Holzschnittsprech -- Sprachschablonen der Bescheidwisser in der Krise

ID 43890
 
Seit Monaten vergeht kein Tag, an dem sich Experten nicht darüber streiten, ob man nun "Geld in die Hand nehmen" solle, und wenn ja: wieviel, um eine Eskalation der Schuldenkrise zu verhindern, damit "am Ende des Tages" der Schaden begrenzt werde. Oder ob nicht eben davon abzuraten sei, "schlechtem Geld noch gutes hinterherzuwerfen".

"Geld in die Hand nehmen" – "frisches Geld" – "schlechtem Geld gutes hinterher werfen" – "Am Ende des Tages" – "fällt uns das auf die Füße" - ...

Was hat es mit diesen gleichermaßen nervtötenden wie aufdringlichen Metaphern auf sich?

Hatte sich die Redaktion Sachzwang FM schon vor zweieinhalb Jahren des dümmlichen Geschwafels angenommen über "die Politik", die ihre "Hausaufgaben machen" müsse, und über Unternehmen, die "gut aufgestellt" seien, um schließlich "gestärkt aus der Krise hervorgehen" zu können, so muß hier angesichts der Euro-Krise einmal mehr ein schmaler Weg der Erkenntnis ins wuchernde Phrasendickicht und Wortgestrüpp der Sprachschablonen geschlagen werden.


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Upload vom 16.12.2011 / 16:19

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt, Kultur, Politik/Info
Serie: Sachzwang FM
Entstehung

AutorInnen: Redaktion Sachzwang FM
Radio: Querfunk, Karlsruhe im www
Produktionsdatum: 27.10.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Holzschnittsprech

Der bauernschlauen Redensarten werden immer mehr. Hatte sich die Redaktion Sachzwang FM schon vor zweieinhalb Jahren des d�mmlichen Geschwafels angenommen �ber "die Politik", die ihre "Hausaufgaben machen" m�sse, und �ber Unternehmen, die "gut aufgestellt" seien, um schlie�lich "gest�rkt aus der Krise hervorgehen" zu k�nnen, so mu� hier angesichts der Euro-Krise einmal mehr ein schmaler Weg der Erkenntnis ins wuchernde Phrasendickicht und Wortgestr�pp der Sprachschablonen geschlagen werden. Seit Monaten vergeht kein Tag, an dem sich Experten nicht dar�ber streiten, ob man nun "Geld in die Hand nehmen" solle, und wenn ja: wieviel, um eine Eskalation der Schuldenkrise zu verhindern, damit "am Ende des Tages" der Schaden begrenzt werde. Oder ob nicht eben davon abzuraten sei, "schlechtem Geld noch gutes hinterherzuwerfen", wie sich v.a. jener Wirtschaftsweise mit der Schifferfr�se auszudr�cken beliebt. Wenn es nicht gelinge, der Lage Herr zu werden, werde sich derartiges Vers�umnis grausam r�chen, "das f�llt uns dann auf die F��e" � ja sowas aber auch! Da� wem etwas auf die F��e f�llt, passiert doch recht eigentlich nur ungeschickten Menschen, veritablen Grobmotorikern. Womit einmal mehr der popul�re Aberglaube bedient wird, es laufe schon alles bestens, solange nur alle beflissen mitmachen.
