"Feindbild Demonstrant. Polizeigewalt, Militäreinsatz, Medienmanipulation. Der G8-Gipfel aus Sicht des Anwaltlichen Notdienstes" - Eine Buchrezension

ID 21042
 
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Buchbesprechung zu:
Republikanische AnwältInnen Verband/Legal Team: Feindbild Demonstrant. Polizeigewalt, Militäreinsatz, Medienmanipulation. Der G8-Gipfel aus Sicht des Anwaltlichen Notdienstes.
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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Serie: MoRa3X
Entstehung

AutorInnen: Simone Engel und Philipp Eckstein
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 08.02.2008
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
ANMOD:
Während des G8 Gipfels im Juni 2007 betreuten rund 100 Anwälte und Anwältinnen die rechtlichen Belange der Protestierenden. Dieser „Anwaltliche Notdienst“ wurde unter Führung des Republikanischen Anwältinnen Verein, sowie unter Kooperation der Ermittlungsausschüsse aufgebaut. In der Öffentlichkeit traten sie vor allem unter der Bezeichnung „Legal Team“ in Erscheinung. Der Anwaltliche Notdienst wurde für die schwierige Arbeit während der G8-Proteste mit Preisen des Deutschen Anwaltsvereins, wie auch von der Internationalen Liga für Menschenrechte ausgezeichnet.
Diesen Januar veröffentlichte nun der Anwaltliche Notdienst ein Buch, in dem eine Bilanz der Geschehnisse gezogen wird:
Simone und Philipp von Radio Dreyeckland haben das Buch bereits gelesen:


B E I T R A G


ABMOD:
Soweit die Besprechung von Philipp und Simone von Radio Dreyeckland zu „Feindbild Demonstrant“. In diesem Buch zieht der Anwaltliche Notdienst eine erste Bilanz des G8-Gipfels vom Juni 2007 in Heiligendamm.


SKRIPT:
Republikanische AnwältInnen Verband/Legal Team: Feindbild Demonstrant. Polizeigewalt, Militäreinsatz, Medienmanipulation. Der G8-Gipfel aus Sicht des Anwaltlichen Notdienstes. Assoziation A: Berlin 2008. 176 Seiten, 10€.

