4. Jahrestag des Kosovokrieges

ID 3587
 
In dieser Woche jährte sich die NATO-Bombardierung Jugoslawiens zum vierten Mal. Unter dem Druck der USA, wurden hier die Strategien für den laufenden Krieg im Irak erstmals erprobt. Ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates, wurde bereits damals illegal ein souveräner Staat durch die NATO angegriffen. Die Ereignisse des Kosovo-Krieges und die Folgen für den Balkan fasst Stefan Tenner zusammen.
Audio
12:11 min, 4285 kB, mp3
mp3, 48 kbit/s, Stereo (22050 kHz)
Upload vom 26.03.2003 / 16:11

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Osteuropa
Entstehung

AutorInnen: Stefan Tenner
Radio: corax, Halle im www
Produktionsdatum: 26.03.2003
keine Linzenz
Skript
Script:

4 Jahre ist es nun schon her. Der 24. März 1999 war ein schwarzer Tag für Serbien, wohl aber genauso für den Rest der Welt. Denn seit dem wissen wir zu was die Peacemaker namens NATO so alles fähig sind. Aber zurück zum März 99. Nachdem die Friedensverhandlungen in Ramboulliet gescheitert waren, waren es nur noch Tage zum bevorstehenden Krieg. Die Nato mischte sich schließlich in den Konflikt zwischen serbischer Armee und der kosovo-albanischen UCK ein. 11 Wochen Bombardement auf das Kosovo, später auch auf Zentralserbien, Montenegro, die Vojvodina folgten. 2500 Tote, überwiegend Zivilisten und eine stark zerstörte Infrastruktur waren das traurige Ergebnis. Die Wirtschaft wurde auf die Zeit um 1900 zurückgebombt, von den psychischen Schäden an den Menschen nicht zu sprechen.

Und ein Novum war die NATO-Bombardierung Jugoslawiens ebenfalls, einen Präzedenzfall. Wenn heute in Afghanistan und nun auch im Irak die Nato aufmarschiert, dann sollte man nicht vergessen das diese Strategie vor 4 Jahren ihren Lauf genommen hat. Bisher wartete man noch immer brav die Entscheidung des UN-Sicherheitsrat ab. Damit war es nun vorbei. Schon als man Kroaten und Muslime im Bosnienkrieg 1994/95 unterstützte, brach man das Völkerrecht. Mit der Bombardierung nun erstmals auch zur Durchsetzung eines Angriffskrieges auf einen souveränen Staat, in innere Angelegenheiten.

Legitimiert wurde diese neue Taktik vor allem mit Lügen und diplomatischem Geschick. Nicht das die Serben ganz unschuldig ihre Urheimat verteidigten, aber wenn, dann hat die internationale Politik den gleichen Anteil an der humanitären Katastrophe. Auch die 1998 frisch gewählte rot-grüne Bundesregierung machte schließlich mit. Die Linke spaltete sich, denn nun waren es ausgerechnet die Grünen die für den ersten deutschen Kriegseinsatz nach 1945 stimmten. Alte Denkmuster musste man nun verabschieden. Das deutsche Grundgesetz, welches einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verbat, wurde derart uminterpretiert, dass nun wirklich alles relativ erschien. Krieg für den Frieden und das auch von deutschem Boden. Man machte es sich aber auch nicht leicht. Die UNO wurde abgekanzelt, eines neues Zeitalter und man war mit dabei.

Hinter den Kulissen tobte damals aber schon bereits ein ganz anderer Krieg. Den wir ja nun ja auch live in den letzten Wochen erleben durften. Der Machtkampf zwischen den Interessen der USA und denen Europas. Das seit Clinton neu entfachte Engagement auf dem Balkan, brachte in Sachen Kosovo die Europäer in Zugzwang. Im eigenen Haus Europa, wollten sie auch der Hausmeister sein. Der unter Genscher und Kinkel eingeschlagene Weg der neuen deutschen Verantwortung wurde nun mit Fischer und Schröder fortgesetzt.

