Weltordnungskrieg. Thesen zum Krisen-Kapitalismus

ID 3496
 
Über das Ende des klassischen Imperialismus, den neuen Krisen-Imperialismus und eine unhistorische Linke. Die Thesen fassen das "Weltordnungskrieg"-Buch von Robert Kurz zusammen.
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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Wert-Los
Entstehung

AutorInnen: Kooperative Haina / Radio FREI
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 12.03.2003
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Der KRISEN-IMPERIALISMUS
Zum Charakter der neuen Weltordnungskriege

Die Sendung referiert in 6 Thesen das gerade erschienene Buch „Weltordnungskrieg“ von Robert Kurz, der mit seinen „Schwarzbuch des Kapitalismus“ bekannt wurde.


These 1: Der Krisen-Imperialismus in der Epoche der mikroelektronischen Revolution und die Kapitalverwertung an ihrer historischen Schranke

Dem Kapitalismus ist mit einem unhistorischen Verständnis nicht beizukommen. Die Logik der Verwertung von Kapital bewirkt nicht die ewige Wiederkehr des Gleichen, sondern einen unumkehrbaren historischen Prozeß mit qualitativ verschiedenen Verhältnissen. Die jeweilige Weltkonstellation kann nur aus der Entwicklung des Weltkapitals heraus erklärt werden. Wenn sich eine bestimmte Stufe der Verwertung erschöpft hat, werden auch die damit verbundenen politischen Institutionen, Begriffe und Ideologien hinfällig. Das gilt umso mehr bei einem Reifegrad des Weltsystems, wie er am Ende des 20. Jahrhunderts erreicht worden ist.
Die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik hat seit den 80er Jahren damit begonnen, lebendige Arbeit zunehmend aus dem Produktionsprozeß durch Rationalisierung und Computerisierung herauszudrängen. Dabei bildet aber die Vernutzung lebendiger Arbeit die Substanz des Kapitals. Das Kapital untergräbt also durch die Verdrängung lebendiger Arbeit aus dem Produktionsprozeß seine eigene Basis. Auf der Höhe der von Kapital selbst hervorgebrachten Produktivität ist keine realökonomische erweiterte Reproduktion mehr möglich ist. Diese „strukturelle Überakkumulation“ des Weltkapitals führt in den Metropolen durch Anwendung der Mikroelektronik zu einer strukturellen Massenarbeitslosigkeit, zu globalen Überkapazitäten und einer Flucht des Geldkapitals in den Finanzüberbau. In der Weltmarktperipherie im Süden und Osten verhindert der Mangel an Kapitalkraft die mikroelektronische Aufrüstung; aber gerade dadurch brechen ganze Nationalökonomien und Weltregionen umso schneller zusammen, weil sie so tief unter die Standards der Kapitallogik fallen, daß ihre gesellschaftliche Reproduktion vom Weltmarkt für „ungültig“ erklärt wird.
In der Folge kommt es zu einem Kostensenkungs- und Stillegungs-Wettlauf. Globalisierung ist nichts anderes als transnationale Rationalisierung und insofern tatsächlich etwas qualitativ Neues. Der traditionelle Kapitalexport in Form von Erweiterungs-Investitionen im Ausland nach dem Baukasten-Prinzip wird ersetzt durch die Auslagerung von betriebswirtschaftlichen Funktionen, um das globale Kostengefälle auszunutzen. So entstehen einerseits transnationale Wertschöpfungsketten, während andererseits gleichzeitig wachsende Teile der gesellschaftlichen Reproduktion austrocknen und absterben. Dieser Prozeß wird überformt und gesteuert vom ebenso globalisierten Finanzblasen-Kapital.
