Guido Sloterdijk

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Peter Sloterdijk surft die Westerwelle obwohl der Surfer hier zuerst da war und später erst die Welle kam, oder doch nicht...
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07:55 min, 7428 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 19.02.2010 / 13:08

Dateizugriffe: 434

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: hagen
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 19.02.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Seit gut eineinhalb Jahren, also seit Ausbruch der Krise, werden unablässig deren Ursachen diskutiert und publiziert. Vorallem aber wird auch wieder tüchtig über das Innerste unserer Welt philosophiert. Unsere kapitalistische Bürgerexistenz ist plötzlich keine Selbstverständlichkeit mehr, ihr vermeintlich ewiger Rückenwind scheint aus den Segeln unseres Bootes. Die Wirtschaftsforscher, deren Theorien und Prognosen an der gegenwärtigen Situation so jämmerlich gescheitert sind, waren bis vor kurzem noch die Meteorologen im Ausguck, die diesen ewigen Wind wieder und wieder vorhersagten... Entschuldigung: berechneten. Nun, da bei wirtschaftlicher Flaute von ihnen nur noch ein eher leises Pfeifen zu hören ist, treten wieder verstärkt andere an Deck, die uns erklären, was passiert ist und in Zukunft geschehen muß, damit das Boot wieder Fahrt aufnimmt. Soviel ist bereits klar: wichtig ist und bleibt, daß überhaupt ein Boot weiterfährt. Ob das bei wenig Wind dann nicht ein viel kleineres Boot ist, auf dem nur die Wenigsten Platz haben, ist nicht die Frage. Wichtig ist allein das Boot überhaupt.

Und zumindest hier in Deutschland hat sich auch aktuell jemand bereit erklärt in dieser misslichen Lage navigatorische Verantwortung zu übernehmen, und zwar laut und deutlich: unser Außenminister Guido Westerwelle.

Gut, seine Sozialschmarotzer-Argumention ist auch nicht wirklich neu, schließlich bot diese kleinbürgerliche Stammtisch-Ideologie ja auch schon der Regierung Schröder den ideellen Hintergrund für zum Teil drastische Einschnitte in den Sozialstaat. Neu oder zumindest anders als damals erscheint jedoch die ökonomische Situation, in der Westerwelle nun das ganz grobe Werkzeug auspackt. Waren damals noch ständige Wachstumsraten in der Lage den Fokus auf die parasitären Faulpelze unserer Gesellschaft abzulenken, obwohl die prosperierende Wirtschaft in keinster Weise entsprechend mehr Arbeit geschaffen hat, ist es heute auf den ersten Blick umso erstaunlicher, ja fast schon bizarr, daß Guido genau jetzt jene Keule auspackt. Aber eben nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten wird klar, daß es nämlich gar nicht darum geht arbeitslose Massen wieder in den Marktkreislauf der Gesellschaft zu integrieren, sondern sie zu diffamieren um sie dann schlicht und einfach ökonomisch abzuhängen. Denn eines beginnen vermutlich jetzt auch die verbrämtesten Liberalen zu begreifen: die Arbeit, die zuvor breiten Massen Auskommen und dem Staat Steuern gebracht hat, letztlich aber schon seit den 70ern des letzten Jahrhunderts mehr und mehr verschwindet, kommt niemals wieder. Das eigentlich bizarre in den gegenwärtigen Ursachendebatten ist vielmehr, daß die Arbeit, die auf wirtschaftlicher Ebene immer mehr von uns geht, auf ideologischer Ebene jedoch umso mehr zur heiligen Kuh erklärt wird. Das ist ein bißchen wie bei Papst

Johannes-Paul II: je länger er tot ist, desto heiliger wird er.

Was wir nun beobachten können ist nichts anderes als der nun offen und aggressiv geführte Überlebenskampf bürgerlicher Eliten. Die Angst vor dem Absturz ins Prekäre greift um sich. Westerwelle ruft auf, den Ballast von Bord zu verscheuchen. Der Hauptvorwurf aus den nun empörten Kreisen bürgerlicher Medien und Politikerkollegen richtet sich jedoch nicht gegen Guidos Sozialdarwinismus sondern lediglich gegen seine rhetorische Unbeholfenheit: „So könne man das nicht sagen“, heißt es mehr oder weniger, aber gleichzeitig ist man ihm dankbar, daß er den Mut hatte, die ach so überfällige Debatte um die Verteilungsschlüssel unseres Sozialstaats anzuregen. Eine Debatte, die nur ein Ziel hat: Trotz oder gerade wegen des „angsteinflößenden“ Karlruher Urteils zu den Hartz-IV-Gesetzen muß der Rückbau des Sozialstaates weiter beschleunigt werden. Denn mit einem, aber auch wirklich nur damit, haben die Sprachrohre der bürgerlichen Eliten vollkommen Recht: Das Geld dafür ist tatsächlich nicht mehr da. Das stimmt jetzt in der Krise mit all den Bankenrettungsaktionen und Konjunkturprogrammen umso mehr,