Das Kosovo-Problem war dabei ein allzu ideales Objekt. Die Serben hatte man ja schon in den Kriegen in Slowenien, Kroatien oder Bosnien als Feinde ausgemacht. Warum nicht auch jetzt? Folgendes Problem bestand: Das historisch und völkerrechtlich von Serbien beanspruchte Gebiet, wurde auch von der Bevölkerungsmehrheit der Kosovo-Albaner als eigenes Staatsgebiet angesehen. Unter Rugova, dem in Deutschland lebenden Exil-Kosovo-Albaner begann der Weg eines friedlichen, parallelen Staatssystems der Kosovo-Albaner. Doch das brachte nicht viel. Ein Staat im Staat, die beide parallel nebeneinander existierten. Das änderte sich erst als man 1998 den bewaffneten Widerstand der UCK internationales Interesse entgegenbrachte. Das Kosovo-Problem, das entscheidend zum Zerfall Jugoslawiens beigetragen hatte, war außerhalb Serbiens seit 1990 kein großes Thema. Die sonst so eifrige äußere Einmischung unterblieb nahezu.

Der Dayton-Friedensvertrag 1995 in dem wichtige Grenzverläufe Bosniens verhandelt wurden, klammerte das Kosovo-Problem ebenfalls aus. Die UCK - die Befreiungsarmee des Kosovo formierte sich und erhielt schließlich die Aufmerksamkeit, die sie immer gesucht hatte. Und schließlich endete der Konflikt in einem Krieg. UCK und serbische Armee kämpften nun um das Kosovo. Und wie im Irak wurden aus Freunden Feinden. Noch im Februar 1998 wurde Serbiens Präsident Milosevic durch die USA in seinem Kampf gegen die UCK bestärkt. Selbst US-Außenministerin Albright sprach von einer terroristischen Organisation. Die serbische Armee griff daraufhin hart durch, auch die Zivilbevölkerung wurde nicht verschont. Das Blatt wendete sich.

Wenig später nämlich, Im Sommer 1998 machte dann US-Unterhändler Holbrook einen Abstecher ins Kosovo und traf überraschenderweise die UCK, der politische Durchbruch war vollbracht. Nach internationalem Druck und einem UN-Waffenembargo gegen Serbien drohte die NATO dann auch erstmals mit Luftangriffen. Serbien willigte schließlich in einen Waffenstillstand und einen Truppenrückzug ein. Doch die UCK provozierte weiter.

Wie in allen Kriegen, spielten die Medien gerade im Kosovo-Krieg eine große Rolle. Die Instrumentalisierung nahm zu. Das Massaker von Racak, galt dann als emotionaler Auslöser der NATO-Bombardierung, der Verhärtung der westlichen Politik gegenüber Serbien und der Zustimmung einer NATO-Beteiligung durch den deutschen Bundestag. Doch bis heute sind die Umstände dieses Massakers nicht geklärt. 45 Leichen wurden damals im Ort Racak gefunden. Der von der USA eingesetzte OSZE-Chef William Walker sprach damals im Fernsehen sofort von einem Massaker der serbischen Armee an kosovo-albanischen Zivilisten.

Doch die Person Walker war kein unbeschriebenes Blatt. Mister Milliam Walker war bereits in die Affäre zum Sturz der Regierung Nicaraguas unter Präsident Ronald Reagan verwickelt, 1988 bis 92 war er ebenfalls US Botschafter in El Salvador, in dem zu dieser Zeit die in den USA ausgebildeten Todesschwadronen herrschten. Ein schöner Chef. Zwei Untersuchungskommissionen zum Fall Racak kamen zu dem Schluß, das die Aussage Walkers nicht nachweisbar seien. Doch zu spät, der Krieg hatte da ja schon begonnen. Die Unterlagen der Kommission werden übrigens bis zum heutigen Tage von der Bundesregierung geheim gehalten, die zu dieser Zeit den EU-Vorsitz hatte.