Allerdings bleibt der alte Abstand zwischen Metropolen und Peripherie auch unter den Krisenbedingungen der Globalisierung erhalten; jetzt nicht mehr als Abstand im Grad der kapitalistischen Entwicklung, sondern als Abstand im Grad des gesellschaftlichen Zerfalls. Die transnationale Wertschöpfung verdichtet sich im nordamerikanischen Raum, in der EU, in Japan bzw. Südostasien, während sie in der übrigen Welt immer dünner wird. Dabei sprengt die Dynamik der betriebswirtschaftlichen Globalisierung im Kontext der transnationalen Finanzmärkte die nationalökonomischen Regulationsräume auf.
Der Staat in den Metropolen verschwindet nicht, aber er hört auf, im klassischen Sinne „ideeller Gesamtkapitalist“ zu sein. Als dieser „ideelle Gesamtkapitalist“ hatte der Staat die Funktion, die allgemeinen Rahmenbedingungen der Kapitalverwertung abzusichern. Weil er sich im Unterschied zur Betriebswirtschaft nicht transnational zerstreuen kann, verliert er eine Funktion der Regulation nach der anderen und mutiert zur rein repressiven Krisenverwaltung. Es handelt sich aber nicht bloß um eine soziale Herabsetzung wachsender Teile der Gesellschaft, sondern damit zerschlägt das Kapital auch unfreiwillig eine ganze Reihe seiner eigenen Rahmen- und Existenzbedingungen. Das zeigt sich nicht zuletzt in einem Widerspruch neuer Qualität zwischen transnationaler Verwertung des Kapitals und nationaler Währungs-Form des Geldes.
In der Peripherie des Weltmarktes lösen sich zusammen mit dem Großteil der kapitalistischen Reproduktion die Staatsapparate in einem weitaus größeren Umfang auf. Die öffentlichen Dienste verschwinden fast vollständig, die Verwaltung kapituliert, die Repressionsapparate verwildern. Übrig bleiben nur kleine Produktivitäts- und Rentabilitätsinseln in einem Ozean von Desorganisation und Verelendung. Jede nationalökonomische Entwicklung kommt zum Stillstand; die global agierenden Konzerne reißen sich die wenigen Inseln betriebswirtschaftlicher Verwertbarkeit als Bestandteile ihrer transnationalen Betriebswirtschaft unter den Nagel. Parallel dazu entsteht eine Plünderungsökonomie, in der die physische Substanz der zusammengebrochenen Volkswirtschaft ausgeschlachtet wird und Bevölkerungsgruppen nach ethnischen oder religiösen Kriterien in einer Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln übereinander herfallen. An die Stelle gesellschaftlicher Institutionen treten marodierende Gruppen. Ein Großteil der Eliten verwandelt sich in die Führung von Ethno- oder Religionsbanditen und Clan-Milizen, in Warlords und Fürsten des Terrors.
Diese Verhältnisse bilden nur ein Übergangsstadium der Weltkrise an der historischen Grenze des Verwertungsprozesses. Vorerst kann die Plünderungsökonomie noch an den Weltmarkt andocken und die Ausschlachtung der ökonomischen Ruinen ebenso als weitergehenden Verwertungsprozeß erscheinen lassen, wie es andererseits auch durch die immer neue Aufblähung von Finanzblasen in den Zentren geschieht. Aber beide Phänomene nähern sich der völligen Erschöpfung.

