicherlich sagen: weint nicht um mich, sondern tut etwas, um das Morden und die Tragödie in Tschetschenien zu stoppen.

Kommentare
11.10.2006 / 12:51 wolli, Radio Unerhört Marburg (RUM)
gesendet
im zip-fm vom 11.10.06
 
11.10.2006 / 16:50 georg wimmer, Radiofabrik, Salzburg
gesendet
gesendet auf der Radiofabrik am 11. 10.
 
12.10.2006 / 09:17 RaBe AbendInfo, Radio RaBe, Bern
gesendet
11.10.
 
24.10.2006 / 22:07 DFG/VK: Kalaschnikov, Radio Unerhört Marburg (RUM)
gesendet
18.10