"Geld in die Hand nehmen" � "frisches Geld" � "schlechtem Geld gutes hinterher werfen" � "Am Ende des Tages" � "f�llt uns das auf die F��e"
Was ist diesen gleicherma�en nervt�tenden wie aufdringlichen Metaphern gemein? Ein eigent�mlicher Zwang zum Konkreten, den sie mit volkst�mlichen Sprichw�rtern teilen. H�chst abstrakte Vorg�nge werden mit banalen Bildern beschrieben; alles erscheint im Nu zu bew�ltigen, wenn man sich nur emsig daran mache. Die diesen paternalistischen Unternehmersprech pflegen, wollen in aller Regel eine besonders profunde Erfahrenheit suggerieren und gefallen sich in der Pose des hochprofessionellen Bescheidwissers.
Weiterhin haben die einf�ltigen Kaufmannsphrasen, die sich so demonstrativ wie offensiv dem Alltagsverstand anbiedern, zum Zweck, die l�ngst verselbst�ndigten und sich unkontrolliert hei�laufenden Mechanismen der kapitalistischen �konomie vulg�r-ideologisch auf berechenbares und zielgerichtetes Handeln herunterzubrechen. Und weil man sich mit nationalsozialistischen Kategorien wie der "schaffenden Arbeit" und dem "raffenden Kapital" heute immerhin despektierliche Blicke einhandelt, mu� man das ganze nun "Realwirtschaft" und "gierige Manager" nennen. Alles mu� handfest und griffig erscheinen, das Unverstandene, vielleicht tats�chlich Irrationale der weltweit verschr�nkten �konomie wird nach Kr�ften zurechtprojiziert und -rationalisiert ohne R�cksicht auf erkenntnistheoretische Kollateralsch�den; je abgeschmackter dabei die Phrasen an allen Ecken und Enden herausquellen, desto besser. Vorher ist der selbstgen�gsame Biertischdenker nicht zufrieden. Er versteht zwar von �konomie nichts, daf�r aber von Wirtschaft alles.
Was laut Schulp�dagogik noch als "didaktische Reduktion" von Sachverhalten f�r Kinderhirne durchgehen mag, damit man h�ppchenweise �berhaupt noch irgendetwas versteht, dient hier der verzweifelten Selbstvergewisserung von Wirtschaftskommentatoren und anderen notorischen Fachleuten.
Denn wer Holzschnittsprech redet, wird auch nicht weniger einf�ltig denken. Er wird Genugtuung versp�ren, wenn Politiker und andere Ideologen "die Wirtschaft" in aller �ffentlichkeit zur Pflicht mahnen, gehe es dabei um Ausbildungspl�tze oder Arbeitsl�hne. Nicht weniger unterhaltsam, wenn Banker und Leute "aus der Wirtschaft" die Verfehlungen "der Politik" gei�eln. Der Staat habe es in den letzten Jahrzehnten vers�umt, einen anst�ndigen Ordnungsrahmen z.B. f�r die Finanzwirtschaft, die tats�chlich so genannte Finanzindustrie, zu setzen. Implizit geben sie damit � wie abgekl�rte Kinder in Elite-Internaten � zu, da� es sich bei ihnen schon qua ihrer Art um welche handelt, die man blo� nicht sich selbst �berlassen darf.
Und die "Finanzindustrie"? Geh�rt sie nun zur "Realwirtschaft" oder nicht? Wohl eher schon, denn auch sie bietet ja ihre in gigantischen Fabrikationshallen gefertigten "Finanzprodukte" auf dem Markt an.

