"Die leben dort gut "(?) - Sächsische Asylbewerber im Dschungel hinter Stacheldraht

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Im Weißeritzkreis (Sachsen) gibt es ein Asylbewerberheim. Aussagen der deutschen Nachbarn wurden den Aussagen von Asylbewerberheimbewohnern gegenüber gestellt. Wir erfahren, dass die meisten deutschen Nachbarn wenig über das Leben der Asylbewerber wissen und dass es viel Ablehnung gibt. Daher wird im Beitrag die Asylgesetzgebung erklärt und mit Fakten unterfüttert. Wir erfahren was Asylbewerber essen müssen (AsylbLG), wo und wie sie wohnen müssen (AsylVfG, SächsFlüAG) und dass sie ihren Landkreis nicht verlassen dürfen (Residenzpflicht).
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51:59 min, 48 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 12.12.2010 / 06:58

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Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: AL
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 16.07.2007
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
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Der Weißeritzkreis in Sachsen geriet im Jahr 2002 in die bundesweiten, ja sogar weltweiten Schlagzeilen, als es dort innerhalb eines Tages bis zu 300 Liter/m² regnete, dadurch die Weißeritz zum reißenden Strom anschwoll und das Jahrhundert-Elbe-Hochwasser auslöste.
Heute leben in diesem Landkreis ca. 60 Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge, untergebracht in einem Asylbewerberheim. Folgende 60 minütige Sendung fragt wie diese Flüchtlinge leben und was ihre deutschen Nachbarn über sie denken. Dabei müssen wir die traurige Entdeckung machen, dass sehr viel Unkenntnis bis hin zu Ablehnung herrscht.

Zunächst hören wir uns in Freital um:

Befragung von Passanten, was sie über das Leben von Asylbewerbern in Deutschland wissen.

Viel wussten die Leute, bis auf den letzten Befragten, also nicht zum Thema. Trotzdem haben fast alle eine Meinung.
Als ich einmal den Führerschein machte, fuhren wir einst in der Fahrstunde durch den Tharandter Wald. Als wir im Wald an einem mit Stacheldraht eingezäunten Gelände vorbei kamen, in dem ein altes, schlecht aussehendes Haus stand, meinte mein Fahrlehrer, dass dort "unsere Steuergelder" verschwendet würden. Ich fragte warum? Er meinte es wäre ein Asylbewerberheim. Das unsanierte Haus sah jedenfalls irgendwie nicht so aus, als würde dort viel Geld rein investiert werden. Das musste genauer untersucht werden.
Also fuhr ich erneut in den Tharandter Wald zu diesem Asylbewerberheim. Ich wollte mit Bewohnern des Heimes über Ihre Lebenssituation sprechen. Doch die Heimleiterin verwehrte mir den Eintritt, da ich keine Genehmigung der Ausländerbehörde dabei hatte.
Na gut, dann befrage ich eben Einwohner des Nachbarortes:

Anwohner

Kurzer Kommentar dazu: Ich habe mich informiert: Wer in Deutschland einen Asylantrag stellt, wird erst einmal in einem Asylbewerberheim untergebracht, bis über den Asylantrag entschieden wurde. Im Jahr 2005 haben 29.000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt. Im selben Jahr haben nur 0,9 % der Antragsteller Asyl erhalten. Der Rest, 99,1%, wird bis auf wenige Ausnahmefälle aus Deutschland abgeschoben. Allein 2004 wurden 22.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben. Doch bitte weitererzählen.

Anwohner

Das schweift jetzt aber vom Thema ab. Ich habe dann noch 2 Bewohner des Asylbewerberheimes getroffen. Lassen wir diese doch mal erzählen, wie sie das mit der angeblichen Sommerfrische empfinden. Da deren Aussagen bei ungenauen Hinhören schlecht verständlich sind, und erst recht bei der schlechten Sendefrequenz von coloRadio, werden diese Aussagen nochmal von anderen Stimmen gut verständlich wiederholt.