These 2: Das Ende des klassischen Imperialismus und die USA in der Funktion des ideellen Gesamtimperialisten

Vor diesem Hintergrund der Weltmarktkrise hat sich der klassische Imperialismus erledigt. Wie sich einerseits die Betriebswirtschaft nicht mehr national formieren und regulieren läßt, so macht andererseits die Unterwerfung und Einverleibung von kapitalistisch überflüssigen Bevölkerungsmassen keinen Sinn mehr. Die territoriale Form der Herrschaft und Expansion ist überflüssig geworden. Die Besitzer der Ware Arbeitskraft haben in ihrer globalen Mehrzahl ausgedient, ohne daß sie jedoch aus der kapitalistischen Logik herauskommen. Die negative Welt-Vergesellschaftung auf der Basis der Verwertung soll auf Biegen und Brechen aufrecht erhalten wird.
Schon in der Nachkriegsgeschichte war die Konkurrenz der alten nationalen Ausdehnungsmächte abgelöst worden durch die Konkurrenz der Supermächte USA und Sowjetunion. Dabei war nicht mehr der Kampf um nationale Einflußzonen bestimmend, sondern die Frage der Regulationsprinzipien und Modalitäten kapitalistischer Reproduktion. Es handelte sich um die Konkurrenz der historischen Nachzügler auf dem Weltmarkt, der Gesellschaften „nachholender Modernisierung“ im Bezugsraum der Pax Sowjetica, mit den Gesellschaften des entwickelten kapitalistischen Zentrums im Bezugsraum der Pax Americana. Die USA waren bereits damals zur alleinigen Führungsmacht des Westens auf der Basis kontinentaler Ressourcen und des größten Binnenmarkts der Welt herangereift; uneinholbar davongezogen durch die Dynamik ihres militärisch-industriellen Komplexes seit dem 2. Weltkrieg.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende der „nachholenden Modernisierung“ gibt es kein Zurück zu den alten innerimperialistischen Konflikten nationaler Ausdehnungsmächte. Stattdessen haben wir es mit der planetarischen Vereinheitlichung der Pax Americana zu tun. Es ist lächerlich, von einer neuen innerimperialen Konkurrenz zwischen USA und BRD bzw. EU zu reden. Der in den Jahrzehnten des Nachkriegsbooms aufgebaute US-Militärapparat ist konkurrenzlos; Jahr für Jahr beträgt der US-Rüstungsetat mehr als das Zwanzigfache des deutschen. Es gibt weder militärische noch politische und ökonomische Bedingungen für eine neue Konkurrenzmacht.
Trotz einer gewissen einschlägigen Rhetorik und einzelner Interessenmomente agieren die USA nicht im Namen ihrer nationalen territorialen Expansion, sondern als eine Art globale Schutzmacht der allgemeinen Kapitalverwertung und seiner Gesetze. Alle Staaten bewegen sich im Kontext transnationaler Verwertungsprozesse unter gleichzeitigem Druck einer wachsenden Masse von „Überflüssigen“. Deshalb ist die Rolle der USA als letzte Supermacht nicht bloß von ihrem militärischen Gewicht her zu erklären, sondern auch aus den Transnationalisierungsprozessen der Kapitalverwertung. Das gesamte transnationale Kapital, die Finanzmärkte und die verbliebenen Staatsapparate des Zentrums sind abhängig von der weltpolizeilichen Zugriffsfähigkeit der USA.
Was sich so herausgebildet hat, ist ein „ideeller Gesamtimperialismus“ unter alleiniger Führung der USA, verlängert über die Nato und andere weltkapitalistische Institutionen. Es gibt kein innerimperialistisches Feindbild mehr von konkurrierenden nationalen Interessen. Das heutige Feindbild ist ein demokratisch-gesamtimperialistisches und richtet sich gegen die Krisengespenster des vereinheitlichten Weltsystems. An die Stelle des staatskapitalistischen Imperiums der gescheiterten „nachholenden Modernisierung“ ist als neues „Reich des Bösen“ ein diffuser Komplex von Störpotentialen, Ethno- und Religionsterrorismus und Zerfallszuständen getreten.
Der „ideelle Gesamtimperialismus“ agiert im wesentlichen als Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus des demokratischen kapitalistischen Zentrums gegen die vom Kapital selbst erzeugten Krisenverhältnisse, ohne diese je bewältigen zu können. Sicherheit soll hergestellt werden, um den reibungslosen Ablauf kapitalistischer Transaktionen bis in die prekären Verwertungsinseln der Weltmarkt-Peripherie hinein zu gewährleisten. Dazu gehört an vorderster Stelle, daß der Zufluß des Treibstoffs für die kapitalistische Weltmaschine garantiert wird. Auch dabei geht es aber nicht um spezifisch us-nationale Ölinteressen, sondern um den weiteren Ablauf transnationaler Verwertung.

Auch und erst recht jenseits nationaler territorialer Machtansprüche liegt das gemeinsame Ausgrenzungsinteresse des Zentrums gegen die globalen Flucht- und Migrationsbewegungen aus den Zusammenbruchszonen der Peripherie.

