Graswurzelradio - Klettern gefährdet dem Atomstaat - Interview mit Cec´ile Lecomte

ID 25353
 
Gesendet: o2.12.2008, 21:04
Bürgerfunk Münster

In der letzten Graswurzel-Sendung haben wir ein Interview mit dem Gendreck weg!-Aktivisten Michael Grolm on air geschickt. Er wurde für seine Zivilcourage mit dem taz-Panther-Preis als „Held des Alltags“ geehrt.
Nun stellen wir eine Heldin des Alltags vor: Cécile Lecomte. Die ehemalige Frankreichmeisterin in Sportklettern lebt in Lüneburg und ist durch spektakuläre Kletter-Aktionen bekannt geworden. Das 26-jährige „Eichhörnchen“ (so ihr Spitzname) hat mannigfaltige Aktionsfelder: Baumbesetzungen, Vattenfall auf’s Dach steigen, Strommastbesetzungen gegen Atomreaktoren in Frankreich, akrobatische Luft-Blockaden vor Nazi-Aufmärschen oder vor Atomtransporten.
Am 8. November demonstrierten 16.000 Menschen in Gorleben gegen den 11. Castortransport ins Wendland und für den sofortigen Atomausstieg. Im Anschluss an die Demo wollten wir dort ein Interview mit Cécile machen. Das war nicht möglich. Erst am 13. November konnten wir das geplante Gespräch nachholen.

Nachzulesen unter: www.graswurzel.net

Audio
23:01 min, 21 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 24.01.2011 / 13:47

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Klassifizierung

Beitragsart:
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Klaus Blödow (bloedow(att)medienforum-muenster.de
Radio: Stadtradio, Münster
Produktionsdatum: 09.12.2008
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Graswurzelrevolution (GWR): Cécile, wo warst Du am 8. November?

Cécile Lecomte: Ich war in polizeilichem Gewahrsam in Braun¬schweig.

GWR: Wie ist es dazu gekommen?

Cécile Lecomte: Ich wurde nach einer Kletterak¬tion an Brücken oberhalb der Wendlandbahn festgenommen. Das war eine gewaltfreie Aktion gegen den bevorstehenden Cas¬tortransport, mit Robin Wood-AktivistInnen. Die anderen wurden auf freien Fuß gesetzt. Ich wurde mitgenommen zur „Gefahrenabwehr“, das heißt: „eine rein vorbeugende Maßnahme“. Mir wird nichts vorgeworfen, aber die Polizei fürchtete, dass ich beim Cas¬tortrans¬port erneut klettere.

GWR: Wie sah in den letzten Wochen das Vorgehen der Polizei gegen dich aus? Warum bist du ins Visier geraten?

Cécile Lecomte: Ich glaube, dass die Polizei Menschen fürchtet, die engagiert sind, viel machen, sowohl koordinieren als auch Aktionen durchführen. Und ich bin ja be¬kannt für ein paar Aktionen, auch im Münsterland, wo ich Urantransporte durch Kletter¬aktio¬nen jeweils für ein paar Stunden angehalten habe, also effektive Aktionen, die schöne Bilder produzieren und auch die Öffentlichkeit ein bisschen aufrütteln, das Thema präsent machen. Das gefährdet anscheinend den Atomstaat, dass man so gut klettern kann. Und es ist der Grund dafür, dass die Polizei mich auf dem Kieker hat.
In den letzten Wochen vor dem Transport habe ich schon deutliche Spannungen gespürt. Ich war mit FreundInnen verabredet, stieg in den Zug ein. Dann stiegen Uniformierte ein und fragten mich, was ich vor habe und wo ich hin wolle. Als ich sagte, dass das mein Privatleben sei, fuhren sie einfach mit, eine Stunde lang. Das ist extrem anstrengend. Sie haben mir gezeigt, dass sie mich beobachten und gucken wollen, was ich vorhabe. Dann haben sie geplant, mich aus dem Verkehr zu ziehen. Als ich dann bei der An¬hörung vor Gericht saß, saß da auch der Polizeipräsident im Saal und er hat das beantragt. Das war ein Sonderfall, die hatten die Akte und alles schon vorbereitet, wieso ich gefährlich sein soll, dass ich da auf den Baum geklettert bin und da auch noch, und da auch noch. „Gefahrenabwehr“, meinten sie.

