Geräusch - mal wissenschaftlich zur Weiterverwertung

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Geräusch - mal wissenschaftlich zur Weiterverwertung
lange Version: Interview mit Anja Kurz: Produktentwicklungsaudiologin bei Bernafon AG in Ber-Bümplitz, http://www.bernafon.ch
Audio
07:43 min, 9042 kB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 20.04.2010 / 12:17

Dateizugriffe: 279

Klassifizierung

Beitragsart:
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Arbeitswelt, Wirtschaft/Soziales, Andere
Entstehung

AutorInnen: Theresa Beyer
Radio: RaBe, Bern im www
Produktionsdatum: 20.04.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Neulich hat mein Kollege voller stolz sein neues Motorrad vorgeführt. Wie sonor, kraftvoll und wohl der
Motor tönt, wie rund dieses Geräusch in seinen Ohren liegt. Trotz guten Willens fand ich das Geknattere
einfach nur scheppernd-rauh und furchtbar störend. Aber: höre ich anders? Oder finde ich einfach nur
Motorräder doof? Was nehme ich da eiegntlich wahr? Ist Geräusch überhaupt gleich Geräusch? Um
diesen Fragen auf den Grund zu gehen, habe ich Anja Kurz gefragt. Sie ist Psychoakustikerin und
Audiologin und hat mir erstmal erklärt, dass ich mit dem Wort „Geräusch“ nicht so weit kommen werde:
O-Ton 1, 0:13 min: „Wissenschaftlich benutzen wir das Wort Geräusch nicht ... Sound ist Klang,
Noise ist Lärm“
„Geräusch“ ist also eher ein landläufiger Sammelbegriff für ein hörbares Ereignis. Wenn auch das Wort
schwammig ist, ich habe bei „Geräusch“ eben soetwas wie das Motorengeräusch, oder das Knarren
einer Tür, das Pfeifen eines Gaskessels oder das Schnarchen des Grossvaters im Ohr.
Physikalisch sind solche Geräusche heutzutage leicht zu erfassen: es gibt Spektralanalysen, Amplituden,
Hüllkurven, verschiedene Filter und viele bunte Graphen, die den Klang visualisieren und in Zahlen
pressen. Was die Geräusche aber bedeuten, was sie in uns auslösen, ist etwas sehr Subjektives. Und
dafür gibt es eine ganze Wissenschaft:
O-Ton 2, 0:14 min: „Die Psychoakustik beschäftigt sich ja damit... Schallereignisse zu messen
und in Bezug zu setzen“
Man kann aber keinesfalls absolut sagen, welche Komponenten eines Geräusches nun genau welche
Emotionen auslösen. Dazu ist ein Geräusch zu komplex. Vor allem aber hört jeder Mensch sehr individuell
und im Hören und Deuten des Gehörten sind wir beeinflusst von unserem Geschlecht, vom Alter, der
Kultur, in der wir aufgewachsen sind und natürlich von persönlichen Vorlieben.
O-Ton 3, 00:12 min: „...Auf die Physik runterbrechen ist nicht so einfach“
Deshalb sind in der Psychoakustik auch Befragungen zum Geräuschempfinden Teil der Forschung. In
Untersuchungen bekommen Testpersonen Geräusche vorgespielt und bewerten diese mit verschiedenen
Attributen wie zum Beispiel „laut-leise“, „angenehm-unangenehm“ oder „scharf-stumpf“ .
Die Ergebnisse erlauben dann die Wirkung der Geräusche zu kategorisieren und bestimmten Geräusche
bestimmte emotionalen Reaktionen zuzuordnen.
Es gibt einen ganzen Industriezweig namens Sounddesign, der sich diese Erkenntnisse zu Nutzen macht.
O-Ton 4, 00:03 min: „Durch Musik, durch Geräusche kann man sehr gut manipuliert werden“
Da geht es nicht nur um emotionale Identifikation von bestimmten Marken durch wiedererkennbare
Sounds, sondern auch darum, dass wir zum Beispiel bei einer bestimmten Hintergundmusik im
Supermarkt mehr zuschlagen. Berechnete Klänge umgeben uns bei ganz alltäglichen Handlungen: So
haben Designer versucht Geräusche so zu optimieren, dass das Knistern der Kekspackung den Appettit
