Das social Distel-Ding – Held der Münchner Trinkkultur und Nazis in Berlin

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Teil 57 der Kolumne aus dem social distancing - Diesmal mit dem Umgang mit dem Alkoholverbot in München und einer Aufarbeitung warum die Querdenker immer gefährlicher werden und es jetzt selbst in der Hand haben.
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Upload vom 31.08.2020 / 15:13

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 31.08.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Es gibt so Tage, da ist Corona ganz weit weg. Und es gibt die Tage, da ist Corona ganz nah. Das Gleiche lässt sich über den Wahnsinn sagen und beides haben wir social Distel-Dinger dieses Wochenende erlebt.
Aus Münchner Sicht war Corona am Freitag plötzlich wieder ganz nah. Nachdem die registrierten Infektionszahlen seit dem 9. August immer weiter angestiegen sind, zwischenzeitlich auf 102 registrierte Neuinfektionen an einem Tag, habe wir am Freitag den 7-Tagesindizienzwert von 35 im Stadtgebiet München überschritten. Bedeutet: Innerhalb von 7 Tagen wurde bei über 35 von 100.000 Personen das immer noch potentiell tödliche Virus SARS-CoV-2 nachgewiesen und das Ergebnis an die Landeshauptstadt übermittelt.
Die Folgen für diese Entwicklung standen schon früh fest: Zwischen 21 und 6 Uhr kein Verkauf von Alkohol mehr, nur noch in Lokalen oder auf Veranstaltungen und nur zum unmittelbaren Konsum. Von 23 bis 6 Uhr kein Konsum von Alkohol im öffentlichen Raum des gesamten Stadtgebiets.
Saufen verboten, bei Androhung eines Bußgelds von 150€! Und das in München! Für Klischee-Münchner*innen sollte das kein Problem sein, auch wenn die Yuppie-Hotspots sicherlich aus allen Nähten platzen und die Magnum-Schampus-Flaschen auszugehen drohen.
Für den Rest? Die können in ihren überteuerten kleinen Buden bleiben oder nüchtern im Regen stehen – in Zeiten der Pandemie gibt es schlimmeres, letztlich geht es ja nur um den Gesundheitsschutz, oder?
Naja, ganz so einfach ist es dann doch nicht. Schon kurz nach Inkrafttreten dieser Regelungen hatte sich ein Anwalt zum Held der Münchner Trinkkultur aufgeschwungen: Seine Klage gegen das Alkoholverbot in der Öffentlichkeit war erfolgreich. Das galt aber erst einmal nur für ihn. Er durfte also als einziger in der Öffentlichkeit trinken, gerichtlich bestätigt.
So geht es jetzt also gerichtlich weiter, wie immer in der Corona-Zeit: Es werden Regeln aufgestellt, die möglichst viele Leute in ihrem Leben einschränken sollen, damit sie abgeschreckt werden. Dann folgen Klagen und von den Gerichten wird die Verhältnismäßigkeit angemahnt, die Regelungen werden angepasst und schrittweise zurückgenommen. Ziel der Exekutive: Größtmögliche Abschreckung. Ziel der Legislative: Alles im gesetzlichen Rahmen halten und die Verhältnismäßigkeit wahren, also die Frage beantworten: Hilft das wirklich die Ausbreitung des Virus einzudämmen? Ziel aller: Corona soll endlich eingedämmt werden.
Aber das stimmt auch nicht ganz. Es gibt noch diejenigen, deren Ziel es ist, diese Stimmung zu nutzen um den Reichstag zu stürmen. Und es gibt diejenigen, die im Freudentaumel der großen Gemeinschaft vergessen machen wollen, dass wir in der Bundesrepublik erstaunlich gut mit der Pandemie zurechtkommen und deshalb wenig direkten Kontakt mit der Pandemie haben.
Der Wahnsinn vom Samstag wird uns alle wohl noch einige Zeit beschäftigen. Ganz abgesehen von all den Leuten, deren Medienkonsum einzig dazu dient die Begründungen warum sie verarscht werden und wieso sie recht haben wiederzukäuen, haben wir in Berlin die vermeintlich größte rechtsradikale Demonstration in Deutschland seit Chemnitz gesehen. Nachdem die Organisator*innen von Querdenken 711 kein Problem damit hatten, dass fast die gesamte rechte Szene auch zu ihrer Demonstration geladen hatte, ist sie auch gekommen. Und wie das so ist, wenn Nazis und Rechtsradikale geladen werden und sich in einer großen Gruppe stark fühlen dürfen, haben sie gleich gewaltsam klar gemacht, wo es für sie hingeht: in den Plenarbereich Reichstagsgebäude, zu dem ihre zahlreich auf der Demonstration anwesenden Kollegen von der AfD doch eigentlich schon Zutritt haben.
Natürlich hat sich der Organisator der Querdenker-Demo gleich von den Reichstags-Stürmern, wie sie sich wohl selbst gerne nennen würden, distanziert. Ähnlich wie in Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche gilt auch hier: Wenn etwas vorfällt, finden wir das schlimm, aber haben auch kein Problem damit, wenn sie sich wieder unter unsere Reihen mischen. Was verurteilt wird, ist die Tat, das man selbst die Täter schützt und erst in die Position bringt die Tat zu verüben, ist scheinbar nicht das Problem.