These 3: Die letzte Weltmacht USA – zwischen nationalem Interesse und transnationaler Funktion

Die Widersprüche im Rahmen des demokratischen Gesamtimperialismus -etwa der aktuelle Disput zwischen der BRD, Frankreich, Belgien etc. einerseits und der Führungsmacht USA andererseits- sind bloß zweitrangig. Daraus die Logik eines neuen innerimperialen Großkonflikts nach dem Muster der Weltkriegsepoche zu folgern, wäre ungefähr so intelligent wie der Versuch, die Differenzen etwa zwischen Nazi-Deutschland und Franco-Spanien -das sich bekanntlich aus dem 2. Weltkrieg herausgehalten hat- zum „eigentlichen“ Konflikt jener Zeit zu erklären.
Es ist kein nationales Konkurrenzverhältnis alten Musters, das die gegenwärtigen innerimperialen Auseinandersetzungen bestimmt, sondern die Furcht einiger zweitrangiger Regierungen vor möglicherweise nicht mehr beherrschbaren Konsequenzen. Nato und übrige Staatenwelt differenzieren sich in unterwürfige und in zaudernde Vasallen, ohne daß letztere zur offenen Rebellion gegen die USA fähig oder auch nur willens wären. Das Zaudern entspringt eher der Furcht derjenigen, die nicht selber den Finger am Abzugshahn haben, während die willfährigen Staaten eher solche sind, die nichts mehr zu verlieren, aber auch sowieso nichts zu sagen haben.
Während es bislang einschließlich der Afghanistan-Intervention keinerlei Widerspruch gegen die Weltordnungskriege unter Herrschft der USA gegeben und die rotgrüne Regierung ihre germanischen Hilfstruppen mit hurra-demokratischer Ideologie ins Feld geschickt hatte, weckt nun der angekündigte Präventivschlag gegen den Irak Besorgnisse, weil ganz offen Völkerrecht, Uno und Souveränität – die Garantien der viel beschworenen kapitalistischen Staaten- und sogenannten „Völker“-Gemeinschaft – mißachtet werden. Die BRD, Frankreich und Konsorten bekommen es mit der Angst zu tun. Sie befürchten, daß mit ihnen bald ähnlich umgesprungen werden und das bisherige legitimatorische Konstrukt der Staatengemeinschaft seinen Geist aufgeben könnte.
Daß die USA derart rüde die Spielregeln der von ihnen selbst nach 1945 installierten kapitalistischen Staatenwelt mit Füßen treten, folgt formal aus dem inneren Widerspruch von nationaler Verfaßtheit der letzten Weltmacht einerseits und ihrer transnationalen Funktion als Schutzmacht des globalisierten Verwertungsprozesses andererseits. Was die USA ausagieren ist, daß das Prinzip der Souveränität in die Krise geraten ist. Sogar die Staaten des Zentrums einschließlich der USA selbst geben durch „Privatisierung“ bis hin zum Gewaltapparat immer mehr innere Funktionen der Souveränität ab. Indem sie nun auch in der Außenbeziehung die Souveränität der „Schurkenstaaten“ für nichtig erklären, exekutieren die USA nur die Krise der weltweiten Kapitalverwertung auf der politisch-juristischen Ebene, in der sich das Ende aller bürgerlichen Vertragsverhältnisse überhaupt -und letztlich auch das Ende der Souveränität der USA selbst- ankündigt. Der konservative Widerstand eines Teils der europäischen Staatenwelt gegen diese Dynamik ist zum Scheitern verurteilt. Dabei mögen auch alte antiamerikanische Ressentiments eine Rolle spielen, aber keine entscheidende mehr.

