Die jüdische Berufsfachschule „Masada“ in Darmstadt

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Mitschnitt der Eröffnung einer Ausstellung zur jüdischen Berufsfach­schule „Masada“ in Darmstadt 1947/48 mit einigen Vorbemerkungen zur die Schule betreibenden zionistischen Jugendorga­nisation Betar.

Aufbereitet als einstündige Sendung mit einer im längeren Skript angefügten eigenen Vorrede.
Audio
01:00:00 h, 55 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 03.02.2011 / 18:03

Dateizugriffe: 694

Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Walter Kuhl
Kontakt: info4(at)waltpolitik.de
Radio: dissent, Darmstadt im www
Produktionsdatum: 03.02.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Zwei Jahre nach dem alliierten Sieg über Nazideutschland gründete Samuel Milek Batalion in einem kriegszerstörten Bau am westlichen Stadtrand von Darmstadt eine jüdische Berufsfachschule. Diese Schule war insofern ungewöhnlich, weil in ihr jüdische Überlebende der deutschen Vernichtungsmaschinerie andere jüdische Überlebende zehn Monate lang dazu ausbildeten, um in Palästina ein neues Leben beginnen zu können.

Am vergangenen Donnerstag wurde in der Heinrich-Emanuel-Merck-Schule im Berufsschulzentrum am Nordbad hierzu eine Ausstellung eröffnet. Lea Dror-Batalion, die Tochter des Schulrektors, war zugegen, um diese bislang nur spärlich bekannte Episode aus der Darmstädter Nachkriegszeit in einem öffentlichen Rahmen vorzustellen. Auf ihrer Webseite hatte Lea Dror zuvor schon Dokumente gesammelt und versucht, das Leben und Wirken ihres Vaters vorzustellen. Renate Dreesen und der Leistungskurs Deutsch der Jahrgangsstufe 13 haben mit ihr zusammen diese beeindruckende Ausstellung auf 33 Tafeln zusammengestellt. Ich werde im Anschluß an mein Vorwort meinen Mitschnitt der Eröffnungsveranstaltung einspielen. Am Mikrofon ist Walter Kuhl aus der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.

Doch laßt mich zuvor einige Hintergrundinformationen anbringen, die in dieser Ausstellung manchmal nur vorsichtig angedeutet sind. Dies ist nicht unbedingt ein Mangel der Ausstellung, denn sie kann nicht alles leisten. Die jüdische Berufsfachschule Masada unterrichtete die etwa 45 bis 60 männlichen Überlebenden des Naziterrors nicht nur in Handwerksberufen. Auf dem Stundenplan stand auch der Unterricht in Hebräisch und jüdischer Geschichte. Träger der Schule war die zionistische Jugendorganisation Betar, und das war damals nicht außergewöhnlich.

Vielmehr bemühten sich verschieden zionistische Gruppen darum, die Überlebenden des Holocaust nach Palästina zu lenken. Unter diesen zionistischen Organisationen gehörte Betar politisch zum rechten Lager; der heutige Likud-Block in Israel steht in dieser Tradition. Der Übergang von Betar zur terroristischen Untergrundorganisation Irgun war fließend, und selbst der junge israelische Staat hatte so einige Mühe, die Irgun zu integrieren und aufzulösen. Betar wurde 1923 in Riga in Lettland vom Zionisten Zeev Jabotinsky gegründet. Jabotinsky repräsentierte den revisionistischen Zionismus, der ein großes Israel anstrebte und jegliche Kompromisse mit den dort lebenden Arabern ablehnte. Jabotinsky, Chef der Irgun, starb 1940 in den USA.

Betar heißen heute in Israel mehrere Sportvereine, etwa der mehrfache israelische Fußballmeister Betar Jerusalem. Dessen Anhänger sind als besonders rassistisch bekannt.

Insofern wäre es von Interesse herauszufinden, worin der ideologische Unterricht mit den Schulmaterialien von Betar bestanden hat. Berücksichtigen müssen wir natürlich den damals aktuellen politischen Kontext. Die Vorbereitung auf das Leben in Palästina als einem sichereren Ort, als es Deutschland war, erforderte gewiß auch eine Einstellung, die den Anspruch auf de Besiedlung Palästinas untermauerte. Ob und wie die Tatasche reflektiert und vermittelt wurde, daß es sich nicht um einen unbewohnten Flecken Land gehandelt hat, sondern um ein Gebiet mit zumeist bäuerlicher Bevölkerung, ist nicht unerheblich für das, was während des Unabhängigkeitskrieges 1947/48 und danach geschehen ist.