anregt, das Zischen beim Öffnen einer Coladose sprudelnde Frische impliziert oder das Geräusch der
Wohnungstür, die ins Schloss fällt so klingt, dass wir uns sicher fühlen. So beeinflussen Geräusche also
mehr oder weniger unterbewusst unser Kaufverhalten.
Und bestimmt werden auf diese Weise auch Erwartungen geprägt, Anja Kurz:
O-Ton 5, 00:31 min: Beispiele Crunchy-Cornflakes, Beispiel Sportauto ...Ferrari hat immer rote
Autos
Das hat eine Untersuchung gezeigt, in der Testpersonen Geräusche vorgespielt und dabei Bilder roter
Autos gezeigt bekommen haben. Die gleichen Geräusche wurden als leiser beurteilt, wenn die Autos eine
grüne Farbe hatten. Das ist also noch ein weiterer wichtiger Aspekt: die visuelle Wahrnehmung spielt in
die Wahrnehmung von Geräuschen ganz gehörig mit rein: Auch das, was wir als unangenehmen Lärm
empfinden, hat stark mit dem was wir sehen, überhaupt mit dem ganzen Kontext zu tun:
O-Ton 6, 00:24 min: „...wenn sie an einer vielbefahrenen Strasse wohnen ... das wird sie wieder
positiv beeinflussen.“
Ein Geräusch ist also lange nicht nur alleiniges Geräusch.
Wie wir das, was wir hören deuten und woran wir erkennen, um was es sich handelt, ist vor allem eine
Sache der Erfahrung. Bestimmte Assoziationen sind also einfach dadurch im Gehirn gespeichert, dass
wir viele Male das Geräusch der Geräuschquelle zugeordnet haben. Um diese Gedächtnisleistung zu
vollbringen, braucht es aber ständige Inputs:
O-Ton 7, 00:19: „Wenn ertaubte Menschen lange keine akustischen Reize bekommen haben,
dann spielt sich viel über die Erinnerung ab“
Anja Kurz erklärt, dass ertaubte Menschen ihr Vermögen, Geräusche zu erkennen mehr und mehr
verlieren. Die Gehirnwindungen bilden sich zurück und nach 5 Jahren Taubheit haben sie die Deutung der
akustischen Wahrnehmung praktisch „vergessen“.
Die Fähigkeit, die Wahrnehmung so zu verarbeiten, dass wir das Geräusche differenzieren können, ist
also vor allem eine kognitive Angelegenheit. Aber noch etwas anderes ist für die Identifizierung von
Geräuschen wichtig, nämlich die Fähigkeit räumlich zu hören. Dadurch dass wir 2 Ohren haben, können
wir ziemlich genau orten, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. Sogar in Momenten, in denen die
Umgebungsgeräusche sehr laut sind. Dann wird nämlich dafür gesorgt, dass wir sie in den Hintergrund
abblenden und uns so auf das konzentrieren können, was wichtig ist:
O-Ton 8, 00:31 min: „Wir können uns den Störschall wegdenken“
Anja Kurz ist Produktentwicklungsaudiologin: sie beschäftigt sich vor allem damit, wie man
Schwerhörigen Menschen helfen kann. Die hochspezialisierten Hörgeräte heutzutage können das Stereohören
nachahmen und eben dieser Fokus, bei dem der Störschall reduziert wird, ist eine der grossen
Herausforderungen in der Hörgeräteaukustik.
O-Ton 9, 00:15 min: „Ein Hörgerät macht ja nichts anderes...“
Mir ist bewusst geworden, wie ich mich anders verhalten würde, wenn ich nur einen Teil von dem zu
Hörenden hören würde oder andersrum, wenn ich ALLES hören würde.
Was sich für Welten öffnen, wenn auch kleine, vielleicht banale Geräusche genau erspürt werden, wenn
man sich mal über die Empfindungen, die bestimmte Geräusche auslösen Gedanken macht, und
sensibel ist gegenüber Geräuschen, die einen austricksen wollen. Dann kann ich wohl nur noch sagen:
Augen schliessen und „hinhören“, selbst wenn es das Geknattere eines Motorradmotors ist!

Kommentare
29.04.2010 / 08:20 hikE, Radio Unerhört Marburg (RUM)
29-4-2010 in der Frühschicht
gesendet. Danke! (Pegel um 13 dB angehoben, Beitrag sehr leise)