Aus Anlass der Feierlichkeiten des 50-jährigen Anwerbeabkommens mit der Türkei - GASTARBEITER

ID 46228
 
AnhörenDownload
CM auf FSK 93.0 Megahetz(e) - Monatliche Kolumne des Café Morgenland - Februar 2012

„Gastarbeiter“ (aus Anlass der Feierlichkeiten des 50-jährigen Anwerbeabkommens mit der Türkei)

Die Geschichte vom „Ankommen“ (in der deutschen Gesellschaft usw.), die gerne auch als Dialog inszeniert wird, bei dem es naturgemäß auch mal Reibungen gäbe sowie drollige Missverständnisse, ist als Ergänzung zu einer „Entschlackung“ der Tötungsverfahren zu verstehen. Entschlackung meint: nicht mehr so unkoordiniert, nicht alle gleich auf ein Mal, eher abseits der Öffentlichkeit, mit bewährter Hilfestellung auf amtlicher Seite, unter geübtem Dichthalten der Täter und erprobtem Mitwissen und Hinnehmen der „Unschuldigen“. Die Debatten um Integration usw. der letzten Jahre lassen sich somit im Rahmen einer Optimierung der Arbeitsvorgänge beim Töten verstehen.

Der „Zustrom“ der Gastarbeiter begann bereits in den 50er Jahren mit der Anwerbung italienische Gastarbeiter. In der 60er setzte es sich massiv fort. Sie kamen zu Hunderttausenden. Später zu Millionen. Türkische Bauern, sizilianische Gelegenheitsarbeiter, portugiesische, spanische, griechische und auch tunesische Malocher und viele viele mehr. Anatolisches, iberisches und balkanisches Frischfleisch für die deutsche Rohstoffverarbeitung in deutschen Fabriken, geschliffen und poliert durch deutsche Meister und Vorarbeiter, eingezäunt durch „Ausländer“Gesetze und bewährte Teutonenvorschriften, zusammengepfercht in Ausländerheimen.

Natürlich dürften nur die tüchtigsten und robustesten „reingelassen“ werden. Nur diejenigen also, deren leibliche Makellosigkeit und wahres biologisches Alter anhand akribischer Zahn- und Restkörperuntersuchung durch deutsche Ärzte sichergestellt wurde. Die Deutschen als die erfahrenen Meister der Volkshygiene und Rassenpflege hätten sich diesbezüglich selbstverständlich weder auf die Atteste der örtlichen Ärzte noch auf die Angaben der Standesämter der Anbieterländer verlassen können.
Sie schufteten für den Onkel Benz und für die BMW-Quandts. Für Adam Opel und für die Chemie-Fabriken, die Erben von IG-Farben. Für Henry Ford und Thyssen-Krupp. Unter Tage und über Nacht. Geduldig und diszipliniert, für alles nutzbar… auch für sozialrevolutionäre Verklärung.

Es sollte ja für kurze Zeit sein, dachten sie und vor allem ihre Verwalter. Diese kurze Zeit dauerte dann eine Ewigkeit. Manche gingen zurück… in Särgen oder gesundheitlich und vor allem psychisch gebrochen, um ihre Restjahre im Heimatort zu verbringen. Die hier gebliebenen fing man an zu zählen. Nach Generationen... erste, zweite, dritte usw. Oder nach Stämmen: So und so viele Türken (Neuwort: türkischstämmige), so und so viele Spanier, Griechen, Portugiesen usw. Diese Kategorisierung war wichtig, nicht nur für die kulinarische Alternative zum Sauerkraut.

