Kommentar zu den § 129a Inhaftierungen

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Deutschland ist das Problem. Die § 129 a Inhaftierungen im politischen Kontext.
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Entstehung

AutorInnen: Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen; nfsu
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 22.08.2007
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Immer deutlicher wird: Die aktuellen § 129a Verfahren – Bildung einer terroristischen Vereinigung – haben nicht nur eine äußerst dünne Rechtsstaatliche Legitimation; sie sind, was die Festnahmen betrifft Präventivhaft, Vorbeuge- oder Schutzhaft.
In diesem Zusammenhang erinnern wir an den Artikel aus der Berliner Welt vom 4. August, also von vor 18 Tagen, in dem es heißt:
„haben zu der umstrittenen Einstufung der Militanten Gruppe als terroristische Vereinigung geführt.
Ein Verfassungsschützer sagte gestern: „Ich kenne die Vorbehalte gegen diese Einstufung. Mit ist auch klar, dass man bei dem Begriff Terrorismus eher an die Morde der RAF und die Anschläge von Islamisten denkt als an Brandanschläge auf Autos. Aber diese Gruppe würde noch eine ganz andere Qualität der Gewalt an den Tag legen, wenn sie dazu die Mittel hätte.“ „
... Wenn sie dazu die Mittel hätte...
Nun ist heute (22.8.2007) durch Meldungen der Berliner TAZ und der Berliner WELT, wohl auch Weiterer unter Bezugnahme auf die Rechtsanwältin von A. H., Christina Clemm, behannt geworden, daß der Verdacht des BKA auf Andrej H. und die anderen Wissenschaftler durch simple Google Vergleiche entstanden ist. Laut TAZ von heute läßt sich das so vorstellen: Ein sehr schlauer aber wenig kluger BKA Ermittler gibt bei Google das Wort Gentrification ein, findet dort „ungefähr 2.290.000“ Einträge, jagt diese durch eine illegal bei den Verfassungsschutzbehörden kopierte Raster Datei von zu diesem Thema politisch Aktiven und erhält genau die Liste Derjenigen, bei Denen wissenschaftliche Arbeit als kritische und damit auch politisch aktive Arbeit verstanden wird; Welche in diesem Sinne publizieren und damit nicht nur in Bibliotheks Kartei Kästchen sondern auch im Netz erfaßt sind.
An dieser Stelle wäre der liberale Menschenverstand geneigt das Denken einzustellen und davon auszugehen: Der Rechtsstaat wird dieses Maß an Einfältigkeit schon wieder gerade rücken, am Ende ein Bedauern ausdrücken und einer Haftentschädigung zustimmen.
In Hamburg fragen wir:
Hat der Rechtsstaat die § 129 Kriminalisierten, deren Verfahren eingestellt wurde, rehabilitiert? Sind die hunderte Rechtsbrüche der Polizei juristisch aufgearbeitet? Sind die Flaschen werfenden Polizeibeamten zur Rechenschaft gezogen? Ist der Innensenator, dem gar der Erste Bürgermeister attestierte, er sei noch im Amt, da die Urteile noch nicht rechtskräftig seien, mittlerweile belangt?
Dieser Innensenator hat anläßlich der Fußball WM schon vor einem Jahr als erster Landesinnenminister Bundeswehreinsätze im Inneren verlangt. Streikposten der Bau Gewerkschaft wurde jüngst die Ingewahrsamnahme angedroht.
In den drei Wellen von Hausdurchsuchungen am 9. Mai, 16. Juni und den Berliner Festnahmen vom 31. Juli geht es um eine politische Weichenstellung. Eine Weichenstellung, die von sogenannten Militanten, wie auch der sogenannten No G8 Bewegung bisher nicht oder nur unzureichend reflektiert worden ist.
Im Zeitraum der aktuellen § 129a Hausdurchsuchungen handelt der G8 Gipfel in Deutschland. Daß Deutschland und nicht der G8 Gipfel das Problem ist, davon und von dem Preis, den stellvertretend für eine weitgehend ignorante Linke jetzt die Inhaftierten und die Betroffenen der Hausdurchsuchungen zu zahlen haben, handelt der zweite Teil dieser Erzählung:
Souverän und selbstbewußt vertritt Deutschland seine Position als Weltmacht, das ist der Kern der Politik der Großen Koalition und diese Politik schließt eine äußere wie innere Militarisierung ein. Für Jugoslawien z.B. faßt diese Politik den nächsten Waffengang unter deutscher Beteiligung ins Auge. Das läßt sich der aktuellen TAZ-Rathfelder Propaganda entnehmen. In dessen jüngsten Artikeln und Kommentaren fordert er die Loslösung des Kosovo von Jugoslawien, also Krieg. Keine Ahnung, ob diesem Journalisten die Signale aus Moskau und Petersburg zugänglich sind, oder er sich einen Merkel Auftritt a la Schröder seinerzeit im ersten deutschen Krieg nach der deutschen Einheit, als dieser den russischen Vermittler nach Sibirien schickte, herbeischreibt. Fakt ist: Wenn die TAZ Führungsetage Rathfelder die Feder überläßt riecht es auf dem Balkan nach deutschem Schießpulver, das wissen wir aus den gesamten 90'er Jahren.
In all diesem geht eine Meldung fast unter: Die Bundeskanzlerin auf Grönland. Auf der Erscheinungsebene ein Bild im Anschluß an den G8 Gipfel, ein weiteres Bild zum Klimaschutz. Aber Grönland ist dänisch wissen wir spätestens mit Fräulein Smilla und auch, daß das Kolonialismus und Imperialismus im (post-)modernen Kontext ist. Aus den sonstigen Meldungen wissen wir, daß Rußland, Kanada und Dänemark in den vergangenen Wochen neue Claims am Nordpol abstecken und wir wissen um die enge Verbundenheit deutscher Interessen im skandinavischen Raum. Wofür sich das „Klima“ doch überall einsetzen läßt... Den Russen muß mit deutscher Gründlichkekit aufgezeigt werden – auf dem Balkan wie im Eismeer – wo der Hammer hängt. (Der europäische Kulturraum endet an der Donau – (bei den Slaven) hieß es Angang der 90'er in einem Leitartikel der FAZ.
Wenn heute in der TAZ auf der Meinungsseite im Kontext der § 129 a Verfahren Saskia Sassen und Richard Sennett die von ihnen unterzeichnete Stellungnahme des amerikanischen Soziologentages dahingehend relativieren, daß sie den deutschen Geheimdiensten mangelhafte Professionalität vorhalten, verkennen sie zweierlei: Was die Meinungsführerschaft der deutschen Eliten betrifft, hat die TAZ seit 1999 bzw. Rot-Grün zur FAZ aufgeschlossen. Da sollte man nicht mitspielen wollen. Zweitens. Die, in diesem Fall publizistische, äußere Militarisierung ist begleitet von einer Inneren. Eine symbolische Darbietung hat die Kavala geleistet, welche von Anfang an den Einsatz von Bundeswehr Einheiten plante - nicht der polizeitaktischen, sondern der politischen Wirkung wegen; (und niemand behaupte, die in der MV Landesregierung präsente Linkspartei hätte davon keine Ahnung gehabt).
Die praktische innere Militarisierung politischer und sozialer Konflikte wird in Hamburg seit der Bambule systematisch entwickelt. Hier wird nahtlos ein Polizeipräsident Innensenator. Nur ein weiterer Schritt ist die Berlin-Karlsruher Präventivhaft, die nicht in erster Linie wegen Taten ansetzt, sondern gegen das Denken gerichtet ist. Deswegen wurden Wissenschaftler einem Generalverdacht unterworfen.
Abschließend verlesen wir hier die Erklärung der Sektion Stadtsoziologie in der Deutschen Soziologischen Gesellschaft vom 21.8.2007:

