kriminalisiert, verfolgt, ermordet - Die Kurdinnen und Kurden in der Türkei

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Interview mit dem Parlamentarier Osman Özçelik der für die kurdische Partei BDP im türkischen Parlament sitzt.
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12:44 min, 12 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 12.03.2010 / 06:00

Dateizugriffe: 588

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: johannes
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 11.03.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
40.000 Tote zählt der 26 Jahre dauernde Konflikt zwischen der Türkei und der PKK, der kurdische Arbeiterpartei inzwischen. Die Dunkelziffer dieses Konflikts ist jedoch um ein vielfaches höher. Denn bereits seit dem 11. Jahrhundert kämpfen die Kurdinnen und Kurden um Autonomie im Nahen Osten. Nicht nur im Gebiet der heutigen Türkei, sondern auch im Iran, Irak und Syrien. Weltweit gibt es zwischen 25 und 30 Millionen Kurdinnen und Kurden.
International bekannt geworden ist das Autonomiebestreben jedoch erst mit der Gründung der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts prägt sie maßgeblich das Leben der circa 15 Millionen Kurdinnen und Kurden in der Türkei.
Schon früh begann die PKK unter der Führung von Abdullah Öcalan mit Guerilla-Methoden zu arbeiten. Die türkischen Militärs begegneten der Bewegung mit harten Schlägen und die türkische Regierung setzte international eine Ächtung der PKK als Terrorgruppe durch. Inzwischen ist die PKK in den meisten Ländern verboten und auch zahlreiche Nachfolge- oder Schwesterparteien erlitten das gleiche Schicksal.
Jahrzehntelang schien die Situation zwischen der Türkei und den Kurdinnen und Kurden in einer Sackgasse zu stecken. Doch seit einigen Jahren versucht eine zivile kurdische Bewegung die sich „Demokratische Autonomie“ nennt, zu einem Kompromiss zu gelangen die den Kurdinnen und Kurden Autonomie zusichert und dem Türkischen Staat Frieden bringen könnte.
Einer ihrer Vertreter ist der türkische Parlamentarier und Kurde Osman Özçelik. Im Rahmen seines Deutschlandbesuchs entstand dieses Interview
Herr Özçelik, wie ist die aktuelle Situation der Kurden in der Türkei?

Es ist mit wenigen Worten kaum wiederzugeben, aber die Kurden in der Türkei streben sehr stark danach ihre demokratischen Rechte zu erhalten.


Der türkische Präsident Abdullah Gül hat die Lösung der Kurdenproblematik als das wichtigste Ziel der Türkei bezeichnet. Befindet sich die Türkei auf einen guten Weg das so genannte „kurdische Problem“ zu lösen?

Der türkische Präsident Abdullah Gül kommt von einer islamischen Partei. Seine Partei, die AKP trifft bessere Entscheidungen in der kurdischen Frage. Das Stimmt. Insofern unterscheidet sie sich von anderen türkischen Parteien. Allerdings sind die Bemühungen der AKP nicht ausreichend um die kurdische Frage zu lösen. Bisher ist noch nichts unternommen wurden. Es wurde nur gesagt, dass etwas unternommen wird. Vor allem muss die bestehende Verfassung verändert werden


Herr Özçelik, ihre ehemalige Partei, die DTP wurde verboten. Und zahlreiche Bürgermeister der Nachfolgepartei BDP wurden in den letzten Wochen verhaftet. Was ist die Grundlage für dieses Verhaftungswelle?

Was von der Regierung gesagt wird unterscheidet sich von der Realität, da gibt es einen großen Widerspruch. Die Regierung sagt, dass die verhafteten Bürgermeister und die anderen verhafteten Menschen, Aktivsten unserer Partei, der verbotenen Arbeiterpartei PKK angehören. Das wird ihnen vorgeworfen. Doch bei den Hausdurchsuchungen haben hinsichtlich dieser Anschuldigungen keine Beweise gefunden. Nicht eine Waffe wurde bei den vielen Verhafteten gefunden. Der einzige Grund warum diese Repressionen jetzt erfolgen ist, dass wir bei den letzten Kommunalwahlen, im März 2009, unsere Stimmen drastisch erhöht haben, fast verdoppelt haben. Die AKP Regierung hat das sehr aufgeschreckt. Sie hat große Angst, dass die Kurden ihre eigene Partei wieder wählen. Die Zahl der gewonnen Bürgermeisterämter hat sich auch verdoppelt. Unsere Partei hat damit in den kurdischen Provinzen wieder die Mehrheit erlangt. Die Repressionen richten sich somit gegen unsere Partei.


Kurdische Minderheiten gibt es ja nicht nur in der Türkei, sondern auch im Iran, im Irak und auch in Syrien. Wie ist die Situation der Kurden in diesen Ländern?

Die Kurden sind eine Bevölkerung von 40 Millionen im Mittleren Osten. Ihr Land ist bekanntermaßen unter vier Staaten aufgeteilt. In all diesen Ländern sind sie Unterdrückungen und Assimilationszwängen ausgesetzt. Der Irak hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt. Die Kurden dort haben einen Föderalen Status erreicht. Der Status ist jetzt viel besser als in den anderen Staaten. Dort geht die Unterdrückung weiter. Die Rolle der westlichen imperialistischen Kräfte war dabei sehr entscheidend. Sie haben dazu beigetragen, dass sich unser Status im Irak verbessert hat. Die westlichen Kräfte sind nach wie vor auch aktiv, damit sich der Status der Kurden im Mittleren Osten nicht ändert. Unser Bestreben ist, dass wir mit den verschiedenen Völkern im Mittleren Osten gleichberechtigt leben und eine Geschwisterlichkeit aufbauen, auf gleicher Augenhöhe und einen Frieden für die Region herbeiführen.