Es war die Zeit, als die Deutschen sich von der Schmach ihrer erneuten Niederlage erholen mussten. Nicht nur materiell, sondern vor allem mental. Denn die Besatzer hatten jenen die Vorgabe gemacht, dass sie keine Zwangsarbeiter mehr beschäftigen dürfen - sonst würden sie sich strafbar machen. Das Depressionen erzeugende seelische Vakuum, das dieses Alliiertenverbot hinterließ, musste gefüllt werden. Denn dies war nicht nur schlecht für die Wirtschaft, sondern und vor allem katastrophal für das Wirtshaus (Stammkneipe). Die Existenz einer niederen Menschengruppe, über die die Herrenrasse bestimmen konnte, war existentiell für den Produktivitätseifer und den Motivationsschub der einheimischen Bevölkerung. Ja, sie war der Motor für das Wirtschaftswunder und die Exportweltmeisterschaft. Die über 10jährige Durststrecke und Entbehrung war endlich vorbei. Sie hatten wieder welche parat, auf die sie von oben herabblicken konnten. Mit unaussprechlichen Namen. Das mit den Namen haben sie schnell geklärt. Sie nannten sie Spaghetti- und Knoblauchfresser, Jugos und Schlitzaugen, Itaker und Kanaken. Und vor allem „Türken“, als Hyperonym für alle ausländischen Unterarten.

Betrachtet man die Migrationsgeschichte aus Sicht des Umgangs der indigenen Mehrheitsgesellschaft mit diesem Menschenmaterial, so kann sie in drei Perioden gegliedert werden. Die erste Periode dauerte vom Anwerbebeginn bis 1973, als die sogenannten „Wilden Streiks“ bei Ford ausbrachen. Es war die „Vor-Ford-Streik“-Periode. Die Zeitspanne von 1973 bis 1990 kann „Nach-Ford-Streik“-Periode benannt werden, in der die Zuwanderer – nachdem sie psychologisch, sozio-psychologisch und sprachlich zwischen ihrer Heimat und Deutschland hin und her gerissen waren – sich schließlich eingestehen mussten, dass sie in Deutschland bleiben werden, und diese Tatsache schweigend hinnahmen.

Die Periode seit 1990 unterscheidet sich von den vorherigen durch die Tatsache, dass mit der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland eine Radikalisierung bzw. Explosion der deutschen Gesellschaft stattfand.