Die Demonstrierenden und ihre Internet-Unterstützer*innen fordern hier immer eine Differenzierung: Größtenteils waren es ja fast keine Nazis, im Vergleich, die wenigen waren auch größtenteils wo anders unterwegs, nicht auf der Hauptdemo, die Bewegung ist weder rechts noch links.
Was sie aber verschweigen oder nur vergessen: Querdenker lassen die Leute, die bekannt dafür sind rechte, tödliche Gewalt auszuüben und Netzwerke auszubilden, in ihren Reihen marschieren, lassen sie sich groß und verstanden fühlen, statten sie vor der Öffentlichkeit mit dem Anschein aus "für die Freiheit" einzustehen, lassen sie zu Wort kommen, lassen sie in die Nähe ihrer Kinder! Und sie sehen darin kein Problem, weil sie sich mit ihnen auf einen Feind eingeschworen haben: "die Faschos oder Verbrecher oder Verschwörer in der Regierung". Womit natürlich nicht der Faschist Höcke gemeint sein kann, weil der und seine Freunde ja mit ihnen laufen.
Und das alles passiert vor dem Hintergrund, dass vor etwas mehr als 6 Monaten ein Rassist in Hanau 10 Menschen ermordete und das mit einem rassistischen und auf Verschwörungs-Erzählungen fußenden Manifest begründete. Es stört sie nicht, dass wir bekanntermaßen gestärkte rechte Netzwerke in Deutschland haben, die jetzt ihre größte Demo seit langer Zeit hatten und sich dort noch weiter vernetzen konnten, einzelne vielleicht sogar eine neue Freundin gefunden haben. Netzwerke, die sich mit Waffen, Munition und Sprengstoff bei der Bundeswehr versorgt haben, die Todeslisten führen und mit Hilfe (nicht nur) der hessischen Polizei Morddrohungen verschicken.
Es stört sie scheinbar nicht, dass in ihren Chatgruppen zu Mord und gewaltsamen Umsturz aufgerufen wird. In solch einem hetzerischen Umfeld dauert es nicht lange, bis es weiter eskaliert, bis Einzelne oder gar Netzwerke glauben den „Volkswillen“ erfüllen zu müssen. Nach dem Mord an Walter Lübcke kann man Angst um das Leben von Christian Drosten und all den anderen bekommen, die auf Plakaten der AfD als „schuldig“ gebrandmarkt wurden.
Noch ist nicht ganz klar, in wie weit eine große Menge der sonstig Anwesenden auf der Demo nur die größtmögliche Masse herstellen und die damit einhergehende Aufmerksamkeit für sich haben wollten, ob sie nur dem Streit untereinander aus dem Weg gehen wollten oder gar tatsächlich den gewaltsamen Weg unterstützen.
Was aber jeder und jedem klar sein sollte: Es geht hier nicht um Kontaktschuld. Die Medien und die Antifaschist*innen suchen nicht nur nach Begründungen warum die Demonstrierenden falsch liegen. Eigentlich ist es nämlich ganz einfach:
Seit 75 Jahren ist es ein klar verständliches Tabu mit Nazis gemeinsam zu demonstrieren und gemeinsame politische Ziele zu verfolgen. Wer es dennoch so offensichtlich macht und danach nur ruft, dass das nicht so schlimm ist, weil man die Nazis ja selbst nicht mag aber auch kein Problem damit hat, dass sie mitlaufen, möchte dieses Tabu aufweichen. Und wer das Tabu aufweichen möchte mit Nazis zu demonstrieren, möchte Nazis wieder salonfähig machen.
Wer Nazis wieder salonfähig machen möchte, ist gefährlich. Punkt.
Und auch das persönlich rücksichtsvolle Argument, das jetzt vielleicht einige vorbringen mögen, die sich auf der Demo in einen Nazi verguckt haben, gilt nicht. Es ist eben nicht so, dass rechtes Gedankengut, wenn es auf einer Demonstration in Massen geäußert wird und in Netzwerken verbreitet wird, nur ein Symptom für Ängste in der neoliberalen Leistungsgesellschaft ist.
Rechtes Gedankengut ist kein Symptom, sondern eine ansteckende Krankheit. Denn rechtes Gedankengut arbeitet nicht daraufhin die eigenen Ängste zu verarbeiten, sondern die beängstigenden Faktoren mit Gewalt zu unterdrücken um alles in ein klar durchsetzbares System zu fassen. Dafür muss es möglichst viele anstecken, damit ein gewaltsamer Umsturz möglich wird.
Hier greift das Toleranz-Paradoxon: Wer Toleranz gegenüber Intoleranten walten lässt, verliert die Toleranz.
Natürlich ist es tragisch, dass ein großes Fest, ein Zusammentreffen von Leuten die sich größtenteils aus dem Internet kennen und die vermutlich sonst isoliert ob ihrer Meinung oder der Corona-Beschränkungen im Alltag alleine stehen, jetzt öffentlich zerrissen wird. Natürlich will niemand hören, dass er oder sie die offene Gesellschaft massiv gefährdet, sowohl durch eine mögliche Ausbreitung des Virus, als auch politisch. Aber es bleibt die Hoffnung, dass ein Großteil der Demonstrierenden hier eine Grenze überschritten gesehen hat.
Auch ohne Nazis, die gewaltsam das System stürzen wollen, können unverhältnismäßige Verbote zurückgenommen werden. Das hat nicht zuletzt der Held der Münchner Trinkkultur gezeigt.
Also, wenn ich bitten darf: Maske auf und‘s Maul aufreißen, gegen Nazis!

Kommentare
31.08.2020 / 18:00 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 31.8.. Vielen Dank!