Flüchtling 1:
7 km weit ist hier nichts zu sehen. Überall ist Wald. Sie sehen Häuser, aber die Häuser sind geschlossen. Weil sie Deutsche sind, haben sie Alles. Nur wir haben nichts hier. Sie können hier leben, weil sie Deutsche sind. Sie sind deutsche Familien, sie können leben. Sie haben Papiere, sie haben Arbeit, sie haben soziale Unterstützung, aber wir können hier nicht leben in dieser Wohnung in diesem Wald.

Flüchtling 2:
Was mach ich im Wald drinnen, was mach ich hier?

Flüchtling 1:
Du kannst nichts. Überall Dschungel, Wald, überall. Überall Wald, überall Bäume, überall. Hier ist nichts zum Erfreuen, zum etwas Erheitern. Hier ist nichts.

Schüler

coloRadio:
Wie ist Ihr Kontakt zu den Personen, die im Dorf leben?

Flüchtling 1:
Wir haben keinen Kontakt. Ich glaube nicht, dass sie gute Personen sind, weil dich jeder mit einem seltsamen Blick anschaut. Sie schauen runter von uns weg. Ich glaube das nicht, dass sie so etwas tun, dass sie uns beschimpfen. Ich denke, sie sind einheimisch hier. Sie sind hier geboren in Colmnitz, in Klingenberg, in Schmiedeberg. Verstehen Sie? Sie sahen noch keine Ausländer, sie sahen noch keine Fremden. Das ist das Problem. In Dresden, in Chemnitz weiß jeder es gibt Ausländer, es gibt Asylsuchende in der Welt. Aber hier niemand weiß etwas. Wegen diesem Problem ist es, warum sie von uns wegschauen, weil sie noch keine Ausländer sahen. Wenn sie eine schwarze Person sehen, wenn sie eine braune Person sehen, wenn sie einen Araber sehen, wenn sie einen Vietnamesen sehen, schauen sie mit einem seltsamen Blick

Flüchtling 2:
Alle Leute denken "Scheiß Ausländer". Leute, die sie alleine gesehen haben, schlagen sie auch. Ich bin wie im Knast hier. Was mache ich hier?

Flüchtling 1:
Wenn sie schnell Auto fahren, rufen sie dir böse hinterher wie: "Scheiß Ausländer" und gleich danach fahren sie weg mit dem Auto. Weil sie im Auto sind. Wir laufen, 3 km laufen wir.

Anwohnerin

Grundgesetz Artikel 16a

Urlaubsschein ist ein irreführender Begriff. Damit kann man nicht unbedingt Urlaub machen. Er berechtigt eigentlich nur Asylbewerbern und geduldeten Flüchtlingen legal den Landkreis zu verlassen, in dem man untergebracht ist und was man nicht selber so bestimmt hat. Einen Urlaubsschein benötigt man nicht nur, wenn man z.B. von Frankfurt nach München will, sondern schon, wenn man von Dresden in die Nachbarstadt Radebeul möchte.

Musik: "Europäische Außenstellen"

Anwohnerin

Musik

Flüchtling 1:
Das ist wie ein emotionales Gefängnis. Sie geben etwas, sie geben Asyl, aber emotional. Alles ist emotional. Sie können nicht ins Krankenhaus fahren, sie können nicht nach Dresden fahren. Wenn Sie nach Dresden fahren, pfänden sie 40 Euro. Unbedingt pfänden sie 40 Euro. Woher bezahle ich die 40 Euro? Vom Taschengeld. Taschengeld sind 20 Euro. 5, 10 Euro werden sie dir lassen. Mit 10 Euro, was wollen Sie tun in ihrem Leben?

Flüchtling 1:
Sie möchten den Urlaubsschein bekommen? Sie möchten den Krankenschein?