These 4: An den Grenzen staatlicher Souveränität

Das Problem der gesamtimperialen Weltpolizei besteht darin, daß sie nur auf der Ebene von Souveränität agieren kann, die sie andererseits eigenhändig zerstören muß. Das gilt auch für die High-Tech-Waffensysteme, die auf klassische territoriale Konflikte ausgerichtet sind. Die Krisengespenster, Störpotentiale, Terrorbanden usw. sind damit nicht zu erreichen, weil sie selber in den Falten der Globalisierung agieren. Al Kaida ist genau wie ein transnationaler Konzern strukturiert. Die us-militärische Überlegenheit wird nutzlos, der „Krieg gegen den Terror“ zum Schlag ins Leere. Gleichzeitig droht mit dem Ende der Finanzblasen-Konjunktur ein schwerer Krisenschub für das kapitalistische Zentrum, insbesondere für dessen Herz, die US-Ökonomie selbst, und in der Folge eine schwere Weltdepression. Damit wäre auch die weitere Finanzierungsfähigkeit des High-Tech-Gewaltapparats der letzten Weltmacht in Frage gestellt.
Deshalb hat die US-Administration vom „Krieg gegen den Terror“ auf das Paradigma der „Schurkenstaaten“ zurückgeschaltet. Der Präventivschlag gegen den Irak signalisiert eine doppelte Flucht nach vorn. Zum einen soll die Ruine der staatlichen Souveränität des Irak mit ihrer ausgepowerten Armee als leichter Gegner klassischer staatlich-territorialer Prägung „besiegt“ werden, um der Welt zu zeigen, wer Herr im Haus ist. Zum andern soll der drohende ökonomische Einbruch durch den unmittelbaren Zugriff auf die irakischen Ölfelder und die Zerschlagung der Opec aufgefangen werden. Dabei geht es aber weniger um den materiellen Fluß des Öls, der auch ohne Militärintervention gewährleistet wäre, sondern kurzfristig um die Rettung der Finanzmärkte. Die abgestürzten Finanzmärkte sollen reaktiviert werden, und das geht nicht ohne eine „Zukunftsoption“ für einen neuen wert-produktiven Aufschwung. Nachdem sich die Optionen eines wert-produktiven Aufschwungs in Japan und Südostasien ebenso als Flop erwiesen hat wie die New Economy des Internet- und Telekom-Kapitalismus, soll es jetzt die Option „Öl zu Vor-Opec-Preisen“ unter direkter US-Kontrolle bringen.
Der Schuß könnte jedoch nach hinten losgehen. Die irakische Armee ist zwar kein ernsthafter Gegner; aber ein möglicher Städtekampf um Bagdad und andere Zentren mit hohen Opferzahlen, großen Zerstörungen und Millionen von Flüchtlingen würde die USA in der ganzen Welt moralisch diskreditieren. Vor allem aber kann mit Sicherheit kein stabiles Regime installiert werden. Eine US-Militärverwaltung des Irak und der gesamten Ölregion in der ständigen Konfrontation mit Guerilla und Terror wäre weder bezahlbar noch politisch-militärisch durchhaltbar und überdies alles andere als ein Euphorie-Signal für die Finanzmärkte. Der „Sieg“ über den Irak wird unvermeidlich ein Pyrrhus-Sieg, der die Gesamtkrise des Weltsystems nur verschärfen kann.

These 5: Von der Scheinrationalität des materiellen Interesses und Kapital als irrationaler Selbstzweck

