Das social Distel-Ding – Digitalisierung, Schule und keine guten Masken "made in Germany"

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Teil 55 der Kolumne aus dem social distancing - Heute geht es um die neue Willenserklärung Laptops für Lehrer*innen zu besorgen, warum die Union Privatfernsehn für Deutschland wichtiger fand, als den Breitbandausbau und das neue Maskendebakel von Jens Spahn.
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mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 14.08.2020 / 17:53

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Kinder, Umwelt, Politik/Info
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 14.08.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Jetzt sind wir also soweit. An Schulen soll der große Sprung in die neue digitale Welt gewagt werden. Mit 500 Millionen Euro soll das geschafft werden, was lange Zeit unvorstellbar war: Digitalkompetenz an deutschen Schulen, Internetzugänge für alle Schüler*innen und nicht zuletzt Dienstlaptops und Dienst-Email-Adressen für alle Lehrer*innen.
Kritiker mögen jetzt anmerken, dass das etwas arg lang gedauert hat. Wenn man bedenkt, dass Horst „Digital-Native“ Seehofer von sich behauptete, er wäre schon seit den 80er Jahren im Internet unterwegs, mag die Zeitspanne, bis Email-Adressen für Lehrer*innen als Ziel ausgegeben wurden, lang erscheinen.
Zwar gab es in den 80er Jahren noch kein Internet, wie vielen vermutlich bewusst ist, aber am 8. April 1981 sollte tatsächlich die Grundlage dafür gelegt werden, dass die BRD über das beste Breitbandglasfasernetz der Welt verfügen sollte. Damals hatte die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmitt einen langfristigen Investitions- und Finanzierungsplan für den zügigen Aufbau eines integrierten Breitbandglasfasernetzes beschlossen, der durch die deutsche Bundespost vorzunehmen sei, sobald die technischen Voraussetzungen dafür vorlägen. Alle alten Telefonleitungen sollten nach dem 5 Wochen später vorgelegten Plan des damaligen Bundespostministers zwischen 1985 und 2015 durch moderne Glasfaserleitungen ersetzt werden. Tja, sollten. Dass es anders kam, dafür ist der Regierungswechsel 1982 verantwortlich. Für Helmut Kohl war die Aussicht auf eine ferne digitale Zukunft kein politisches Ziel. Anstatt der Glasfaserleitungen ließ er lieber Kupferleitungen verbudeln. Die sind heute Schuld daran, dass das Internet, trotz Glasfaserausbau in der Fläche, in verminderter Geschwindigkeit in den Haushalten ankommt. Wofür sie dagegen gut waren und sind? Privatfernsehen.
Denn, dass gab der ehemalige Postminister von Helmut Kohl, Christian Schwarz-Schilling von der CDU, Ende 2017 zu bedenken: „Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen war in dieser Zeit mit einer absoluten linken Schlagseite versehen.“ Deswegen musste Konkurrenz her, damit die Kritik, die die Union in öffentlich rechtlichen Programmen wie „Panorama“ und „Monitor“ regelmäßig abbekam, im Sumpf der seichten Unterhaltung untergehen konnte. Böse Zungen könnten diese Aussage nehmen und sagen, dass die Verdummung der Bevölkerung dem eigenen Machterhalt dienen sollte. Oder auch auf die guten Beziehungen von Helmut Kohl und dem Privat-Fernseh-Mogul Leo Kirch verweisen. Als netter Mensch kann dieses social Distel-Ding sich dagegen einfach darüber freuen, dass die Internetanbieter in Zukunft vermutlich subventioniert werden, damit Schüler*innen über einen maximal 10 € teuren Internetanschluss verfügen können. So kommt die flächendeckende Internetanbindung dann auch an.
Zugute halten kann man der bisherigen digitalen Entwicklung auch, dass die in der Bundesrepublik geschulten Kinder in Zukunft vermutlich einen Vorteil gegenüber den Kindern aus anderen Ländern haben: Sie wissen noch was ein Overhead-Projektor ist, haben VHS-Kassetten im Unterricht zurückgedreht und teilweise sogar Erfahrungen mit MS-DOS sammeln dürfen. Inwieweit sich daraus tatsächlich nützliche und übertragbare Kenntnisse für die moderne Welt ableiten lassen muss natürlich noch überprüft werden, aber immerhin haben sie dadurch noch Anknüpfungspunkte um in einer überalternden Gesellschaft Gespräche zu führen. Wer kennt das nicht: „Ja Mama, ein Beamer ist fast so etwas wie ein Overheadprojektor, und eine Powerpoint Präsentation besteht aus Folien für diesen Overhead-Projektor, nur sind die auf dem Computer gespeichert. Sie können also nicht verwischen.“
