Buchautorin: Petra Dobner - Wasserpolitik

ID 35331
 
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Zur politischen Theorie, Praxis und Kritik globaler Governance
Sauberes Wasser ist die Grundvoraussetzung irdischer Existenz, und nichts verdeutlicht die Bedeutung einer öffentlichen Gemeinwohlsicherung stärker als die Frage der Wasserversorgung. Im Zuge der neoliberalen Privatisierungs- und Globalisierungsideologie fiel jedoch Anfang der neunziger Jahre auch diese Bastion öffentlicher Alleinverantwortung. Seither wird die Privatisierung der Trinkwasserressourcen und der damit verbundenen Dienstleistungen einerseits als Königsweg propagiert, andererseits vehement bekämpft. Das Buch macht die komplexen Dimensionen der globalen Wasserkrise sichtbar und verfolgt die Entwicklung von der öffentlichen Daseinsfürsorge zu Strukturen globaler Governance – eine Entwicklung, die eng mit theoretischen Auffassungen über die Bedeutung der Allmende, die beste Art der Gemeinwohlsicherung und die Möglichkeiten politischer Steuerung verknüpft ist. Die empirische Untersuchung der Strukturen des globalen Wasserpolitiknetzwerkes macht dabei exemplarisch deutlich, daß es gute effizienz- und demokratietheoretische Gründe gibt, den generellen Vertrauensvorschuß für globale Governance einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.
Audio
23:27 min, 54 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.07.2010 / 13:07

Dateizugriffe: 769

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: arbeitsweltradio
Entstehung

AutorInnen: Arbeitsweltradio (Wolfgang)
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 30.07.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Des Menschen Recht auf Wasser
von Petra Dobner

„Von allen Krisen hinsichtlich der sozialen und natürlichen Ressourcen, mit denen wir Menschen konfrontiert sind, ist die Wasserkrise diejenige, die unser Überleben und das unseres Planeten Erde am meisten bedroht.“ In der Tat, die UNESO übertreibt nicht: Ein steigender Wasserverbrauch, sinkende Trinkwasserressourcen und der Anstieg der Weltbevölkerung werden voraussichtlich bereits in 20 Jahren dazu führen, dass die Hälfte der Menschheit unter extremer Wasserarmut leiden wird. Schon heute leben 1,1 Mrd. Menschen auf der Welt ohne sauberes Trinkwasser, 2,4 Mrd. Menschen haben keinen Zugang zu sanitären Anlagen, täglich sterben 6000 Menschen, vor allem Kinder unter fünf Jahren, an den Folgen einer unzureichenden Trinkwasserversorgung. 1

Kein Wasser und keine Toiletten – der jüngst erschienene Weltentwicklungsbericht 2006 nennt dies „Wasserdeprivation“ und formuliert ohne Beschönigungen, was das bedeutet: Kinder gehen nicht zur Schule, weil sie über viele Stunden und Kilometer Wasser holen müssen; Eimer und Plastiktüten ersetzen Toiletten und verschmutzen Gewässer und Umgebung. Mario Vargas Llosa kommt angesichts der erschütternden Studie zu dem Schluss: „Das Flaggschiff von Zivilisation und Fortschritt ist nicht das Buch, das Telefon, das Internet oder die Atombombe, sondern die Toilette. Wo das menschliche Wesen Darm und Blase leert, bestimmt darüber, ob es in der Barbarei der Unterentwicklung versunken oder im Aufstieg begriffen ist.“2 Und während der eine Teil der Menschheit plant, im Jahr 2015 den Wassergehalt der Monde des Jupiters zu erkunden, wird ein weit größerer Teil der Erdbewohner weiterhin weder fließendes Wasser noch sanitäre Anlagen im eigenen Haus haben und in seiner eigenen Kloake gefangen bleiben.

