Das social Distel-Ding – Corona-Trolle und die weitere Spaltung der Gesellschaft

ID 103720
 
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Teil 53 der Kolumne aus dem social distancing. Diesmal mit der neuen Wut nach den Protesten in Berlin.
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Upload vom 03.08.2020 / 19:02

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 03.08.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Wut ist wieder da. Vorbei die kurzzeitige Vorstellung einer neuen Normalität, in der wir das beste aus der Situation machen und langsam aber sicher, und mit Sicherheitskonzepten, das öffentliche Leben und die Wirtschaft wieder hochfahren. Nein, wir sind wieder mittendrin im Streit: Covidiotien gegen Schlafschafe, selbsternannte Querdenker gegen die Akzeptanz der wissenschaftlich begründeten Hygienemaßnahmen.
Und wie es sich gehört, gibt es dazu noch massig Nebenschauplätze des Streits, der sich an der Berliner Großdemonstration vom Samstag entzündete: Ist die öffentlich verbreitete Zahl der Demo-Teilnehmenden politisch bedingt zu niedrig geschätzt worden? Wird der Protest absichtlich delegitimiert indem hauptsächlich von Reichsbürgern und Verschwörungs-Erzählungs-Verbreitern berichtet wird? War die Auflösung der Demonstration gerechtfertigt? wird mit zweierlei Maß gemessen, weil die Berichterstattung der Black Lifes Matter Demonstrationen um einiges freundlicher war?
Sicherlich gibt es noch zahlreiche Fragen mehr, die die Skeptikerinnen und Skeptiker gerne beantwortet hätten. Die einzige Frage, die sich dabei stellt: Geht es hier wirklich um Diskurs oder sind wir schon wieder mitten drin in eine weitere Aufspaltung der Gesellschaft in diejenigen, die an und in ihr politisch arbeiten wollen, und denjenigen, die ihre Ablehnung nur möglichst plakativ zur Schau stellen wollen, die neudeutsch einfach nur noch „trollen“?
Die Frage stellt sich nicht zum ersten Mal. Für dieses social Distel-Ding war es 2015 eine äußerst seltsame Erfahrung die Politik der Kanzlerin gegenüber CDU und CSU Mitgliedern verteidigen zu wollen. Es war seltsam die Bedeutung des Grundgesetzes und der aus ihm folgenden politischen Verpflichtungen zur Wahrung der Menschenwürde und des Asylrechts erklären zu müssen. Aber richtig erschreckend war es eigentlich erst, als sich die allgemeine Feststellung durchsetzte, dass es den „besorgten Bürgern“ nicht um einen Diskurs ging, an dessen Ende eine tragbare Lösung und ein auf Fakten basierender Kompromiss stehen soll. Statt der Versöhnung kam die Spaltung. Genauer gesagt, die Abspaltung eines Teils dieser Gesellschaft, die sich in Fundamentalopposition zum Rest fühlt. Es ging sogar noch weiter. Die Abspaltung war nicht nur eine Meinungsfrage, sondern sie hat sich ihre eigene Realität gebildet, ihre eigene Wahrnehmung der Welt.
Über die zahllosen Weltverklärer im Internet, die die Erde flach, von Reptiloiden regiert und von „Umvolkung“ bedroht zeichnen, kann jede und jeder Fundamentaloppositionelle sich seine unangreifbare Weltsicht zurecht legen und sich dadurch gegen jeden am Erkenntnisgewinn orientierten Diskurs wappnen. Der große Selbstbedienungsladen der als Wahrheiten deklarierten Unterhaltungsangebote beraubt die Gesellschaft der gemeinsamen Gesprächsrealität.
Wer nicht anerkennen möchte, dass die Pandemie gefährlich ist, der oder die wird sich in einer Diskussion über die richtigen Maßnahmen der Pandemieeindämmung schwer tun konstruktiv mitzureden. Wer sich lieber als Statement Tampons vor dem Gesicht herumbaumeln lässt, statt auf einer Großdemonstration eine Mund-Nasen-Maske zu tragen, der wird vermutlich ein Gesprächsangebot dafür nutzen, möglichst kontroverse Thesen in den Raum zu werfen um das Gegenüber aus der Fassung zu bringen. Wer lautstark „Wir sind die zweite Welle!“ ruft und dabei durch das eigene Verhalten wahrscheinlich aktiv an der Auslösung einer solchen teilnimmt, wertet die eigene Meinung und Weltsicht höher als Menschenleben.