Wirft man bezüglich der Geschichte der Beziehung zwischen den Deutschen und den „Gastarbeitern“ einen Blick auf diese Perioden, wird die Annahme nicht unzutreffend sein, dass sich in der ersten, in der Prä-Ford-Periode, in diesem Zusammenhang nicht sehr viel ereignete. Soziale Interaktionen zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den „Fremden“ sowie ihren Familien sind kaum vorhanden. Die Gastarbeiter kehren nach der Arbeit in der Regel in die für sie vorgesehenen Heime zurück; ihre Kontakte zu der Mehrheitsgesellschaft beschränken sich auf den Arbeitsplatz. Die im Rahmen dieser Kontakte ausgeführten sprachlichen Handlungen bestehen aus wenigen Wörtern wie „Ja“, „Nein“; „Guten Morgen“, „Hallo“, „Auf Wiedersehen“. Die Heime sind nach den Prinzipien „Geschlecht“ und „Herkunftsland“ organisiert. Demnach wohnen z.B. in einem Wohnhaus ausschließlich Frauen aus der Türkei, in einem anderen ausschließlich Frauen aus Jugoslawien. Ähnlich sind auch die Häuser der Männer nach Herkunftsland getrennt. Auf diese Weise haben sich in einer deutschsprachigen Gesellschaft mikroskopische Inseln gebildet, die einsprachig, gleichgeschlechtlich und eben aus diesem Grunde der Außenwelt vielschichtig geschlossen waren – und obendrein auch der minimalen Ausstattung ermangelten, über die die Bewohner hätten verfügen müssen, um sich nach außen öffnen, zu benachbarten sozialen Systemen Beziehungen knüpfen oder sich bei Bedarf verteidigen zu können.
In jedem Zimmer der ursprünglich für eine Person oder Familie vorgesehenen Wohnung dieser geschlossenen Aufenthaltsinseln leben 4 oder 6 Personen. Die Organisation dieser Zusammenkünfte wird vom deutschen Personal, dessen Sprache sie nicht sprechen, und das ihre Sprache nicht spricht, entschieden. 12 bis 18 Personen, die in jeder Wohnung zufällig zusammenkamen, und über deren Zusammenkunft durch Anordnungen entschieden wurde, nutzen dieselbe Küche und dasselbe Bad. Wirft man einen verspäteten/zeitverzögerten Blick auf ein beliebiges Frauenheim der damaligen Zeit, wird man mit folgenden Szenen konfrontiert: Nach der Arbeit wird ins Heim zurückgekehrt und gegessen. Danach schreiben alle, soweit sich die Feder beherrschen lässt, ihren Familien in der Heimat Briefe –ihren Ehemännern und -frauen, ihren Kindern, ihren Müttern, Vätern. Wenn Briefe empfangen werden, werden sie gelesen oder vorgelesen. Sind keine neuen Briefe erhalten worden, dann werden die alten – falls welche vorhanden – wieder gelesen bzw. vorgelesen. Der unentbehrliche Begleitumstand der darauf folgenden individuellen sowie Gruppenaktivitäten, wie z.B. Stricken, Unterhaltung etc., ist die türkischsprachige Musik. Das – auch wenn vorübergehend – Greifbar–, Anfassbar-, Wahrnehmbar-, Hörbarwerden der abstrakten Bindung zu einem sich immer mehr in die Ferne rückenden Ort wird nur noch durch die z.B. im Radio Budapest ausgestrahlte türkischsprachige Musik möglich. Es werden Lieder der Sehnsucht gehört und es wird allein oder in kleinen Gruppen lautlos geweint.
Kurzum kann von einer Relation zwischen Gastarbeitern und Deutschen in der Vor-Ford-Periode nicht die Rede sein. Diese zwei Sprachgemeinschaften sind einige Lichtjahre voneinander entfernt. Die geographische Nähe sagt noch nichts aus. Unter diesen Umständen, d.h. wenn noch kein Sprach- und sonstiger Kontakt wirklich vorhanden ist, ist es unmöglich, von einem sozialen Konflikt oder ähnlichen Phänomenen zu sprechen. Außer zu dienen haben sie keine weiteren sozialen Kontakte zur deutschen Gesellschaft. Ja es scheint so, dass ein Wunsch ihrerseits nach sozialen Kontakten kaum vorhanden ist. Das ist wohl kaum ein Thema, sie haben keine Zeit dazu. Denn das ganze Jahr hindurch wird die sowieso ziemlich begrenzte arbeitsfreie Zeit der Vorbereitung auf die 3-4 Wochen gewidmet, die im Sommer in der Türkei verbracht werden sollen. Diese Menschen funktionieren problemloser und ergiebiger als die Sklaven des klassischen Kolonialismus. Für die deutschen Arbeitgeber sowie die davon nutznießende deutsche Gesellschaft erweist sich dieser Zustand selbstverständlich als ideal, weshalb es keinem von dieser Seite einfällt, sich darüber zu beschweren. Andererseits wiederum spricht vieles dafür, dass dieser Zustand einige Vorteile für die „Fremden“ mit sich bringt. Denn damals gibt es dank genau dieser Isolation weder Befreiungsübergriffe auf die kopftuchtragenden anatolischen Frauen noch Emanzipationszüge z. B. gegen die Teestubenklientel. Kurzum: Sie wurden relativ in Ruhe gelassen, die Belästigungen und Belehrungen hielten sich in bescheidenen Grenzen.

1973 brachen in den Ford-Werken in Köln die sogenannten „Wilden“ Streiks aus. Wie Lauffeuer breiteten sie sich in kürzester Zeit in weiteren Fabriken aus. Getragen von fast ausschließlich türkischer Belegschaft mit banalen Forderungen, wie z.B. längerer Urlaub am Stück. Sie wurden brutal zer- und zusammengeschlagen: Von der deutschen Polizei, den deutschen Gewerkschaften und der deutschen Belegschaft. Gehetzt durch die Presse (vor allem durch das Zentralorgan des deutschen Proletariats, der Bild-Zeitung). Das Fernsehprogramm musste unterbrochen werden, um einen eindringlichen Appell des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt auszustrahlen, wg. der unmittelbaren „Gefährdung der Demokratie“ und des „friedlichen Zusammenlebens“ usw.

