„Die Alten sollen sich für die Wirtschaft opfern“: Profit over people

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Die Wirtschaft in den USA geht über Leichen: Während #NotDying4WallStreet auf Twitter im Trend liegt, verabschiedet der US-Kongreß ein 2 Billionen Dollar schweres Coronavirus-Konjunkturpaket von dem es heißt, es würde den von der Krise hart getroffenen Arbeiterinnen und Arbeitern wenig helfen. Die Demokraten nennen es einen „Schmiergeldfonds für Unternehmen“: Es gäbe "lediglich $1200 einmalig und nur $600 für die, die es am nötigsten brauchen.”

Demokratische Abgeordnete schlugen dagegen vor, alle Schulden von Studierenden während der Coronkrise aufzuheben. Das US-Arbeitsministerium erwartet dieser Tage einen Rekord arbeitslos gemeldeten Bürger*innen.

In den Krankenhäusern fehlt es inzwischen an allem; die Zahl der Infizierten in den USA steigt und vor den Kliniken stehen bereits Kühlwägen für die Toten, die keinen Platz mehr in den Leichenhäuser haben. Beschäftigte im Gesundheitssektor haben Fotos von sich mit Müllsäcken als improvisierten Infektionsschutz online gepostet; ein etwa vierzigjähriger Pfleger hatte sich nach der Behandlung eines Patienten mit COVID-19 angesteckt und starb; Ärzt*innen nennen die Situation “apokalyptisch.” Die USA hat inzwischen die meisten Fälle von COVID-19 positiv getesteten Personen weltweit. Mehr als China, mehr als Italien. Das führt Jeffrey Sachs auf die Unfähigkeit der Trumpregierung zurück.

Sachs ist Wirtschaftswissenschaftler, Autor zahlreicher Bücher und ehemaliger Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation im Kampf gegen AIDS, Tuberkulose und Malaria. Er arbeitet in New York, dem Epizentrum der Pandemie in den Vereinigten Staaten. Er sprach mit Amy Goodman und Juan González von Democracy Now!


Audio
09:12 min, 8638 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 30.03.2020 / 18:30

Dateizugriffe: 43

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Serie: MoRa3X
Entstehung

AutorInnen: die meike,Democracy Now!
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 30.03.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
JEFFREY SACHS: Diese Pandemie, die sich über die Welt verbreitet, ist schreckenerregend. Und es ist doppelt erschreckend, daß wir einen totalen Schwachkopf als Präsidenten haben, der nichts versteht, auf niemanden hört, nichts beurteilen kann außer die Börse, und damit die US-Bevölkerung in Gefahr bringt. Es ist schwer zu glauben, in welch einem kolossalen Schlamassel unser Land sich befindet: Wir haben es nicht nur mit einem neuartigen Virus zu tun, zu dem die Weltbevölkerung noch keine Immunität erlangt hat — in anderen Worten, wir können es alle wild und schnell verbreiten; außerdem fehlt es uns an Erfahrung mit dem Virus — aber wir haben zu allem Überfluß noch einen Präsidenten, der höchstwahrscheinlich der inkompetenteste Präsident in der Geschichte unseres Landes ist. Er ist nicht nur persönlich inkompetent, er ist noch dazu unfähig, qualifizierte Leute zusammenzubringen und auf sie zu hören, wie etwa Dr. Fauci [fautschi]und andere. Sie sollten bei der Kontrolle der Pandemie helfen. Stattdessen haben wir hier einen Dummkopf nach dem anderen, keine Führung, keine Strategie. Jede*r Bürgermeister*in und jede*r Gouverneur*in in diesem Land ist sozusagen an der Front ohne jede Unterstützung des Bundes. Es hätte sofort Geld zur Verfügung gestellt werden sollen für die Staaten und Kommunen um nötige Schritte zur Eindämmung der Pandemie einzuleiten. Stattdessen wird über die Fluggesellschaften gesprochen und über Rettungsschirme für welche Sektoren auch immer.
In Chinas Epizentrum, der Provinz Hubei, haben sie das Virus zu Anfang der Krise unter Kontrolle gebracht und heben jetzt nach zwei Monaten die Ausgangssperren auf. Das ist das Ergebnis einer strengen Politik der Eindämnung, hart aber mit umfassenden Tests, Kontaktverfolgung, Isolation von Menschen mit Symptomen – und sie haben hunderttausende Fälle verfolgt. Sie konnten die Verbreitung der Pandemie eindämmen.China ist nicht allein damit. Es ist eine Art ostasiatisches Modell: Singapur, Taiwan, Hong Kong, Japan, Korea – sie alle haben Mittel der öffentlichen Gesundheit genutzt um das Virus zu kontrollieren.
Das sollte jetzt auch unser Fokus in den Vereinigten Staaten sein — die Pandemie eindämmen, Arbeiterinnen und Arbeiter im Gesundheitssektor schützen; Menschen in einer verzweifelten Situation helfen. Wir müssen nicht viel konsumieren außer Essen und Grundversorgung. Selbstverständlich darf niemand die Wohnung verlieren oder geräumt werden. Wir gehen nicht aus um Party zu machen. Wir brauchen nicht viel Geld für Unterhaltung und am wenigsten fürs Reisen. Wir brauchen den Überlebensmodus.
Die ostasiatische Erfahrung zeigt, daß wenn du aggressiv bist als Antwort auf die Gesundheitskrise, dauert die Ausgangssperre nicht Monate oder Jahre, sonder 60 oder 90 Tage, je nach dem wie gut alles geregelt ist. Danach ist es möglich, zu einer Art Normalität zurückzukehren, vorsichtig, mit großen Bemühungen, die öffentliche Gesundheit zu wahren. Das hatten die U.S.A. am Anfang der Epidemie nicht, denn Trump, in seiner Idiotie, hat es verschmäht. Wir brauchen jetzt Expertise. Wir haben schon lebenswichtige Wochen verloren. Wir müssen diese Leistungsfähigkeit aufbauen, daß wir nach 60 oder 90 Tagen die Belagerung aufheben können sozusagen. Es gibt bereits genug Erfahrung, wenn wir nur schauen, lernen und agieren würden.
Es hätte eine sofortige Nothilfe von $100 oder $200 Milliarden Dollar für Governeur*innen und Bürgermeister*innen geben sollen, so daß sie Maßnahmen ergreifen können; eine praktikable, gesittete Stilllegung des öffentlichen Lebens durchzuführen und dabei soziale Unterstützung geben, damit Menschen in Isolation diese Zeit überleben können. Das hat oberste Priorität und hätte am ersten Tag entschieden werden sollen. Wir haben zwar keine funktionierende CDC, (Zentren für Seuchenkontrolle und -prävention), aber wir hätten improvisieren können. Es ist schockierend, bei all der Expertise in diesem Land. Und der Kongreß hat nichts besseres zu tun, als einen irren wirtschaftlichen Spaziergang von $2 Billionen Dollar zu unternehmen statt auf die Epidemie zu fokussieren. Sie verstehen einfach nicht, was da tatsächlich gerade passiert.
Sie sollten auf die Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen hören; es Menschen ermöglichen, zuhause zu bleiben. Dort sind sie persönlich sicher und beenden die Infektionskette. Die meisten bereits Infizierten werden sich erholen. Manche werden ins Krankenhaus kommen. Tragischerweise werden einige sterben. Aber wir können die Epidemie so eindämmen.