„Feindbild Demonstrant. Polizeigewalt, Militäreinsatz, Medienmanipulation. Der G8-Gipfel aus Sicht des Anwaltlichen Notdienstes.“ Unter diesem Titel beschreiben und bewerten die 23 Autoren und Autorinnen, allesamt JournalistInnen und AnwältInnen, den Umgang der staatlichen Behörden mit den Demonstrierenden während des G8-Gipfels 2007. Und wie es schon im Titel anklingt: Diese Bewertung fällt ganz und gar nicht positiv aus. Bei der Lektüre der insgesamt 20 Kapitel wird mehr und mehr deutlich, was mit der These vom „Feindbild Demonstrant“ gemeint ist: Anstatt den legitimen und ja auch legalen Protest als solchen anerkennen, ermöglichen und schützen zu wollen, wurden die Demonstrierenden von vornherein als Störfaktor und Gefahr für die allgemeine Sicherheit angesehen - mit gravierenden Folgen. Sowohl aus bürgerrechtlicher wie auch juristischer Sicht zeichnen die AutorInnen ein erschreckendes Bild des Vorgehens von Politik und Polizei.
Von zentraler Bedeutung erweist sich aus dieser Sicht die Besondere Aufbauorganisation, kurz BAO, Kavala. ZITAT: „Mittels Desinformationspolitik, willkürlichen Gefahrenprognosen und absurden Feindbildern wurde dem massiven Angriff auf Freiheitsrechte ein pseudo-rechtsstaatlicher Anschein verpasst“ (48). Unter dem Deckmäntelchen dieser speziell für den G8-Gipfel geschaffenen polizeilichen Sonderbehörde liefen praktisch alle Fäden zusammen: hier wurden Menschen in Käfigen untergebracht, hier wurde anwaltliche Arbeit massiv behindert, hier fand die unzulässige Zusammenarbeit mit der Bundeswehr einerseits und mit der Justiz andererseits statt. „Unter der alleinigen Herrschaft dieser Sonderbehörde wurden alle Trennungsgebote und Gewaltenteilungsprinzipien, die nach dem Verfassungsgefüge des Grundgesetzes Machtexzesse der Exekutive und der Polizeigewalt verhindern sollen, unterlaufen“ (45). Besonders nachdrücklich wird von den AutorInnen daher die Justiz kritisiert: „Sie kam ihrer von der Verfassung zugeschriebenen Kontrollfunktion nicht nach“ (100). Vielmehr ließen sich die zuständigen Richter- und Staatsanwältinnen in das Sicherheitskonzept von Kavala einbinden. „Die Justiz unterwarf sich zumindest formal der Exekutive, also der Herrschaft der ‚Superbehörde’ Kavala“ (92). Man beteiligte sich an Probeläufen vor dem Gipfel und sicherte hierbei Stillschweigen zu. Während dem G8-Gipfel trugen RichterInnen sowie Staatsanwaltschaft Anstecker mit der Aufschrift „Kavala Justiz“ (90, 132).
Die Kritik an der fehlenden Kontrolle der Polizei seitens der Justiz wird in dem sehr gelungenen Kapitel über die Beweis- und Festnahme Einheiten, kurz BFE, noch grundsätzlicher. Die BFEs sind wie in der Vergangenheit schon häufig, auch während der G8-Proteste durch unnötig gewalttätiges Vorgehen gegen Protestierende aufgefallen. Unzählige Videos und Fotos belegen dies. Doch bei diesem Vorgehen „können die BFE sich bei ihren brutalen Einsätzen sicher sein: Die Politik schützt sie in der Öffentlichkeit, die Justiz verfolgt sie fast nie“ (76). Und das ist auch dieses Mal nicht anders. Von den gerade einmal 56 eingeleiteten Verfahren gegen PolizistInnen „sind zwischenzeitlich 33 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt“ (77). Doch dies sei nichts G8-Spezifisches. So wurden bspw. in Berlin im Jahr 2006 von 1000 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte, gerade einmal 13 zur Anklage gebracht. Letztlich sei „eine ernst zu nehmende strafrechtliche Verfolgung von Polizeigewalt nicht zu erwarten“ (77). Die Folgen hiervon, so der Berliner Fachanwalt für Strafrecht und Autor Alain Mundt, seien verheerend: „Betroffene lassen sich von brutalen Polizeieinsätzen abschrecken und verzichten lieber auf die Wahrnehmung ihres Versammlungsrechts, als sich verprügeln und zu Unrecht strafrechtlich verfolgen zu lassen, Die Gefahr für die Versammlungsfreiheit geht nicht von Steine werfenden Demonstrantinnen, sondern von einer Polizei aus, die das Gewaltmonopol des Staates zur Abschreckung missbraucht, und einer Justiz, die DemonstrantInnen faktisch zu rechtlosen Objekten polizeilicher Gewalt macht“ (77-78).
Eine weitere Missachtung von verfassungsgemäßen Trennungsgeboten wird in 2 Kapiteln über den Militäreinsatz im Inneren deutlich gemacht. Bis zu 2450 Soldaten sind zur Unterstützung der polizeilichen Aufgaben bereitgestellt worden. Diese Maßnahmen werden als über den G8 hinaus bedeutsam eingeschätzt: „Der Einsatz der Bundeswehr anlässlich des G8-Gipfels sollte offensichtlich nicht nur gezielt einschüchtern, sondern vor allem Fakten schaffen und ein Test sein für die Akzeptanz eines – verfassungswidrigen – Einsatzes der Bundeswehr im Inneren“ (143). Auch hier trug Kavala ihren Teil dazu bei, indem sie eigenmächtig Tornadoflüge anorderte.
Besonders erfreulich an „Feindbild Demonstrant“ ist, dass auch speziell auf die mehr als fragwürdige Öffentlichkeitsarbeit von Polizei und Politik eingegangen wird. Es könne, so die klare Aussage „im Bezug auf den G8-Gipfel in Heiligendamm davon gesprochen werden, dass Polizei und Regierung systematisch und andauernd Falschinformationen verbreitet haben und noch verbreiten“ (127). Falschmeldungen, die nur unzureichend revidiert wurden und bis heute das Bild der Proteste negativ prägen. In nachweislich falschen Pressemitteilungen und völlig überzogenen Gefahrenprognosen wurden alle, die gegen den G8 protestieren wollten, zum Sicherheitsrisiko stilisiert: „BürgerInnen werden zu ‚Chaoten’, demokratischer Protest wird als ‚Terrorismus’ diffamiert. [...] Wer in der ‚Gefahrenzone’ protestieren wollte, störte das Sicherheitskonzept und wurde zum ‚Terrorverdächtigen’, zum ‚Feind’“ (47). Diese Darstellung der polizeilichen Medienmanipulation beruht auf einer gründlichen und gut belegten Recherche – im Übrigen eine Stärke des gesamten Buches.
Abschließend bleibt festzuhalten: Mit „Feindbild Demonstrant“ wurde eine beunruhigende und unbedingt lesenswerte Auswertung der G8 Geschehnisse vorgelegt. Bei der Lektüre entsteht ein Bild einer systematischen Sicherheits- und Abschreckungsstrategie von Staat und Polizei. Der oder die Leserin bleibt mit der Frage zurück, ob denn jener Ausnahmezustand G8 nicht schon längst Normalzustand der BRD geworden ist. Ein Zustand, der uns eben nur bei derartigen Großereignissen so offen vor Augen geführt wird. Auch die Autorinnen deuten an, „dass sich Kritik nicht auf das polizeiliche Vorgehen in Heiligendamm beschränken darf, sondern den gesamten sich herausbildenden präventiven Sicherheitsstaat in den Blick nehmen muss“ (161).

Als eine endgültige Bewertung sollte man Feindbild Demonstrant jedoch nicht ansehen. Einerseits sind noch nicht alle juristischen Verfahren abgeschlossen und andererseits verdient jeder der angeschnittenen Aspekte des Buches eine ausführlichere Untersuchung.

„Feindbild Demonstrant“ ist im Assoziation-A Verlag erschienen, die 176 Seiten kosten 10€.



Kommentare
13.02.2008 / 14:10 fredi, radio flora, Hannover
im zip vom 13.2.2008
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