Das Frenssenufer in Hannover - ein Relikt kolonialistischen Rassendünkels

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In Hannover ist eine Straße nach dem Schriftsteller Gustav Frenssen benannt, der im Kaiserreich den Kolonialismus verherrlicht und die in den Kolonien lebenden indigenen Völker auf übelste rassistische Weise verunglimpft und herabgesetzt hat. Folgerichtigerweise war Frenssen dann auch später in der Nazi-Zeit ein glühender Apologet und Propagandist des NS-Regimes. Ein von der Landeshauptstadt Hannover eingesetzter wissenschaftlicher Beirat hat deshalb 2018 die Umbenennung des Frenssenufers dringend empfohlen. Bis heute ist das nicht passiert.
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11:27 min, 12 MB, mp3
mp3, 143 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 15.07.2020 / 10:27

Dateizugriffe: 1719

Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur
Serie: Weiß auf Schwarz
Entstehung

AutorInnen: Chris Carlson
Radio: radio flora, Hannover im www
Produktionsdatum: 14.07.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das Frenssenufer in Hannover – ein Relikt kolonialistischen Rassendünkels
von Chris Carlson, Radio Flora

Der US-amerikanische Schriftsteller William Faulkner hat einmal geschrieben: „Die Vergangenheit ist nicht tot; sie ist nicht einmal vergangen.“

Im Stadtteil Buchholz-Kleefeld von Hannover befindet sich seit 1967 eine Straße namens „Frenssenufer“. Sie liegt am Mittellandkanal und ist nach dem ehemaligen Pastor und späteren Schriftsteller Gustav Frenssen benannt.

Vor einigen Jahren lief ein Projekt des Historischen Seminars der Universität Hannover mit dem Titel „Spuren des Kolonialismus in Hannover“. Die folgende Textstelle stammt aus einem Projektbeitrag:

"1906 veröffentlichte er [also Frenssen] seinen Jugendroman „Peter Moors Fahrt nach Südwest“, der zu einem der erfolgreichsten seiner Zeit avancierte. Dort erzählt Frenssen, der selber nie in Afrika war, die Geschichte des jungen Marinesoldaten Peter Moor aus Itzehoe, der 1904 am Krieg in Deutsch-Südwestafrika teilnimmt und sich dabei zum „Mann“ entwickelt. Schwarze würdigt Frenssen in einer selbst für die Kolonialliteratur außergewöhnlich rassistischen Sprache herab und lässt einen seiner Protagonisten den Mord an einem Gefangenen zum Beispiel wie folgt kommentieren: „Der kann kein Gewehr mehr gegen uns heben und keine Kinder mehr zeugen, die gegen uns kämpfen; der Streit um Südafrika, ob es den Germanen gehören soll oder den Schwarzen, wird noch hart werden. (...) Diese Schwarzen haben vor Gott und den Menschen den Tod verdient (...). Gott hat uns hier siegen lassen, weil wir die Edleren und Vorwärtsstrebenden sind. Das will aber nicht viel sagen gegenüber diesem schwarzen Volk; sondern wir müssen sorgen, daß wir vor allen Völkern der Erde die Besseren und Wacheren werden.“ (aus Felix Schürmanns Essay, „Frenssenufer“)

Ich muss wohl nicht besonders hervorheben, dass sich allein schon in diesem einen kurzen Passus eine schier unerträglich niederträchtige und erschütternde Gesinnung und Gesittung offenbart.

Der „Krieg“, von dem hier die Rede ist, ist der Aufstand der Herero und Nama gegen die deutschen Kolonialherren im damaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Ich werde in einem weiteren Beitrag dieser Reihe auf den Herero und Nama-Aufstand eingehen, insofern hier nur in aller Kürze:

Der Völkermord an den Herero und Nama geschah während und nach der Niederschlagung von Aufständen der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialmacht in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika während der Jahre 1904 bis 1908.

Der durch wohlbegründete Existenzängste geschürte Aufstand begann im Januar 1904 mit dem Angriff der Ovaherero unter Samuel Maharero auf deutsche Einrichtungen und Farmen. Da die Schutztruppe der Kolonie dem anfangs nicht gewachsen war, entsandte die Reichsleitung daraufhin umgehend Verstärkung. Durch etwa 15.000 Mann unter dem Befehl von Generalleutnant Lothar von Trotha wurde der Aufstand der Herero bis zum August 1904 niedergeworfen.

Der größte Teil der Herero floh daraufhin in die fast wasserlose Omaheke-Wüste. Trotha ließ diese abriegeln und Flüchtlinge von den wenigen dort existenten Wasserstellen verjagen, so dass Tausende Herero mitsamt ihren Familien und Rinderherden verdursteten. Trotha ließ ihnen im sogenannten Vernichtungsbefehl mitteilen: „Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen. […] Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“

Die Kriegsführung Trothas zielte auf die vollständige Vernichtung der Herero ab (Ein Zitat von ihm lautete: „Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muß“); sein Vorgehen gilt in der Wissenschaft als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts.