Die Idee jetzt also die digital Ausstattung der Lehrkräfte und Schüler*innen zu verbessern ist allerdings erst einmal nur eine Willenserklärung, die heute auf dem Schulgipfel im Kanzleramt beschlossen wurde. Es wird sich noch zeigen, ob und wie diese Willenserklärung Realität wird.
Sicherlich ist sie aber ein Startschuss für die Lobbyisten der Laptop- und Betriebssystem-Hersteller, die vermutlich gerade das Kanzleramt umlagern und ihre Angebote einbringen wollen. Das Versprechen auf ein Stück des eine halbe Milliarde süßen Kuchens lockt sie sicherlich an wie Wespen und Schmeißfliegen ein Sommerpicknick. Im Umgang und in den Verhandlungen mit diesen Anbietern wird sich zeigen, ob ein solchen Programms wirklich eine bessere Bildung als Ziel hat, oder nur ein verkapptes Konjunktur- und Industrieanlockungsprogramm ist.
Schließlich ist die Haltbarkeit von Laptops begrenzt und es sind seltene Erden und Wertstoffe verbaut. Da drängt sich die Frage auf, ob in nächster Zeit deutsche Schulen ein Großproduzent von Elektroschrott werden, oder ob hier der Anfang einer nachhaltigen Endgerätenutzung erprobt werden kann. Solche Großinvestitionen sollten gut durchdacht sein, gerade wenn Steuermittel für Geräte eingesetzt werden, die dann zu Wertstoffmüll werden und vielleicht in Afrika ausgeschlachtet werden und dort die Menschen krank machen.
Denn, durchdachte Großinvestitionen sind nicht unbedingt die Stärke der Repräsentanten unserer Demokratie. Keine Angst, es soll jetzt nicht wieder über die als Infrastrukturprojekte getarnten schwarzen Löcher der Steuerkasse gesprochen werden, die sich in Berlin und Stuttgart aufgetan haben. Nein, es finden sich auch in der aktuellen Corona-Pandemie neue Fehler, die einen nur den Kopf schütteln lassen.
So berichtete das öffentlich-rechtliche Fernsehen am 12. August um 21:45 Uhr im ARD-Programm plusminus, dass der von Gesundheitsminister Jens „Covid-19 ist jetzt wohl doch schlimmer als die Grippe“ Spahn angekündigte Aufbau einer großflächigen medizinischen Maskenproduktion „made in Germany“ nicht ganz so läuft wie geplant. Auf Grund von zweifelhaften Vergaberichtlinien haben neu gegründete Unternehmen den Zuschlag bekommen, dafür zu sorgen, dass die Bundesrepublik, im Falle neuer Lieferengpässe bei einer zweiten Welle, sich nicht mehr auf dem Weltmarkt um das gefragte Gut medizinische Masken schlagen muss. Darunter: eine Nagelstudiobetreiberin, Eventtechniker und andere Personen und Unternehmen, die nie zuvor in der medizinischen Produktion tätig waren. Sie unterboten die Preise der Firmen, die sowohl die Maschinen als auch das Know-How vorrätig haben, und mussten dann feststellen, dass sie der Aufgabe doch nicht gerecht werden können. Nachdem keine Vertragsstrafen vorgesehen waren, konnten sie einfach abspringen. Die Folge daraus ist, dass es die versprochenen Masken „made in Germany“ nicht in angekündigter Zahl und eventuell gar in zweifelhafter Qualität geben wird.
Aber das scheint ja kein Problem zu sein, letztlich erwartet ja kaum jemand, dass es eine zweite Welle geben könnte, oder? Außerdem diskutiert die Öffentlichkeit lieber über Jens Spahns neue 4 Millionen € teure Villa und die Frage ob das bedeuten könnte, dass er und sein Ehemann demnächst ein Kind adoptieren wollen.
All das sind natürlich Themen für das Privatfernsehen. Und für den Fall, dass die geneigten social Distel-Dinger sich jetzt fragen, warum sie nichts von dieser Maskengeschichte mitbekommen haben: Zur gleichen Zeit wie plusminus liefen im Privatfernsehen „Die 25 unglaublichsten TV-Knaller“, „Der Kampf der Realitystars“, sowie zahlreiche Filme und Serien. Und natürlich gab es im Internet Netflix und Co zu sehen. Für manche nur leider arg verpixelt, weil die Internetverbindung zu schwach ist.

Kommentare
17.08.2020 / 18:01 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 17.8.. Vielen Dank!
 
18.08.2020 / 08:55 hike, Radio Unerhört Marburg (RUM)
in der fruehschicht am 18.8.2020
gesendet. danke-1