Deutsche Herrschaft in Ostafrika - ein Überblick

ID 15637
 
Teil der Sendereihe: "Kolonialismuskritik vor Ort - freiburg postkolonial"
Beitrag mit diversen Zitaten und kurzen Musikeinspielungen.
Anmoderation (mit O-Tönen von der Straße) im Beitrag.
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12:26 min, 11 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 14.02.2007 / 00:00

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Heiko, Niels
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 13.02.2007
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Deutsche Herrschaft in Ostafrika – ein Überblick

Die deutsche Vereinnahmung in Ostafrika wurde vom Abenteurer Carl Peters begonnen. Sein Ziel: „rücksichtslose und entschlossene Bereicherung des eigenen Volkes auf anderer, schwächerer Völker Unkosten“.
1884 gründete er die Gesellschaft für deutsche Kolonisation und begann sofort mit Expeditionen. Durch die Region reisend schloss er zahlreiche sogenannte Schutzverträge mit lokalen Machthabern. Zum Ende der in Berlin tagenden Kongo-Konferenz konnte er 1885 einen weiteren Erfolg verbuchen: Bismarck stellte die bisher erworbenen Gebiete unter „Reichsschutz“. Peters’ Gesellschaft für deutsche Kolonisation wurde in Deutsche Ostafrikanische Gesellschaft umbenannt und mit Kapital und strafferen Organisationsstrukturen versehen. In den folgenden Jahren dehnte sie ihren Einflussbereich durch weitere Schutzverträge aus.
Dabei betrachteten die afrikanischen Partner die Verträge zumeist als Beistandsvereinbarungen, während die Deutschen die mitgebrachten Geschenke als eine Art Kaufpreis für das Land der Einheimischen ansahen.

Der sogenannte Araberaufstand markierte 1888 den Beginn der militärischen Eroberung durch das Deutsche Reich. Bismarck, der bis dahin jede finanzielle Unterstützung der DeutschOstafrikanischenGesellschaft abgelehnt hatte, befürchtete einen Imageschaden für das deutsche Reich und sorgte für eine Eingreiftruppe, die nach ihrem Kommandeur Hermann Wissmann benannt wurde. Neben deutschen Offizieren bestand sie aus Sudanesen und Mosambikanern. Die afrikanischen Söldner wurden als Askari bezeichnet – dem Suaheliwort für Soldat. Aus der Wissmann-Truppe entstand später die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika .
Wissmann gab sich mit der Niederschlagung des Aufstands nicht zufrieden und forcierte nun die Eroberung des Inlands. Parallel dazu festigte sich in Europa - mit dem Helgoland-Sansibar-Vertrag als Kernstück - die diplomatische Anerkennung und Grenzziehung der Kolonie. Das heutige Tansania sowie Ruanda und Burundi wurden so am 1. Januar 1891 offiziell zur Kolonie Deutsch-Ostafrika.

Viele Afrikaner unterwarfen sich den vordringenden Deutschen angesichts der militärischen Überlegenheit – aber keineswegs alle. Immer wieder kam es zu Widerstand von Dörfern oder Gruppen, der meist schnell erstickt wurde. Die Gruppe der Hehe aus dem Süden der Kolonie jedoch brachten den Deutschen 1891 in einer offenen Schlacht massive Verluste bei. Als 1894 die Deutschen Truppen die Festung bei Iringa einnahmen, stellten sie auf einen bis 1898 andauernden Guerillakrieg um.
Den Hehe-Krieg führten die deutschen Kolonisten mit brutaler Härte und einer Politik der verbrannten Erde. Gefangene wurden keine gemacht, Frauen und Kinder als Geiseln genommen und Felder & Hütten verbrannt.
Um 1900 war die Kolonie schließlich vollständig unter der Kontrolle der Schutztruppe, und man bemühte sich um die Installierung einer zivilen Verwaltung.