Flüchtling 2:
Er will den Urlaubsschein nicht geben. Ich muss 100 mal die Ausländerbehörde fragen, aber die will den Urlaubsschein nicht geben, weil ich eine Duldung habe. Aber warum wollen sie mir keinen Urlaubsschein geben, um nach Dresden zu gehen um etwas zu erledigen? Er hat gesagt: "nein! Tut mir Leid, ich will dir keinen Urlaubsschein geben. Du hast keinen Grund!" Was mache ich? Nur hier bleiben? Das ist die gleiche Situation wie im Knast. Da kann ich gleich im Knast bleiben! Das ist Scheiße! Was mache ich? Auf allen Seiten hier ist Wald. Wohin gehe ich da? Welche Leute frage ich?

Erklärung Residenzpflicht

Anwohnerin

Flüchtling 1:
Ich bin allein, aber mein Zimmer hat die Kapazität für 4 Personen, ein kleiner Raum für 4 Personen. Mein Freund hat ein Zimmer mit der Kapazität von 10 Personen. 10 Personen! Wie kann eine Person einfach einschlafen mit 10 Personen? Einer möchte baden, einer möchte frühstücken einer möchte rausgehen, einer möchte schlafen, einer möchte nicht schlafen. Wo sind wir? (Gott ist groß!) Wo sind wir? Ich verstehe nicht.

Flüchtling 2:
Das Klingenberger Heim ist scheiße!

Flüchtling 1:
Absolut schlecht. Ein Absolut schlechtes System. Wir sind nicht das Problem. Wir sind nur schlecht, das ist das System.

Flüchtling 2:
Die Toiletten sind auch ganz dreckig und ganz kaputt. Ohne Toilettenpapier. Auch kein Shampoo oder so etwas. Gar nichts.

Flüchtling 1:
Im ganzen Heim eine Küche. 3 Etagen, eine Küche. Um ein Ei zu kochen, musst du runtergehen. Zum Baden müssen sie runtergehen.

Person 2:
Aber die Küche ist ganz alt in dem Haus. Du musst mal in die Zimmer gehen und in die Zimmer gucken. Es gibt Kakerlaken. Alles ist kaputt. Wenn Du das erste Mal hier bist und das siehst, fragst du, was das ist. Im Wald schlafen ist schon besser, aber nicht im Heim schlafen. Es ist scheiße im Heim. Gucke: Alles ist so dreckig.