Dieses Ereignis wird hervorgehoben, weniger weil dies die damalige Gastarbeitergeneration entscheidend prägte, sondern vielmehr, weil dies die deutsche Gesellschaft erschütterte, mit nachhaltigen Folgen. Plötzlich entdeckten sie, dass aus den „braven Ausländern“ eine handfeste Bedrohung wurde. Aus Objekten der Begierde wurden Subjekte der Auflehnung und der Zerstörung der deutschen Ordnung. Es ist bezeichnend, dass sowohl die meisten Gesetze und Verordnungen als auch der offensivere Umgang mit dem nun „Eindringlichen“ sich ab diese Zeit massiv vermehrten. Die Bundesrepublik musste sich aufrüsten, um den Feind entgegnen zu können. Somit konnte sie vorbereitet in die dritte Periode, die nach der Wiedervereinigung, eintreten. Was da, zwischen 1990 bis heute, lief, ist reichlich bekannt.

50 Jahre später hat sich die Welt verändert. Gesellschaftssysteme kamen und gingen, Grenzen wurden gewaltsam verschoben. Deutschland aber, Deutschland blieb wie immer das Land seiner Ureinwohner und deren Tugenden. Tödliche Zeitlosigkeit. Und seit über 20 Jahren grösser und mächtiger. Europäische und demnächst weltweite Allmacht. Gewiss, die Ureinwohner haben ihre Essgewohnheiten geändert, ihre Urlaubs- und andere Eroberungsziele erweitert. Nur diese lästigen Umfragezahlen blieben konstant und stabil. Auch nach über 65 Jahren wetteifern sie um zweistellige Zahlen... so und so viel Prozent der Deutschen sind Antisemiten, so und so viele Prozent sind Rassisten, so und so viel Prozent der jungen Deutschen wissen mit dem Wort Auschwitz nichts anzufangen usw. Mit hand- und brandfesten Ergebnissen, so als ob sie es für nötig erachten, die Umfragen stets bestätigen zu müssen. Über 180 Ermordete. Tausende Verletzte, millionenfach das Leben der Anderen verpfuscht.
Die aktuelle Zeit ist geprägt von Effizienz und Rationalisierung des Tötungsvorgangs und des Fertigmachens. Es ist nicht unbedingt erforderlich, sich vor den Flüchtlingsheimen zu sammeln und zu grollen. Genickschuss ist wesentlich effektiver.
Integrationsangebote und Morde laufen komplementär und abwechselnd zeitlich fein nacheinander gestimmt. Die Aufforderung zur Ergebenheit in Integration tritt in der Regel im mordfreien Tal der ewigen Sinuskurve auf, um zur Zucht, Ordnung, Einordnung und Unterordnung zu mahnen. Diese Mahnung wird in der Hügelphase durch Morde bestärkt, indem überzeugend demonstriert wird, was einen erwartet, wenn nicht der gutgemeinte Integrationsruf befolgt wird. Die Schwierigkeit, diese Vorgänge auseinanderzuhalten/ zu differenzieren, ist dieser Verzahnung verschuldet.

Und es ist eine Selbstverständlichkeit, wenn Deutsche eine Straftat (oder was dafür gehalten wird) begehen, dass stets nach den sozialen Ursachen gesucht wird, bei Kanaken aber nach den genetischen. Das in der vorherigen Kolumne in der Diskussion erwähnte Beispiel der Präventivmaßnahmen für ausländische Jugendliche wg. deren Anfälligkeit etc. ist fast harmlos im Vergleich zu den massiv stattfindenden juristischen, sozialen und politischen Exzessen (wg. Jugendbanden, U-Bahn-Schläger usw.).

Und wenn jemand sie an ihre Substanz erinnert, erntet er die aufrichtige Empörung der deutschen Heimatfront (Regierung und Opposition), wie z.B. neulich der britische EU-Abgeordnete Nigel Farage, der den von Deutschland geforderten Kommissar für Schuldnerländer, „Gauleiter“ nannte.
Café Morgenland, 6. Februar 2012

http://www.cafemorgenland.net
Audio
16:35 min, 23 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 06.02.2012 / 15:53

Dateizugriffe: 442

Klassifizierung

Beitragsart:
Sprache:
Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: redaktion 3
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 06.02.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Kein Skript vorhanden.