2015 – das ist dasselbe Jahr, in dem die Millenium Development Goals erreicht werden sollen. Bis dahin sollte eigentlich die Anzahl derjenigen Menschen halbiert sein, die keinen Anschluss an Leitungs- und Abwasserkanäle hat. Doch wenig spricht dafür, dass dieses Ziel erreicht werden wird. Ungefähr zehn Mrd. US Dollar jährlich wären hierzu notwendig. Das scheint viel und doch entspricht es lediglich den weltweiten Militärausgaben an fünf Tagen bzw. weniger als der Hälfte dessen, was in reichen Ländern pro Jahr für luxuriöses Flaschenwasser ausgegeben wird.3
Keine Lobby, kein Wasser

Die Trinkwasserkrise ist zwar eine globale Katastrophe, doch trifft sie entlang regionaler und sozialer Grenzen die Menschheit sehr unterschiedlich. Die wasserknappen, aber ölreichen Länder am Golf lösen heute ihr regionales Wasserproblem durch energieintensive Entsalzungsanlagen. Nicht nur Trinkwasser, auch Golfplätze, Schwimmbäder und grüne Rasen verdanken sich hier der Kombination aus Reichtum, Meerwasser und Öl. Ein globaler Flaschenwassermarkt, der mit jährlichen Wachstumsraten von rund zehn Prozent zu einem der lukrativsten Geschäftsfelder der globalen Ökonomie gehört, er möglicht allen, die es sich finanziell leisten können, sich mit einwandfreiem Trinkwasser zu versorgen – auch dort, wo Arme den Gebrauch verseuchten Wassers mit ihrem Leben bezahlen.

Manche Länder werden also auch in Zukunft Wasser im Überfluss haben. Und obwohl auch industrialisierte Zonen der Welt unter Wasserknappheit leiden, können doch Kinder in der entwickelten Welt 30 bis 50 Mal so viel Wasser konsumieren wie Kinder in der „Dritten Welt“.4 Außerdem trifft die globale Krise insbesondere Frauen, Arme und Kinder. Deshalb werden innerhalb der human family die Konsequenzen teils gar nicht spürbar, teils teuer und teils tödlich sein. Manche werden sogar unendlich von der globalen Krise profitieren.

Normativ gibt es keine Alternative zu dem Aufruf, sich als Weltgemeinschaft den wissenschaftlichen, finanziellen, technischen und politischen Anstrengungen zu stellen, um die weltweit vorhandenen, aber regional und sozial unterschiedlichen Risiken einer unzureichenden Wasserversorgung zu vermeiden oder abzufangen zu versuchen. Faktisch aber bergen ungleiche Betroffenheiten und ungleich verteilte Handlungsmöglichkeiten die Gefahren egoistischer Fluchten aus der globalen Wasserknappheit. Umso mehr stellt sich die Frage, wie die internationale Gemeinschaft dieser Gefahr in Zukunft wirksam begegnen will.
Privatisierung der Gemeinwohlverantwortung

Die existenzielle Bedeutung von Wasser für alles Leben auf der Erde, die technischen und institutionellen Herausforderungen einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Ressource, die politischen Erfordernisse einer gerechten Verteilung, das Menschenrecht auf Wasser – all das begründete bis vor kurzem die Annahme, dass Trinkwasser nicht nur ein öffentliches Gut ist, sondern auch von einer öffentlichen Hand verwaltet werden muss. Wie selbstverständlich galt die Trinkwasserversorgung lange Zeit als ein Herzstück der öffentlichen Daseinsfürsorge. Manchen Autoren gar gilt die Bewirtschaftung von Wasser als ein wesentlicher Grund für die Herausbildung einer politischen Organisation im Staat.5

Von Etatismus waren auch die Anfänge der globalen Trinkwasserpolitik geprägt. Diese lässt sich auf die erste UN-Umweltkonferenz datieren, die 1972 in Stockholm stattfand. In den ersten 20 Jahre globaler Trinkwasserpolitik fungierte die UNO als politisch strukturierende Kraft. Diverse Aktionspläne bestätigten wiederholt den Charakter von Wasser als öffentliches Gut, staatliche Souveränität war eine nicht hinterfragte Rahmenbedingung. Grundparadigma aller Verbesserungsvorschläge war der Glaube an die staatliche Steuerungsfähigkeit. Marktwirtschaftliche Instrumente hatten allenfalls den Charakter einer flankierenden Maßnahme.