Zahlen der Geduldeten und der mit Aufenthaltsgestattung

Anwohnerin

Wer Asyl in Deutschland beantragt, wird nach Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) zuerst in einer sogenannten Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht. Dort muss man ca. 6 Wochen bleiben. Diese Zeit ist meist zu kurz für eine Entscheidung, ob das Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Asyl gewährt oder nicht. Diese Entscheidung kann sich hinziehen, oft mehrere Jahre. In dieser Zeit werden Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge nach einem Schlüssel auf die einzelnen Landkreise und kreisfreien Städte verteilt. Die Asylbewerber können es sich dabei nicht aussuchen, wohin sie kommen. Wenn, wie in 99 % der Fälle, der Asylantrag abgelehnt wird, haben die Asylantragsteller noch die Möglichkeit, vor Gericht gegen die Entscheidung des Bundesamtes zu klagen; meistens ohne Erfolg. Dann wird man abgeschoben. In Ausnahmefällen kann die Abschiebung nicht durchgeführt werden, sie wird dann ausgesetzt und man ist für 3 Monate, höchstens 6 Monate geduldet. Eine Duldung ist juristisch kein Aufenthaltstitel und man unterliegt weiter der Residenzpflicht, muss aus Paketen essen, bekommt keine Arbeitserlaubnis und darf seinen Wohnort nicht selber wählen. Mit einer Duldung muss man immer Angst haben, dass nach Ablauf der Frist die Abschiebung kommt; oder man wird weitere 3 oder 6 Monate geduldet. Bei manchen Leuten dauert dieser unsichere Zustand schon 10 Jahre an. Man wird also auf die Landkreise aufgeteilt. Diese müssen dann im Rahmen des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) und der entsprechenden Landesgesetze für die Unterbringung sorgen. In Sachsen regelt das Sächsische Flüchtlingsaufnahmegesetz (SächsFlüAG) genaueres. Aber die Kreise, also die kommunale Ebene, entscheiden dann, ob die Asylbewerber im Heim wohnen müssen oder in Wohnungen wohnen dürfen. Im Weißeritzkreis müssen alle Asylbewerber in Heimen wohnen, welche im Gesetz "Gemeinschaftsunterkünfte" heißen.
Im Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) § 53 Absatz (1) Satz 1 heißt es: "Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben und nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, sollen in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden."
Dass heißt, sie sollen in der Regel, müssen aber nicht, im Asylbewerberheim wohnen. Im juristischen Sprachgebrauch heißt das tendenzielle Sollanordnung.
Auch das Sächsische Flüchtlingsaufnahmegesetz (SächsFlüAG) schreibt die Unterbringung in Heimen nicht zwingend vor. Dort heißt es in § 4 Absatz (1):
"Einrichtungen für die Unterbringung sind:
1. Aufnahmeeinrichtungen nach § 44 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes", also für die ersten Wochen
"2. Gemeinschaftsunterkünfte nach § 53 des Asylverfahrensgesetzes und
3. sonstige Unterkünfte, insbesondere Wohnheime."
Also auch in Sachsen wünscht die Regierung die Unterbringung in Heimen, erlaubt aber auch "sonstige Unterkünfte", also auch normale Wohnungen. Ob die Kreise sich für die menschenwürdigere Unterkunft außerhalb von Heimen entscheiden, liegt also an deren politischen Willen. In Leipzig und Chemnitz beispielsweise, muss nur 1/3 der Asylbewerber und Geduldeten in Heimen wohnen, in Dresden müssen das 2/3. Die anderen dürfen in normalen Wohnungen ganz normal mit deutschen Nachbarn leben.

Flüchtling 1:
Außer der Liste können Sie nichts kaufen: Indische Produkte, Italienische Produkte, Pakistanische Produkte. Sie können nichts. Was sie wollen, kannst du kaufen. Wenn du das kaufen willst: O.k. Wenn du das nicht kaufen willst, machst du keine Bestellung...

Flüchtling 2:
...wenn du keine Bestellung machst, manchmal habe ich die auch vergessen, dann gibt es kein Essen mehr. Dann muss ich 2, 3 Tage hier hungrig bleiben, nur mit Wasser zum trinken und schlafen. Es gibt auch weniger Essen. Auf dem Zettel, im Katalog, ist das Essen ganz teuer. Wenn du eine normale Cola kaufst, einen Liter, kostet das im Supermarkt normalerweise 80 Cent oder 70 Cent. Aber hier 1 Euro 10 Cent, mit Pfand 1 Euro 25 ein Liter. Öl: hier 1 Euro für 1 Liter.

Flüchtling 1:
Hohe Preise. Alles hat hohe Preise. Sie haben ihre eigenen Preise. Sie haben ihre eigenen Firmen. Sie haben ihre eigenen Läden. Ich sehe ihre Produkte nicht im normalen Lidl-Supermarkt.

Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge müssen wie jeder Mensch etwas essen, dürfen meist nicht arbeiten gehen und bekommen Leistungen unter dem Sozialhilfeniveau, und das meist nicht einmal in bar, sondern oft in Sachleistungen. An Bargeld gibt es pro Person meist nur 10,- bis 40,- € am Tag, den Rest als Sachleistung. Die Essensversorgung wird in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten unterschiedlich geregelt. In vielen Bundesländern gibt es dazu Extravorschriften vom jeweiligen Landesinnenministerium. Den gesetzlichen Rahmen dafür gibt das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bundesweit vor. Dort heißt es in § 3 Abs. 2, Satz 1: "Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des
Asylverfahrensgesetzes können, soweit es nach den Umständen erforderlich ist,
anstelle von vorrangig zu gewährenden Sachleistungen nach Absatz (1) Satz 1 Leistungen
in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von
Geldleistungen im gleichen Wert gewährt werden." Vorrangig soll soll also kein Bargeld gezahlt werden. Bargeld ist aber trotzdem erlaubt und liegt am politischen Willen der Länder, Kreise und Städte. In Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen beispielsweise war es bisher gewollt, nur Sachleistungen zu geben. In anderen Ländern gibt es auch Bargeld. In Sachsen machte nun Dresden seit Dezember die Ausnahme, dass Asylbewerber Bargeld bekommen, um selbst Essen einzukaufen. Das gibt Asylbewerbern eine größere Entscheidungsfreiheit und spart der Stadt Verwaltungskosten bei der Essenspaketausgabe. In anderen kleinen Teilen Sachsens gibt es Chipkarten, womit Asylbewerber in sehr wenigen Läden einkaufen können. In großen Teilen Sachsens, so auch im Weißeritzkreis, müssen Asylbewerber im Voraus Lebensmittel aus einem Katalog mit begrenzten Angebot zu erhöhten Preisen bestellen. Im Landkreis Sächsische Schweiz werden Asylbewerber sogar von der Heimküche bekocht und können somit noch weniger über ihr Essen bestimmen. In manchen Landkreisen bekommen Asylbewerber sogar Essenspakete ohne ihren Inhalt zu beeinflussen.

Musik: "Wenn ich ein Turnschuh wär."

Anwohnerin

coloRadio:
Da ist keine Möglichkeit von Ihrem Heim zu telefonieren?

Flüchtling 1:
Nein, keine Möglichkeit.

coloRadio:
Und auch kein Internet?

Flüchtling 1:
Auch kein Internet! Internet? Gott ist groß.

Flüchtling 2:
Kein Telefon, kein Internet hier.

Flüchtling 1:
Wenn wir Telefon benutzen, wenn wir Internet benutzen, müssen wir woanders hin gehen. Andere Orte wie Freital, wie Dippoldiswalde. Aber 2 Euro zum hinfahren, 2 Euro zum zurückfahren, 4 Euro nur zum Telefonieren mit einer 10-Cent-Münze. Zum benutzen von 10 Cent müssen sie 4 Euro ausgeben.

coloRadio:
So ist es auch sehr schwierig, Informationen zu bekommen, wie Zeitung, Fernsehen, Radio oder ähnliches?

Flüchtling 1:
Da gibt es Fernsehen, aber ich spreche nicht deutsch. Was soll ich mit fernsehen? Nur 2 Programme. Sie gaben kein Fernseher. Ich bekam einen Fernseher als ich sah..

Flüchtling 2:
wie ein Mann einen auf die Straße raus geschafft hatte. Dann fragte ich ihn, ob ich den mitnehmen kann. Dann hat er gesagte: "O.k. können Sie mitnehmen. Dann nahm ich ihn mit hier her. Vorher hatte ich keinen Fernseher. Welche Leute ich frage, teilst du mit mir Fernsehen, teilst du mit mir Radio. Was mache ich hier? Soll ich gleich in den Knast? Welche Leute frage ich?

Schüler

Flüchtling 1:
Aber wir sind im Wald. Wir können nicht mit dem Bus fahren, weil wir kein Geld haben.

coloRadio:
Warum gehen Sie nicht arbeiten um selbst Geld zu verdienen?

Flüchtling 1:
Ja, aber wir haben keine Genehmigung zum Arbeiten.

coloRadio:
Es ist nicht erlaubt?

Flüchtling 1:
Nein, es ist nicht erlaubt, überall zu arbeiten. Wir können arbeiten. Wir sind jung, wir können arbeiten. Wir warten hier den ganzen Tag im Heim.

Flüchtling 1:
Aber hier sind keine Aktivitäten. Kein Fußballplatz, kein... Überall sonst sind Aktivitäten.

Auf meinem Spaziergang durch den Ort wollte ich 2 Jugendliche befragen, wie denn ihr Kontakt zu den Bewohnern des Asylbwerberheimes ist. Vor dem Mikrofon wollten sie sich nicht äußern, weil ihre Meinung zu weit rechts sei.