JEFFREY SACHS: Natürlich, das ist absolut richtig. Unser Gesundheitssystem fokussiert sich nicht einmal in erster Linie darauf, Krankheiten zu heilen – es ist darauf aus, Geld zu machen. Wir haben die Mittel um viele andere Epidemien zu stoppen wie z.B. Hepatitis C. Aber wir tun es nicht, weil die Medikamente so teuer sind. Unser System ist kaputt. Wir geben das Machtmonopol an große Konzerne, die dann ihre unglaublichen Profite zum Teil dafür nutzen, den Kongress zu kaufen. Die Korruption unseres politischen Systems hat so viel Aufmerksamkeit auf die falschen Dinge gelenkt, weg von unserem Wohlergehen und nun eben sogar weg von unserem Überleben.
Es ist erstaunlich, daß die konservativen Kommentator*innen sagen, “Ja, wir sollten schnell wieder zurück zur Arbeit gehen. Wir müsssen die Wirtschaft retten. Natürlich werden ein paar Leute, aber wieso geben wir soviel Geld für Menschenleben aus?”
Das ist die Korruption des grundsätzlichen menschlichen Geistes. Es ist eine Art Krankheit, die unser öffentliches Leben infiltriert: Geld vor Leben. Es führt zu einer Art Blindheit, Ignoranz und Grausamkeit. Natürlich ist unser Präsident des Chef aller Dummköpfe. Er ist ein geschmackloser Narzißt. Dabei haben wir soviele Leute im Land, die etwas wissen – nur, wo sind die, wenn der Kongreß $2 Billionen Dollar ausgeben will? Wo sind die Expert*innen, auf die wir hören sollten? Unser System ist kaputt weil die Gier grundsätzliche Werte verdrängt hat, und die Gier hat die Leute verdrängt, die wissen, was zu tun ist.

JEFFREY SACHS: Ich bin sprachlos. Die hier gezeigte Grausamkeit ist jenseits von fast allen Äußerungen an die ich mich erinnere, die gewählte us-amerikanische Beamt*innen in unserer Geschichte geäußert haben. Es ist nicht nur verachtenswert. Es geht komplett vorbei an dem Gedanken der öffentlichen Gesundheit.
Die Leute sollten verstehen, daß es sich hier um eine kontrollierbare Epidemie handelt. Viele Länder kontrollieren sie. Die vereinigten Staaten tun das nicht. Sie leiten nicht einmal die grundsätzlichen Maßnahmen ein wegen unseres kaputten Systems, wegen unseres unglaublich inkompetenten und psychopathischen Präsidenten. Länder, die die Pandemie kontrollieren, opfern ihre Alten nicht für die Wirtschaft. Wir brauchen hier dringend Nachhilfe. Wir müssen Dr. Fauci und andere Expert*innen anhören. experts. Es ist nicht schwer, diese zu finden. Unser Land ist voll von sachkundigen Menschen.

Kommentare
31.03.2020 / 18:02 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 31.3.. Vielen Dank!