In der Kolonie Deutsch-Ostafrika wurden unterschiedlich direkte Systeme der Kontrolle installiert. Sie hingen von der Macht der lokalen Herrscher und der Erreichbarkeit für die Kolonialverwaltung ab. Während diese an der Küste sehr präsent war, wurde z.B. in Ruanda und Urundi nur recht indirekt Herrschaft ausgeübt.
Die deutschen Bezirksamtmänner hatten völlige juristische Gewalt über die Einheimischen, verfügten über Soldaten oder Polizisten zur Durchsetzung und neigten zur Willkür – nicht zuletzt, weil der Gouverneur in Dar es Salaam ihre Herrschaft nicht wirksam kontrollieren konnte.

Afrika galt in Deutschland als dunkler, geheimnisvoller Kontinent, als Spielplatz für „ganze Männer“. Soldaten, Goldsucher, Händler oder Bauern gingen nach Ostafrika und erhofften sich Ruhm, Geld und Abenteuer.
Die AfrikanerInnen kamen in deutschen Plänen allenfalls als billige Arbeitskräfte vor.
Entsprechend weit verbreiteter rassistischer Vorstellungen galten sie als dumm, faul und unselbständig; bestenfalls noch als willenlose Opfer, die es vor Gewaltherrschern und arabischen Sklavenjägern zu erretten galt.
Dieses deutsche Überlegenheitsgefühl erweckte zusammen mit der zeitgenössischen Fortschrittseuphorie ein kulturelles Sendungsbewusstsein, das im Sprichwort „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ trefflich zusammengefasst ist. Damit ließen sich Kolonisierung und Zerschlagung jeglichen Widerstands problemlos rechtfertigen.
Die Afrikanistin Sonja Mezger beschreibt das so:
[Zitat]
Die deutschen Händler hatten Schwierigkeiten, sich gegen die Konkurrenz indischstämmiger Kaufleute durchzusetzen, die schon länger in der Gegend ansässig und mit den Bedingungen besser vertraut waren. Dazu nochmals Sonja Mezger:
(ZITAT)
Die Plantagenbesitzer und -verwalter gingen rigoros vor. Sie mühten sich nach Kräften, traditionelle wirtschaftliche und politische Systeme zu zerstören, um afrikanische Konkurrenz auszuschalten und die Einheimischen zur Arbeit auf den Plantagen zu zwingen. Überlange Arbeitszeiten, Prügel und Nahrungsentzug waren auf vielen Plantagen die Regel, die Nilpferdpeitsche ein gängiges Disziplinierungsmittel.

Für das deutsche Reich erwies sich die Kolonie bald als kostspielig. Die Reichszuschüsse für den Ausbau der Infrastruktur und die Bezahlung von Beamten verstärkten die kritischen Stimmen im Reichstag. Um die Kolonie rentabel zu machen und Arbeitskräfte zu beschaffen, wurde Ende des 19. Jahrhunderts eine Hüttensteuer eingeführt, die auch als Arbeitsleistung zahlbar war.
Damit entschied sich endgültig die Machtfrage - war doch das Bezahlen der Steuer ein Zeichen der Unterwerfung unter den Kolonialstaat. Die Steuereintreiber trieben die Steuern auf brutale Weise ein – unterstützt von den kampferprobten Askari.
Sie handelten dabei häufig nach dem Prinzip der kollektiven Haftung der Bewohner eines Dorfes, holten das Vieh, wo es welches gab und ließen bei Widerstand die Hütten der „Unbotmäßigen“ in Flammen aufgehen. Wer seine Steuern nicht bezahlen konnte wurde zur Zwangsarbeit verpflichtet.
Innerhalb einer bestimmten Zeit mussten festgelegte Aufgaben erfüllt werden, wie z.B. das Jäten eines Feldes oder ein bestimmter Abschnitt beim Straßenbau. Wer seine Aufgabe nicht erfüllte wurde ausgepeitscht und 6 Monate ins Gefängnis geworfen.
Die von Brutalität und physischer Überbeanspruchung geprägte Zwangsarbeit führte häufig zur Flucht, aber auch zu bewaffnetem Widerstand.