GWR: Obwohl sie dich eingesperrt haben, konnte der Castor 24 Stunden lang aufgehalten werden, durch direkte ge¬walt¬freie Aktionen. Ich zähle ein paar auf: Nachdem der Atom¬müll¬zug aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage in La Hague gestartet war, haben sich an der deutsch-französischen Grenze drei Akti¬vistIn¬nen im Gleisbett in einem Betonklotz angekettet und so den Zug 13 Stunden lang gestoppt. 1.000 Leute haben an der 48¬stün¬digen X-tausendmal quer-Blockade auf der Straße vor dem Zwischenlager teilgenommen. In Quickborn versperrten LandwirtInnen mit 42 Schleppern die „Nordstrec¬ke“. Acht Leute haben sich auf der Straße in Grippel in Beton¬py¬rami¬den angekettet. Erst nach 23 Stunden gelang der Polizei die vollständige Räumung. Am 8. November haben 16.000 Menschen gegen den Castor demonstriert, aber AUCH lautstark gegen die Po¬lizeiwillkür und für deine Freilassung. Die Repression gegen dich auf¬grund vermeintlicher „Ord¬nungswi¬drigkei¬ten“ ist ein Skandal. Ich hoffe, wir können politischen Druck auf die Verantwortlichen ausüben. Wirst du juristisch gegen die Freiheitsberaubung vorgehen?

Cécile Lecomte: Ich kann es versuchen. Vor allem gegen die Umstände wollte ich vorgehen, weil es richtig Psychofolter war, was da gelaufen ist, also: Schlafentzug. Die haben sich geweigert, in Braun¬schweig nachts das Licht auszumachen, Hofgang in Fesseln, an eine Polizistin gefesselt zwischen Garagen der Landespo¬lizei, keine Möglichkeit, sich frei zu bewegen, nicht mal eine halbe Stunde am Tag. Das ist menschenunwürdig. Deswegen wollte ich dagegen vorgehen. Die Anwältin hat Strafanzeige wegen Nötigung aufgrund des gefesselten Hofgangs gestellt. Gegen die Maßnahme an sich ist es juristisch schwierig vorzugehen, weil ein Amtsgericht und ein Landgericht die Anordnung gegen mich bestätigt haben.
Wir wollen gucken, ob man das „Gefahrenabwehr“-Gesetz kippen kann. Viele Anwälte sind der Meinung, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Das müssen wir prüfen. Was ich denke, wie wir dagegen kämpfen können, ist politisch, also, dass man politischen Druck aufbaut, so dass die Maßnahme nicht mehr durchsetzbar ist.

GWR: Wolfgang Ehmke, ein Sprecher der BI Lüchow Dannen¬berg, hat in seinem Demo-Re¬debeitrag am 8. November auch dazu aufgerufen, sich direkt bei der Polizei in Braun¬schweig zu beschweren.
Meinst du, dass es sinnvoll ist, auch die GWR-Le¬serInnen da¬zu aufzufordern, dagegen zu protestieren? Und an wen soll man sich dann wenden?

Cécile Lecomte: Als ich in Gewahrsam war, war es extrem hilfreich. Das ha¬be ich auch relativ schnell mitbekommen und ich habe mich tierisch gefreut. Die Polizei in Braun¬schweig war überfordert.
Wo ich denke, dass sie eins auf den Deckel kriegen sollten so¬zusa¬gen, das ist diese Polizei¬direk¬tion mit dem Polizeichef, Polizeidirektor M. Brauer zum Beispiel, die diese ganze Maßnahme angeordnet haben.
Dass die Leute sich noch weiter¬hin beschweren, faxen, schreiben, fragen, was das war, dass sie zeigen, wie empört sie da¬rüber sind, dass der Druck nicht nachlässt, das ist gut.

Das komplette Interview schriftlich unter: www.graswurzel.net