Die Interviews mit den beiden Flüchtlingen wurden außerhalb des Asylbewerberheimes geführt. Denn auch auf Einladung eines später interviewten Heimbewohners durfte ich ohne schriftliche Genehmigung der Ausländerbehörde das Gebäude nicht betreten, obwohl das Aufsichtspersonal zwischenzeitlich gewechselt hat und ich nicht glaube, dass ich als Radioreporter erkannt wurde. Mein Interviewpartner hatte wohl schon ähnliche Erfahrungen gemacht:

Flüchtling 2:
Wirklich nicht: kein Besuch. Das ist verboten in diesem Heim. Mein Freund ist deutsch. Inder sind auch meine Freunde. Aber Deutsche sind auch meine Freunde. Ich gehe zu meinen Freunden nach Hause. Aber meine Freunde wollen auch zu mir nach Hause gehe. Der Heimleiter hat gesagt: Tut mir Leid, Deutsche sind verboten hier.

Daraufhin fragte ich per e-mal bei der zuständigen Ausländerbehörde in Dippoldiswalde nach, ob Heimbewohner keine Besucher mit nach Hause ins Heim nehmen dürfen.
Darauf antwortete die Ausländerbehörde:
"Diese Aussage ist falsch, Besucher dürfen gemäß Hausordnung in der Zeit von 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr das Heim betreten."
Außerdem schrieb die Ausländerbehörde, dass das Asylbewerberheim im Tharandter Wald zwar im Auftrag des Landkreises von einem privaten Unternehmen betrieben wird, Journalisten sich aber trotzdem an das Landratsamt wenden müssen.
In jedem bundesdeutschen Landkreis bzw. in jeder kreisfreien Stadt gibt es eine Ausländerbehörde, deren Aufgabe der Vollzug des Ausländerrechts ist. Ausländerbehörden erteilen oder versagen Niederlassungserlaubnisse nach Aufenthaltsgesetz (AufenthG), führen Akten, planen Abschiebungen und haben Anteil zur Durchführung von Asylverfahren. Ausländerbehörden stellen Passersatzpapiere wie Duldungen aus, Dort müssen geduldete Flüchtlinge also aller 1/2 oder 1/4 Jahre zur Verlängerung der Duldung hin. Wer einen Urlaubsschein zum kurzzeitigen Verlassen des Landkreises benötigt, muss auch dort hin. Es gibt eine weitere Aufgabe der Ausländerbehörden: wenn Touristen, die nicht aus einem reichen Industrieland kommen, ein Schengenvisum auf der deutschen Botschaft beantragen möchten, benötigen sie eine von einem deutschen Staatsbürger unterschriebene Verpflichtungserklärung, die auch in den Ausländerbehörden unterschrieben werden.
Ausländerbehörden haben also viel mit Menschen zu tun, die andere Sprachen als deutsch sprechen. Logisch wäre also, wenn man sich wenigstens dort auch in einer internationalen Verkehrssprache wie englisch verständigen könnte, sollte man menen. Ich habe das mal in einer Ausländerbehörde in Sachsen getestet, in dem ich dort anrief und auf englisch nach deren Öffnungszeiten gefragt habe:
Testtelefonat
O.k. hier sprach man deutsch. Ich habe diesen Sprachtest in den 14 östlichsten Ausländerbehörden Sachsens durchgeführt. Von 14 getesteten Ausländerbehörden war es in 6 Fällen möglich, die Öffnungszeiten in englisch zu erfahren; in 8 Ausländerbehörden von 14 war es nicht möglich.