Das ist das eigentlich beängstigende an diesen Veranstaltungen: Die meinungsstarken Individuen werten ihre Meinungen und Schlussfolgerungen höher als alles andere. So wie 2018 bei Pegida „Absaufen! Absaufen!“ skandiert wurde, als es um den verzweifelten Kampf der Mission Lifeline ging, aus Seenot gerettete Flüchtlinge an Land zu bringen, wurden auf der Querdenker-Demo die Corona-Opfer verhöhnt und weitere willentlich in Kauf genommen. Und wieder ist die Begründung dieser Entwertung menschlichen Lebens das angebliche exklusive Wissen über eine dunkle Verschwörung, die es aufzuhalten gilt, koste es was es wolle.
Während medizinisches Personal weltweit an einer tatsächlichen Front um das Leben von Menschen kämpft, sehen sich viele Querdenker ebenfalls im Kampf. Egal ob sie mit Q-Anon gegen eine satanistische Kabale, Kinderschänder und den „Deep State“ kämpfen, über 5G, Chemtrails oder die Gates-Verschwörung aufklären, oder ganz allgemein die demokratisch-souveräne Verfasstheit der Bundesrepublik anzweifeln wollen, all das scheint für sie so drängend zu sein, dass sie den Tod und die Erkrankung anderer in Kauf nehmen. Und deshalb nehmen sie es wohl auch in Kauf mit ihren eigentlichen politischen Gegnern zu marschieren. Frei nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“, stören sich viele Querdenker offensichtlich nicht an Reichskriegsflaggen, deutlichem Wahnsinn oder der generellen Verrohung im Umgang mit Andersdenkenden.
Trotzdem ist es vermutlich nicht hilfreich sie generell als Covidioten abzustempeln. Letztlich wird die unangenehme Realität der Pandemie, aus der die Skeptiker fliehen, nur noch unangenehmer, wenn sie mit einer Beleidigung des eigenen gutgemeinten Aktivismus daherkommt. Denn das ist ja der Witz, keiner will sich selbst als böse sehen, fast alle glauben wir daran, dass wir allein das Gute wollen.
Leider können wir nie wissen, was wirklich das „Gute“ ist. Deshalb sprechen wir weiter miteinander, versuchen einander zuzuhören und bezeichnen diejenigen, die nicht zuhören wollen, sondern nur provozieren, als das was sie sind: Corona-Trolle!
Denn Corona-Trolle wollen nicht zuhören, sondern ihr ergoogeltes „Wissen“ loswerden. Corona-Trolle wollen nicht überzeugen, sondern Zweifel sähen und verunsichern. Corona-Trolle wollen keine Lösungen, sondern die Lösungen der anderen als falsch darstellen. Corona-Trolle relativieren die Realität und sehen sich selbst als Opfer. Und Corona-Trolle müssen nicht einmal echte Menschen sein, um echte Menschen zu verunsichern.
Diese Verunsicherung gilt es aufzuhalten, so anstrengend es auch ist. Wir dürfen nicht schon wieder Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder an die Trolle verlieren, sie vereinsamt und verbittert in einer kleinen Blase hetzen lassen. Allerdings sollten wir dabei spätestens jetzt besonders vorsichtig sein. Letztlich besteht nach dieser großen Demonstration ohne Masken die reelle Gefahr, dass es einen neuen großen Ausbruch geben wird.
Also: Maske auf, Abstand halten und zuhören, ob hinter den ganzen Troll-Geschichten nicht einfach eine verunsicherte Person steckt, die in diesem großen Experiment Corona lieber etwas unvernünftiges glaubt und tut, als tatenlos den massiven Veränderungen und Gefahren ins Auge blicken zu müssen. Denn, auch wenn vieles auf den Querdenker-Demos übertrieben formuliert ist, es stimmt: Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf! Wir brauchen wachsame Menschen, die auch aufeinander aufpassen.

Kommentare
04.08.2020 / 18:29 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 4.8.. Vielen Dank!