Einen Wendepunkt markierte die Internationale Konferenz über Wasser und die Umwelt, die im Vorfeld des Erdgipfels in Rio 1992 in Dublin stattfand. 500 Vertreter von Regierungen, UNOrganisationen und Nichtregierungsorganisationen empfahlen in den hier verabschiedeten Dublin-Prinzipien eine Umkehr in der globalen Wasserpolitik: vom Staat zum Markt, von der Subvention zu einer Weitergabe der wahren ökonomischen Kosten an die Konsumenten, von Staaten und UNO zu „strategischen Netzwerken“ unter Einbindung privater Akteure.6

Insbesondere das vierte Prinzip, welches forderte, Wasser als ökonomisches Gut zu betrachten, sorgte in den Folgejahren für erheblichen Konfliktstoff. Von den Befürwortern wird die Wiedergabe der wahren ökonomischen Kosten (full-cost pricing) als notwendige Maßnahme zum Schutz der ökologischen Ressource und als Voraussetzung für eine Deckung der Infrastrukturkosten betrachtet. Full-cost pricing helfe besonders den Armen, weil diese ansonsten bei privaten Wasserhändlern noch höhere Ausgaben für Wasser zu tätigen hätten und weil die mittleren Schichten weit stärker als die unteren von der Subventionierung von Wasser profitierten und somit den Armen das Wasser wegnähmen.7

Die Gegner bestreiten dies: Die Weitergabe der vollen Kosten treffe besonders die Armen und nutze nur der Wasserindustrie. Vor allem die Abkopplung von der Trinkwasserversorgung bei Nichtzahlung – wie in Südafrika – zeitige unverantwortliche Folgeschäden. 8

Privatisierung im weitesten Sinne wird wiederum von den Befürwortern als notwendige Antwort auf die Ineffizienz und Korruption innerhalb staatlicher Institutionen begriffen; die Privatwirtschaft sei effizienter und überhaupt – Konkurrenz belebt das Geschäft. Von Konkurrenz könne gar keine Rede sein, ist das Gegenargument, da Wasseranbieter als lokale Monopolisten agieren. Eine Fülle negativer Erfahrungen – insbesondere die Verschlechterung der Wasserqualität bei steigenden Preisen – ließe sich weltweit bei privatisierten Wasserversorgungssystemen belegen. Zudem sei insbesondere die Hoffnung auf eine Verbesserung der Wasserversorgung der Armen durch private Unternehmen unrealistisch, da Niedrigstlohn-Bevölkerungen keine attraktiven Märkte darstellten.9
Private Dienstleister oder öffentliche Daseinsfürsorge?

rotz dieser Einwände wurden der Privatisierung der Wasserversorgung bis vor wenigen Jahren ungeheure Marktchancen nachgesagt. Angesichts einer öffentlichen Versorgungsrate zwischen 90 und 95 Prozent weltweit überraschen diese Hoffnungen nicht. Nach einer kurzen unternehmerischen Euphorie, die auch durch den erbitterten Widerstand der Betroffenen kaum getrübt wurde, werden jedoch heute die Gewinnchancen und damit auch der Erfolg einer Privatisierungspolitik im Hinblick auf eine Lösung der Weltwasserkrise weit nüchterner beurteilt – selbst seitens der großen Weltwasserkonzerne. Zu arm sind die Nutzer, zu groß sind die Widerstände gegen Preiserhöhungen, insbesondere dort und dann, wenn Qualität und Quantität des Wassers mit den Preisen nicht Schritt halten. Ganz zu schweigen davon, dass weder ländliche Gebiete mit wenigen, armen, verstreuten Nutzern noch die am Rande der Megastädte wachsenden Slums lukrative Profitquellen sind.