Seehofer: "Markt pur ist Wirtschaft pervers! Markt pur ist der pure Wahnsinn!"
Westerwelle: "Das mu� man in Deutschland noch sagen d�rfen."

Wer sagt, das Kapital treibe die Politik vor sich her, gilt als linker Ideologe.
Wer sagt, das internationale Finanzkapital treibe die deutsche Politik vor sich her, outet sich als rechter Ideologe.
Wer sagt, der Kapitalmarkt oder "die M�rkte" treiben die Politik vor sich her, gilt als redlicher und objektiver Berichterstatter.

Doch schauen wir uns die schwachsinnigen Redensarten nochmal im Detail an:
* Was blo� hat es mit der Rede vom "frischen Geld" auf sich? Die der demokratischen Kontrolle enthobenen Geldwertstabilit�tsdogmatiker der Zentralbanken werden mit "frischem Geld" sicher nicht die Erzeugnisse der Druckerpresse gemeint haben. Was aber dann?, wird man sich fragen. Bis zum Punkt, wo man erkennt, da� Quatsch einfach nur Quatsch ist und nicht mehr.
* Dasselbe gilt f�r "gutes Geld" und "schlechtes Geld", denn � wie jedermann wei� � stinkt Geld ja nicht. Und virtuelles schon gar nicht.
* Als n�chstes wird man sich fragen, was es hei�en soll, "Geld in die Hand zu nehmen". Irgendwie mu� es wohl "Geld ausgeben" bedeuten, aber nicht nur ausgeben, sondern eben entschlossen ausgeben, mit Pathos ausgeben, investieren. So wie es ja auch nicht gen�gt, Geld f�r die Bildung oder andere Zwecke auszugeben, sondern in die Bildung wird investiert. Und diese Wortwahl ist durchaus ehrlich, aus den Gebildeten soll schlie�lich Gewinn geschlagen werden.
* Und um selbst noch so etwas schn�dem wie einer Bilanzierung feierliche Weihen zu verleihen, darf man dann nicht ein sch�nes Wort wie "letztendlich" oder "schlu�endlich" benutzen, sondern mu� die Kaufmannsphrase "am Ende des Tages" bem�ht werden. Wann das angebliche Ende des Tages, der j�ngste Tag der fiskalischen Abrechnung, sein soll, wei� aber auch niemand zu sagen. Nur da� ganz autorit�r "ein Ruck durch Europa gehen" m�sse, frei nach Roman Herzog, ist wohl die Message.
Ein bestimmbares Kalenderdatum hat das fiskalische j�ngste Gericht also kaum, es l��t sich eher nur erahnen, wenn "das Vertrauen der M�rkte" � also die Laune des automatischen Subjekts � schwindet und nach allgemeiner Lesart in die Krise m�ndet. Dann schl�gt die Stunde der b�rgerlichen Schadensbegrenzungspolitik, die Stunde der Technokraten.
Denn die Verklemmung des gegenw�rtigen Zustands haben sie mit bemerkenswerter Klarsicht erkannt und w�lzen sie seither w�chentlich in den immergleichen politischen Talkshows und Feuilletons, w�lzen sie auf und ab, w�lzen sie hin und her. Weil aber das Dilemma so durchaus h�chst real ist, sind die schalen Rezepte der Bescheidwisser und Schadensbegrenzer eine einzige Farce:
Man kann den am fiskalischen Abgrund stehenden Staaten nicht "helfen", ohne zentrale Dogmen der Marktwirtschaft zur Disposition zu stellen. H�ngt man dieser Ideologie an, so verbietet es sich von selbst, den gemachten Verlierern der Konkurrenz zu "helfen", sind sie doch in dieser Lesart der Krise "selbst schuld" daran, was ihnen widerf�hrt. Die Maschine der Selbstverantwortung duldet keinen Eingriff ins Prozessieren ihrer marktf�rmigen Gerechtigkeit, trotzdem m�sse ja irgendetwas getan werden � und sei es nur symbolisch, um trotzig politische Souver�nit�t zu demonstrieren. Um aber den bereits Stigmatisierten, "den Griechen", nicht einen Blankoscheck f�r ihre Verfehlungen auszustellen � das Beispiel w�rde Schule machen �, darf die "Hilfe" nur wohldosiert verabreicht werden � und mit rigorosen Auflagen vers��t. Geschenkt bekommt man, wie auch bisher, nichts. Nun w�re das Dilemma keines, wenn solche Ma�nahmen funktionieren w�rden. K�nnen sie aber nicht. Wie sogar �ffentlich zugegeben wird, kann eine Volkswirtschaft, wenn sie derma�en kujoniert und geknebelt wird wie vorgesehen, nat�rlich nicht prosperieren. Um zu erreichen, was man zu beabsichtigen vorgibt, n�mlich die hochmoralische "Hilfe", die dem Schwelen der Krise ein Ende bereiten w�rde, m��te man eben jenes Exempel des guten Willens statuieren, das dem Dogma der Selbstverantwortung Hohn spr�che und Nachl�ssige zum Nachahmen einl�de. Dementsprechend geifernd und profielierungss�chtig wittern ja auch Populisten aller Couleur, das Dilemma nicht wahrhaben wollend, ihre einmalige Chance, sich mit dem Appell ans Ressentiment, mit kleingeistigem Insistieren auf sozialdarwinistischen Prinzipien einen Platz im Herzen des gebeutelten kleinen Mannes zu erobern. Durch solch bornierte Narretei wurden selbst Liberale zu Populisten, Freiheitliche eben. Erstaunlich, da� ihre Rechnung so gar nicht aufging, weder in Berlin noch in Bratislava. Sollte die Mehrheitsbev�lkerung etwa eingesehen haben, da� es so nicht mehr weitergeht und eine Schadensabwehr tats�chlich unausweichlich ist? "Alternativlos" ist alles sowieso immer nur im immanent beschr�nkten Kontext der b�rgerlichen Ideologie und ihrer �konomie.

Im �konomischen Ausnahmezustand, der universellen Krise, f�llt die humanistisch-moralische Maske der b�rgerlichen Ideologie und es zeigt sich mit ungew�hnlicher Offenheit, ziemlich drastisch sogar, worum es bei �konomie als der Leitwissenschaft der b�rgerlichen Gesellschaft eigentlich schon immer ging. Exorbitanter Wohlstand des einen hindert den anderen nicht am Verhungern. Bitterste Armut des einen hindert den anderen nicht am Erfolg. Konkurrenz nennt sich dieses vermeintliche Spiel. Und Eigentum verpflichtet.

