Das social Distel-Ding – Pandemien sind nichts Neues

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Teil 52 der Kolumne aus dem social distancing. Diesmal mit einem geschichtlichen Einblick, der zeigt, dass Woodrow Wilson die Pandemie ("Spanische Grippe") auch nicht besser bekämpft hat als Trump.
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mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 03.08.2020 / 10:57

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 30.07.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Endlich Sommer! Sommer auf Balkonien, Sommer an der Isar, Sommer mit Corona.
Das schöne Wetter ist da und mit ihm kommt leider auch die schmerzhafte aber nüchterne Realisation, dass die Corona-Krise so schnell nicht vorbei seien wird. So schwitzen wir weiter unter unseren Masken und wundern uns darüber wie schnell die Zeit in der Krise vergeht. Die Schausteller klagen heute schon, dass Christkindlmärkte wohl nicht stattfinden können. Dabei wollten wir social Distel-Dinger doch erstmal den Sommer genießen, statt darüber nachzudenken wie Glühweinflecken auf Mund-Nase-Masken aussehen. Dieses social Distel-Ding freut sich übrigens am meisten darüber, dass die Allergie-Saison vorüber ist. Ständige Niesanfälle und Maskenpflicht haben wirklich nicht gut zusammen gepasst.
Aber in der Pandemie geht es ja nicht um die Leiden der einzelnen, sondern um die Gesundheit der Herde, der gesamten Menschheit. Mittlerweile deutet sich an, dass ein Blick zurück auf vergangene Pandemien nicht mehr nur Schreckensszenarien aufwirft, vor denen wir uns aus Rücksicht auf unsere psychische Gesundheit dringend fern halten sollten, sondern auch deutliche Parallelen zur aktuellen Situation aufzeigt.
Nehmen wir zum Beispiel das Krisenmanagement Donald Trumps. Von vielen wird sein Versagen mit der Pandemie-Lage in den USA umzugehen als Beweis dafür gesehen, dass es sich bei ihm um den unfähigsten US-Präsidenten aller Zeiten handelt. Allerdings zeigt sich, dass der letzte amerikanische Präsident, der eine Pandemie zu managen hatte, sich nicht besser anstellte. Woodrow Wilson, der von 1913 bis 1921 das Amt des Präsidenten innehatte und aus der Demokratischen Partei stammte, stellte sich auch nicht besser an. Vieles was wir heute bei Trump als absoluten Wahnsinn betrachten, war auch damals weit verbreitet.
Die nach dem ersten Weltkrieg grassierende Spanische Grippe kostete weltweit mehr als 50 Millionen Menschen das Leben. Dennoch würdigte Woodrow Wilson, der sogar selbst an ihr erkrankte, sie keines Wortes in seinen öffentlichen Reden. Schon der Name „Spanische Grippe“ geht auch nach damaligen Kenntnisstand nicht auf den Ursprung der Erkrankung zurück, der wohl in Kansas oder in China lag. Stattdessen wurde er gewählt, weil die freie Presse in Spanien umfangreich über die Krankheit berichtete, während in den USA und anderen Nationen der Kriegsberichterstattung und dem Hurra-Patriotismus mehr Raum in den Zeitungen gegeben wurde, als der Gefahr, die letzten Endes über 50 Millionen Menschen dahinraffen sollte.
Schlimmer noch, Wilson forderte die Bevölkerung zu großen Militärparaden und öffentlichen Versammlungen auf. Auch die Empfehlung von Ärzten, Masken zu tragen um die Ausbreitung des Virus einzudämmen fiel damals großflächig auf taube Ohren und wurde gar als verfassungswidrig bezeichnet.
Wenn wir weiter in die Geschichte zurückblicken hat es den amerikanischen Doppelkontinent auch schon schlimmer getroffen. Mit den einfallenden europäischen Siedlern und Räubern, die auf ihrer Suche nach Gold tief in das Land eindrangen, verbreiteten sich die schon länger in Europa grassierenden Masern und Pocken. Schätzungsweise starben an diesen Epidemien ebenfalls 50 Millionen Menschen, was nach heutiger Forschung in ungefähr 90% der damaligen indigenen Bevölkerung entspricht. Dass damals diese Krankheiten sogar als Waffen gegen die Indigenen eingesetzt wurden, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis.
Dann gibt es auch noch die Pest. Auch dieser Pandemie fielen über 50 Millionen Menschen zum Opfer, wobei die Weltbevölkerung zur Zeit der Pest viel geringer war, als beispielsweise in der Zeit der Spanischen Grippe. Was die Pest noch einmal spannend macht, ist, dass sie nach heutigem Forschungsstand wohl ebenfalls aus der chinesischen Region Wuhan stammt. So wurde es zumindest von der Arte-Sendung „Mit offenen Karten“ wiedergegeben. Dass die Pest und das Corona-Virus Covid-19 beide aus der selben Stadt stammen, mag auf den ersten Blick unglaublich erscheinen, ist aber relativ leicht zu erklären, wenn die Entstehungsgeschichte von Krankheiten mit bedacht wird. Wuhan liegt fast genau in der Mitte zwischen den bevölkerungsreichen Regionen Peking im Norden und Guangzhou, Shenzhen und Hongkong im Süden, sowie Shanghai im Osten und Chongqing im Westen der heutigen Volksrepublik China. In dieser Stadt treffen also sehr viele Menschen und Tiere aufeinander und viele Land- und Seerouten laufen dort zusammen. Wo, wenn nicht hier, sollte sich ein Virus entwickeln und verbreiten?
Ja, und so stehen wir also da und stellen fest: Pandemien und Epidemien gehören zur Menschheitsgeschichte und schlechtes Gesundheitskrisenmanagement scheinbar zu US-Geschichte. Aber, viel wichtiger, wir sind noch weit von der typischen Todeszahl entfernt. Statt 50 Millionen Tote, die jeweils die Folge der Spanischen Grippe, der Pocken und Masern sowie der Pest waren, sind aktuell „nur“ über 660 000 Menschen an den Folgen von oder mit Covid-19 verstorben. Der Rückschluss, dass unsere aktuelle Pandemie demnach nicht so schlimm sein kann, ist allerdings gefährlich.
Das heutige Krisenmanagement, so unangenehm es in manch seiner Maßnahme sein mag, ist um so vieles stärker als jegliche Versuche der damals Betroffenen die Ausbreitung der Krankheiten einzudämmen. Heute haben wir schnelle Tests, ein besseres Wissen über die Ausbreitungswege, ein effektiveres und schlagkräftigeres Gesundheitssystem und nicht zuletzt auch staatliche Hilfen, die die wirtschaftlichen Schäden soweit einbremsen, dass kein Hunger droht. Wobei diese Analyse auch nicht weltweit gilt und zu hoffen bleibt, dass die internationale Solidarität schlimmste Folgen in weniger vermögenden Regionen verhindert.
Dennoch werden wir vermutlich noch in diesem Jahr die Schreckensnachricht hören, dass weltweit über eine Millionen Menschen an und mit dem Corona-Virus verstorben sind.
Eine Pandemie ist kein Spaß, da kann es auch in Kauf genommen werden, unter der Maske zu schwitzen.

Kommentare
06.08.2020 / 18:03 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 6.8.. Vielen Dank!