war aber auch schon in den Jahren zuvor der Fall. Der Kapitalismus im 21. Jahrhundert und nach der mikroelektronischen Umgestaltung der Wirtschaft seit den 1970ern wirft schlicht nicht mehr genug für alle ab. Also: Rette sich, wer kann!

Aus kritischer Sicht, wäre es jedoch viel zu kurz gegriffen, sich nun allein auf Guido Westerwelle einzuschießen. Er ist tatsächlich nur der taktische Phrasen-Depp eines Idelogieschwamms, der sich von noch-verdienenden Kleinbürgerstammtischen über Politik und Medien bis hinauf in die Wissenschaften, speziell die Philosophie, ausbreitet. Dabei läßt sich nicht so einfach sagen, von wo aus dieser Schwamm seinen Ursprung nahm.

Stammtische kann man meiden. Bei Politik und Medien wird’s schon schwieriger. Und hat man sich erst einmal auf irgendein bürgerliches Medium eingelassen ist einer ganz unvermeidlich: Peter Sloterdijk, der Captain Jack Sparrow der Philosophie.

Peter Sloterdijk nämlich war es der schon vor über einem Jahr in der F.A.Z. und davor in einigen seiner Bücher und Essays dazu aufrief, die vermeintlichen Leistungsträger von der Last der Steuern zu befreien und damit, wie er sagt, ebenso von ihrer Scham gegenüber dem eigenen Reichtum, der den Gewinnern sowieso nur von den Faulen und Schwachen aufgenötigt wurde. Im Vollbesitz des Ertrages ihrer großen Leistungen könnten sie dann endlich als freie und selbstbestimmte Gönner auftreten und Almosen an die verteilen, die es laut Sloterdijk in den letzten Jahrhunderten geschafft haben, ihren niederträchtigen Neid auf die Besseren in Gesetze der Gleichmacherei zu zwingen. Hört man dieser Tage nun Westerwelles Sozialismus-Geschwafel scheint dies auch einen kurzen Blick auf sein Bücherregal zu gewähren.

Nähme man Sloterdijk ernst und wiese ihn darauf hin, daß der wahrscheinlich weitaus größere Teil der heutigen Crème des Bürgertums viel weniger durch besonders viel Arbeit bzw. große Leistungen auf der Sonnenseite steht, sondern viel eher durch „bessere“ Geburt und die entsprechend bessere Ausstattung mit Bildung, Beziehungen und eben Geld, würde man der gefährlichen Ignoranz dieses Fernsehphilosophen zuviel Ehre erweisen.

Gefährlich ist dessen sogenannte Philosophie allein schon deshalb, weil er die tatsächliche Synthese unserer Gesellschaft ignoriert; oder anders: Er weiß schlicht nichts von der abstrakten Herrschaft des Kapitals, als das, was unsere Welt eigentlich und wesentlich zusammenhält. In letzter Konsequenz seiner Erkenntnis schließt Sloterdijk, und mit ihm viele, viele andere, nämlich auf Äußerungen des menschlichen Willens oder menschlicher Triebe, wie z.B. Geiz, Neid und Gier. Solches Denken negiert, was in unserer Zeit jedem Trieb, jedem Denken und jedem Handeln bereits vorausgesetzt ist. Solches Denken, dem menschliche Begierden der letzte Grund der Welterklärung sind, wird dann, wenn es ernst wird auch die vermeintlich schuldigen Menschen finden. Sicher, Sloterdijk ruft nicht zu Mord und Totschlag auf. Aber er bietet die denkbaren Anschlußstellen für eine Ideologie, die im Krisenzustand durchaus zu Ausschluß, Verfolgung und im Äußersten in die Gaskammer führt.

Kommentare
21.02.2010 / 22:37 theo,
gesendet 21.2.2010 / 20.52 in - siehe Titel
vielen Dank