Auge um Auge hieß es dann. Unmittelbar nach dem Massaker von Racak sprach sich die USA als Strafe mehrmals für eine Bombardierung durch die NATO aus. Man wollte den Krieg. Doch ein bisschen Diplomatie sollte es noch geben. Fischer setzte sich für die Verhandlungen von Ramboulliet ein. Um dem ganzen einen durch und durch moralischen Anstrich zu geben.

Ramboulliet begann dann im Februar 1999 und geriet zur Farce. Allein der Vorschlag des US-Botschafters Hill wurde als Verhandlungsgrundlage zugelassen. Im Falle des Scheiterns der Verhandlungen wurden den Serben mit einem Militärschlag gedroht. Der Vertragstext enthielt neben militärischen Vorgaben auch Regelungen über den künftigen neoliberalen Wirtschaftsweg den das Kosovo einzuschlagen habe. Weiterhin gab es Regelungen für Regierungsstrukturen, Verwaltung, Gerichtsbarkeit oder eine Straßenverkehrsordnung, es fehlen jedoch zivilgesellschaftliche Aspekte wie Versöhnungsstrategien und Entstehung einer Zivilgesellschaft, einer Friedens- oder Konfliktlösung, die Art des wirtschaftlichen Aufbaus, die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, Investitionen in Schulen, Krankenhäuser, Theater oder den Aufbau der unzureichenden Medienlandschaft. Von einem Friedensvertrag weit und breit keine Spur. Ein Erpresserpapier, dass nun nur noch durchgesetzt werden mußte. Doch es sollte noch anders kommen.

Überraschend mitten in den Verhandlungen wurde ein weiteres militärisches Kapitel, der Annex B eingefügt. Der Artikel enthielt die Möglichkeit der NATO, in ganz Jugoslawien und im Schutz völliger Immunität einmarschieren zu können. Das Prinzip: „Wenn ihr nicht unterzeichnet, bekommt ihr Luftangriffe und NATO-Bodentruppen! Wenn ihr unterzeichnet, bekommt ihr trotzdem NATO-Bodentruppen!“ war von der serbischen Seiten natürlich nicht akzeptierbar. Die Verhandlungen wurden ausgesetzt, allein die Kosovo-Albaner unterschrieben, nachdem Mrs. Albright wohl auf den Knien angekrochen kam. Der Spiegel meint, es sei ein trauriges Schauspiel gewesen. Serbien blieb beim Nein und wurde folglich ab dem 24. März 1999 bombardiert.

Und was war der Grund?

Die Vermeidung einer humanitären Katastrophe im Kosovo. Doch die massenhafte Vertreibung- und Fluchtbewegung setzte erst nach dem Beginn der NATO-Bombardierung ein. Gültige Gerichtsurteile, Mitteilungen des Auswärtigen Amtes oder der OSZE aus dieser Zeit lassen keine geplante ethnische Vertreibung unmittelbar vor dem Beginn der Nato-Bombardierung erkennen. Mal wieder eine Lüge. 11 Wochen lang wurde nun bombardiert. Verteidigungsminister Scharping bekam Phantasiegedanken schlimmster Ausprägung. Hufeisenplan oder serbische KZ´s. Sehr emotional schilderte er der Presse Gräueltaten der serbischen Armee. Nichts ließ sich bis heute davon nachweisen. Ob Scharping persönlich davon überzeugt war oder er einer PR-Lüge unterlegen war, ist ebenfalls bis heute nicht geklärt.