Wider die Kriminalisierung von Wissenschaft1
Stellungnahme der Sektion Stadt- und Regionalsoziologie in der Deutschen
Gesellschaft für Soziologie zur Verhaftung des Stadtsoziologen Andrej H.
8.08.2007/21.8.2007
Sektion Stadt- und Regionalsoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB
ist am 31. Juli ein geschätztes und anerkanntes Mitglied unserer Sektion verhaftet worden.
Das Sprechergremium der Sektion Stadt- und Regionalsoziologie ist über die Begründung de
Verhaftung entsetzt und verurteilt die Begründung des Haftbefehls. Dieser steht für eine
Ausweitung der Terrorismus-Ausnahmegesetzgebung auf wissenschaftliche Stadtforschung.
Der Sprecherrat der Sektion Stadt- und Regionalsoziologie kritisiert insbesondere, dass die
langjährige, anerkannte wissenschaftliche Tätigkeit von Andrej. H. als Begründung für den
ergangenen Haftbefehl herangezogen wird:
• Als Verdachtsmoment wird eine von Andrej H. im Jahr 1998 veröffentliche
wissenschaftliche Abhandlung angeführt. Diese enthalte „Schlagwörter und Phrasen,
„die in Texten der "Militanten Gruppe" (mg) gleichfalls verwendet werden.
• Zentral wird Andrej H., soweit bisher bekannt, zum Vorwurf gemacht, dass er
Forschungen zur „Gentrification“ realisiert habe. „Gentrification“ ist seit mehr als 40
Jahren ein wichtiges Forschungsfeld der Stadtforschung. Dieser Vorwurf
kriminalisiert die Vielzahl der Forscher, die seit Jahren in diesem Themenfeld
arbeiten!
• Als promovierter Soziologe sei Andrej H. zudem "intellektuell in der Lage, die
anspruchsvollen Texte der Militanten Gruppe zu verfassen".
Mit dieser Begründung für einen Haftbefehl wird sozialwissenschaftliche Forschung
unmittelbar dem Terrorismusverdacht ausgesetzt. Dies ist eine Beleidigung für
wissenschaftlich Tätige. Wenn die bekannt gewordene Begründung als Indiz für die
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ausreicht, wird die Stadtforschung an
Hochschulen und Instituten unter Generalverdacht gestellt.
Der Sprecherrat der Sektion Stadt- und Regionalsoziologie in der Deutschen Gesellschaft für
Soziologie fordert die Verantwortlichen auf, wissenschaftliche Forschung nicht mit
Terrorismus gleichzusetzen. Wenn kritische Forschung ausreichen soll, jemanden in Haft zu
nehmen, liegt die Vermutung einer Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien nahe. Vor diesem
Hintergrundhaben wir den Eindruck, dass die Behörden mit der Untersuchungshaft überzoge
reagiert haben und fordern, Andrej H. auf freien Fuß zu setzen und das Verfahren ‚zivilisiert’
durchzuführen.
Für die Sektion Stadt- und Regionalsoziologie:
• PD Dr. Christine Hannemann, Berlin, Sprecherin der Sektion
• Prof. Dr. Herbert Schubert, Köln, 1. stellvertr. Sprecher
• Prof. Dr. Andreas Pott, Osnabrück, 2. stellvertr. Sprecher
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http://www.sektion-stadtsoziologie.de.