Militärische Eroberung, Zwangsarbeit, Landenteignung und Verschärfungen der Besteuerung. Dazu das rassistische, überhebliche Gebaren der Deutschen und die Brutalität der ortsfremden Askari.
So kann es rückblickend nicht verwundern, dass sich 1905 eine Auseinandersetzung auf einer Baumwollplantage zu einem Aufstand ausweitet, der bald ein Gebiet von der Größe der heutigen Bundesrepublik umfasst und verschiedenste Gruppen im Kampf gegen die Kolonialherren eint – der Maji-Maji-Krieg.
Ein Initiator der Maji-Maji-Bewegung ist der Prophet Kinjikitile. Er verbreitet Maji – das Suaheli-Wort für Wasser – das gegen die Kugeln der deutschen Maschinengewehre immun machen soll.
Die Lehre vom Zauberwasser führt zwar dazu, dass Tausende Afrikaner offen ins deutsche Maschinengewehrfeuer laufen, bevor sie zum effektiveren Guerillakrieg übergehen. Sie stellt aber auch das einigende spirituelle Band dar für den ersten übergreifenden antikolonialen Befreiungskampf in Afrika.
Kinjikitile hatte verstanden, dass die deutschen Eindringlinge nur gemeinsam bekämpft werden konnten. Obwohl er schon nach wenigen Tagen gefangen und hingerichtet wurde, war der Aufstand nicht mehr zu stoppen.

Die Deutschen beantworteten den Aufstand mit einer Politik der verbrannten Erde:
Erreichte die deutsche Truppe einen Ort, in dem sie Aufständische vermutete, wurde dieser nach Plünderung seiner Vorräte zerstört. Die Palette reichte vom Abbrennen der Hütten und Felder, über Vergiftung der Brunnen bis zur Abtreibung des Viehs. Hauptmann von Wangenheim beschrieb das Vorgehen folgendermaßen:
"Nach meiner Meinung kann nur Hunger und Not die endgültige Unterwerfung herbeiführen; militärische Aktionen werden mehr oder weniger Schläge ins Wasser bleiben. Wenn die jetzt noch vorhandenen Nahrungsmittel verzehrt sind, den Leuten aber durch dauernde Streifzüge die Wohnungen zerstört werden und die Möglichkeit genommen wird, neue Felder zu bestellen, dann erst werden sie endgültig ihren Widerstand aufgeben müssen."
Der Oberleutnant und spätere Pazifist Hans Paasche berichtete von der Ruhmsucht seiner Kameraden:
[Zitat]
Teilweise erhielten die Hilfskrieger der Deutschen weder Bezahlung noch Nahrung. Diese mussten sie sich selbst bei ihren "Feinden" beschaffen. Die entsprechende Verrohung lässt sich leicht ausmalen.
1907 war der antikoloniale Befreiungskampf gescheitert. Die politische Elite in den Kriegsgebieten war ausgerottet, gesellschaftliche Strukturen dauerhaft zerstört und die eben erst gewonnene Einheit wieder zerschlagen. Der Hunger forderte dabei in vielen Gebieten mehr Tote als die direkten Kriegshandlungen. Die Akten des Reichskolonialamts sprechen von 75.000 umgekommenen AfrikanerInnen. Tansanische Schätzungen gehen von bis zu 300.000 Opfern aus, etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Kriegsgebietes. In Deutschland war dieses Krieg kaum Thema, denn die afrikanischen Opfer zählten nicht und der deutschen Seite fielen nur 15 Europäer, 73 Askaris und 316 sogenannte "Hilfskrieger".

Allerdings endete bald die Träume vom deutschen Kolonialreich. Nach dem 1. Weltkrieg stellte der Völkerbund den weitaus größten Teil der ehemals deutschen Kolonie - Tanganjika und Sansibar - unter britische Mandatsherrschaft. Ruanda und Burundi gingen an Belgien.