Nach dem Ende des Krieges wurde das Kosovo in 5 von Italien, Deutschland, den USA, England und Frankreich geführte Besatzungszonen unterteilt. Für den Frieden durfte nun auf einmal die UNO wieder gut genug sein. Ein Szenario das sich wohl auch im Irak wiederholen wird. Die UN übernahm die Zivilverwaltung im Kosovo. KFOR-Truppen und die Verwaltung der UN, der sogenannten UNMIK – United Nation Mission in Kosovo sah dann zu, wie die nichtalbanische Bevölkerung vertrieben wurde oder sie ließen korrupte und illegale Kräfte bis heute gewähren. Das Kosovo gilt noch immer als Zentrale des Drogen- und Frauenhandels in Südosteuropa. Die Stationierung der internationalen Truppen haben ähnlich wie in Bosnien einen nicht unwesentlichen Einfluß darauf. Auch die UCK-Leute haben Narrenfreiheit. Erst vor einigen Wochen wurden die ersten von ihnen überhaupt beim Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag angeklagt. In den letzten Wochen wurden Anschläge in Südserbien, Mazedonien und im Kosovo wieder zu einem festen Bestandteil der Abendnachrichten. Der Chefposten der UNMIK-Verwaltung ist innerhalb der letzten 4 Jahre bereits 2 mal gewechselt. Der ehemalige Kanzlerberater Michael Steiner ist seit einigen Monaten dort. Sein Standardsatz auf den Wunsch der Kosovo-Albaner nach Unabhängigkeit lautet: „Standards vor Status“. Er ist nun aber ebenfalls kurz davor seinen Job aufzugeben.

Alles in allem, sucht man nun aber die Gründe für den Kosovo-Krieg. Warum wurden für einen Konflikt zwischen zwei Armeen auf einem Gebiet der Größe Hessens nun so ein großer Aufwand betrieben? Die Gründe sind sehr unterschiedlich. Der Wiederaufbau des Kosovos, Serbiens und Montenegros wird Europa auch in Zukunft noch eine ganze Stange Geld kosten. Diese finanzielle Schwächung kann der USA wiederum nur gelegen sein. Sie konnte sich als Weltmacht behaupten und hat gezeigt, dass es eine Neuordnung Europas ohne die USA nicht geben wird. Europa hingegen und allen voran Deutschland gleichen diese Schwächung jedoch durch den neuen Einfluß in Südosteuropa aus. Die Abschaffung des Restsozialismus, samt Öffnung der Wirtschaft für ausländische Investoren, die Einführung von Marktwirtschaft und „Demokratie“, sichert erst einmal den Einfluss auf die Region. In Montenegro und dem Kosovo gilt die D-Mark und nun mittlerweile der Euro als offizielles Zahlungsmittel.

Warum noch der Kosovo Krieg? Die NATO stand nach dem Zusammenbruch des Ost-West-Blocks vor der Wahl: Entweder wir lösen uns auf oder wir ändern unsere Strategie. Im Falle des Kosovos wurde diese jedenfalls erfolgreich umgesetzt. Und ein weiterer Grund: Mit etwas Verzögerung hat sich schließlich auch in Serbien der Wunsch der NATO erfüllt, die Regierung Milosevic zu stürzen. Nach den Protesten in Belgrad ist seit Oktober 2000 die Opposition an der Macht. Doch auch hier ist die Lage weiter instabil und chaotisch. Der jüngste Mord an Serbiens Ministerpräsident Djindjic zeigt dies deutlich. Der gegenwärtige Ausnahmezustand in Serbien, die Verhaftung von mehr als 2500 Personen, die Schließung von Zeitungen und das Verbot von Demonstrationen und Streiks kritisiert im Westen erstaunlicherweise keiner. Die Zerschlagung des Zemun-Clan der für die Ermordung Djindjic verantwortlich gemacht wurde, geht mit der systematischen Einschränkung von Grundrechten und der Gleichschaltung der Presse einher. Was unter angeblich demokratischen Verhältnissen im Kosovo und Serbien derzeit möglich ist, lässt böses für die Zukunft ahnen. Die Neuordnung der Welt durch Kriege, sei es in Serbien, Afghanistan oder im Irak hat nicht erst vor 4 Jahren begonnen. Doch seit dem Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien hat sie auf jeden Fall eine neue Qualität erreicht.