Wenn es um Erklärungen für die neuen Weltordnungskriege geht, sind sich die Fürsprecher des Westens, wie auch seiner Gegner in einem Punkt einig: Immer geht es um bestimmte Interessen. „Wem nützt es?“, diese Frage wird zum Ausgangspunkt aller Argumentation. Es geht aber gar nicht um bestimmte „Interessen“, die immer schon dem irrationalen Selbstzweck der Kapitalverwertung untergeordnet sind. Der vulgäre Interessenmaterialismus verkennt die Realmetaphysik des Kapitals als weltliche Religion. Ziel des Kapitals ist aber nicht die Produktion und Anhäufung von materiellen Gegenständen wie Autos, Kaugummis oder Öl, sondern die ständige Anhäufung von Wert, der sich in Geld ausdrückt. Ziel und Sinn von Kapital ist nichts Materielles, sondern ein nicht-materielles, nicht-physisches, eben meta-physisches. Auch geht es beim Kapital nicht um den Konsum der Kapitalisten. Der westliche Teil des erwirtschafteten Mehrwerts muß bei Strafe des Untergangs für die nächste Mehrwertschöpfung reinvestiert werden. Das Kapital ist ein metaphysischer Selbstzweck. Das Kapital ist ein an sich irrationales, gesellschaftliches Verhältnis, daß an seinen Grenzen die in ihm eingeschlossenen, rationalen Interessen überwältigt. Der gegen alle sinnlichen Inhalte gleichgültige Verwertungsimperativ verlangt letztlich die Auflösung der physischen Welt in die leere Formabstraktion des Werts, also ihre Vernichtung. Insofern kann von einem Todestrieb des Kapitals gesprochen werden, der sich in der betriebswirtschaftlichen Zerstörungslogik ebenso äußert wie in den Gewaltpotentialen der Konkurrenz. Weil die Widersprüche nicht mehr in ein neues Akkumulationsmodell aufgelöst werden können, wird dieser Todestrieb heute unmittelbar und global offensichtlich.
Die Selbsterhaltung des Systems um jeden Preis schlägt in die Selbstzerstörung seiner Akteure um. Amokläufer, Selbstmordsekten und Selbstmordattentäter exekutieren den objektiven Wahn des Systems in einem nie gekannten Ausmaß als perspektivlose Krisenreaktion. Eng damit verbunden ist das antisemitische Syndrom als letzte krisenideologische Reserve der modernen Subjektform.
Weil sich die kapitalistische Binnenrationalität des bürgerlichen Aufklärungssubjekts nicht in einem neuen Akkumulationsmodell darstellen kann, bildet sie auch keine immanente Potenz gegen den systemischen Todestrieb mehr, sondern schlägt selber unmittelbar in ein Moment dieser Irrationalität um. Aufklärung und Gegenaufklärung, Vernunft und Wahn, Demokratie und Diktatur fallen in eins. Der demokratische Gesamtimperialismus kann seine eigene Krisenwelt nicht befrieden, sondern wird zum „ideellen Gesamtamokläufer“, bis hin zum Atomwaffeneinsatz gegen die Unsicherheitszonen, die ungreifbaren Krisengespenster und die Massen der „Überflüssigen“, wie ihn die US-Administration bereits offen angedroht hat.

These 6: Die Linke in den Schützengräben des 1. und 2. Weltkrieges

Es gibt keine Alternative innerhalb des Ware-Geld-Systems mehr. Weil aber die Linke nichts anderes kennt, als die Binnen-Alternativen auf dem Boden kapitalistischer Kategorien -die nur anders besetzt werden sollten-, flüchtet sie großenteils in die Vergangenheit und führt einen absurden Streit darüber, ob wir 1914 oder 1941 schreiben.

Für die einen ist Georg Bush jun. ein böser Mann, der die profitgeilen Interessen seiner nationalen Kapitalistenklasse vertritt, deren schlimmste Vertreter die sogenannten Spekulanten sind, die sowieso an allem Schuld sein sollen. Das ist eine Kapitalismus-Analyse, die bestenfalls auf dem Stand von Lenins Imperialismustheorie Anfang letzten Jahrhunderts ist. Dem ist nicht nur vorzuwerfen, daß unhistorisch argumentiert wird. Viel schlimmer wiegt, daß das Kapital nicht als versachlichtes, gesellschaftliches Verhältnis, sondern schlicht soziologisch als bestimmte Personengruppen gefaßt wird. Damit fallen solche Erklärungsansätze weit hinter die Marxsche Kapitalanalyse zurück und werden der von Marx angesprochenen Fetischproblematik in keinsterweise gerecht. Das ist im besten Fall Mumpitz und hat mit Kapitalismuskritik nichts zu tun.