Andererseits war es für die traumatisierten Jugendlichen im Alter von 15 bis 25 Jahren unbedingt notwendig, einen festen Halt zu gewinnen und Struktur in das eigene Leben zu bringen. An eine psychotherapeutische Behandlung hat damals kaum eine oder jemand gedacht; angesichts der katastrophalen Verhältnisse im zerstörten Deutschland wäre es aber auch vermessen, dies einzufordern. Ohnehin hatte die Berufsfachschule genug damit zu tun, die Versorgung und Unterkunft der Schule und der Schüler sicherzustellen.

Bemerkenswert finde ich, daß die beiden derzeit in Darmstadt zu sehenden Ausstellungen, einerseits zur jüdischen Berufsfachschule Masada in der Heinrich-Emanuel-Merck-Schule und andererseits zur Nakba, der Vertreibung der arabischen Bevölkerung im Zuge des israelischen Unabhängigkeitskrieges im Offenen Haus der Evangelischen Kirche, nicht Bezug aufeinander nehmen. Immerhin haben beide Geschehnisse miteinander zu tun und waren zeitlich fast deckungsgleich. Dies möchte ich nicht als Kritik an beiden Ausstellungen verstanden wissen. Das jeweils Andere lag nicht im Fokus des eigenen Ausstellungskonzepts. Dennoch scheint es mir sinnvoll zu sein, auf den Zusammenhang hinzuweisen.

Die jüdische Berufsfachschule Masada war im ehemaligen Main-Neckar-Bahnhof untergebracht. Bis 1912 befanden sich am heutigen Steubenplatz zwei wichtige Bahnhöfe, zum einen der Bahnhof der Main-Neckar-Bahn von Heidelberg nach Frankfurt, zum anderen der Kopfbahnhof der Hessischen Ludwigsbahn, die von hier aus im 19. Jahrhundert die Strecken nach Mainz, Aschaffenburg, Worms und in den Odenwald betrieb. Mit der Eröffnung des neuen Hauptbahnhofs wurden beide Bahnhöfe funktionslos und dienten verschiedenen Behörden und kommunalen Einrichtungen als Domizil. 1937 wurde der Main-Neckar-Bahnhof nach dem in Darmstadt residierenden Reichsstatthalter und Gauleiter Jakob Sprenger benannt. Es ist insofern eine Ironie der Geschichte, daß ausgerechnet dort die Überlebenden der Naziherrschaft ausgebildet wurden. Ob sie darüber nachgedacht haben? Ob es sie gestört hat?

Der nachfolgende Mitschnitt beginnt mit der Hatikwa, der Hymne der zionistischen Bewegung, die seit einigen Jahren auch offiziell die Hymne des Staates Israel ist. Die dabei verwendete Melodie reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück und ist möglicherweise italienischen Ursprungs. Als Volksweise unterlag sie mehreren Modifikationen; und doch ist – bei genauem Zuhören – eine gewisse Verwandtschaft zwischen der sinfonischen Bearbeitung von Bedrich Smetana in seiner Moldau, dem Kinderlied Alle meine Entchen und eben der Hatikwa zu erkennen. Der Text wurde unabhängig von der Melodie in den 1870er Jahren geschrieben und drückt die Sehnsucht nach dem gelobten Land aus.

Die Eröffnung der Ausstellung am 66. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee mag die Ergriffenheit begründen, die zumindest die jüdischen Anwesenden mit ihrer Hymne zum Ausdruck brachten. Ich gebe zu, ich kann damit wenig anfangen, aber ich respektiere es.

In der folgenden Dreiviertelstunde sprechen Oberbürgermeister Walter Hoffmann, der Leiter der Heinrich-Emanuel-Merck-Schule Kurt Kiesel, eine Schülerin trägt das Grußwort von Brigitte Zypries vor, und zum Schluß hören wir Lea Dror-Batalion und Renate Dreesen.