Was bedeutet das für die Bestrebungen nach einem eigenen, unabhängigen Kurdistan?

Wenn wir die Situation heute im Mittleren Osten betrachten müssen wir auch realistisch sein und dies erlaubt keinen eigenen Staat. Für die Türkei sehen wir eine Autonomie vor. Wir bennen unser Projekt „Demokratische Autonomie“. Das ist unserer Meinung nach notwendig um eine wirklich Demokratie in der Türkei herbeiführen zu können. Eine Struktur wo die Kurden gleichberechtigt mit den Türken leben wo sie menschenwürdig leben können. Wir haben nicht das Ziel ein eigenes, unabhängiges Kurdistan zu gründen.


Die Türkei möchte in die Europäische Union aufgenommen werden. Das wird von vielen Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Wie beurteilen Sie das Aufnahmebestreben der Türkei.

Als Partei vertreten wir die Meinung, dass die Partei Mitglied der EU sein sollte. Doch in der Türkei sind die herrschenden Kräfte dagegen. Die Herrschenden Kräfte, dass sind die Soldaten und die zivile Bürokratie. Sie wollen eigentlich nicht aufgenommen werden, weil es für Sie schwerwiegende Folgen haben wird. Die Regierungspartei ist in dieser Frage noch unentschlossen. Sie tut als ob sie es will, ist in Wirklichkeit jedoch noch unentschlossen. Sie ist da in einem Konflikt mit den Soldaten und der zivilen Bürokratie. Wenn die Türkei Mitglied in der Europäischen Union wird, wird das wahrscheinlich zu mehr Demokratie und Wohlstand führen. Und das wird auch dazu führen, dass die politische Macht vom Militär auf die zivilen Kräfte übertragen wird. Wenn wir die jetzige Situation der Partei betrachten merken wir sehr schnell dass die Türkei mit den jetzigen Einstellungen nicht Mitglied werden kann. Es ist nicht möglich und auch nicht richtig, wenn die Türkei unter den jetzigen Bedingungen Mitglied wird.


In Deutschland werden zahlreiche politische aktive Kurdinnen und Kurden verfolgt. Die PKK wird als Terrorgruppe geführt und ihr nah stehende Personen werden nach dem Paragrafen 129 a verurteilt. Warum werden Kurden in Deutschland noch immer kriminalisiert?

Hier muss ich sagen, dass die PKK keine terroristische Organisation ist. Doch die Türkei hat es geschafft, dass auf internationaler Ebene unter anderem die EU und Deutschland, sie als terroristisch einstufen. Das ist falsch und ein historischer Fehler seitens Deutschlands. Die PKK ist eine politische Bewegung die gezwungen war zu den Waffen zu greifen. Denn für sie war eine politische Betätigung nicht möglich. Die PKK hat auch eine ganz große zivile Seite. Sie will politisch aktiv sein und einen Frieden erreichen und die grundlegenden Rechte der Kurden anerkannt bekommen. Aber die Türkei lehnt alles ab und zwingt die Kurden zu den Waffen zu greifen. Seit ich hier durch die Deutschland reise, sehe ich das viele Kurden auch hier in Deutschland unterdrückt und kriminalisiert werden. Das ist teilweise so schlimm wie in der Türkei. Überall wo ich mit Kurden in Kontakt trete, wird mir erzählt wie ihre Lage ist und wie sie kriminalisiert werden. Das enttäuscht mich sehr. Die Menschlichkeit muss vor den politisch/wirtschaftlichen Interessen stehen. Doch das ist in Deutschland und der Türkei nicht der Fall. Das stört die Kurden sehr. Das passt auch nicht zu Deutschland. Schließlich ist Deutschland ein Staat der sich als demokratisch bezeichnet und wichtiger Staat in der Welt. Von diesem historischen Fehler sollte Deutschland abkommen. Hier leben sehr viele Kurdinnen und Kurden. Sie haben Integrationsprobleme, vor allem durch die Kriminalisierung. Und durch die ständige Verfolgung ist es nicht möglich, dass sie sich hier gut integrieren. Wir protestieren gegen dieses Verhalten der Bundesrepublik.

Herr Özçelik, abschließend: Was will die kurdische Demokratiebewegung in der Türkei erreichen?

In der Türkei leben viele verschiedene ethnische, religiöse, kulturelle Gruppen. Es gibt die Frauenbewegung, es gibt Umweltbewegung und Bewegungen der Homosexuellen und eine Vielzahl anderer Bewegungen die vom herrschenden System unterdrückt, verfolgt und abgelehnt werden. Die BDP möchte die Stimme dieser gesellschaftlichen Gruppen werden. Sie möchte diese Gruppen vertreten damit die Türkei zu einem Land wird, in der jeder Mensch seine Meinung frei äußern kann. Die BDP möchte einen demokratischen Rechtsstaat haben. In der alle ihre Vielfalt ausleben können. Für dir Kurden möchte die BDP die grundlegenden kulturelledemokratischen Rechte erreichen und ich glaube auch daran, dass wird das bald werden.

Das sagt der kurdische Abgeordnete Osman Özçelik der für die BDP im türkischen Parlament sitzt. Das Interview ist auch noch einmal auf www.radio-frei.de nachzuhören.

Kommentare
25.03.2010 / 12:33 Walter Kuhl, Dissent Medienwerkstatt
Gesendet
am 22.3.2010 bei Radio Darmstadt. Danke.