Buchtipp: "An der Grenze"

ID 6833
 
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil der internationalen Tagespolitik und der Medienberichterstattung. Medialer Alltag, also? Wer blickt noch hinter die Schlagzeilen? Das dieser Blick wichtig und aufschlussreich ist beweist als jüngstes Beispiel die Autobiografie von Michael Warschawski. In „An der Grenze“ beleuchtet er die Geschichte der israelischen Friedensbewegung – und setzt dabei weit vor dem Oslo-Prozess der 90er Jahre an. Markus Kilp hat das Buch für Sie gelesen.
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mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 14.05.2004 / 16:30

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales
Serie: Radio Palmares - Magazin
Entstehung

AutorInnen: Markus Kilp
Kontakt: tomschrott(at)yahoo.com
Radio: PalmaresPB, Paderborn im www
Produktionsdatum: 14.05.2004
keine Linzenz
Skript
ANMODERATIONSVORSCHLAG:

Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil der internationalen Tagespolitik und der Medienberichterstattung. Medialer Alltag, also? Wer blickt noch hinter die Schlagzeilen? Das dieser Blick wichtig und aufschlussreich ist beweist als jüngstes Beispiel die Autobiografie von Michael Warschawski. In „An der Grenze“ beleuchtet er die Geschichte der israelischen Friedensbewegung – und setzt dabei weit vor dem Oslo-Prozess der 90er Jahre an. Markus Kilp hat das Buch für Sie gelesen.

TEXT:

Michael Warschawskis Leben als Friedensaktivist und Dissident ist geprägt von Grenzüberschreitungen: Sowohl als solidarischer Kämpfer für eine gerechte Palästinapolitik – an der realen Grenze als auch hinsichtlich seines zivilen ungehorsam gegenüber herrschenden Gesetzes- und Konventions-„Grenzen“ in der israelischen Gesellschaft.

In seiner Autobiografie, „An der Grenze“ erschließen sich spannende Hintergründe der israelisch-palästinensischen Friedensbemühungen. Warschawski zeichnet darin den Weg derer nach, die sich ihre jüdisch-israelische Identität bewahrt haben aber gleichzeitig konsequent für die Rechte der Palästinenser eintreten.

Seit mehr als 35 Jahren praktiziert Warschawski diese Solidarität mit den arabischen Nachbarn und scheut dabei keine Widerstände. Als Sohn Straßburger Juden in den 60er Jahren nach Israel gekommen schloss er sich schnell der radikalen Linken an. Geprägt durch die Erfahrungen seiner Familie in Europa und ausgestattet mit einem außerordentlichen Gerechtigkeitssinn wird ihm schnell deutlich, dass sich die Rolle der Israelis als Besatzer nicht mit seinen Vorstellungen einer freien Gesellschaft zusammenbringen lassen:

ZITAT S.39

Nachdem die israelische Armee 1967 den Gazastreifen, den Golan und den Sinai eroberte, wird er in der Mazpen aktiv – einer antistalinistischen linken Organisation, die sich für einen nahen Osten ohne Grenzen und ohne Besatzung einsetzt.
Für ihn und seine Familie – seine Frau Leah und seine Söhne – bedeutet das lange Zeit Ausgrenzung und soziale Isolation. Gegen die Besatzung zu argumentieren, dass beschreibt Warschawski im Buch als „In der Wüste Predigen“. Die israelische Öffentlichkeit rückte nach rechts – und nicht viele wagten es in den späten 60er Jahren noch offene Kritik zu üben.
Warschawski selbst landete einige Male im Gefängnis und vor Gericht: wegen seiner Kontakte zu palästinensischen Intellektuellen, wegen gemeinsamer Veröffentlichungen und Aktionen.

Dennoch erzielte dieser Widerstand auch Annerkennung und Erfolge: 1982, zum Beispiel, mobilisierte die von Warschawski mitbegründete Verweigerer-Organisation „Yesh Gvul“ einen breiten Protest gegen den Einmarsch in den Libanon.
Ein Punkt ist dies – von vielen Stationen, die einen erheblichen Beitrag geleistet haben zur späten Anerkennung der Friedensbewegung Anfang der 90er Jahre und dem OSLO Prozess – also der gegenseitigen Anerkennung des Staates Israels und der PLO.

Heute ist zu beobachten, dass dieser politisch eingeleitete Friedensprozess ins Stocken geraten ist und nicht wirklich zu einer Verbesserung der Lage geführt hat. Für Warschawski hängt diese Situation zum einen mit dem Scheitern der Arbeiterpartei und auch mit dem Auftauchen einer neuen Grenze zusammen: einem eisernen Vorhang innerhalb der israelischen Gesellschaft zwischen den Eliten, den Wohlabenden Emigranten der 3. Generation, und der Peripherie, den orientalisch jüdischen Einwanderern, die in Ghettos oder Siedlungen zusammen leben und sich verstärkt auf die religiöse Tradition berufen.

ZITAT S. 190

Auch wenn Warschawski konstatiert, dass viele Brücken nach Oslo bereits eingestürzt sind, versteht er seine Analyse doch eher als eine Zwischenbilanz: momentan bestehe die Aufgabe darin, zu verhindern , dass nur noch Hass regiert und der ehemals antikolonialistische Kampf vollends in einen ethnischen Krieg übergeht.
Warschawskis Hoffnung ruht dabei auf einer jungen Generation politisch Engagierter, die jede Art von Rassismus verabscheut. Während solche Hoffnungen zumeist in den Schlagzeilen der Tagespolitik untergehen, schafft Warschawski mit seinem Buch einen Schlüssel zum wirklichen Verständnis der Situation. „An der Grenze“ ist voller hellsichtiger Analysen, eine eindrucksvolle Erinnerung daran, dass sich in Israel und Palästina mehr bewegt als dass, was man hierzulande an Berichterstattung über Miltär- oder Terroraktionen vernimmt. Leicht verständlich und äußerst lesenswert!

ABMODERATIONSVORSCHLAG:

Unser Buchtipp für diese Sendung: „An der Grenze“ von Michael Warschawski ist im Frühjahr mit einem Vorwort von Moshe Zuckermann bei der Edition Nautilus erschienen.