Der Aufstand der Nama (in der älteren Literatur auch „Aufstand der Hottentotten“ genannt) ist nicht so genau dokumentiert wie der Aufstand der Herero. Das hängt u. a. mit der mehr als sparsamen Berichterstattungspolitik des zuständigen kommandoführenden Oberst Deimling zusammen. Es fehlt noch ein Übersichtswerk mit genaueren Angaben. Tatsächlich handelte es sich zum Teil um Nama-, zum Teil um Orlam-Stämme.

Der Völkermord in Deutsch-Südwestafrika hatte also 40.000 bis 60.000 Herero sowie etwa 10.000 Nama das Leben gekostet.

Das also sind die Heldentaten, denen Frenssen in seinem Jugendroman Beifall zollt. Frenssen mag den Angriff der indigenen Völker Namibias gegen die Deutschen für rechtswidrig halten, völkerrechtlich ist das Gegenteil richtig. Die Eroberung und Unterdrückung eines fremden Volkes ist niemals zulässig, die Opfer haben immer das Widerstandsrecht gegen die Fremdherrschaft – es ergibt sich unter anderem aus dem Recht der freien Selbstbestimmung der Völker. Dieses Recht gilt immer und überall, und es gilt gegen jeden Unterdrücker.

Wie kann man das bei Gustav Frenssen biographisch einordnen? Die Landeshauptstadt Hannover hat ein Projekt zur wissenschaftlichen Betrachtung von namensgebenden Persönlichkeiten in Auftrag gegeben. Der Projektbeirat hat in seinem Abschlussbericht aus dem Jahre 2018 über Frenssen Folgendes geschrieben:

Zitat: „Frenssen gab 1902 seine Pastorenstelle auf, um als freier Schriftsteller zu leben. Seine Werke gehörten zur Massenliteratur des Kaiserreichs und der NS-Zeit, die kolonialistische, rassistische und antisemitische Wertvorstellungen vermittelten. Die nach 1933 veröffentlichten Schriften Frenssens können von Ausnahmen abgesehen als „nationalsozialistische Propaganda“ gelten."

Der Abschlussbericht spricht eine unzweideutige Empfehlung aus, das Frenssenufer umzubenennen, wenngleich dies im Wesentlichen mit Frenssens ideeller Unterstützung für das NS-Regime begründet wurde, und nicht mit seiner pro-kolonialistischen Haltung in der Kaiserzeit. Als Fazit seiner Bewertung stellt der Beirat abschließend fest:

Zitat: "Frenssen war eine kontinuierlich arbeitende Stütze des NS-Regimes im publizistischen Betrieb der Diktatur seit 1933. Mit seinen Werken, die wegen seines literarischen Könnens und seiner großen Popularität vor allem in bildungsbürgerlichen Kreisen eine breite Wirkung entfalteten, setzte er sich
rückhaltlos für den Nationalsozialismus ein. Die Judenverfolgung und die Euthanasiemorde des Regimes hat er gerechtfertigt. Er hat damit das NS-Unrechtssystem maßgeblich unterstützt."

Was man hier am Beispiel Frenssens sehr deutlich sehen kann, ist, dass es eine Kontinuitätslinie von dem traditionellen Rassismus gibt, wie er sich in Deutschland – aber natürlich auch woanders – seit dem christlichen Mittelalter etabliert hat, die bis in die Gegenwart reicht. Zwar war dieser Rassismus mal schwächer, mal stärker ausgeprägt. Der kolonialistische Herrschaftsanspruch der Europäer war nicht nur auf Geldgier und nationalistische Großmannssucht zurückzuführen, sondern stand auch deutlich unterm Zeichen einer rassistischen Verachtung und Mißachtung der indigenen Völker, die dadurch für vogelfrei erklärt wurden. Mit unzivilisierten, dunkelhäutigen Wilden dürfte man wohl machen, was immer man wollte.

Dasselbe gilt dann auch sinngemäß für die artverwandten Dumpfbackigkeiten des Anti-Semitismus, des spezifisch christlichen Anti-Judaismus, oder aber die Diskriminierung von anderen ungeliebten Minderheiten. Unter den Nazis wurden diese ganzen 'Ismen' zu einem richtigen, hysterisierten Kult hoch gepeitscht. Nach 1945 musste man wohl oder übel zumindest nach außen hin eine andere Platte auflegen. Manche von uns glaubten sogar – leider zu Unrecht, wie wir inzwischen wissen – dass die Aufklärung in der Folge von 1968 dem Rassismus und dem Anti-Semitismus in Deutschland einen tödlichen Schlag versetzt hätte. Spätestens seit 2015 wissen wir's besser.

Wenn die Ermordung George Floyds durch einen weißen Polizisten in den USA wenigstens eine positive Konsequenz hatte, dann die, dass wir in Deutschland nun wissen, dass wir den Kampf gegen den Rassismus noch lange nicht gewonnen haben. Er schwelt wie ein Torfbrand im Moor unter der Oberfläche – manchmal Generationen lang – und bricht sich immer wieder unverhofft Bahn.