Interview & Kommentar zu Pathologisierung von Geschlecht im Fall "Alex"

ID 46725
 
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In den letzen Wochen gab es immer wieder Berichte über die geplante Einweisung einer Berliner Jugendlichen in die geschlossene Psychiatrie. Die 11 jährige "Alex" (Name geändert) lebt als Mädchen - entgegen ihrem bei der Geburt zugewiesenem Geschlecht. Das ist auch der Grund für ihre Psychiatrisierung, die vom Jugendamt und Ärzt_innen betrieben wird.
Audio
08:54 min, 12 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 01.03.2012 / 16:00

Dateizugriffe: 529

Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kinder, Frauen/Lesben, Jugend, Politik/Info
Serie: transgenderradio Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: sakura
Radio: Transgenderradio Ber, Berlin
Produktionsdatum: 27.02.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In den letzen Wochen gab es immer wieder Berichte über die geplante Einweisung einer Berliner Jugendlichen in die geschlossene Psychiatrie. Die 11 jährige Alex lebt als Mädchen - entgegen ihrem bei der Geburt zugewiesenem Geschlecht. Das ist auch der Grund für ihre Psychiatrisierung, die vom Jugendamt und Ärzt_innen betrieben wird.
Dies ist kein Einzelfall, aber es ist selten, dass es öffentlich wird. Viele Menschen waren schockiert, dass so etwas heute immer noch möglich ist, und fühlten sich auf einmal in finstere Zeiten zurückversetzt. Es ist noch nicht so lange her, dass solche Zwangseinweisungen noch mehr Menschen betrafen. Dazu reichte es, auch nur leicht von gesellschaftlichen Normen abzuweichen. Letztes Jahr erst wurden Entschädigungen für Menschen verhandelt, die von zwangsweiser Heimunterbringung betroffen waren.
Offenbar gibt es vergleichbares im Jahr 2012 in Berlin, für Menschen, die ihr bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht nicht als bindend betrachten, immer noch. Dabei spielt die Charité eine nicht unerhebliche Rolle. Das Berliner Krankenhaus hat eine Abteilung für Sexualmedizin. Dort herrscht offenbar die Ansicht, dass Menschen die nicht den Normen dieser Mediziner_innen einer geschlechtlichen und sexuellen Entwicklung entsprechen, krank sind und umerzogen oder eingesperrt gehören. Das riecht für viele stark nach den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, oder sogar nach der den Jahren davor. Solche Ansichten werden zum Leidwesen von vielen Betroffenen an der Uni-Klinik Charité auch in der Ausbildung von Mediziner_innen gelehrt. So dürften solche Ansichten innerhalb dieser Berufsgruppe fürs erste nicht aussterben. Es ist damit zu befürchten, dass die daraus resultieren Behandlungsmethoden auch in anderen Städten angewendet werden. Diese Methoden beinhalten auch die Dressur zu angepasstem Verhalten. Für "Alex" hiesse das, als Junge behandelt zu werden, obwohl sie als Mädchen lebt. Sie würde von Ärzt_innen und Betreuer_innen für Verhaltensweisen belohnt, die als typisch männlich gelten, und hätte sich an deren Bild von Geschlecht zu orientieren.
Die an der Charité vertretenen Ansichten sind auch ein Problem für Menschen, die nicht solchen gruseligen Maßnahmen in geschlossener Unterbringung ausgesetzt sind. Etwa für Menschen die nach dem deutschen Transsexuellengesetz ihren Vornamen oder ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollen. Das dafür vorgesehene Begutachtungverfahren durch Psychiater_innen ist allein schon entwürdigend. Mensch ist dabei ganz von der Willkür dieser Ärzt_innen und Psycholog_innen abhängig, und muss dabei Fragen zu intimsten Themen über sich ergehen lassen. Besonders schlimm ist das in kleineren Städten, in es oft keine Wahl zwischen unterschiedlichen Behandelnden gibt. Es kann passieren an jemanden zu geraten, der oder die in der Sexualmedizin an der Charité ausgebildet wurde. Auch der Zugang zu geschlechtsangleichenden Behandlungen kann von diesen Medizinner-innen abhängig sein.
Im Fall von "Alex" kann das neben dem möglichen Freiheitsentzug bedeuten, dass ihr die von ihr gewünschte Behandlung vorenthalten wird. An der Charité wird gelehrt, dass die körperlichen Veränderungen der Pubertät zu einer „gesunden“ Entwicklung führen können. Gleichzeitig wird umerzogen. Dass das durchleben der der Pubertät für Menschen wie "Alex" höchstwahrscheinlich eher eine Qual ist, wird für die ungewisse Chance, dass sie doch noch die geschlechtliche Norm der Medizin erfüllt, in Kauf genommen. Was das mit moderner Psychologie, die sich am Wohl der Behandelten orientiert, zu tun haben soll, ist schleierhaft. Für die Betroffenen kann es ein lebenslanger Alptraum sein. Auch wenn die Hormonverschreibung an Jugendliche in der Medizin immer noch umstritten ist, ist es heute kein Problem, mit Medikamenten die Pubertät so lange aufzuhalten, bis sich die Betroffenen entschieden haben wie sie leben wollen. Im Fall von "Alex" gibt es Jugendamtsmitarbeiter_innen und Mediziner_innen, die ihr diese Entscheidung abnehmen wollen. Auch vom Standpunkt der Menschenrechte aus gesehen ist das mehr als problematisch.
Nach dem das alles bekannt wurde, haben sich sofort Unterstützer_innen zusammengefunden. Auch international gibt es Unterstützung, etwa durch Petitionen im Internet:
http://www.change.org/petitions/mayor-of....
In Berlin gründete sich eine Unterstützer_innengruppe. Sie will die Einweisung von Alex in die geschlossene Psychiatrie verhindern. Es sind Menschen aus unterschiedlichsten Richtungen, von queer und gender Aktivist_innen über antipsychiatrische Zusammenhänge bis hin zu linken, Menschenrechts- und feministischen Aktivist_innen. Für den 12. März haben sie eine Kundgebung geplant, der weitere Aktionen folgen sollen.
Es geht ihnen nicht nur um den Fall von Alex. Ihr Ziel ist ein Ende der Pathologisierung an Hand von Geschlecht. Ein Schritt in diese Richtung wäre die Streichung der Diagnose Transsexualität aus den Internationalen Krankheitskatalogen, nach denen sich die Ärzt_innen in ihren Diagnosen richten. Damit wäre auch der von der Charité vertretenen Lehrmeinung eine wichtige Basis entzogen.
Zu diesen Themen habe ich mit Dia vom "Alex"-Unterstützer_innen Bündnis gesprochen:

Das war ein Interview mit einer Aktivistin aus dem Bündnis, das sich gegen die Pathologisierung und Psychiatrisierung nicht nur von trans* lebenden Menschen richtet. konkret richten sie sich gegen die geplante Einweisung in die geschlossene Psychiatrie und die Umerziehung der erst 11 Jahre alten "Alex", die gerade in Berlin betrieben wird.
Weitere Informationen zum Thema habe ich in einer kleinen Linksammlung zusammengestellt.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35641/...
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36356/...
http://www.trans-health.info/2010/09/die...
http://www.change.org/petitions/mayor-of...
http://www.taz.de/!87055
http://atme-ev.de/index.php?option=com_c...
http://www.taz.de/Transsexualitaet-im-Ki...



Kommentare
29.02.2012 / 13:55 jochen, Radio Unerhört Marburg (RUM)
für zip verwendet
am 29.02. Danke