Pikanterweise steckt die politische Sph�re in noch einem weiteren Dilemma, quasi einem Meta-Dilemma. Denn nicht nur kann sie sich partout nicht entscheiden, welche der allesamt verheerenden Handlungsoptionen nun zu pr�ferieren sei, sondern dies geschieht auch noch unter einem immensen Zeitdruck. Reagiere man nicht schnell, so, hei�t es, verschlimmere sich nur zusehends das Schuldendebakel, griffen "die M�rkte" fortw�hrend "die Volkswirtschaften" an. W�rde man aber z�gig handeln, also "helfen", so m��ten die nachl�ssigen Schuldner, diese Schurken, ja gar nicht richtig zappeln und flehen, sondern k�nnten sich kommod auf die herbeieilende Hilfe verlassen. Das haben sie doch gar nicht verdient! Wo kommen wir denn da hin? Einmal mehr wird klar, da� der einzige Grund f�r das Hinhalten v.a. seitens der deutschen Politik darin besteht, "die Griechen" ganz offensichtlich zu entm�ndigten Bittstellern zu machen; eigentlich will man sie leiden und m�glichst lange zappeln sehen.
Keiner in all den Rederunden, der nicht versichert, auch ihm gehe es ja darum "zu helfen", doch d�rfe sich da ja niemand drauf verlassen k�nnen, und �berhaupt: wenn, dann nur "Hilfe zur Selbsthilfe", so die bis zum Erbrechen geleierte Nullphrase. Wenn in Afrika Millionen verhungern, so ist nicht etwa Hilfe das erste Gebot, sondern "Hilfe zur Selbsthilfe", denn eigentlich sollen sie doch selbst sehen, wo sie bleiben. "Hilfe zur Selbsthilfe", das ist ungef�hr so menschenfreundlich wie "f�rdern und fordern", ungef�hr so verbindlich wie "Chancengleichheit". Gleichheit, "Gleichmacherei" gar, will man ja nicht, aber "Chancengleichheit", die geh�rt zum guten Ton. Gewinner und Verlierer mu� es schon auch weiterhin geben, nur will man hinterher sagen k�nnen, es habe doch "Chancengleichheit" geherrscht.
Wenn in der Hauptschule versagt oder in der Hungerzone gelitten wird, so ist das nur dann schlimm, wenn keine "Chancengleichheit" geherrscht habe. Wenn also endlich die Chancengleichheit h�chstselbst Gewinner und Gescheiterte produziert, dann ist das gut und gerecht, denn jeder ist dann selbst schuld. "Hilfe zur Selbsthilfe" arbeitet auf diesen Zustand hin.

Und so kommt es, da� auch auf diesem Gebiet der Holzschnittsprech seine einf�ltigen Bl�ten treibt. Ein Westerwelle bspw. ist Meister in diesem Fach. Anstatt zu sagen: "Wer arbeitet, mu� mehr haben als, wer nicht arbeitet", wird diese schon opportunistisch auf Zustimmung heischende Parole noch weiter auf kindische Personalisierung heruntergebrochen: "Wer arbeitet, mu� mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet." Ahh, da haben wir ihn endlich, denjenigen, "der nicht arbeitet"!
Da� ausgemachte Misset�ter "�ber ihre Verh�ltnisse gelebt" haben sollen und dementsprechend "den G�rtel enger zu schnallen" h�tten, ist dabei nicht mal etwas neues. An derlei Propaganda hat man sich seit der geistig-moralischen Wende unter Dr. Kohl, also fast 30 Jahre lang schon, gew�hnt.

Dieser ebenso schwachsinnige wie verharmlosende Jargon, eigentlich nur noch Geschw�tz im Wortsinne, verh�lt sich zur Ernsthaftigkeit der Situation wie das heimelige Musikantenstadl zur atonalen Musik, die die Lage weit pr�ziser zu fassen bekommt. Der Holzschnittsprech dient letztendlich der Gew�hnung an den Pogromsprech.


Kommentare
28.10.2011 / 15:16 redaktion_A, Radio Helsinki, Graz
wird am 31.10.2011 um 7:30 uhr gesendet
merci!
 
03.11.2011 / 09:55 alex, Radio Corax, Halle
lief
im morgenmagazin