Viktimisierung in Potenz - zur politischen Einordnung des Brandanschlags in Limbach-Oberfrohna

ID 37296
 
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Kommentar zum Umgang von Polizei und Kommunalverwaltung mit Übergriffen in L-O und zu aktuellen Debattenlagen in der Auseinandersetzung mit rassisistischen, antisemitischen und nazistischen Einstellungen und Verhaltensweisen in Sachsen

Redakteur: Yak
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Upload vom 13.11.2010 / 21:20

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: Radio T - Inforedaktion
Radio: Radio T, Chemnitz im www
Produktionsdatum: 13.11.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript

Kommentar:


Seit nunmehr drei Jahren stellt sich die Situation für alternative Jugendliche in dem nahe Chemnitz gelegenen Limbach-Oberfrohna, gleich schlimm dar. In besorgniserregender Regelmäßigkeit werden sie zum Ziel gewalttätiger Übergriffe von Nazis. Sei es, daß sie, wie in der Nacht von Freitag zu Sonnabend, abends auf offener Straße angegriffen werden, sei es, daß sie auf dem Stadtfest bedroht und dann verletzt werden, sei es, daß sie in der Schule gemobbt und mißhandelt werden. Auch die beiden Domizile der Jugendlichen vom "Schwarzen Peter" blieben nie verschont. Das erste Domizil mußten die Jugendlichen gar verlassen, der Vermieter wollte und konnte angesichts der permanenten Sachbeschädigungen das Mietverhältnis nicht fortsetzen. Nun, da sie eigene Räumlichkeiten haben, splittern immer wieder Fensterscheiben, wird versucht, auf das Grundstück einzudringen, um zu randalieren oder sammeln sich abends Nazis vor dem Gebäude und skandieren ihre Parolen.

Nun sind große Teile der Räumlichkeiten einer Brandstiftung zum Opfer gefallen. Zerstört ist damit nicht nur die Arbeit der letzten Monate, in denen die Jugendlichen alles versuchten, das völlig heruntergekommene Haus Instand zu setzen. Zerstört ist auch die Hoffnung, in absehbarer Zeit eigene Räumlichkeiten nutzen zu können. Eigene Räumlichkeiten, in denen sie sich geschützt aufhalten können. Diesen Schutz braucht es in der Tat. Sie müssen zu recht fürchten, sich in der Öffentlichkeit aufzuhalten. Sie selbst sagen: "Wir haben das erwartet. Es war an diesem Abend abzusehen, daß etwas passieren wird, nachdem mehrere Nazigruppen durch die Stadt zogen. Der Polizei haben wir das gesagt." Bewahrt hat es sie aber auch diese Nacht nicht.

Die Reaktionen von offizieller Seite sind in ebenso unangenehmer Regelmäßigkeit geradezu haarstreubend. Da gibt es Anzeigen durch die Polizei wegen Ruhestörung, weil die Jugendlichen die Fenster nach einem Angrif notdürftig mit Holz verschlagen, da "erkundigen" sich schon mal Polizistinnen mit gezogener Waffe, ob sich die Mitglieder des "Schwarzen Peter" rechtmäßig in ihrem Haus aufhalten. Eine Mitteilung seitens der Pressestelle der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge war bisher der Brandanschlag nicht wert. Die Blitzertipps für die kommende Woche haben da schon größere Aktualität.

Immer wieder auch wird den betroffenen Jugendlichen eine Mitschuld unterstellt - mindestens aber wird ihre Darstellung der Vorfälle angezweifelt. Und dabei scheint man sich sehr einig zu sein bei einigen Verantwortlichen im Ort. Die Polizei attestierte Limbach-Oberfrohna mehrfach keine besonderen Auffälligkeiten aufzuweisen. Aus dem Rathaus und insbesondere aber aus der örtlichen CDU dringt es, man habe kein "rechtes Problem". Hier setzt eine Deutung der Ereignisse an, die "gewalttätigen Auseinandersetzungen" aus dem Kontext der Entstehung herausgelöst zu betrachten und sie als Auseinandersetzung "zwischen linken und rechten Jugendlichen" zu interpretieren. Mitgedacht ist dabei stets, die Gleichsetzung der Aktivitäten organisierter und loser Nazigruppen mit dem Engagement des "Schwarzen Peters", das grundverschiedener nicht sein könnte. Wenn es mal keine Übergriffe gibt, beteiligen sich die Jugendlichen des Vereins am kulturellen Leben in der Stadt und setzen sogar eigene Akzente. Sie suchen die offene Diskussion und erwarten dabei nur Eines: Endlich einmal ernstgenommen zu werden.

Die Nominierung für den diesjährigen sächsischen Förderpreis für Demokratie schien eine solche Wertschätzung zu beinhalten, doch kurz vor der Preisverleihung machte das Sächsische Innenministerium die Unterzeichnung einer "antiextremistischen" Grundsatzerklärung zur Bedingung der Vergabe. Die Initiativen sollten Sorge tragen, in keinem Fall den Anschein zu erwecken, "extremistischen Gruppen" ideell oder materiell Vorschub zu leisten. Einer der beiden Preisträger, das Alternative Kultur- und Bildungszentrum (AkuBiZ) aus Pirna lehnte daraufhin den Preis ab. Der Innenexperte der CDU-Landtagsfraktion Bandmann sah daraufhin die Gefahr der Unterstützung krimineller Gruppen aufziehen und meinte, die Ablehnung entlarve das AKuBiZ. Der sächsische Innenminister zeigte sich ebenfalls "schockiert", einige Initiativen akzeptierten wohl Teile des Grundgesetzes nicht. Das ist eine bewußte Fehlinterpretation des Geschehenen und kann nur erklärt werden mit einem grundlegenden Unbehagen gegenüber kritischen Initiativen. Pikant ist dabei, daß Innenminister Ulbig vor seiner Amtsübernahme in der Landesregierung Oberbürgermeister in Pirna war, in der Sächsischen Schweiz also, die durch anhaltende Naziaktivitäten traurige Berühmtheit erlangte. Er scheint nicht nur vergessen zu haben, wer sich in seinem ehemaligen Wirkungsbereich für Menschenrechte einsetzt und so aktiv gegen Nazistrukturen und menschenfeindliche Einstellungen wird, er scheint auch der hohlen Phrase vom Extremismus jeglicher Art das Wort zu reden, die letztlich zur Stigmatisierung der Initiativen führt, die der Demokratieförderpreis doch unterstützen wollte.
Und: Diese große Erzählung von der breiten demokratischen Mitte und den kleinen extremen Rändern geht nicht nur völlig an der Realität vorbei, sie leistet einer Diffamierung Vorschub, der sich die alternativen Jugendlichen in Limbach-Oberfrohna seit Jahren erwehren müssen, die sie zu quasi Vogelfreien macht und durch die sich die Nazis im Ort noch bestätigt fühlen können.
Bisher fand die Verwaltungsspitze kein Wort des Bedauerns oder der Solidarität. Das könnte sich nun ändern. Ein erster Schritt - immerhin.

Zurück in Limbach-Oberfrohna: Während sie den Schutt beräumen, lachen Daniel und die anderen. Sie wollen weitermachen. Dafür sind sie nur zu bewundern.

Weitere Informationen:

http://schwarzerpeter.blogsport.de/

www.raa-sachsen.de

http://kulturhaus-pirna.de/akubiz/module...

http://ablehnung.blogsport.de/

Kommentare
16.11.2010 / 16:07 wera,
gesendet
im zip fm vom 16.11.2010