Angesichts der negativen Erfahrungen und der begründeten Skepsis gegenüber dem möglichen Engagement privater Unternehmen erweist es sich als strategischer Fehler, die unzweifelhaften Missstände in der staatlich- öffentlichen Bewirtschaftung von Wasser mit einer Absage an die staatliche Verantwortung beantwortet zu haben. Um sich den Millenium Development Goals in den nächsten Jahren wenigstens anzunähern, gibt es keine Alternative zu einer öffentlichen Finanzierung. Das sehen mittlerweile sogar die weltweiten Wasserkonzerne so, die massive Infrastrukturhilfen wie auch die Abdeckung von Währungsrisiken aus öffentlichen Finanztöpfen fordern, um ihr unternehmerisches Potential mit sicheren Gewinnchancen vergoldet zu sehen. Der Weg in die private Wirtschaft wird sich, wenn es darum geht, die weltweite Wasserkrise zu lösen, als Irrweg herausstellen, weil auch Wasser nach der empirischen Definition von Karl Polanyi eine „fiktive Ware“ ist, das heißt eine nicht für den Verkauf produzierte Ware. Für die Vermarktung der fiktiven Ware Wasser scheint wahrscheinlich, was für die Vermarktung der Arbeitskraft ausführlich von Polanyi beschrieben wurde: Hätte es, so Polanyi, im 19. Jahrhundert keine „schützenden Gegenströmungen“ gegen die unkontrollierte Gewalt der industriellen Revolution und die Ausbreitung eines reinen Marktmechanismus gegeben, wäre „die menschliche Gesellschaft [...] tatsächlich vernichtet worden.“10 Polanyis Analyse für das 19. Jahrhundert, das mächtige Institutionen zur Einschränkung des Marktmechanismus hervorbrachte, lässt sich ohne große Umstände in eine Warnung für das 21. Jahrhundert ummünzen, auf solche marktbändigenden Institutionen nicht zu verzichten. Einen Anfang hierzu stellt die weltweite Gegenbewegung gegen die Privatisierung und Inwertsetzung des Wassers im Namen eines Menschenrechts auf Wasser dar.11

„Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen“, heißt es in Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ein allgemeines Menschenrecht auf Wasser wurde dagegen 1948 nicht eigens formuliert. Solange Wasser als öffentliches Gut galt, dessen Schutz und Bereitstellung weltweit als selbstverständlicher Teil der staatlichen Daseinsfürsorge begriffen wurde, schien diese Auslassung unproblematisch. Doch die globale Trinkwasserkrise und die seit Beginn der 90er Jahre einsetzende Privatisierung und verstärkte Kommodifizierung von Wasser haben die Forderung nach einem eigenständigen Menschenrecht auf Wasser notwendig gemacht.

Der eigentlich politische Gehalt dieser Forderung liegt aber nicht in der Explikation dessen, was faktisch, wenn auch nicht wörtlich, schon dem Artikel 25 inbegriffen war: dass des Menschen Recht auf ein anständiges Leben nicht ohne Wasser zu realisieren ist. Vielmehr geht es darum, dass es bis heute nur einen rechenschaftspflichtigen Adressaten für eine Realisierung der Menschenrechte gibt – den Staat. Die Forderung nach einem Menschenrecht auf Wasser ist daher weit mehr als eine Forderung nach Wasser: Sie ist eine Erinnerung daran, dass die postnationale Konstellation nicht in erster Linie die Befreiung von einem Herrschaftsapparat bedeutet, sondern den Verlust einer verantwortlichen Instanz markiert, die, bei aller Kritik, vor allem die Aufgabe hat, das abstrakte Gemeinwohl zu materialisieren – und damit auch die Grundversorgung eines jeden Menschen mit dem Lebensrohstoff Wasser sicherzustellen.

Kommentare
15.08.2010 / 21:23 theo,
gesendet 15.8.2010 / 19.30 in - siehe Titel
danke