Der andere Teil der radikalen Linken ist in der Konstellation der 2. Weltkrieges stecken geblieben und versucht nun -wie die sogenannten Antideutschen- die „Bedingung der Möglichkeit“ der Emanzipation im Bombenhagel der westlichen Wertegemeinschaft auf deren eigene Monster zu retten. Weil bornierte Ideologiekritik keine Geschichte kennt, läuft das Antideutschtum mit einem Hitlerbärtchen durch die Gegend, um es konjunkturell mal Schröder, mal Hussein anzukleben. Die ewige Wiederkehr des Faschismus in der islamischen Welt reproduziert demnach das gleiche Szenario wie während des Zweiten Weltkrieges, demzufolge sind die Amerikaner und Briten die Allierten und tun nun unfreiwillig gutes für die Emanzipation.

Beide Fraktionen sind intellektuell in der Epoche eines nationalökonomisch formierten Kapitals und nationalimperialer Ausdehnungsmächte sitzen geblieben, beide sind krisentheoretisch und überhaupt hinsichtlich der Kritik der politischen Ökonomie Analphabeten, beide klammern sich an die kapitalistische Binnenrationalität des bürgerlichen Aufklärungssubjekts.
Die Nostalgiker von 1914 und Anhänger der Mumie Lenins beschwören das Phantasma eines „antiimperialistischen“ Bündnisses der linken Kriegsgegner in den Metropolen mit den „Souveränisten“ und „Völkern“ der 3. Welt, die ihre bürgerliche Unabhängigkeit gegen den US- und BRD- bzw. EU-Imperialismus verteidigen sollen. Die Nostalgiker von 1941 dagegen delirieren mit der Vorstellung einer „Antihitler“-Koalition unter Führung der „guten“ Westmächte gegen den „islamischen Faschismus“ und seine deutschen Helfershelfer zum Schutz Israels und „der Zivilisation“.

Aber das Saddam-Regime taugt weder als weltbedrohendes Nazi-Imperium noch als hoffnungsfrohe Kraft nationaler Entwicklung, und bin Laden ist weder ein Hitler noch ein Che Guevara. Der palästinensische Staat zerfällt schon vor seiner Gründung, weil Staatlichkeit überhaupt keine reale Möglichkeit mehr ist; umgekehrt kann die Barbarei von Intifada und Selbstmordattentaten nicht mit der fabrikmäßigen Judenvernichtung von Auschwitz gleichgesetzt werden. Für die falschen Freunde der 3. Welt ist Israel ein imperialistisches Konstrukt und ignorieren seine wesentliche Qualität als Resultat des globalen Antisemitismus; die falschen Freunde Israels verherrlichen die für den Mord an Rabin verantwortlichen reaktionär-ultrareligiösen Kräfte und verfallen selber in primitive rassistische Hetze. Die einen negieren Israel als Zufluchtsort, die anderen ignorieren die Tatsache, daß dessen Existenz mehr durch seine eigene innere Krisenbarbarei gefährdet ist als durch äußere militärische Bedrohungen.
Die Zombies von 1914 nehmen die völkisch-antisemitische, kulturalistisch-antiamerikanische Verwahrlosung von „Klassenkampf“ und „Antiimperialismus“ in Kauf. Die Zombies von 1941 geben jede Kritik des imperialen Weltordnungskriegs preis, denunzieren hemmungslos die bedrängte israelische ebenso wie die US-amerikanische linke Opposition und funktionieren die notwendige Kritik von Antisemitismus und Antizionismus zur Legitimation des demokratischen Bombenterrors um. Gefordert ist stattdessen eine radikale Kriegsgegnerschaft, die sich der wirklichen Weltsituation stellt und eine kategoriale Kritik der kapitalistischen Moderne jenseits der falschen Immanenz von Scheinalternativen entwickelt, die nur noch verschiedene Formen derselben weltbürgerlichen Krisenbarbarei darstellen.
Gegen den Krieg und gegen den deutschen Frieden.

Die Thesen der Sendung fassten einige Grundgedanken des Buches „Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung“ zusammen. Autor des Buches ist Robert Kurz, der mit dem Schwarzbuch Kapitalismus bekannt wurde und Redakteur und Mitherausgeber der Theoriezeitschrift „Krisis“ ist.