Murat Uyurkulaks Roman: Zorn

ID 25065
2. Teil
AnhörenDownload
Ein wütendes Buch über die radikale Linke in der Türkei ist der Roman „Zorn“ von Murat Uyurkulak. Ein rasanter Roman, hochpolitisch und brisant. Und ein Stück große Literatur. Heike Demmel hat es gelesen.
Audio
09:03 min, 12 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 18.07.2016 / 13:46

Dateizugriffe: 269

Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: heike demmel
Radio: RadioZ, Nürnberg im www
Produktionsdatum: 22.11.2008
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
SKIRPT:
�Die Revolution war einst eine Wahrscheinlichkeit und sie war sehr sch�n.� Mit diesem Satz beginnt Murat Uyurkulaks Roman �Zorn�, und die Hoffnung auf und der Kampf f�r eine Revolution ziehen sich durch das ganze Buch. Kein Wunder, kommt der Autor doch selbst aus einer linken, politisch engagierten Familie, lebte sein Onkel lange in der Illegalit�t. Und so sagt Uyurkulak auch: �Ich w�re gern so mutig wie die M�nner und Frauen in dem Buch.�
Auf einer langen Zugfahrt reisen ein alter Dichter und Revolution�r und Yusuf, ein junger Verlagslektor, der gerade gefeuert wurde, zusammen in einem Abteil. Die beiden kennen sich kaum und Yusuf wei� auch nicht, wie er �berhaupt in diesen Zug gekommen ist. Die beiden trinken, rauchen, reden � und be�ugen sich misstrauisch. Doch pl�tzlich dr�ckt der Dichter dem jungen Mann einen Packen Papiere in die Hand und sagt: �Los, lies!�.
ZITAT:
S. 100 �So viel Regen.... niemand vermag es zu glauben�

Die Rede ist vom Putsch der Milit�rs am 12. September 1980. Und in einer ganzen Reihe von Geschichten erz�hlt Uyurkulak die Geschichte der T�rkei seit den 50er Jahren. Insbesondere die der radikalen Linken, die Geschichte einer ganzen Generation, die nie die Hoffnung auf eine Revolution aufgegeben hat. F�r Yusuf wird die Zugfahrt eine Reise zu seinem Vater, den er nie kennengelernt hat. Einst Revolutionskommandant lebt Oguz, oder wie er sich sp�ter nannte, Ahmet nun tief in den Bergen, am Rande des Wahnsinns. Nach harten Jahren der Verfolgung, des Gef�ngnisses, auf der Flucht, die Schmerzen und verlorenen Hoffnungen im Alkohol erstickt, ganz unten.... Uyurkulaks Roman �Zorn� wird auch die inoffizielle Geschichte der radikalen t�rkischen Linken genannt. Im oft ohnm�chtigen Kampf gegen einen allm�chtigen, repressiven Staat:

ZITAT
S. 101:
�Die M�nner, die die Kinder... abschwillt�.

Atemlos und schonungslos rast der Roman dahin, durch jede Menge ineinander verwobener Erz�hlungen voll mit Aufbegehrenden, Rached�rstigen und Dichtern am Rande des Wahnsinns. Voller Alkohol, Exzessen, Schmerzen und Gewalt. Yusufs Mutter ist als Jugendliche von zu Hause weggelaufen und als ihre Eltern sie zur�ckholen wollen, schneidet sie sich ein St�ck Fleisch aus dem Gesicht und schickt es ihrem Vater. Sp�ter bringt sie sich um.

ZITAT
S. 9:
�Meine mutter hatte ... runterkotzen�.


Uyurkulak b�rstet die Geschichte gegen den Strich. Armut, Widerstand, Wut und die brutale Unterdr�ckung sind die Themen seines Buches. Und Zorn ein kraftvolles Motiv. Das sollen die LeserInnen nachempfinden, auch durch den rasanten Schreibstil. �Ich wollte, dass f�r die gesamte Lesezeit, ob nun drei, f�nf, zehn, zwanzig oder wie viele Stunden auch immer, l�rmend ein Zug durch die Seele des Lesers f�hrt.�, sagt Uyurkulak. Sein Roman ist eine Gewaltreise und gleichzeitig gro�e Literatur. Die man besser in einem Zug durchliest, um nicht den �berblick �ber die ineinander gesponnenen Geschichten zu verlieren. �Zorn� ist temporeich, sprachlich virtuos und gewagt fabulierend. Ein schillernde Sprache, die neue W�rter erfindet und eine Heilige zur "Sakrele", einen Zuh�lter zum "Huring" macht.

ZITAT
S. 63

Den Roman durchziehen viele mutige, vision�re, zornige aber eben auch gescheiterte Figuren. Versoffene Gestalten, Entmutigte und Propheten. Die Momente von bizarrer Sch�nheit hervorrufen. Wie Ada, die Tochter des Dichters mit �bernat�rlichen F�higkeiten, die Stromkabel zerbei�t, M�use verschluckt und sie wieder quicklebendig hervorholt. Oder der Dichter, der seine Genossen mit Liebesgedichten verzaubert und auf einer Demonstration, die von der Polizei brutal zusammengeschossen wird, anf�ngt zu tanzen.

ZITAT
S. 95
�Wir sahen Arbeiter...L�usen�

�Zorn� ist keine Revolutionsverkl�rung, sondern zeigt die Welt der linken K�mpfer schonungslos und voller menschlicher Abgr�nde. Ihr Verh�ltnis zu Frauen ist gest�rt, zum Teil verklemmt-machistisch. Frauen �brigens kommen im Roman leider nur wenige, eher am Rande vor.
Doch trotz aller Abgr�nde - die meisten - Figuren in �Zorn� bewahren sich menschliche Gr��e und gehen mit erhobenem Kopf, oder besser: erhobener Faust, durchs Leben.
Der Zug f�hrt den Dichter und Yusuf von Istanbul nach Diyarbakir � der kurdischen Hochburg in der T�rkei. Denn es sollte auch eine Reise zum Widerstand der KurdInnen werden - was im Originaltitel ebenfalls ins Auge springt. Denn der hei�t Tol und das hei�t Rache auf kurdisch.
Rache nehmen will auch Yusufs Vater, Ahmet am Ende des Buches. Er steigert sich in wahnhafte Vorstellungen hinein, will pers�nlich seine revolution�ren Genossen in Peru, Kolumbien, Pal�stina und Nordirak unterst�tzen. Seine Gedanken schwirren ziellos umher:

ZITAT
S. 315
�Wie auch...schei� auf uns.�

Doch Langeweile t�tet f�hrt Uyurkulak ausf�hrlich aus und Widerstand ist notwendig. Das h�mmert der Roman in furioser Sprache ein und rauscht dabei durch die Stationen der revolution�ren t�rkischen Linken. Und durch ihre pechschwarze Verzweiflung, Schw�che und Verrat. Am Ende steht zumindest ein F�nkchen Hoffnung � auch wenn sie eher surreal anmutet.

Kommentare
01.12.2008 / 11:36 Flo/ Eintragung theo,
gesendet am 24.11.2008 zwischen 19.10-20.00 im Magazin I
danke
 
30.11.2009 / 18:12 Walter Kuhl, Dissent Medienwerkstatt
Gesendet bei Radio Darmstadt
am 30.11.2009. Tolle Besprechung, aber mit Schnittfehler. Danke!
 
18.07.2016 / 13:51 heike, Radio Z, Nürnberg
schnittfehler behoben
danke für den hinweis!