Wir haben schon gehört, dass im Jahr 2005 nur noch 29.000 Personen Asyl in Deutschland beantragt haben. Im Jahr 2006 haben dagegen nach Angaben des Innenministeriums nur noch 21.000 Menschen Asyl in Deutschland beantragt, also 8.000 weniger als im Vorjahr. Damit haben 2006 jeweils mehr Menschen Asyl in Schweden, in Großbritannien und in Frankreich beantragt als in Deutschland. Dieser Rückwärtstrend ist in allen EU-Staaten zu beobachten, was aber weniger daran liegen dürfte, dass weltweit die Gründe für Flucht weniger geworden wären, sondern wohl eher daran, dass weniger Menschen überhaupt in die EU durchkommen. Was wiederum an der europäischen Abschottungspolitik liegt.

Die Zahl der Asylbewerber nimmt immer weiter ab. Zur Zeit leben nur noch 60 Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge im Weißeritzkreis, dem in dieser Sendung besuchten Landkreis, bei einer Gesamtbevölkerung von 120.000. Das liegt einmal an der immer stärkeren Überwachung der Außengrenzen der Europäischen Union, die deren Überquerung immer schwieriger macht, als auch an immer schärferen Gesetzen seit Anfang der 90er Jahren in der BRD, die es fast verunmöglichen, heute noch Asyl in der Bundesrepublik zu beantragen. Überhaupt Asyl beantragen darf nur, wer nicht über den Landweg eingereist ist, also entweder per Flugzeug oder Schiff und nur wenn man aus bestimmten Staaten aufgebrochen ist. Ansonsten wird man in das Land zurückgeschoben, über das man eingereist ist, weil davon ausgegangen wird, das man ja schon dort hätte Asyl beantragen können. Und 2005 haben von den wenigen Antragstellern nur 0,9 % überhaupt Asyl bekommen, was zur Folge hat, dass z.B. auch viele politische Flüchtlinge wieder abgeschoben werden, die eigentlich dringend Asyl benötigten, weil sie im Herkunftsland verfolgt werden. Wir haben in dieser Sendung gehört, dass es einige Sondergesetze und Sonderregeln für Flüchtlinge in Deutschland gibt. Z.B. eben die Residenzpflicht und das Asylbewerberleistungsgesetz. Deren Ziel war es in der Welt folgende Botschaft zu verbreiten: "In Deutschland Asyl zu beantragen ist sehr unangenehm: Flüchtlinge, fragt lieber woanders nach Asyl." Wir haben in diesem Beitrag gehört, dass viele Deutsche nichts über diese diskriminierenden Sondergesetze wissen. Vielleicht wollen sie es auch nicht wissen. Für Radiobeiträge wie diesen werden sich sicher nicht viele interessieren. Dagegen sind Vorurteile und Ablehnung gegenüber Flüchtlingen weit verbreitet. Alle Menschen, die ich für diese Sendung interviewte, kommen in diesem Beitrag zu Wort. Nur eine Person von den Befragten wusste von der schwierigen Situation der Flüchtlinge. Oftmals müssen Flüchtlinge als Sündenbock herhalten. Das wird dann schnell von populistischen Politikern zum Stimmenfang ausgenutzt, die auch vom allgemeinen Desinteresse an der Situation der Flüchtlinge profitieren.
Flüchtlinge sind Menschen, die aus den verschiedensten Gründen aus ihrem Herkunftsland flüchteten. Deutsche, die das niemals machen mussten und sich in diese Lage nicht hineinversetzen können, urteilen oft vorschnell gegen das Asylrecht oder gegen Menschen die Asyl benötigen. Flüchtlinge, die den rassistischen Sondergesetzen unterliegen, werden ohne Geld und ohne Bewegungsfreiheit auch ihre politischen Handlungsmöglichkeiten genommen. Ohne Sprachkurs, ohne Arbeitserlaubnis und durch das Wohnen in Heimen, meist dazu weit abgeschieden, werden Flüchtlinge von der restlichen Bevölkerung isoliert. Große Teile der deutsche Gesellschaft fordern die Integration, sind selbst aber nicht dazu bereit, andere zu integrieren.

Kommentare
12.12.2010 / 07:01 AL, coloRadio, Dresden
Habe die 64 kbps-Version durch die 128-kbps-Version ersetzt.
Da sollte die Qualität etwas besser sein.